Entscheidungsdatum: 19.02.2013
Der Vereinszweck eines Sportvereins, durch sorgfältige Pflege des Sports zur körperlichen Ertüchtigung seiner Mitglieder beizutragen sowie durch den Sport Zusammengehörigkeit unter seinen Mitgliedern zu fördern, setzt nicht zwingend voraus, dass der Verein zur Ausübung einer bestimmten Sportart (hier: Rudern) eine entsprechende Abteilung unterhält. Die Auflösung einer solchen Abteilung verstößt im Regelfall auch nicht gegen die vereinsrechtliche Treuepflicht.
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Kammergerichts vom 16. Juni 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Der Kläger ist ein Sportverein in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins. Die Beklagte befasst sich mit dem Rudersport. Aufgrund der Ausgestaltung der Satzung des Klägers ist die Beklagte zwar nicht Mitglied des Klägers, stellt aber - wie der Senat in einem vorangegangenen Rechtsstreit der Parteien ausgeführt hat (BGH, Urteil vom 2. Juli 2007 - II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942 Rn. 49 ff.) - eine Untergliederung des Klägers ("Abteilung") in der Rechtsform eines nicht rechtsfähigen Vereins dar.
Das Vermögen des Klägers besteht im Wesentlichen aus dem Grund-stück S. in B. . Dieses wird fast ausschließlich von Mitgliedern der Beklagten - die zugleich Mitglieder des Klägers sind - genutzt. Der Kläger möchte das Grundstück verkaufen, um ein zurückgehendes Spendenaufkommen zugunsten aller seiner Abteilungen ausgleichen zu können. Über die Wirksamkeit eines Kaufvertrags mit dem "R. e.V." vom 13. Februar 2003 entstand Streit zwischen dem Kläger und der Beklagten. Der Senat entschied in dem bereits erwähnten Vorprozess, dass der Kaufvertrag wirksam sei. Der Vorstand des Klägers sei nach dem Inhalt der Satzung berechtigt gewesen, ohne die Notwendigkeit einer zustimmenden Beschlussfassung der Mitgliederversammlung das Grundstück zu veräußern.
Nach Verkündung des Senatsurteils forderte der Kläger die Beklagte auf, sich eine neue Sportstätte zu beschaffen und das Grundstück für eine Übergabe an den Käufer zu räumen. Dabei wies der Kläger die Beklagte auf fünf - nach seiner Auffassung für die Zwecke des Rudersports geeignete - Ersatzgrundstücke hin. Da sich die Beklagte weiter weigerte, das Grundstück zu räumen, trat der Käufer von dem Kaufvertrag zurück.
Die Beklagte, die dem Kläger mitgeteilt hat, ohne rechtskräftiges Räumungsurteil das Grundstück nicht zu räumen, vertritt die Auffassung, der Verkauf des Grundstücks sei zweckwidrig, sie habe ein Besitzrecht an dem Grundstück, die nachgewiesenen Ersatzgrundstücke seien für den Rudersport nicht geeignet und ohnehin sei eine nur mietweise Überlassung eines Grundstücks nicht akzeptabel.
Das Landgericht hat der im Ergebnis auf Räumung und Herausgabe des Grundstücks gerichteten Klage stattgegeben, das Kammergericht hat sie abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Die Revision hat Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Zwischen den Parteien bestehe hinsichtlich des Vereinsgrundstücks eine Leihe. Diese könne der Kläger nur kündigen, wenn er infolge eines nicht vorhergesehenen Umstandes der verliehenen Sache bedürfe. Das sei hier nicht anzunehmen, weil das Leiheverhältnis durch das vereinsrechtliche Treuegebot überlagert werde. Danach sei die Kündigung unzulässig, weil sie gegen den Vereinszweck verstoße.
Nach dem Vereinszweck müsse der Kläger eine Ruderabteilung unterhalten. Die Räumung des Vereinsheims ohne gleichzeitigen Nachweis eines anderweitigen Zugangs zu einem Gewässer führe aber zu einer faktischen Liquidation der Beklagten. Demgegenüber habe der Kläger nicht vorgetragen, dass der Verkauf des Grundstücks existenziell notwendig sei. Auch habe er der Beklagten kein geeignetes Ersatzgrundstück in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten.
