Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 20.09.2012


BFH 20.09.2012 - III B 63/12

Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bei Geltendmachung der Verfassungswidrigkeit einer Norm, insbesondere wegen des Vorliegens eines Vollzugsdefizits


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
20.09.2012
Aktenzeichen:
III B 63/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 8. Februar 2012, Az: 9 K 399/10, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Wird die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache aufgrund der Verfassungswidrigkeit einer Norm begehrt, muss der Beschwerdeführer nicht nur konkret auf die Rechtsfrage und damit auf Sinn und Zweck sowie den systematischen Zusammenhang der in Frage stehenden Vorschrift, sondern u.a. auch darauf eingehen, von welcher Seite und aus welchen Gründen ein Verstoß gegen das Grundgesetz angenommen wird.   

2. NV: Wird die Verfassungswidrigkeit einer Norm mit der "Verfassungswidrigkeit der Veranlagungspraxis" begründet, muss der Beschwerdeführer auch darlegen, ob und inwieweit das von ihm gerügte Vollzugsdefizit auf unzureichenden Erhebungsregelungen beruht und weshalb dies dem Gesetzgeber zuzurechnen ist.

Tatbestand

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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) reichte beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) eine strafbefreiende Erklärung ein und erklärte in den Jahren 1996 bis 2002 zu Unrecht nicht besteuerte Einnahmen i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Strafbefreiungserklärungsgesetzes aus selbständiger Tätigkeit (Betreuung). Diese bezifferte er zuletzt auf 30.614,23 € (22.298,22 € Entschädigungszahlungen des Amtsgerichts --AG-- und der Region X; 8.316,01 € weitere Einnahmen). Die danach berechnete Abgabe in Höhe von 4.592,14 € (Bemessungsgrundlage: 30.614,23 € x 60 % = 18.368,54 €; Abgabe: 18.368,54 € x 25 % = 4.592,14 €) setzte das FA erklärungsgemäß fest. Der hiergegen gerichtete Einspruch, mit dem der Kläger die Steuerfreiheit der Entschädigungen geltend machte, blieb ohne Erfolg.

2

Im dagegen geführten Klageverfahren erläuterte der Kläger, dass der Betrag in Höhe von 8.316,01 € nur Entschädigungen umfasse, die --ohne weitere Zahlungen des AG oder der Region-- direkt aus dem Vermögen der zu Betreuenden gezahlt worden seien. Insoweit hielt der Kläger weiterhin an seiner strafbefreienden Erklärung fest. Hingegen ging er hinsichtlich der Entschädigungszahlungen des AG und der Region von fehlender Steuerpflicht aus.

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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab und führte im Wesentlichen aus, dass es sich bei den Entschädigungszahlungen um Einkünfte aus sonstiger selbständiger Arbeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) handele, die weder nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG noch nach § 3 Nr. 26 EStG steuerfrei seien. Auch sei kein zur Verfassungswidrigkeit des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG führendes strukturelles Vollzugsdefizit erkennbar.

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Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO), zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) und wegen des Vorliegens eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde ist unbegründet. Zum Teil entspricht ihre Begründung nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO; im Übrigen sind die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe nicht gegeben.

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1. Der Kläger hat die grundsätzliche Bedeutung der von ihm herausgestellten Rechtsfragen nicht ordnungsgemäß dargelegt.

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a) Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage herausstellt, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts erforderlich ist und die im konkreten Streitfall klärbar ist. Dazu ist auszuführen, ob und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist. Vor allem sind, sofern zu dem Problemkreis Rechtsprechung und Äußerungen im Fachschrifttum vorhanden sind, eine grundlegende Auseinandersetzung damit sowie eine Erörterung geboten, warum durch diese Entscheidungen die Rechtsfrage noch nicht als geklärt anzusehen ist bzw. weshalb sie ggf. einer weiteren oder erneuten Klärung bedarf (z.B. Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2003 III B 14/03, BFH/NV 2004, 224). Wird die Verfassungswidrigkeit einer Norm gerügt, so hat der Beschwerdeführer nicht nur konkret auf die Rechtsfrage --und damit auf Sinn und Zweck sowie den systematischen Zusammenhang der in Frage stehenden Vorschrift--, sondern u.a. auch darauf einzugehen, von welcher Seite und aus welchen Gründen ein Verstoß gegen das Grundgesetz (GG) angenommen wird (z.B. Senatsbeschluss vom 26. August 2008 III B 153/07, BFH/NV 2008, 2009).

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b) aa) Soweit der Kläger die Rechtsfrage aufwirft, ob es sich bei den bezogenen Entschädigungszahlungen um Einkünfte aus sonstiger selbständiger Tätigkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG, um sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG oder um gewerbliche Einkünfte nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG handelt, setzt er sich nicht mit dem vom FG zitierten Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Juni 2010 VIII R 10/09 (BFHE 230, 47, BStBl II 2010, 906) auseinander, wonach ein Berufsbetreuer Einkünfte aus sonstiger selbständiger Arbeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG erzielt, und geht insbesondere nicht darauf ein, inwieweit die Frage noch umstritten ist und warum durch diese Entscheidung die Rechtsfrage noch nicht als geklärt anzusehen ist bzw. weshalb sie ggf. einer weiteren oder erneuten Klärung bedarf.

