Entscheidungsdatum: 26.04.2010
Die actio pro socio hat ihre Grundlage im Gesellschaftsverhältnis und ist Ausfluss des Mitgliedschaftsrechts des Gesellschafters. Die Ausübung der Klagebefugnis unterliegt daher der gesellschafterlichen Treuepflicht und kann sich unter diesem Blickwinkel nach den konkreten Gesellschaftsverhältnissen, zu denen auch das Verhalten des sich auf die Befugnis berufenden Gesellschafters gehört, als rechtsmissbräuchlich darstellen .
Auf die Beschwerde des Beklagten wird das Urteil des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 12. Februar 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 735.726,40 €
Die Beschwerde ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Mit seinem nach § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO in das Protokoll aufgenommenen Urteil hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) mehrfach in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
1. Der Beklagte hat vorgebracht, die Geltendmachung des Anspruchs der V. GmbH & Co. KG auf Rückgewähr vom Beklagten vorgenommener Entnahmen durch die Klägerin im Wege der actio pro socio verstoße gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), weil ihm bei Feststellung der Jahresabschlüsse der Gesellschaft für die Geschäftsjahre 2003/2004 bis 2005/2006 Gewinnansprüche in Höhe der entnommenen Gelder zustünden und die Klägerin die Feststellung der betreffenden Jahresabschlüsse aus sachfremden Erwägungen blockiere. In diesem Zusammenhang hat der Beklagte in beiden Vorinstanzen - wie die Beschwerdebegründung im Einzelnen ausführt - umfangreich unter Beweisantritt zu der aus seiner Sicht spätestens seit der Überarbeitung im Oktober 2007 bestehenden Feststellungsreife der aufgestellten Jahresabschlüsse vorgetragen. Dem ist die Klägerin ebenfalls unter Beweisantritt entgegengetreten. Mit diesem als "dolo petit"-Einrede zu verstehenden Parteivorbringen hat sich das Berufungsgericht nicht inhaltlich auseinandergesetzt. Der lapidare, nicht weiter ausgeführte Hinweis im Berufungsurteil, "angesichts verbleibender Unklarheiten" sei nicht ersichtlich, wieso die Klägerin bestimmte Jahresabschlüsse billigen müsste, zeigt, dass das Berufungsgericht den unter Beweis gestellten Sachvortrag des Beklagten nicht in der durch Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise zur Kenntnis genommen hat.
Der Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Der Umstand, dass die Klägerin im Wege der actio pro socio einen Anspruch der Gesellschaft geltend macht, steht dem an ein Verhalten der Klägerin anknüpfenden Einwand des Rechtsmissbrauchs nicht entgegen. Unabhängig davon, ob man die Befugnis des Gesellschafters, Sozialansprüche der Gesellschaft im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen und auf Leistung an die Gesellschaft zu klagen, dogmatisch als eigenen materiell-rechtlichen Anspruch des Gesellschafters oder als Form der Prozessstandschaft einordnet (zum Streitstand vgl. nur Staub/Schäfer, HGB 5. Aufl. § 105 Rdn. 265 m.w.Nachw.), findet die actio pro socio ihre Grundlage im Gesellschaftsverhältnis und ist Ausfluss des Mitgliedschaftsrechts des Gesellschafters (BGH, Sen.Urt. v. 23. März 1992 - II ZR 128/91, ZIP 1992, 758, 760). Die Ausübung der Klagebefugnis unterliegt daher der gesellschafterlichen Treuepflicht und kann sich unter diesem Blickwinkel nach den konkreten Gesellschaftsverhältnissen, zu denen auch das Verhalten des sich auf die Befugnis berufenden Gesellschafters gehört, als rechtsmissbräuchlich darstellen (BGHZ 25, 47, 50; BGH, Sen.Beschl. v. 2. Juni 2008 - II ZR 67/07, WM 2008, 1453, 1454).
2. Das Berufungsgericht geht in seinem Protokollurteil davon aus, dass Entnahmen zur Begleichung von Steuern "nicht streitgegenständlich" seien. Dabei ist ihm entgangen, dass die von der Klägerin vorgetragene Aufstellung zur Konkretisierung der einzelnen der Klageforderung zugrunde liegenden Entnahmen sowie die hierzu vorgelegten Kontenblätter des Privatkontos des Beklagten Entnahmen ausweisen, welche betrags- und datumsmäßig den vom Beklagten in der Berufungsbegründung behaupteten und unter Beweis gestellten Steuerzahlungen im Zeitraum vom 30. August 2005 bis 28. August 2007 in einer Gesamthöhe von 197.248,04 € entsprechen, die nach dem Vortrag des Beklagten jeweils aus Entnahmen beglichen wurden. Diese Fehlleistung des Berufungsgerichts lässt nur den Schluss zu, dass - möglicherweise auch hier bedingt durch die der Komplexität des Falles wenig gerecht werdenden Verfahrensweise nach § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO - das Sachvorbringen des Beklagten aus dem Blick geraten und demzufolge entgegen Art. 103 Abs. 1 GG übergangen worden ist.
Diese Verletzung rechtlichen Gehörs ist ebenfalls entscheidungserheblich, weil die Frage des Bestehens eines Steuerentnahmerechts nicht hätte offen bleiben dürfen. Das Berufungsgericht hätte vielmehr prüfen müssen, ob der Beklagte auch ohne entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag berechtigt war, Beträge in Höhe der von ihm zu zahlenden Ertragssteuern aus dem Gesellschaftsvermögen zu entnehmen (BGHZ 132, 263, 277).
3. Für das wieder eröffnete Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Die Beschwerde beanstandet zu Recht, dass sich das Berufungsgericht in seinen Ausführungen zur Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil hinsichtlich der vom Beklagten benannten Zeugin Z. auf die Mitteilung beschränkt hat, dass die Zeugin angesichts ihrer Verschwiegenheitspflicht keine Angaben zur Sache machen konnte, ohne sich damit auseinanderzusetzen, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht bereit war, als Gesellschafterin der Komplementär-GmbH gemeinsam mit dem Beklagten auf eine Entbindungserklärung durch den Notgeschäftsführer der GmbH hinzuwirken. Einer solchen Erörterung hätte es aber bedurft, weil der Tatrichter nach § 286 ZPO nicht nur das Ergebnis der Beweisaufnahme, sondern den gesamten Inhalt der Verhandlung zu würdigen hat, wozu auch die Handlungen, Erklärungen und Unterlassungen einer Partei und damit auch die Vorenthaltung von Beweismitteln gehören. Eine verfahrensfehlerfreie tatrichterliche Beurteilung verlangt deshalb auch die Würdigung der Umstände, unter denen eine nicht beweisbelastete Partei es ablehnt, einen Zeugen von der Pflicht zur Verschwiegenheit zu entbinden (BGH, Urt. v. 26. September 1996 - III ZR 56/96, NJW-RR 1996, 1534; v. 27. Januar 1988 - IVb ZR 82/86, WM 1988, 794, 797; v. 20. April 1983 - VIII ZR 46/82, ZIP 1983, 735).
Goette Strohn Reichart
Drescher Bender