Entscheidungsdatum: 12.03.2013
Bei einem Verstoß gegen § 57 AktG sind weder das Verpflichtungs- noch das Erfüllungsgeschäft nichtig.
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 10. Mai 2012 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der W. B. AG (im Folgenden: Schuldnerin), deren Aktionärin die W. H. GmbH, die Rechtsvorgängerin der Beklagten, war. Mit notariellem Kauf- und Abtretungsvertrag vom 27. September 1995 übertrug die Schuldnerin alle Geschäftsanteile an der A. GmbH im Nennwert von 1 Mio. DM an die Rechtsvorgängerin der Beklagten zum Kaufpreis von 1.257.000 DM. Zum Zeitpunkt des Verkaufs und der Abtretung der Geschäftsanteile war Prof. Dr. I. W. Vorstandsmitglied der Schuldnerin. Beim Kauf und Abtretungsvertrag vom 27. September 1995 wurde die Schuldnerin von zwei anderen Vorstandsmitgliedern vertreten. Auf Seiten der Erwerberin handelte der Sohn von Prof. Dr. I. W. , der einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Rechtsvorgängerin der Beklagten war. Am Stammkapital der Käuferin waren zum Zeitpunkt des Erwerbs Prof. Dr. I. W. mit 24,99 %, seine Ehefrau mit 9,07 % und drei Kinder mit jeweils 17,06 % beteiligt, darunter der geschäftsführende Sohn. 7,84 % hielten die T. AG und 6,92 % die M. AG.
Der Kläger ist der Auffassung, dass der Kauf- und Abtretungsvertrag vom 27. September 1995 nichtig sei. Der Verkauf der Geschäftsanteile sei eine verbotene Einlagenrückgewähr nach § 57 Abs. 1 AktG, weil die Geschäftsanteile im September 1995 mehr als 3,7 Mio. € wert gewesen seien und der Kaufpreis dazu in einem objektiven Missverhältnis stehe. Die Schuldnerin sei durch den Vorstand nicht wirksam vertreten worden. Zwischen der Käuferin und dem damaligen Vorstandsmitglied Prof. Dr. I. W. bestehe wirtschaftliche Identität, so dass die Schuldnerin nach § 112 AktG durch ihren Aufsichtsrat hätte vertreten werden müssen.
Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass der Kauf- und Abtretungs-vertrag vom 27. September 1995 nichtig und die Schuldnerin weiterhin Gesellschafterin der A. GmbH sei, hilfsweise, die Beklagte zur Abtretung der Geschäftsanteile an den Kläger zu verurteilen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers.
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht (OLG München, ZIP 2012, 1024) hat ausgeführt, die Abtretung der Geschäftsanteile sei wirksam. Die Schuldnerin habe durch den Vorstand vertreten werden können, weil § 112 AktG im Interesse der Rechtsicherheit nicht auf Fallgestaltungen auszudehnen sei, bei denen das Geschäft nicht gegenüber dem Vorstand, sondern gegenüber einer Gesellschaft, an der er beteiligt sei, abgeschlossen werde. Jedenfalls lägen dafür die tatsächlichen Voraussetzungen nicht vor, weil das Vorstandsmitglied Prof. Dr. I. W. nur zu knapp 25 % an der Käuferin beteiligt gewesen sei. Die familiäre Verbundenheit zu anderen Gesellschaftern der Käuferin führe nicht zu einer Zurechnung von deren Anteilen.
Der Kauf- und Abtretungsvertrag sei auch nicht wegen eines Verstoßes gegen § 57 AktG nichtig. Ob ein Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Wert der Geschäftsanteile vorliege, könne offen bleiben. Weder das schuldrechtliche Geschäft noch das Erfüllungsgeschäft seien bei einem Verstoß gegen § 57 AktG nichtig.
II. Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
1. Die Schuldnerin ist nicht Gesellschafterin der A. GmbH geblieben. Der Kauf- und Abtretungsvertrag ist wirksam.
a) Die Schuldnerin wurde bei dem Kauf- und Abtretungsvertrag vom Vorstand wirksam vertreten (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AktG). Gegenüber Vorstandsmitgliedern vertritt die Gesellschaft zwar der Aufsichtsrat (§ 112 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die Käuferin ist aber nicht mit dem Vorstandsmitglied der Schuldnerin Prof. Dr. I. W. gleichzusetzen. Ob § 112 Abs. 1 Satz 1 AktG erweiternd dahin auszulegen ist, dass der Aufsichtsrat die Gesellschaft auch gegenüber Gesellschaften vertritt, in denen ein Vorstandsmitglied maßgeblichen Einfluss hat (Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 112 AktG Rn. 8; Bürgers/Körber/Israel, AktG, 2. Aufl., § 112 Rn. 3; Hölters/Hamloch-Gesinn/Gesinn, AktG, 2. Aufl., § 112 Rn. 7; a.A. - nur bei wirtschaftlicher Identität - MünchKommAktG/Habersack, 3. Aufl., § 112 Rn. 9; Mertens/Cahn in KK-AktG, 3. Aufl., § 112 Rn. 18; Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 112 Rn. 2a; Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 112 Rn. 11; Grigoleit/Tomasic, AktG, § 112 Rn. 6; gegen jede Ausweitung Großkomm. AktG/Hopt/Roth, 4. Aufl., § 112 Rn. 43), kann hier dahinstehen. Das Vorstandsmitglied der Schuldnerin Prof. Dr. I. W. hatte keinen maßgeblichen Einfluss. Er war mit 24,99 % an der Beklagten beteiligt und damit nur Minderheitsgesellschafter. Dass ihm darüber hinaus Rechte bei der Käuferin zustanden, die einen maßgeblichen Einfluss begründen, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
Die Geschäftsanteile seiner Familienangehörigen sind Prof. Dr. I. W. nicht zuzurechnen. Solange mit Familienangehörigen keine rechtlich bindenden Vereinbarungen wie Treuhandvereinbarungen oder Stimmbindungsverträge getroffen sind, besteht keine rechtlich vermittelte Möglichkeit einer maßgeblichen Einflussnahme. Eine mögliche soziale Beherrschung durch ein Familienoberhaupt kann dagegen nicht genügen. § 112 AktG trägt der Besorgnis Rechnung, dass der Vorstand bei einem Geschäft gegenüber Vorstandsmitgliedern nicht die erforderliche Unbefangenheit aufbringt. Ein solcher Interessenkonflikt kann bei Geschäften mit Gesellschaften, an denen neben einem Vorstandsmitglied Mitglieder seiner Familie beteiligt sind, nicht von vorneherein unterstellt werden, weil die Interessen der Mitglieder einer Familie nicht stets gleich laufen und eine dahingehende Vermutung keine Grundlage hätte. Das Verbot in § 89 Abs. 3 AktG betrifft nur bestimmte Geschäfte.
b) Zu Recht hat das Berufungsgericht den Kauf- und Abtretungsvertrag auch im Übrigen für wirksam erachtet. Für die revisionsrechtliche Beurteilung ist dabei der Vortrag des Klägers zu unterstellen, dass der Kaufpreis in einem objektiven Missverhältnis zum Wert der Anteile steht, weil das Berufungsgericht dazu keine Feststellungen getroffen hat, und die Abtretung der Geschäftsanteile danach als eine verbotene Einlagenrückgewähr nach § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG anzusehen ist.
