Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 22.05.2012


BGH 22.05.2012 - II ZR 35/10

Berufungsverfahren: Voraussetzungen eines Abstehens vom Urkundenprozess; Berücksichtigung vom Erstgericht für unerheblich erachteten Parteivorbringens


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
22.05.2012
Aktenzeichen:
II ZR 35/10
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG Hamm, 4. Februar 2010, Az: I-27 U 14/09vorgehend LG Siegen, 18. Dezember 2008, Az: 5 O 111/08
Zitierte Gesetze
ZPO-RG

Leitsätze

1. Auch nach der Neugestaltung des Berufungsverfahrens durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (ZPO-RG, BGBl. I S. 1877) ist das Abstehen vom Urkundenprozess im Berufungsverfahren wie eine Klageänderung zu behandeln und daher nach § 533 ZPO zulässig, wenn die beklagte Partei einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält (Anschluss an BGH, Urteil vom 13. April 2011, XII ZR 110/09, BGHZ 189, 182).

2. Mit dem zulässigen Rechtsmittel gelangt der gesamte aus den Akten ersichtliche Streitstoff des ersten Rechtszugs in die Berufungsinstanz, so dass das Berufungsgericht Parteivorbringen, das vom erstinstanzlichen Gericht für unerheblich erachtet worden ist, auch dann berücksichtigen darf, wenn es im Urteilstatbestand keine Erwähnung gefunden hat.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 4. Februar 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Beklagte trat mit Beitrittserklärung vom 5. September 2005, die am 21. September 2005 angenommen wurde, der Klägerin, einem geschlossenen Fonds in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, bei. Unter den im Beitrittsformular angebotenen Möglichkeiten wählte er das Beteiligungsprogramm Multi B und verpflichtete sich zu einer Einmalzahlung in Höhe von 28.000 € zuzüglich 5 % Agio sowie für die Dauer von 18 Jahren zu monatlichen Ratenzahlungen in Höhe von 550 € zuzüglich 5 % Agio (Vertragssumme: 154.140 €). Die Einmalzahlung sowie die erste Rate waren am 15. Oktober 2005 fällig.

2

Das Beitrittsformular enthält folgende, von dem Beklagten unterschriebene Widerrufsbelehrung:

Widerrufsbelehrung

Ich bin an meine auf den Abschluss der oben genannten Beitrittserklärung gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden, wenn ich sie binnen zwei Wochen widerrufe. Die M.              GbR verzichtet auf ein etwaiges vorzeitiges Erlöschen des Widerrufsrechts nach den gesetzlichen Bestimmungen (§§ 312 d Abs. 3, 355 Abs. 3 BGB). Mit dem Widerruf meiner Willenserklärung kommt auch meine Beteiligung an der M.            GbR nicht wirksam zustande.

Form des Widerrufs

Der Widerruf muss in Textform (z.B. Brief, Fax) erfolgen. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten.

Fristablauf

Der Lauf der Frist für den Widerruf beginnt einen Tag, nachdem ich diese Widerrufsbelehrung unterschrieben habe und mir

• ein Exemplar dieser Widerrufsbelehrung und

• mein schriftlicher Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde bzw. meines Vertragsantrages zur Verfügung gestellt wurden.

Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.

Adressat des Widerrufs

Der Widerruf ist zu senden an die M.              GbR c/o Privatbank R.         GmbH & Co. KG, G.           .str. 54,    M.  , Telefon: (0  ) 6      , Fax: (0  ) 6

Widerruf bei bereits erhaltener Leistung

Habe ich vor Ablauf der Widerrufsfrist bereits Leistungen von der M.          GbR und/oder der Privatbank R.         GmbH & Co. KG erhalten, so kann ich mein Widerrufsrecht dennoch ausüben. Widerrufe ich in diesem Fall, so muss ich empfangene Leistungen jedoch binnen 30 Tagen an die M.            GbR bzw. Privatbank R.         GmbH & Co. KG zurückgewähren und der M.               GbR bzw. Privatbank R.         GmbH & Co. KG die von mir aus den Leistungen gezogenen Nutzungen herausgeben. Die Frist beginnt mit Absendung des Widerrufs.

