Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 29.08.2011


BFH 29.08.2011 - III B 110/10

Verzicht auf mündliche Verhandlung zugleich Verzicht auf Zeugeneinvernahme - Sachaufklärung


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
29.08.2011
Aktenzeichen:
III B 110/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend FG München, 18. Mai 2010, Az: 12 K 4094/08, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Verzicht auf mündliche Verhandlung beinhaltet zugleich Verzicht auf Zeugeneinvernahme.

2. NV: Das Aufrechterhalten eines Beweisangebotes ist kein wirksamer Widerruf der Verzichtserklärung.

3. NV: Wenn die erforderliche schriftliche Bestätigung des betreuenden Elternteils über die Weiterleitung des Kindergeldes nicht vorgelegt wird, ist das FG im übrigen nicht verpflichtet, den Sachverhalt hinsichtlich der behaupteten Weiterleitung weiter aufzuklären.

Tatbestand

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I. Die drei Söhne des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) leben seit dem 3. Januar 2005 nicht mehr im Haushalt des Klägers, sondern bei ihrer vom Kläger damals getrennt lebenden und mittlerweile geschiedenen Mutter. Mit Bescheid vom 5. Mai 2008 hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung für den einen Sohn vom Februar bis September 2005 sowie für die beiden anderen Söhne von Februar bis Oktober 2005 auf und forderte im Hinblick auf die weiterhin fehlende Weiterleitungsbestätigung der kindergeldberechtigten Mutter das für diesen Zeitraum überzahlte Kindergeld zurück. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb erfolglos.

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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) werde das Kindergeld bei mehreren Berechtigten entsprechend dem sog. Obhutsprinzip demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe. Im Streitfall seien die Kinder unstreitig ab 3. Januar 2005 in den Haushalt der Mutter aufgenommen worden. Das Kindergeld stehe daher ab Februar 2005 der Mutter der Kinder zu. Demgemäß sei die bisherige Festsetzung des Kindergeldes zugunsten des Klägers vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben (§ 70 Abs. 2 EStG). Die Familienkasse habe es im Streitfall auch zutreffend abgelehnt, für den streitigen Zeitraum auf die Rückforderung des Kindergeldes aus Billigkeitsgründen zu verzichten, weil der Kläger die von der Verwaltung als unverzichtbar geforderte schriftliche Bestätigung der vorrangig Berechtigten über die Weiterleitung des Kindergeldes nicht vorgelegt habe (vgl. DA 64.4 Abs. 3 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes). Dies sei nicht zu beanstanden, da es den staatlichen Stellen nicht zuzumuten sei, sich dem Risiko einer doppelten Inanspruchnahme auszusetzen.

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Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, mit der er die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts und wegen Verfahrensmängeln begehrt. Die Familienkasse verlange, dass die vorrangig berechtigte Person (in diesem Fall die geschiedene Ehefrau des Klägers) ein von der Verwaltung vorgefertigtes Formblatt ausfülle oder formlos bestätige, dass sie vom nachrangig Berechtigten (hier dem Kläger) das Kindergeld erhalten habe und der Auszahlungsanspruch aus der Kindergeldfestsetzung auch für die vorrangig berechtigte geschiedene Ehefrau des Klägers erfüllt sei. An diesen formalen Vorgaben halte die Familienkasse fest. Der Kläger habe Listen seiner Zahlungen an seine geschiedene Ehefrau vorgelegt, die von der geschiedenen Ehefrau auch quittiert worden seien. Diese quittierten Zahlungsnachweise fänden bei der Familienkasse keine Berücksichtigung. Sie seien auch vom FG nicht berücksichtigt worden. Der Kläger könne nicht nachvollziehen, dass hier reiner Formalismus verlangt werde. Die Frage sei bisher nicht einheitlich entschieden worden, so dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig sei.

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Aus den Erwägungen der grundsätzlichen Bedeutung ergebe sich die Zulässigkeit der Revision auch zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung durch eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in diesem alltäglichen Rechtsfall (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

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Außerdem beruhe die Entscheidung des FG auf einem Verfahrensmangel, denn das Gericht habe die angebotenen Beweise nicht herangezogen. Zunächst habe sich das Gericht nicht mit den vorgelegten schriftlichen Belegen des Klägers befasst, des Weiteren habe der Kläger ergänzend angeboten, die geschiedene Ehefrau des Klägers als Zeugin zu hören. Davon habe das Gericht keinen Gebrauch gemacht. Es sei nicht nachvollziehbar, warum den Beweisangeboten nicht gefolgt worden sei. Damit werde ausdrücklich mangelnde Sachaufklärung und Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

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Die Familienkasse tritt der Beschwerde entgegen. Der Kläger verweise auf Unterlagen, die ersichtlich die Weiterleitung des Kindergeldes auch dann nicht belegen würden, wenn nicht ohnehin ein entsprechender Nachweis durch eine Weiterleitungserklärung des Berechtigten erforderlich wäre. Denn aus der vom Kläger mit Schreiben vom 13. Mai und 9. Juli 2008 vorgelegten Zahlungsaufstellung gehe lediglich hervor, dass der Kläger wohl in der Zeit vom 4. Juni 2005 bis 23. Oktober 2005 monatlich 350 € an die geschiedene Ehefrau übermittelt habe. Es sei nicht klar, um welche Zahlung es sich gehandelt habe, da keinerlei Zweck angegeben sei. Außerdem decke diese Aufstellung den hier auch relevanten Zeitraum vom 1. Februar 2005 bis 3. Juni 2005 nicht ab. Die andere vom Kläger mit Schreiben vom 9. Juli 2008 beigefügte Aufstellung unregelmäßiger Zahlungen sei ebenfalls kein geeigneter Nachweis. Hier handele es sich bereits lt. Bezeichnung nicht um die Weiterleitung von Kindergeld, sondern um sonstige Zahlungen zu diversen Gelegenheiten (Geburtstage, Weihnachten, Taschengeld usw.). Zudem sei dies nur eine eigene Aufstellung des Klägers, die nicht von seiner geschiedenen Ehefrau bestätigt worden sei.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die behaupteten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

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1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Dieser Zulassungsgrund ist nur gegeben, wenn die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den BFH geboten erscheinen lassen. So verhält es sich hier.