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bb) Soweit sich der Kläger auf die Ausführungen des FG zur Frage der Steuerfreiheit der Entschädigungen bezieht, formuliert er bereits keine hinreichend bestimmte Rechtsfrage.

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cc) Schließlich wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auch nicht in Bezug auf eine mögliche "Verfassungswidrigkeit der Veranlagungspraxis" dargelegt. Soweit der Kläger damit die Klärung einer etwaigen Verfassungswidrigkeit des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG wegen eines Vollzugsdefizits erreichen will, legt er nicht dar, von welcher Seite und aus welchen Gründen aufgrund der von ihm dargestellten Feststellungen des Bundesrechnungshofs ein Verstoß gegen das GG angenommen wird. Zudem setzt er sich weder allgemein noch bezogen auf den Fall des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG mit den Anforderungen auseinander, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) an das Vorliegen eines strukturellen Vollzugsdefizits gestellt hat (z.B. BVerfG-Beschluss vom 25. Februar 2008  2 BvL 14/05, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2008, 756, unter II.2.b aa, m.w.N.). So hat der Kläger insbesondere weder dargelegt, aus welchen Gründen eine Besteuerung der Einkünfte im Bereich des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG nahezu allein auf der Erklärungsbereitschaft des Steuerpflichtigen beruhe, weil die Erhebungsregelungen Kontrollen der Steuererklärungen weitgehend ausschlössen, noch hat er sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein etwaiges Vollzugsdefizit dem Gesetzgeber zugerechnet werden könne.

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2. Aus den gleichen Gründen ist die Revision nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO zuzulassen, da es sich bei dem Erfordernis einer Revisionsentscheidung zur Rechtsfortbildung um einen Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung handelt (vgl. Senatsbeschluss vom 22. August 2011 III B 192/10, BFH/NV 2011, 2043).

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3. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) zuzulassen.

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a) Die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung setzt voraus, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist, dass dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen rechtserheblich war, dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, dass die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und dass eine Entscheidung des BFH zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist (z.B. BFH-Beschluss vom 31. März 2010 IV B 131/08, BFH/NV 2010, 1487). Zur schlüssigen Darlegung einer solchen Abweichungsrüge muss der Beschwerdeführer u.a. tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus den behaupteten, mit Datum sowie Aktenzeichen und/oder Fundstelle bezeichneten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so die behauptete Abweichung zu verdeutlichen (z.B. Senatsbeschluss vom 11. März 2011 III B 76/10, BFH/NV 2011, 981).

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b) Insoweit genügt es nicht, wenn der Kläger rügt, dass die Verwaltung nach einem sie bindenden Erlass von der Rechtsprechung des BFH abgewichen sei. Ebenso wenig genügt es, wenn der Kläger rügt, verschiedene Finanzgerichte würden die Einkunftsart abweichend von der Rechtsprechung des BFH beurteilen, ohne im Einzelnen darzulegen, welches Finanzgericht in welcher Entscheidung zu einem vergleichbaren Sachverhalt anders als in dem angegriffenen Urteil entschieden hat.

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4. Schließlich kommt eine Revisionszulassung auch nicht wegen des Vorliegens eines Verfahrensmangels in Betracht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

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Soweit der Kläger eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) als (verzichtbaren) Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO durch Übergehen eines Beweisantrages oder durch Unterlassen einer Amtsermittlung rügt, ist dieser Verstoß nicht gegeben. Der in der mündlichen Verhandlung vor dem FG fachkundig vertretene Kläger hat sein Rügerecht durch rügelose Verhandlung zur Sache und damit durch bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung --ZPO--; vgl. BFH-Beschlüsse vom 29. Oktober 2002 IV B 98/01, BFH/NV 2003, 326; vom 15. September 2006 IX B 209/05, BFH/NV 2007, 80). Ausweislich des Sitzungsprotokolls wurde die Sache verhandelt und der Kläger hat dabei weitere Erläuterungen zu seinen Einnahmen gegeben und hierzu eine Aufstellung überreicht. Dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung darüber hinaus einen Beweisantrag gestellt oder die Nichterhebung eines Beweises gerügt hätte, ergibt sich aus dem Sitzungsprotokoll dagegen nicht. Da dem Sitzungsprotokoll nach § 94 FGO i.V.m. § 165 ZPO Beweiskraft hinsichtlich der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten zukommt, ist ein Schweigen des Protokolls zu von den Beteiligten behaupteten Beweisanträgen oder Rügen der Nichterhebung eines Beweises dahin zu werten, dass diese tatsächlich nicht stattgefunden haben (Schallmoser in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 94 FGO Rz 91).

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Im Übrigen musste sich dem FG angesichts dessen maßgebenden materiell-rechtlichen Standpunkts (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Februar 2005 III B 13/04, BFH/NV 2005, 1065) eine weitere Sachaufklärung durch Beweiserhebung auch nicht aufdrängen, da es davon ausging, dass ein etwaiges Vollzugsdefizit jedenfalls nicht normativ angelegt und damit dem Gesetzgeber nicht zuzurechnen ist.

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5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.