Kann ich die von der M.          GbR bzw. Privatbank R.          GmbH & Co. KG mir gegenüber erbrachten Leistungen ganz oder teilweise nicht zurückgewähren - beispielsweise weil dies nach dem Inhalt der erhaltenen Leistungen ausgeschlossen ist -, so bin ich verpflichtet, insoweit Wertersatz zu leisten. Dies gilt auch für den Fall, dass ich die von der M.               GbR bzw. Privatbank R.        GmbH & Co. KG erbrachten Leistungen bestimmungsgemäß genutzt habe. Die Verpflichtung zum Wertersatz kann ich vermeiden, wenn ich die Leistungen vor Ablauf der Widerrufsfrist nicht in Anspruch nehme.

3

Der Beklagte leistete die Einmalzahlung sowie die Raten bis einschließlich Juni 2006.

4

Die Klägerin verlangt mit der Klage, soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung, die rückständigen Raten von Juli 2006 bis März 2008 in Höhe von 12.127,50 € nebst Zinsen. Sie hat mit Antrag vom 17. Januar 2008 das Mahnverfahren eingeleitet und nach Widerspruch des Beklagten und Übergang in das streitige Verfahren mit der Anspruchsbegründung erklärt, im Wege der Urkundsklage vorgehen zu wollen.

5

Mit der Klageerwiderung vom 10. Juni 2008 hat der Beklagte den Widerruf seiner Beitrittserklärung erklärt.

6

Das Landgericht hat die Klage als im Urkundenprozess statthaft angesehen und sie als unbegründet abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht die Abstandnahme vom Urkundenprozess erklärt. Der Beklagte hat im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 2. September 2009 seine Beitrittserklärung auch noch wegen arglistiger Täuschung angefochten und die außerordentliche Kündigung erklärt. Zur Begründung hat er sich auf falsche Angaben und eine Vielzahl von Mängeln im Anlageprospekt berufen, die er schon erstinstanzlich vorgetragen hatte.

7

Das Berufungsgericht hat die Erklärung der Klägerin über die Abstandnahme vom Urkundenprozess für unzulässig gehalten und ihre Berufung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Klägerin hat Erfolg und führt unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

A.

9

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

10

Die von der Klägerin erstmals in der Berufungsinstanz erklärte Abstandnahme vom Urkundenprozess sei aufgrund der neuen Funktionsbestimmung des zweiten Rechtszuges durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1877) grundsätzlich unzulässig. Die Zahlungsklage sei im Urkundenprozess statthaft, aber unbegründet. Zwar habe dem Beklagten kein gesetzliches Widerrufsrecht zugestanden, da der Beitritt unstreitig nicht in einer sogenannten Haustürsituation erfolgt sei. Der Beklagte habe seine Beitrittserklärung jedoch aufgrund des ihm von der Klägerin vertraglich eingeräumten Widerrufsrechts wirksam widerrufen. Die Widerrufsfrist sei nicht in Gang gesetzt worden, da die Widerrufsbelehrung nicht den Anforderungen des § 312 Abs. 2 BGB genüge. Infolge des Widerrufs habe sich das Beteiligungsverhältnis des Beklagten in ein Abwicklungsverhältnis gewandelt mit der Folge, dass die Klägerin die rückständigen Raten nicht mehr isoliert geltend machen könne (sogenannte Durchsetzungssperre). Die Klägerin könne nicht mit Erfolg die Feststellung begehren, dass die rückständige Einlageforderung in die Auseinandersetzungsrechnung einzustellen sei, da ein derartiger Feststellungsantrag im Urkundenprozess unzulässig sei.

B.

11

Diese Begründung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

12

I. Die Revision ist uneingeschränkt zulässig.

13

Das Berufungsgericht hat die Zulassung der - im Tenor uneingeschränkt zugelassenen - Revision damit begründet, dass die Frage der Zulässigkeit der Abstandnahme vom Urkundenprozess in der Berufungsinstanz grundsätzliche Bedeutung habe.

14

Die Zulassung der Revision kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden, der Gegenstand eines Teilurteils sein oder auf den der Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte. Unzulässig ist es, die Zulassung auf einzelne von mehreren Anspruchsgrundlagen oder auf bestimmte Rechtsfragen zu beschränken (siehe nur BGH, Urteil vom 3. Juni 1987 - IVa ZR 292/85, BGHZ 101, 276, 278; Urteil vom 20. Mai 2003 - XI ZR 248/02, ZIP 2003, 1240, 1241). Danach kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsgericht die Zulassung auf die Rechtsfrage der Zulässigkeit der Abstandnahme beschränken wollte.

