Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 05.07.2011


BGH 05.07.2011 - II ZR 188/09

Berufungsverfahren: Ermessensausübung bei der Entscheidung über die erneute Zurückverweisung der Sache zur Durchführung einer Beweisaufnahme


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
2. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
05.07.2011
Aktenzeichen:
II ZR 188/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG München, 5. Mai 2009, Az: 5 U 4547/08, Urteilvorgehend LG München I, 10. Juni 2008, Az: 20 O 25582/05
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Bei der vor einer Zurückverweisung der Sache durch das Berufungsgericht an das Gericht des ersten Rechtszuges nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO erforderlichen Ermessensausübung sind der Umstand, dass die Sache bereits einmal an das Landgericht zurückverwiesen worden war, und die damit einhergehende Verzögerung des Rechtsstreits gebührend zu berücksichtigen .

Tenor

Auf die Revisionen der Beklagten und die Anschlussrevisionen der Kläger zu 2, 3, 5 bis 7, 10, 11, 13 und 14 wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 5. Mai 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens und des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Kläger machen gegen die beklagte Aktiengesellschaft und ihre beiden ehemaligen Vorstandsmitglieder Schadensersatzansprüche wegen unrichtiger Ad-hoc-Mitteilungen geltend. Das Landgericht hatte die Klage wegen Verjährung abgewiesen und dazu ausgeführt, die am 31. Dezember 2005 eingereichte Klage sei nicht demnächst im Sinne des § 167 ZPO zugestellt worden und habe daher die an diesem Tag ablaufende Verjährungsfrist nicht gehemmt. Mit Urteil vom 4. Dezember 2007 (Oberlandesgericht München ZIP 2008, 1479) hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Zustellung demnächst erfolgt. Die Entscheidung erweise sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Insbesondere könne für den Beginn der Verjährung nicht auf die Anklageerhebung gegen die Beklagten zu 2 und 3 im Oktober 2001 abgestellt werden. Die Verjährung habe vielmehr erst mit der Eröffnung des Hauptverfahrens im Jahr 2002 begonnen und sei daher durch die Klageeinreichung am 31. Dezember 2005 gehemmt worden.

2

Das Landgericht hat die Klage erneut wegen Verjährung abgewiesen und dabei angenommen, dass die Verjährungsfrist mit der Anklageerhebung im Oktober 2001 begonnen habe und damit Ende 2004 abgelaufen sei. Das Berufungsgericht (BeckRS 2009, 19407) hat das landgerichtliche Urteil nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen Missachtung seiner Rechtsauffassung (§ 563 Abs. 2 ZPO analog) nochmals aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Hiergegen richten sich die vom Senat zugelassenen Revisionen der Beklagten und die Anschlussrevisionen der Kläger zu 2, 3, 5 bis 7, 10, 11, 13 und 14.

Entscheidungsgründe

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Die Rechtsmittel haben Erfolg und führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

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I. Die Revisionen und die Anschlussrevisionen sind zulässig. Da die Parteien eine abschließende Sachentscheidung des Berufungsgerichts begehrt hatten, sind sie durch die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht beschwert und können das Berufungsurteil deshalb mit ihren Rechtsmitteln zur Überprüfung stellen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2004 - XI ZR 90/03, ZIP 2004, 1742, 1745; Urteil vom 1. Februar 2010 - II ZR 209/08, ZIP 2010, 776 Rn. 10).

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II. Die Revisionen und die Anschlussrevisionen haben Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Sache verfahrensfehlerhaft gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO an das Landgericht zurückverwiesen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind in mehrfacher Hinsicht nicht erfüllt. Schon wegen dieses Verfahrensfehlers ist das angefochtene Urteil aufzuheben (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1968 - VII ZR 84/67, BGHZ 50, 25, 26).