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Es ist höchstrichterlich geklärt, dass sich der Erstattungsschuldner gegenüber dem Rückforderungsanspruch der Familienkasse nicht darauf berufen kann, er habe das Kindergeld an den vorrangig Berechtigten weitergeleitet. Denn eine Weiterleitung schließt die Rückforderung nicht von Gesetzes wegen aus (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 14. Mai 2002 VIII R 64/00, BFH/NV 2002, 1425; vom 9. Dezember 2002 VIII R 80/01, BFH/NV 2003, 606; vom 11. März 2003 VIII R 77/01, BFH/NV 2004, 14; vom 16. März 2004 VIII R 48/03, BFH/NV 2004, 1218). Zwar kann die Weiterleitung von der Familienkasse aus Vereinfachungsgründen als Erfüllung des Rückforderungsanspruchs im verkürzten Zahlungswege berücksichtigt werden, soweit der vorrangig Berechtigte erklärt, dass er seinen Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld als erfüllt anerkennt. Es ist jedoch nicht Aufgabe der Familienkasse, Unterhaltsvereinbarungen bzw. -zahlungen unter verschiedenen Kindergeldberechtigten (Ehegatten) zu berücksichtigen, zu überprüfen und zivilrechtlich zu beurteilen. Danach ist es für die Entscheidung über das Bestehen des Erstattungsanspruchs ohne Belang, ob der nachrangig Berechtigte, im Streitfall der Kläger, einen Betrag in Höhe des Kindergeldes an den vorrangig Berechtigten gezahlt hat. Bei Wechsel der Anspruchsberechtigung ist es vielmehr Sache der Kindergeldberechtigten, ihre privatrechtlichen Vereinbarungen der Gesetzeslage anzupassen oder bei verspäteter Anpassung mögliche Überzahlungen auf privatrechtlichem Wege auszugleichen (Senatsbeschluss vom 12. August 2010 III B 94/09, BFH/NV 2010, 2062).

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2. Aus den gleichen Gründen scheidet eine Zulassung zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) aus. Dieser Zulassungsgrund stellt einen Spezialfall der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar und setzt daher ebenfalls eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage voraus (Senatsbeschluss vom 27. April 2006 III B 179/04, BFH/NV 2006, 1646).

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3. Der vom Kläger gerügte Verfahrensverstoß der übergangenen Beweisangebote (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO i.V.m. § 76 FGO) liegt ebenfalls nicht vor.

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Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe zu Unrecht die geschiedene Ehefrau des Klägers trotz seines Beweisangebotes nicht als Zeugin vernommen, kann er mit diesem Einwand schon deshalb nicht gehört werden, weil er im Schriftsatz vom 20. Januar 2009 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hat (§ 90 Abs. 2 FGO). Damit hat er zugleich den Verzicht auf die in der Klageschrift beantragte Zeugeneinvernahme erklärt (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Juni 2010 III B 168/09, BFH/NV 2010, 1847). Dass der Kläger in seinem späteren Schriftsatz vom 21. April 2009 u.a. sein Beweisangebot aufrechterhalten hat, ändert an dieser Beurteilung nichts. Denn der Kläger hat damit sein Einverständnis zu einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung nicht widerrufen. Ein Widerruf der Verzichtserklärung wäre auch unwirksam gewesen, da sich die Prozesslage nicht wesentlich geändert hat (vgl. BFH-Beschluss vom 5. Oktober 2000 V B 74/00, BFH/NV 2001, 330).

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Mangelnde Sachaufklärung (§ 76 FGO) wird nach ständiger Rechtsprechung des BFH darüber hinaus nur dann ordnungsgemäß gerügt, wenn innerhalb der Beschwerdefrist u.a. ausgeführt wird, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (BFH-Beschluss vom 26. Oktober 2006 VII B 272/05, BFH/NV 2007, 725). Das FG hat seine Entscheidung aber zutreffend darauf gestützt, dass der Kläger die erforderliche schriftliche Bestätigung über die Weiterleitung des Kindergeldes durch die geschiedene Ehefrau des Klägers nicht vorgelegt hat. Ausdrücklich hat das FG auch darauf hingewiesen, dass die Familienkasse deshalb nicht verpflichtet gewesen sei, den Sachverhalt hinsichtlich der behaupteten Weiterleitung weiter aufzuklären. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH darf im Übrigen ein gestellter Beweisantrag unberücksichtigt bleiben, wenn das angebotene Beweismittel für die zu treffende Entscheidung untauglich ist, wenn es auf die Beweistatsache nach Auffassung des FG --wie im Streitfall-- nicht ankommt oder wenn die Beweistatsache als wahr unterstellt wird (BFH-Beschluss vom 12. Februar 2009 VII B 82/08, BFH/NV 2009, 970).

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4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.