15

II. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Klage sei unbegründet, weil die Klägerin nicht mehr auf Zahlung, sondern wegen des Widerrufs des Beklagten nur noch auf Feststellung klagen könne und dies im Urkundenprozess, von dem die Klägerin im Berufungsverfahren nicht mehr habe Abstand nehmen können, unstatthaft sei, beruht auf durchgreifenden Rechtsfehlern.

16

1. Die von der Klägerin im Berufungsverfahren gemäß § 596 ZPO erklärte Abstandnahme vom Urkundenprozess war entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht grundsätzlich unzulässig. Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, ist auch nach neuem Recht das Abstehen vom Urkundenprozess im Berufungsverfahren wie eine Klageänderung zu behandeln und daher nach § 533 ZPO zulässig, wenn der Beklagte einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält (BGH, Urteil vom 13. April 2011 - XII ZR 110/09, BGHZ 189, 182 Rn. 24 ff.). Das Berufungsgericht hätte daher den seiner Ansicht nach gegebenen, als Minus im Zahlungsantrag enthaltenen Feststellungsantrag nicht ohne Prüfung der Zulässigkeit der in der Abstandnahme liegenden Klageänderung abweisen dürfen.

17

2. Auch die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagte habe seine Beitrittserklärung mit Schriftsatz vom 10. Juni 2008 wirksam widerrufen, da ihm von der Klägerin ein vertragliches Widerrufsrecht eingeräumt worden sei und die Widerrufsfrist wegen der Fehlerhaftigkeit der Widerrufsbelehrung nicht in Gang gesetzt worden sei, ist, wie die Revision zu Recht rügt, nicht frei von Rechtsfehlern.

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a) Nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum kann ein Widerrufsrecht nicht nur von Gesetzes wegen bestehen, sondern grundsätzlich auch im Vereinbarungswege festgelegt werden. Danach können Vertragspartner - als Ausprägung der Vertragsfreiheit - ein Widerrufsrecht vertraglich vereinbaren und für die nähere Ausgestaltung sowie die Rechtsfolgen auf die §§ 355, 357 BGB verweisen (vgl. Staudinger/Kaiser, BGB [2004], § 355 Rn. 11; Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., Vorb v § 355 Rn. 5; Bamberger/Roth/Grothe, BGB, 2. Aufl., § 355 Rn. 4; NK-BGB/Ring, 2. Aufl., § 355 Rn. 26; zur vertraglichen Vereinbarung einer Verlängerung der Widerrufsfrist vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2009 - XI ZR 118/08, WM 2009, 350 Rn. 16 f.).

19

b) Ob einer Widerrufsbelehrung, die keine Beschränkung darauf enthält, dass sie nur in gesetzlich vorgesehenen Fällen gelten soll, die Vereinbarung eines vertraglichen Widerrufsrecht entnommen werden kann, kann hier dahingestellt bleiben (vgl. zu dieser Problematik BGH, Urteil vom 15. Oktober 1980 - VIII ZR 192/79, WM 1980, 1386, 1387, insoweit in BGHZ 78, 248 nicht abgedruckt; Urteil vom 30. Juni 1982 - VIII ZR 115/81, WM 1982, 1027; Urteile vom 6. Dezember 2011 - XI ZR 401/10, ZIP 2012, 262 Rn. 17 und - XI ZR 442/10, juris Rn. 24; OLG Hamburg, Urteil vom 19. Juni 2009 - 11 U 210/06, juris Rn. 121; OLG Köln, Urteil vom 22. Juli 2009 - 27 U 5/09, juris Rn. 22 f.; MünchKommBGB/Masuch, 6. Aufl., § 360 Rn. 15; Ebnet, NJW 2011, 1029, 1030 f.; Godefroid, Verbraucherkreditverträge, 3. Aufl., Rn. 486 f.; Münscher, WuB I G 1.5.03; Corzelius, EWiR 2009, 243, 244; Tetzlaff, GWR 2012, 88). Denn der Beklagte hätte ein ihm vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht jedenfalls nicht fristgemäß ausgeübt.