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1. Das Berufungsgericht war nicht nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO berechtigt, von einer eigenen Entscheidung in der Sache abzusehen. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 5. Mai 2009 haben die Parteien ihre schriftsätzlich angekündigten Sachanträge gestellt. Keine der Parteien hat - auch nicht hilfsweise - eine aufhebende und zurückverweisende Entscheidung des Berufungsgerichts beantragt. Ein solcher Antrag ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 538 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO aber erforderlich (BGH, Urteil vom 22. Juni 2004 - XI ZR 90/03, ZIP 2004, 1742, 1745 m.w.N.).

7

2. Unabhängig davon hat das Berufungsgericht die bei der Anwendung des § 538 Abs. 2 ZPO notwendige Ermessensausübung nicht dargelegt, was ebenfalls zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt. Verweist das Berufungsgericht den Rechtsstreit wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers zurück, müssen seine Ausführungen erkennen lassen, dass es das ihm in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO eingeräumte Ermessen, eine eigene Sachentscheidung zu treffen oder ausnahmsweise den Rechtsstreit an das Erstgericht zurückzuverweisen, pflichtgemäß ausgeübt hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 10. März 2005 - VII ZR 220/03, NJW-RR 2005, 928; Urteil vom 1. Februar 2010 - II ZR 209/08, ZIP 2010, 776 Rn. 16). Das Berufungsgericht hat weder in Erwägung gezogen, dass eine Zurückverweisung der Sache in aller Regel zu einer Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreits führt, was den schützenswerten Interessen der Parteien entgegenstehen kann, noch hat es nachprüfbar dargelegt, dass eine aus seiner Sicht durchzuführende Beweisaufnahme so aufwändig und umfangreich ist, dass eine Zurückverweisung an das Landgericht ausnahmsweise gerechtfertigt erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 2010 - II ZR 209/08, ZIP 2010, 776 Rn. 16; Urteil vom 22. September 2006 - V ZR 239/05, NJW-RR 2006, 1677 Rn. 14). Gerade der Umstand, dass die Sache bereits einmal an das Landgericht zurückverwiesen worden war, hätte im Rahmen der erforderlichen Abwägung berücksichtigt werden müssen. Das Berufungsgericht ist demgegenüber erkennbar von einem Automatismus ausgegangen.

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III. Dem Senat ist eine eigene Sachentscheidung verwehrt. Die Frage, ob die Klageansprüche verjährt sind, hängt nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB davon ab, ob die Kläger schon zum Zeitpunkt der Anklageerhebung im Oktober 2001 oder erst zum Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die Beklagten zu 2 und 3 im Mai 2002 Kenntnis von den die Ansprüche begründenden Umständen und den Personen der Schuldner erlangten hatten oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätten erlangen müssen. Die Beantwortung dieser Frage erfordert eine Würdigung des Sachverhalts, die dem Tatrichter vorbehalten ist und vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüft werden kann (BGH, Urteil vom 23. Juni 2009 - XI ZR 171/08, BKR 2009, 372 Rn. 13; Urteil vom 23. September 2008 - XI ZR 262/07, ZIP 2008, 2164 Rn. 17). Die dafür erforderlichen Feststellungen und diese Würdigung wird das Berufungsgericht in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung nachzuholen haben. Es ist dabei nicht entsprechend § 563 Abs. 2 ZPO an seine Ansicht gebunden, die Verjährungsfrist habe erst mit der Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die Beklagten zu 2 und 3 im Jahr 2002 begonnen. Denn dabei handelt es sich nicht um eine Rechtsansicht, sondern um die wertende Beurteilung tatsächlicher Feststellungen. Jedenfalls wäre eine Bindungswirkung des Berufungsgerichts an seine Ansicht, für den Beginn des Laufs der Verjährung könne nicht auf die Anklageerhebung gegen die Beklagten zu 2 und 3 im Oktober 2001 und die damit einhergehende umfangreiche Presseberichterstattung abgestellt werden, durch die Entscheidung des erkennenden Senats vom 22. September 2008 (II ZR 235/07, DStR 2008, 2228) entfallen (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 6. Februar 1973 - GmS-OGB 1/72, BGHZ 60, 392, 397 f.).

Strohn                                    Caliebe                                 Reichart

                      Born                                    Sunder