Entscheidungsdatum: 05.04.2016
Die nach § 43 Abs. 1 Satz 1 EStG durch Abzug auf die Kapitalerträge der Insolvenzmasse erhobene Einkommen- oder Körperschaftsteuer (Kapitalertragsteuer) ist ebenso wie der darauf entfallende Solidaritätszuschlag auch im Insolvenzverfahren vermögensmäßig als Abzug von Gesellschaftskapital anzusehen und wegen der steuerlichen Anrechnung auf die Einkommen- oder Körperschaftsteuer der Gesellschafter wie eine Entnahme zu behandeln. Die Gesellschafter sind deshalb - unabhängig vom Inhalt des Gesellschaftsvertrages - zur Erstattung der Zinsabschläge in die Masse verpflichtet.
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12. Februar 2015 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der E. K. GmbH & Co. KG. Die beklagte Aktiengesellschaft ist mit einem Anteil von 90,5 % Kommanditistin der Schuldnerin.
Der Kläger hat die Insolvenzmasse auf Festgeldkonten angelegt. Von den daraus erwirtschafteten Zinsen hat das kontoverwaltende Kreditinstitut in den Jahren 2004 und 2006 bis 2010 Kapitalertragsteuern und Solidaritätszuschläge (im Folgenden auch: Zinsabschläge) in Höhe von zusammen 195.570,19 € an das Finanzamt abgeführt.
Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte schulde ihm Erstattung des auf sie entfallenden Anteils von diesem Betrag, nämlich 176.991,02 €. Das Landgericht hat der auf Zahlung von 176.991,02 € gerichteten Klage in Höhe von 27.044,16 € stattgegeben, das Berufungsgericht in Höhe von 26.785,13 €. Im Übrigen haben beide Gerichte die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Die Beklagte verfolgt mit der vom Senat zugelassenen Revision ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Die Revision führt nicht zum Erfolg. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die als Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag einbehaltenen und jetzt noch streitigen 26.785,13 € zu erstatten.
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
1. Der Kläger habe einen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung des auf sie entfallenden Teils der abgeführten Zinsabschläge, wobei offenbleiben könne, ob sich dieser Anspruch aus der gesellschafterlichen Treuepflicht oder aus Bereicherungsrecht ergebe. Durch den Steuerabzug werde nicht eine eigene Steuerschuld des Insolvenzverwalters oder der Insolvenzmasse getilgt. Es werde vielmehr eine Vorauszahlung auf die Einkommensteuerschuld des Gesellschafters geleistet. Das sei wie eine Entnahme des Gesellschafters zu behandeln. Ob ihm diese zustehe, beurteile sich nach dem Inhalt des Gesellschaftsvertrages. Wenn dort kein Entnahmerecht des Gesellschafters hinsichtlich der einbehaltenen Steuerbeträge begründet sei - wie im vorliegenden Fall -, bemesse sich sein etwaiges Entnahmerecht nur nach dem insgesamt erzielten Gewinn. Eine Bevorzugung des Gesellschafters, nur weil die Liquidation im Insolvenzfall nicht freiwillig erfolge, sei nicht gerechtfertigt.
2. Der Klageanspruch sei, soweit ihm stattgegeben wurde, nicht verjährt.
Hinsichtlich des Abschlags auf die Zinsen aus der Festgeldanlage von 5,9 Mio. € für den Zeitraum vom 17. bis zum 31. Dezember 2007 in Höhe von 3.098,24 € habe die Verjährung erst mit Ende des Jahres 2008 begonnen und sei durch die Klageerhebung im Jahr 2011 gehemmt worden. Kapitalerträge würden erst bei Zufluss steuerlich erfasst. Aus der vorgelegten Bankbescheinigung ergebe sich, dass die Zinsen erst am 17. Januar 2008 gutgeschrieben - und damit die Kapitalertragsteuer und der Solidaritätszuschlag abgeführt - worden seien.
Das Gleiche gelte für den Abschlag auf die Zinsen aus der Festgeldanlage von 5,4 Mio. € für die Zeit vom 24. bis zum 31. Dezember 2008 in Höhe von 701,76 €. Der Zinsbetrag sei insoweit erst am 26. Januar 2009 gutgeschrieben worden.
II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Kontrolle stand.
1. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die von dem kontoführenden Kreditinstitut einbehaltene Kapitalertragsteuer und der darauf entfallende Solidaritätszuschlag bei einer Personenhandelsgesellschaft, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, von den Gesellschaftern in die Insolvenzmasse zu erstatten sind.
a) Wie der Senat hinsichtlich der Zinsabschläge in der werbenden Personenhandelsgesellschaft bereits entschieden hat, sind die nach § 43 Abs. 1 Satz 1 EStG durch Abzug auf die Kapitalerträge der Gesellschaft erhobene Einkommen- oder Körperschaftsteuer (Kapitalertragsteuer) ebenso wie der darauf entfallende Solidaritätszuschlag vermögensmäßig als Abzug von Gesellschaftskapital anzusehen und wegen der steuerlichen Anrechnung auf die Einkommen- oder Körperschaftsteuer der Gesellschafter wie eine Entnahme zu behandeln. Der Abzug der Kapitalertragsteuer von den Kapitalerträgen der ihrerseits nicht einkommen- oder körperschaftsteuerpflichtigen Personenhandelsgesellschaft bewirkt im Hinblick auf die Anrechnung nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG eine Vorauszahlung auf die Einkommen- oder Körperschaftsteuerschuld der Gesellschafter als Mitunternehmer nach § 2 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, die entweder zur Minderung ihrer Einkommensteuerschuld oder zu einer Steuererstattung nach § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG führt. Der hierdurch erlangte Vorteil kann zivilrechtlich nicht anders bewertet werden, als wäre der Gesellschaft zunächst der gesamte Kapitalertrag zugeflossen und sodann von ihr im Umfang der Zinsabschläge zur Leistung einer Vorauszahlung auf die Einkommen- oder Körperschaftsteuerschuld der Gesellschafter verwendet worden. Ob die Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter einen Anspruch darauf hat, dass sie ihr die Zinsabschläge erstatten, richtet sich nach dem Gesellschaftsvertrag (BGH, Urteil vom 16. April 2013 - II ZR 118/11, ZIP 2013, 1174 Rn. 14; Urteil vom 30. Januar 1995 - II ZR 42/94, ZIP 1995, 462, 464; s. auch BGH, Urteil vom 29. März 1996 - II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 277).
b) Offen gelassen hat der Senat die Frage, ob die Gesellschafter auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Erstattung von Zinsabschlägen verpflichtet sind (BGH, Urteil vom 16. April 2013 - II ZR 118/11, ZIP 2013, 1174 Rn. 15 f.).
aa) Im Insolvenzverfahren ist die Lage insofern anders, als der Insolvenzverwalter nach § 80 InsO befugt ist, über die für die Masse erwirtschafteten Zinseinkünfte zu verfügen. Unter diesen Umständen ist weder damit zu rechnen, dass diese Einkünfte an die Gesellschafter ausgekehrt werden, noch, dass sie - bei einer Gewinnthesaurierung - den Wert der Gesellschaftsbeteiligungen nachhaltig erhöhen. Die Revision leitet daraus her, dass im Insolvenzverfahren der Personenhandelsgesellschaft die Gesellschafter unabhängig von der Frage, ob im Gesellschaftsvertrag ein Entnahmerecht vereinbart ist, nicht verpflichtet sind, die zu Lasten der Masse abgeführten Zinsabschläge dem Insolvenzverwalter zu erstatten. Diese Zinseinkünfte, so meint die Revision, ständen anders als in der werbenden Gesellschaft der Masse zu; daher müsse diese auch die Zinsabschläge hinnehmen (Benne, BB 2001, 1977, 1982; im Ergebnis ebenso, jedoch allgemein auf § 110 HGB abstellend: Schön, Der Gewinnanteil des Personengesellschafters und das Einkommen der Personengesellschaft, StuW 1988, 253, 259; K. Schmidt, Festschrift 50 Jahre Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerecht, 1999, S. 193, 198 ff.; Fischer in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, § 11, Stand: Oktober 2012 Rn. II 1536 ff. mwN; differenzierend - nur bei Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Gesellschafters - Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl., S. 174 f.).
bb) Dem ist nicht zu folgen.
Die einkommen- oder körperschaftsteuerrechtliche Behandlung der während des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter erwirtschafteten Zinseinkünfte unterscheidet sich nicht von den Regeln, die außerhalb des Insolvenzverfahrens gelten (BFH, ZIP 1995, 661, 662; ZIP 1995, 1275 f.; ZIP 2008, 1643, Rn. 20; Schöne/Ley, DB 1993, 1405; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl., S. 24, 167 f.). In beiden Fällen sind Steuerschuldner ("Steuersubjekte") die Gesellschafter, nicht dagegen schuldet die Gesellschaft die Einkommen- oder Körperschaftsteuer und damit auch die Kapitalertragsteuer auf die Zinserträge und den Solidaritätszuschlag.