20

aa) Der Beklagte war - ein vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht unterstellt - nach der Widerrufsbelehrung berechtigt, seine Beitrittserklärung binnen zwei Wochen zu widerrufen. Der Lauf der Frist hätte danach einen Tag, nachdem er die Widerrufsbelehrung unterschrieben hatte und ihm ein Exemplar der Belehrung sowie sein schriftlicher Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde bzw. seines Vertragsantrags zur Verfügung gestellt worden waren, begonnen. Diese Zweiwochenfrist, die demnach am 6. September 2005 zu laufen begonnen hätte, wäre am 10. Juni 2008, als sein Prozessbevollmächtigter den Widerruf erklärte, längst abgelaufen gewesen.

21

bb) Für den Beginn der Widerrufsfrist kommt es nicht darauf an, ob die Widerrufsbelehrung den Anforderungen an eine Belehrung über ein gesetzliches Widerrufsrecht entspricht. Den Formulierungen des Beitrittsformulars lässt sich - wenn man der Widerrufsbelehrung überhaupt die Einräumung eines vertraglichen Widerrufsrechts entnehmen wollte - im Wege der Auslegung jedenfalls nicht entnehmen, die Klägerin habe dem Beklagten nicht nur ein vertragliches Widerrufsrecht mit der in der Widerrufsbelehrung beschriebenen Ausgestaltung einräumen wollen, sondern sich darüber hinaus auch verpflichtet, ihm gegenüber alle im Falle eines gesetzlichen Widerrufsrechts einzuhaltenden gesetzlichen Belehrungspflichten erfüllen zu wollen und ihm bei deren Nichteinhaltung ein unbefristetes Widerrufsrecht einzuräumen.

22

(1) Bei der Auslegung der Vertragserklärung ist der Hintergrund der gesetzlichen Widerrufsvorschriften in den Blick zu nehmen:

23

Die Fälle des gesetzlichen Widerrufsrechts, die eine Durchbrechung des Grundsatzes "pacta sunt servanda" darstellen, sind enumerativ und abschließend geregelt (§ 355 Abs. 1 Satz 1 BGB) und knüpfen an bestimmte gesetzliche Merkmale an (siehe insoweit auch BGH, Urteile vom 6. Dezember 2011 - XI ZR 401/10, ZIP 2012, 262 Rn. 17 und - XI ZR 442/10, juris Rn. 24). Wird einem Vertragspartner vertraglich ein Widerrufsrecht eingeräumt, das ihm nach dem Gesetz nicht zusteht, z.B. weil der Vertragsschluss außerhalb einer "Haustürsituation" erfolgt und es daher an der vom Gesetz typisierten Situation eines strukturellen Ungleichgewichts fehlt, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass sich die Vertragspartner gleichwohl in einer solchen Situation begegnen. Sie sind vielmehr grundsätzlich als vom Gesetz gleichgewichtig eingeschätzte Vertragspartner anzusehen. Dann bestimmt sich der Inhalt des Widerrufsrechts aber auch ausschließlich durch Auslegung ihrer vertraglichen Vereinbarung.

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(2) Vor diesem Hintergrund bedarf es dann, wenn ein Unternehmer einem Verbraucher, ohne dazu gesetzlich verpflichtet zu sein, ein Widerrufsrecht eingeräumt hat, konkreter Anhaltspunkte in der getroffenen Vereinbarung dafür, dass zwar das Widerrufsrecht als solches von den gesetzlichen Voraussetzungen (z.B. einer Haustürsituation) unabhängig sein soll, gleichwohl die für die Ausübung des Widerrufsrechts vereinbarte Frist nur dann in Gang gesetzt werden soll, wenn der Unternehmer dem Anleger zusätzlich eine Belehrung erteilt hat, die den Anforderungen für ein gesetzliches Widerrufsrecht (hier: §§ 312, 355 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 20. November 2001, BGBl. I S. 3138) entspricht.

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Derartige Anhaltspunkte bestehen vorliegend nicht. Ein vernünftiger Empfänger der Erklärung der Klägerin konnte den Formulierungen der Widerrufsbelehrung nicht entnehmen, dass die Klägerin sich für den Fall, dass ein gesetzliches Widerrufsrecht nicht besteht, verpflichten wollte, dem Anleger vertraglich ein unbefristetes Widerrufsrecht einräumen zu wollen, wenn die von ihr in der Widerrufsbelehrung genannten Voraussetzungen des Widerrufsrechts nicht den vom Gesetz für ein gesetzliches Widerrufsrecht aufgestellten Anforderungen genügten.