Bei einem Verstoß gegen § 57 AktG sind weder das Verpflichtungs- noch das Erfüllungsgeschäft nichtig.
aa) Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung ist im Falle des § 57 AktG sowohl das Verpflichtungsgeschäft als auch das Erfüllungsgeschäft wegen eines Verstoßes gegen § 134 BGB nichtig (KK-AktG/Lutter, 2. Aufl., § 57 Rn. 63; GroßKommAktG/Henze, 4. Aufl., § 57 Rn. 203; Strohn, Die Verfassung der Aktiengesellschaft im faktischen Konzern,1977, S. 24 f.; jedenfalls für das Verpflichtungsgeschäft: RGZ 107, 161, 168), wobei teilweise zwischen der sog. offenen und der verdeckten Rückzahlung - typischer Fall: der Verkauf von Gegenständen oder wie hier Geschäftsanteilen - unterschieden wird (vgl. KK-AktG/Lutter, 2. Aufl., § 57 Rn. 69; Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 57 Rn. 23). Nach anderer Ansicht ist nur das Verpflichtungsgeschäft nichtig (Geßler, Festschrift Fischer, 1979, S. 131, 142 ff.; Flume, ZHR 144 [1980], 18, 23 ff.; Wilhelm, Festschrift Flume, Band II 1978, S. 337, 383 ff.). Nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht führt der Verstoß gegen § 57 AktG weder zur Nichtigkeit des Erfüllungs- noch des Verpflichtungsgeschäfts (MünchKommAktG/Bayer, 3. Aufl., § 57 Rn. 162; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 57 Rn. 74; KK-AktG/Drygala, 3. Aufl., § 57 Rn. 133 f.; Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 57 Rn. 20; Heidel/Drinhausen, AktG, 3. Aufl., § 57 Rn. 53; Hölters/Solveen, AktG, § 57 Rn. 28; Cahn/v. Spannenberg in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 57 Rn. 87).
bb) Sowohl das Verpflichtungs- als auch das Erfüllungsgeschäft sind wirksam.
(1) § 57 AktG enthält zwar mit dem Verbot der Einlagenrückgewähr ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB. Verstößt ein Rechtsgeschäft gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr, führt das aber nicht nach § 134 BGB zu dessen Nichtigkeit, weil § 62 AktG die Rechtsfolgen des Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr als spezialgesetzliche Vorschrift anders regelt. Nach § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nur dann nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Eine solche andere gesetzliche Regelung enthält § 62 AktG.
(2) Die Regelungen in den §§ 57, 62 AktG sind dahin auszulegen, dass bei einem Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr weder das der verbotenen Leistung an den Aktionär zugrundeliegende Verpflichtungs- noch das Erfüllungsgeschäft nichtig ist. Die Annahme einer Nichtigkeit führt zu Konkurrenzproblemen mit dem Anspruch nach § 62 AktG und stellt für den Kapitalschutz bei der Aktiengesellschaft keine angemessene Lösung dar.
Wenn das Verpflichtungsgeschäft als nichtig angesehen wird, konkurriert der Anspruch aus § 62 AktG mit dem Bereicherungsrecht. Das führt zu Konkurrenzproblemen nicht nur mit dem Entreicherungseinwand (§ 818 Abs. 3 BGB) oder der Haftungverschärfung nach § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1 BGB, sondern auch hinsichtlich der Verjährungsregeln (§§ 195, 199 BGB). Dazu wird - von der eine Nichtigkeit annehmenden Meinung - meist vorgeschlagen, dass die Regelungen in § 62 AktG das Bereicherungsrecht verdrängen (Henze in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 62 Rn. 59), so dass die Annahme der Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts jedenfalls gegenüber dem Aktionär folgenlos bleibt. Dass die Gesellschaft auch bei Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts die eingegangene Verpflichtung nicht erfüllen darf, folgt schon aus § 62 AktG, weil die Gesellschaft die Leistung sofort zurückfordern müsste. Auch für verbotswidrig abgeschlossene Geschäfte mit Dritten, die auf eine Einlagenrückgewähr an den Aktionär hinauslaufen, bietet § 62 AktG ausreichenden Schutz (vgl. etwa BGH, Urteil vom 31. Mai 2011 - II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 Rn. 44 f. - Dritter Börsengang; MünchKommAktG/Bayer, 3. Aufl., § 57 Rn. 166 f.).
