Entscheidungsdatum: 22.03.2010
NV: Wird der Anspruch auf Kindergeld vom FG abgelehnt, weil die Klägerin wegen ihres landwirtschaftlichen Betriebes in Frankreich hinsichtlich des Kindergeldes allein den dortigen Regelungen unterliege, und "ergänzend" ein inländischer Wohnsitz verneint, dann dürfen sich die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht nur auf den inländischen Wohnsitz beziehen .
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) bezog Kindergeld für ihren im März 1993 geborenen Sohn. Beide sind seit 1993 sowohl in Frankreich als auch in der Wohnung der Eltern der Klägerin in P, Deutschland, gemeldet. Die Klägerin ist Eigentümerin eines in W, Frankreich, nahe der deutschen Grenze belegenen kleinen landwirtschaftlichen Betriebes mit Milchkühen und Pferden. Sie wird in Frankreich besteuert, der Sohn besucht seit 1999 die Schule in X, Deutschland.
Nachdem die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) einen Antrag auf Kindergeld übersandt und Fragen zum Wohnort und zum Schulbesuch des Sohnes gestellt hatte, teilte die Klägerin mit, sie lebe von den Erträgen ihres landwirtschaftlichen Betriebes und den Mieteinkünften ihres Wohnhauses in Frankreich, deshalb sei sie in Frankreich und nicht in Deutschland steuerpflichtig. Der erste Wohnsitz befinde sich nach wie vor in P. Nachdem die Familienkasse daraufhin Gelegenheit zur Stellungnahme gab, ob Kindergeld seit Januar 1996 trotz fehlenden Anspruchs bezogen worden sei, antwortete die Klägerin, sie halte sich mehr als 183 Tage in ihrem landwirtschaftlichen Anwesen in der (deutschen) Ortsgemeinde Y auf. Dazu legte sie einen Grundsteuerbescheid für 2007 sowie Abrechnungen über Strom (2004 und 2005) und Wasser (2006) für dieses Grundstück vor, die an die Adressen in W oder in P gerichtet waren.
Der Einspruch gegen den Bescheid vom 25. Juni 2007, mit dem die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2002 aufhob, hatte keinen Erfolg. Nach vorherigem Verböserungshinweis wurde die Kindergeldfestsetzung in der Einspruchsentscheidung ab Januar 1997 aufgehoben und das Kindergeld in Höhe von 16.632,56 € zurückgefordert. Die Einspruchsentscheidung führt aus, von einem inländischen Wohnsitz der Klägerin könne nicht ausgegangen werden (§ 62 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--, § 8 und § 9 der Abgabenordnung --AO--). Die Klägerin unterliege zudem wegen ihres landwirtschaftlichen Betriebes W nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71) hinsichtlich des Kindergeldes selbst dann, wenn ein Wohnsitz in Deutschland bestünde, allein den Regelungen des Tätigkeitsstaates Frankreich.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es verwies zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung und führte ergänzend aus, von einem Wohnsitz der Klägerin in Y könne nicht ausgegangen werden. Die Adresse in Y sei erst während des Einspruchsverfahrens genannt worden, im Antrag vom 7. Dezember 2006 habe die Klägerin hingegen dargelegt, ihr erster Wohnsitz befinde sich in P. Der gesamte Schriftverkehr --Schreiben der Schule, der Einheitswertbescheid für das Grundstück in Y und Wasserabrechnungen-- gehe nach W. Im Telefonbuch gebe es für die Klägerin in Y keinen Eintrag. Es sei zwar möglich, dass die Klägerin ihre Pferde im Sommer in Y habe und sich dort zeitweise auch aufhalte. Anhaltspunkte für einen längeren Aufenthalt dort lägen aber nicht vor, da sie diese Adresse nie als Wohnsitz angegeben habe.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde trägt die Klägerin vor, das FG habe den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es praktisch den gesamten Vortrag in der Klagebegründung einschließlich der Beweisantritte ignoriert habe. Das die Entscheidung tragende Indiz sei, dass sie Y nie als Wohnort angegeben habe und die gesamte Post nach W gegangen sei. Tatsächlich besage dies nicht, dass nur dort auch der Lebensmittelpunkt liege. Hätte das FG darauf hingewiesen, dass es diese Handhabung für entscheidungserheblich erachte, so wäre erläutert worden, dass ihr Haus in W wegen der Versorgung der Kühe täglich aufgesucht werden musste und daher Gewähr dafür bot, von eingehender Post unverzüglich Kenntnis zu erlangen.
Durch die Rechtsprechung seien die Merkmale eines Wohnsitzes i.S. des § 8 AO geklärt. Es genüge nach dem Senatsurteil vom 22. April 1994 III R 22/92 (BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887), wenn sie die Wohnung nur in größeren Zeitabständen aufsuche. Da sie sich jährlich mehr als sechs Monate in P bzw. Y aufhalte, habe sie sowohl ihren gewöhnlichen Aufenthalt als auch einen Wohnsitz im Inland.
Sie habe vorgetragen, dass sie in Y über ein 15 000 qm großes Anwesen mit voll ausgestattetem Wohnhaus verfüge, das von Mitte März bis Anfang November ausschließlich bewohnt und auch während der Wintermonate an den Wochenenden aufgesucht werde. Dies hätte der als Zeuge benannte Nachbar bestätigt; das FG habe den angebotenen Beweis verfahrensfehlerhaft nicht erhoben. Da in der mündlichen Verhandlung Lichtbilder zum Wohnsitz in Y vorgelegt worden seien, habe der Prozessbevollmächtigte nicht erkennen können, dass der dortige Wohnsitz danach noch zweifelhaft gewesen sei. Deshalb habe kein Anlass bestanden, die Nichterhebung des Zeugenbeweises zu rügen. Insgesamt betrachtet erweise sich das FG-Urteil als willkürlich, da unergiebig, weil es sich auf mehrdeutige Indizien gründe und ihr Vortrag mit Beweisangeboten ignoriert worden sei.
II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat sein Urteil durch zulässige (§ 105 Abs. 5 FGO) Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung damit begründet, dass nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1408/71, wegen der landwirtschaftlichen Tätigkeit in Frankreich deutsches Kindergeld selbst dann nicht beansprucht werden könne, wenn die Klägerin einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hätte (vgl. § 65 Abs. 1 EStG). Lediglich "ergänzend" hat es ausgeführt, dass von einem inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht ausgegangen werden könne.
Die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 115 Abs. 2 FGO) beziehen sich jedoch sämtlich nur auf das Vorliegen eines inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG i.V.m. §§ 8, 9 AO). Da es auf den inländischen Wohnsitz nach der Rechtsansicht des FG aber nicht ankam, ist es unerheblich, ob das FG die Voraussetzungen der §§ 8, 9 AO aufgrund grob fehlerhafter Schlussfolgerungen oder in Abweichung von Rechtsgrundsätzen anderer finanzgerichtlicher Entscheidungen abgelehnt hat. Falls derartige Fehler oder Abweichungen vorlägen, waren sie nicht entscheidungserheblich. Das FG hat auch seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) nicht verletzt, da sich diese nach seinem materiell-rechtlichen Standpunkt richtet (Senatsbeschluss vom 31. Mai 2007 III B 50/07, BFH/NV 2007, 1907) und es danach auf den inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt wegen Art. 13 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 1408/71 nicht ankam.