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Für die gegenteilige Auslegung reicht es nicht aus, dass sich die Klägerin bei den Formulierungen an den Vorgaben des gesetzlichen Widerrufsrechts orientiert hat. Dies ist ersichtlich lediglich dem Umstand geschuldet, dass die Widerrufsbelehrung für den Fall des Eingreifens einer gesetzlichen Verpflichtung zur Belehrung in das Formular aufgenommen wurde, und besagt deshalb nichts für einen Willen der Klägerin, nicht bestehende Belehrungspflichten übernehmen und erfüllen zu wollen. Ebenso wenig folgt aus der Tatsache, dass die Klägerin selbstverständlich beabsichtigte, im Falle des Eingreifens eines gesetzlichen Widerrufsrechts mit der Belehrung die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, aus der Sicht eines verständigen Empfängers ein Anhaltspunkt dafür, dass er sein (möglicherweise vertragliches) Widerrufsrecht unter anderen als unter den formulierten Voraussetzungen werde ausüben können.

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Auch aus dem Umstand, dass die Klägerin unter Hinweis auf § 312d Abs. 3 BGB, § 355 Abs. 3 BGB auf ein "etwaiges vorzeitiges Erlöschen" des Widerrufsrechts nach diesen Vorschriften verzichtet hat, folgt aus der maßgeblichen Sicht des Anlegers nicht, dass die Klägerin die gesetzlichen Belehrungspflichten auch in dem Fall erfüllen wollte, dass der Vertragsschluss nicht in einer Haustürsituation erfolgte. Es kann dahinstehen, ob der in der Widerrufsbelehrung erklärte Verzicht auf ein vorzeitiges Erlöschen des Widerrufsrechts nach den gesetzlichen Bestimmungen überhaupt dahin ausgelegt werden kann, er solle gegebenenfalls auch dann gelten, wenn die gesetzlichen Bestimmungen mangels Vorliegens eines gesetzlichen Widerrufsrechts schon nicht anwendbar sind und allenfalls ein vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht in Rede steht. Jedenfalls kommt in diesem Verzicht nicht zum Ausdruck, dem Anleger sämtliche Rechte, die das Gesetz dem Verbraucher in der besonders schutzwürdigen Situation eines Geschäftsabschlusses in einer Haustürsituation gewährt, selbst dann einräumen zu wollen, wenn eine solche Situation nicht gegeben ist. Der Verbraucher kann der Erklärung allenfalls entnehmen, dass der Unternehmer ihm damit ein Widerrufsrecht unter den in der Belehrung formulierten Voraussetzungen einräumt. Die Bezugnahme auf die gesetzlichen Bestimmungen ist für ihn nur insoweit von Bedeutung, als das ihm gegenüber formulierte Widerrufsrecht (dadurch) nicht eingeschränkt wird.

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III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 1 ZPO).

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1. In der wiedereröffneten Berufungsverhandlung wird sich das Berufungsgericht erneut mit dem Antrag der Klägerin auf Abstandnahme vom Urkundenprozess befassen müssen. Sollte der Beklagte darin nicht einwilligen, wird es die Sachdienlichkeit der Abstandnahme zu prüfen haben. Bei dieser Prüfung wird es zu berücksichtigen haben, dass die Sachdienlichkeit nicht mit der Begründung verneint werden kann, dass die Überführung eines Urkundenprozesses in ein ordentliches Verfahren in der Berufungsinstanz regelmäßig dazu führt, dass der gesamte Streitstoff und damit auch Teile, die ansonsten der Prüfung im Nachverfahren vorbehalten bleiben würden, zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht werden können (BGH, Urteil vom 13. April 2011 - XII ZR 110/09, BGHZ 189, 182 Rn. 42 f.). Das Berufungsgericht wird dabei weiter zu berücksichtigen haben, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 278; Urteil vom 27. September 2006 - VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 16) mit dem zulässigen Rechtsmittel (ohnehin) der gesamte aus den Akten ersichtliche Streitstoff des ersten Rechtszugs in die Berufungsinstanz gelangt. Das Berufungsgericht darf daher auch schriftsätzlich angekündigtes, entscheidungserhebliches Parteivorbringen berücksichtigen, das von dem erstinstanzlichen Gericht für unerheblich erachtet worden ist, auch wenn es im Urteilstatbestand keine Erwähnung gefunden hat (BGH, Urteil vom 19. März 2004 - V ZR 104/03, BGHZ 158, 295, 309; Urteil vom 27. September 2006 - VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 16).