Zivilrechtlich haben die Gesellschafter dagegen in der werbenden Gesellschaft, sofern nichts anderes vereinbart ist, kein "Steuerentnahmerecht", also kein Recht, Beträge in Höhe der von ihnen auf die Kapitalerträge oder auf sonstige Gewinne der Gesellschaft zu zahlenden Steuern unabhängig vom Inhalt des Gesellschaftsvertrages aus dem Gesellschaftsvermögen zu entnehmen (BGH, Urteil vom 29. März 1996 - II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 277). Deshalb sind die Gesellschafter in der werbenden Gesellschaft nach der Rechtsprechung des Senats bei Fehlen abweichender Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag verpflichtet, die als Zinsabschläge bei der Gesellschaft einbehaltenen Steuervorauszahlungen wie unberechtigte Entnahmen in das Gesellschaftsvermögen zurückzuzahlen. Damit stimmt die steuerliche Rechtslage mit der gesellschaftsrechtlichen überein. Die Gesellschafter zahlen die gesamte Einkommen- oder Körperschaftsteuer nebst Solidaritätszuschlag aus ihrem Privatvermögen. Das Gesellschaftsvermögen bleibt davon unberührt.
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ändert sich diese Interessenlage insofern, als der Insolvenzverwalter nach § 80 InsO befugt ist, alle Einkünfte, die er erwirtschaftet, zur Insolvenzmasse zu ziehen. Während steuerrechtlich nach wie vor die Gesellschafter Rechtssubjekte sind, stehen zivilrechtlich (und insolvenzrechtlich) die zu versteuernden Einkünfte der Masse zu (BFH, ZIP 2008, 1643 Rn. 21). Obwohl die Masse dazu bestimmt ist, die Gesellschaftsgläubiger zu befriedigen, hat der Insolvenzverwalter keine Möglichkeit, den Zinsabschlag durch Beantragung einer sog. Nichtveranlagungsbescheinigung nach § 44a Abs. 1 EStG oder auf andere Weise abzuwenden (BFH, ZIP 1995, 661, 662). Er kann auch nicht die sich aus den Zinsabschlägen möglicherweise ergebenden Steuererstattungsansprüche der Gesellschafter gegen den Fiskus geltend machen (BFH, ZIP 1995, 1275 ff.; aA Schöne/Ley, DB 1993, 1405, 1410; siehe auch BFH ZIP 2015, 2487 Rn. 10). Andererseits sind die Gesellschafter, selbst wenn im Gesellschaftsvertrag ein Steuerentnahmerecht vereinbart sein sollte, wegen des alleinigen Verfügungsrechts des Insolvenzverwalters nicht mehr berechtigt, die von ihnen zu zahlende Einkommen- oder Körperschaftsteuer aus der Insolvenzmasse zu entnehmen. Dann aber sind sie auch - unabhängig vom Inhalt des Gesellschaftsvertrages - zur Erstattung der Zinsabschläge in die Masse verpflichtet. Denn die Zinsabschläge sind, da sich die steuerrechtliche Lage durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht verändert, Teil der von den Gesellschaftern geschuldeten Einkommen- oder Körperschaftsteuer und dürfen daher nicht die Insolvenzmasse schmälern (ebenso Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 10. Aufl. Rn. 1560 ff.; MünchKommInsO/Schüppen/Ruh, 3. Aufl., Band 3, Insolvenzsteuerrecht Rn. 70; Schöne/Ley, DB 1993, 1405, 1408, 1410; Kahlert in Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2. Aufl. Rn. 9.836; Maus, ZIP 1993, 743, 746; mit Einschränkungen auch BFH, ZIP 2008, 1643 Rn. 21 - jedenfalls zulasten der unbeschränkt haftenden Gesellschafter). Dem entspricht die grundsätzliche Möglichkeit der Gesellschafter, die Zinsabschläge als Vorauszahlung auf die eigene Einkommen- oder Körperschaftsteuer steuerlich geltend zu machen.
Ob in dem Zinsabschlag eine rechtsgrundlose Bereicherung des Gesellschafters liegt oder sie ihren Rechtsgrund im materiellen Steuerrecht hat, kann offenbleiben. Denn jedenfalls hat der Insolvenzverwalter einen gesellschaftsrechtlichen Anspruch auf Erstattung der Zinsabschläge (Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 10. Aufl. Rn. 1560 ff.).
2. Der Klageanspruch ist nicht verjährt.
Auch insoweit ist gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
Vor den Terminen, zu denen die Zinsabschläge von dem kontoführenden Kreditinstitut an den Fiskus abgeführt worden sind, waren die Erstattungsansprüche des Klägers noch nicht entstanden. Deshalb musste er - entgegen der Ansicht der Revision - diese (künftigen) Ansprüche nicht mit einer Feststellungsklage geltend machen, um die Verjährung zu hemmen.
Bergmann Strohn Caliebe
Drescher Sunder