Die Annahme einer Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäfts verstärkt zwar den insolvenzrechtlichen Schutz, weil der Gesellschaft im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Empfängers des unter Verstoß gegen § 57 AktG übertragenen Gegenstands nach § 47 InsO ein Recht auf Aussonderung des wegen des nichtigen Erfüllungsgeschäfts nicht zur Insolvenzmasse gehörigen Gegenstands zusteht. Die Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäfts führt aber bei der Übertragung von beweglichen Sachen, Grundstücken und Rechten zu unterschiedlichen Ergebnissen schon hinsichtlich der Verjährung von Ansprüchen. Der Herausgabeanspruch nach § 985 BGB verjährt in 30 Jahren (§ 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB); bei der unwirksamen Übertragung von Rechten gibt es keine Verjährung. Das steht wiederum in Widerspruch zur Verjährungsfrist nach § 62 Abs. 3 AktG.
Gegen die Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäfts spricht zudem, dass § 57 AktG nicht die gegenständliche Zusammensetzung des Kapitals, sondern seine Erhaltung dem Wert nach bezweckt und dass nicht der Leistungsaustausch mit dem Aktionär als solcher, sondern dessen unangemessene Bedingungen missbilligt werden. Das hat der Gesetzgeber durch die Einführung der Regelung des § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG, nach der das Verbot der Einlagenrückgewähr nach Satz 1 bei Deckung durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Aktionär nicht gilt, klargestellt. Ein Anspruch auf Rückgewähr des verbotswidrig weggegebenen Gegenstandes kann sich trotz des auf einen nur wertmäßigen Kapitalschutz gerichteten Zwecks des § 57 AktG auch aus § 62 Abs. 1 AktG ergeben (vgl. zu § 31 GmbHG BGH, Urteil vom 17. März 2008 - II ZR 24/07, BGHZ 176, 62 Rn. 9), ohne dass das Erfüllungsgeschäft für nichtig erachtet werden muss. Da bei den hier in Rede stehenden Rechtsgeschäften zwischen Gesellschaft und Aktionär nicht selten Ungewissheit darüber besteht, ob die Gegenleistung des Aktionärs angemessen ist oder nicht, wäre - wenn man die Auffassung zugrunde legt, dass ein Verstoß gegen § 57 AktG zur Nichtigkeit (auch) des Erfüllungsgeschäfts führt - häufig auch unsicher, ob das Erfüllungsgeschäft nichtig ist oder nicht. Das würde zu einer Unsicherheit über die dingliche Zuordnung der von der Gesellschaft weggegebenen Vermögensgegenstände führen und damit zu weiterer Rechtsunsicherheit.
(3) Schließlich ist der Senat auch für die Kapitalerhaltungsvorschriften im GmbH-Recht (§§ 30, 31 GmbHG) von der Wirksamkeit des Erfüllungsgeschäfts ausgegangen (BGH, Urteil vom 23. Juni 1997 - II ZR 220/95, BGHZ 136, 125, 129 f.). Dass bei der Aktiengesellschaft das gesamte Vermögen geschützt ist, bei der GmbH dagegen nur das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG), rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung der Rechtsfolgen nicht.
2. Damit verhilft auch der hilfsweise verfolgte Anspruch auf Rückabtretung der Geschäftsanteile der Klage nicht zum Erfolg. Der Anspruch ist verjährt. Der Rückgewähranspruch verjährte nach § 62 Abs. 3 AktG in der bis 14. Dezember 2004 geltenden Fassung, die maßgeblich ist (Art. 229 § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9, Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB), in fünf Jahren seit dem Empfang der Leistung. Die Geschäftsanteile wurden 1995 abgetreten, die Klage im Jahr 2006 erhoben. Da der Kaufvertrag wirksam ist, besteht daneben kein - möglicherweise in anderer Frist verjährender - Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 BGB.
Bergmann Strohn Reichart
Drescher Born