30

2. Die Erklärung der Klägerin, vom Urkundenprozess Abstand zu nehmen, ist unwiderruflich (BGH, Urteil vom 13. April 2011 - XII ZR 110/09, BGHZ 189, 182 Rn. 17; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 596 Rn. 7; Musielak/Voit, ZPO, 9. Aufl., § 596 Rn. 3). Sollte das Berufungsgericht die Sachdienlichkeit gemäß § 533 ZPO bejahen, ist das Vorbringen des Beklagten, das in diesem Fall den Beschränkungen der §§ 592, 595 ZPO nicht mehr unterliegt, entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht wird sich dann mit dem umfänglichen, beweisbewehrten Vortrag des Beklagten zu der Berechtigung der außerordentlichen Kündigung seines Beteiligungsverhältnisses zu befassen haben. Das Recht zur fristlosen Kündigung der Beteiligung, das dem unter Verletzung einer Aufklärungspflicht oder sogar unter arglistiger Täuschung zur Beteiligung veranlassten Anleger zusteht, unterliegt nur der Verwirkung (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteil vom 21. Juli 2003 - II ZR 387/02, BGHZ 156, 46, 53).

31

3. Gelangt das Berufungsgericht zur Feststellung der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung, kann die Klägerin nicht mehr Zahlung der rückständigen Raten verlangen.

32

a) Die außerordentliche Kündigung einer Beteiligung führt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zur Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft und zur Ermittlung des Wertes des Geschäftsanteils des fehlerhaft beigetretenen Gesellschafters im Zeitpunkt seines Ausscheidens (siehe nur BGH, Urteil vom 21. Juli 2003 - II ZR 387/02, BGHZ 156, 46, 53; Beschluss vom 5. Mai 2008 - II ZR 292/06, ZIP 2008, 1018 Rn. 9, 14 - FRIZ I, jew. m.w.N.). Zwar wäre der Beklagte mit Zugang der außerordentlichen Kündigung mit Wirkung "ex nunc" aus der Klägerin ausgeschieden, mit (u.a.) der Folge, dass er zur Zahlung rückständiger, noch nicht erbrachter (Einlage-)Leistungen an die Gesellschaft verpflichtet bliebe (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschluss vom 5. Mai 2008 - II ZR 292/06, ZIP 2008, 1018 Rn. 9 m.w.N. - FRIZ I). Diesen Anspruch kann die Klägerin jedoch nicht mehr isoliert geltend machen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats unterliegen sowohl die Ansprüche des Gesellschafters gegen die Gesellschaft als auch die der Gesellschaft gegen den Gesellschafter zum Stichtag des Ausscheidens einer Durchsetzungssperre; die gegenseitigen Ansprüche werden zu unselbständigen Rechnungsposten der Auseinandersetzungsrechnung (siehe nur BGH, Urteil vom 15. Mai 2000 - II ZR 6/99, ZIP 2000, 1208 f.; Urteil vom 2. Juli 2001 - II ZR 304/00, BGHZ 148, 201, 207 f.; Urteil vom 12. Juli 2010 - II ZR 292/06, BGHZ 186, 167 Rn. 12 - FRIZ II; Urteil vom 17. Mai 2011 - II ZR 285/09, ZIP 2011, 1359 Rn. 14, 17). Der Senatsentscheidung vom 16. Dezember 2002 (II ZR 109/01, BGHZ 153, 214 ff.) ist nichts Abweichendes zu entnehmen.

33

b) Der Klageantrag der Klägerin wäre jedoch nicht abzuweisen. Wie das Berufungsgericht insoweit zutreffend erkannt hat, enthält ein Zahlungsantrag im ordentlichen Verfahren, dem die Durchsetzungssperre entgegensteht, nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ohne weiteres ein Feststellungsbegehren, das darauf gerichtet ist, dass die entsprechende Forderung in die Auseinandersetzungsrechnung eingestellt wird (siehe nur BGH, Urteil vom 9. März 1992 - II ZR 195/90, NJW 1992, 2757, 2758; Urteil vom 15. Mai 2000 - II ZR 6/99, ZIP 2000, 1208, 1210; Urteil vom 18. März 2002 - II ZR 103/01, NZG 2002, 519).

Bergmann                                               Caliebe                                            Drescher

                               Born                                                  Sunder