Der Beschluss der Mitgliederversammlung des Klägers, mit dem der Vorstand des Klägers angewiesen worden sei, die Räumung gerichtlich durchzusetzen, sei nichtig. Er verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und hätte angesichts der durch eine Räumung bewirkten faktischen Liquidation der Beklagten ohnehin nur einstimmig gefasst werden können.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Nach dem Urteil des Senats in dem von den Parteien bereits geführten Prozess ist davon auszugehen, dass der Vorstand des Klägers grundsätzlich berechtigt ist, das der Beklagten überlassene Vereinsgrundstück zu veräußern und dazu von der Beklagten die Räumung und Herausgabe des Grundstücks zu verlangen. Die Vorstandsmitglieder des Klägers hätten - so heißt es in der Senatsentscheidung - nicht die ihnen im Innenverhältnis gesteckten Grenzen der Vertretungsmacht überschritten. Die Annahme einer Satzungsänderung dürfte schon deshalb ausscheiden, weil der Verkauf des Grundstücks nicht zwingend einen Fortfall der Ruderabteilung herbeiführe. Grundsätzlich könne Rudersport auch nach dem Verkauf betrieben werden, indem der Kläger den Mitgliedern der Beklagten auf andere Weise Zugang zu einem Gewässer biete. Anders könne es zu beurteilen sein, wenn mit dem Verkauf des Grundstücks der Hintergedanke verfolgt würde, die Ruderabteilung "auf kaltem Wege" zu liquidieren (BGH, Urteil vom 2. Juli 2007 - II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942 Rn. 27, 46, 61, 70).
Das Berufungsgericht geht im Grundsatz von dieser Rechtslage aus, nimmt aber an, dass der Verkauf des Grundstücks zu einer "kalten Liquidation" der Beklagten führe und deshalb gegen die vereinsrechtliche Treuepflicht verstoße und eine Änderung des Vereinszwecks des Klägers darstelle, die nach § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB der Zustimmung aller Vereinsmitglieder bedürfe.
2. Die Würdigung, ob aus den besonderen Gründen des Einzelfalls die an sich zulässige Veräußerung des Vereinsgrundstücks - und damit das Verlangen des Klägers nach einer Räumung und Herausgabe durch die Beklagte - ausnahmsweise gegen die Grundsätze der vereinsrechtlichen Treuepflicht verstößt oder sonst unverhältnismäßig ist, obliegt grundsätzlich dem Tatrichter. Das Revisionsgericht hat diese Würdigung aber darauf zu überprüfen, ob der Tatrichter den Sachverhalt erschöpfend berücksichtigt, Rechtsbegriffe richtig erfasst und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat. Danach ist die Würdigung des Berufungsgerichts nicht frei von Rechtsfehlern.
Das Berufungsgericht hat den Umfang der vereinsrechtlichen Treuepflicht überspannt. Nach § 10 Abs. 3 der Vereinssatzung des Klägers führt der Vorstand des Klägers die Geschäfte im Sinne der Satzung und der Beschlüsse der Mitgliederversammlung. Nach § 3 Abs. 2 der Satzung regeln die Abteilungen - wie die Beklagte - ihre sportlichen und finanziellen Angelegenheiten selbst, soweit die Satzung nichts anderes bestimmt oder das Gesamtinteresse des Vereins nicht betroffen wird. Daraus ergibt sich, dass der Vorstand des Klägers im Innen- und Außenverhältnis für alle Angelegenheiten zuständig ist, die das Gesamtinteresse des Klägers - also die übergeordneten Interessen aller Abteilungen - betreffen und nicht der Mitgliederversammlung des Klägers vorbehalten sind.
Durch die Veräußerung des Vereinsgrundstücks werden nach den Feststellungen des Landgerichts, die das Berufungsgericht in Bezug genommen hat, die Interessen des Gesamtvereins verfolgt. Es geht dem Kläger darum, Liquidität zu schaffen, um alle seine Abteilungen besser unterstützen zu können. Ob durch einen Verkauf des Vereinsgrundstücks dieses Interesse tatsächlich gefördert wird, ist unerheblich. Denn nach dem Urteil des Senats vom 2. Juli 2007 ist es mit dem in Angelegenheiten des Gesamtvereins bestehenden Weisungsrecht des Klägers unvereinbar, der Beklagten, die nur ihre eigenen Belange selbst regeln darf, die Befugnis zuzuerkennen, Beschlüsse des ihr übergeordneten Klägers inhaltlich zu beanstanden (BGH, Urteil vom 2. Juli 2007 - II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942 Rn. 61).
3. Die Veräußerung des Vereinsgrundstücks ist grundsätzlich auch nicht von der Zustimmung der Mitgliederversammlung des Klägers abhängig. Das hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 2. Juli 2007 ausgeführt (BGH, Urteil vom 2. Juli 2007 - II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942 Rn. 70). Der Verkauf des Grundstücks führt nicht zwingend zu einer Änderung der Satzung. Erst recht kommt es dadurch, selbst wenn damit die Ausübung einer bestimmten Sportart zum Erliegen kommen sollte, nicht zu einer Änderung des Vereinszwecks auf der Ebene des Klägers. Denn der Vereinszweck des Klägers besteht nach § 2 Abs. 1 der Satzung darin, durch sorgfältige Pflege des Sports zur körperlichen Ertüchtigung seiner Mitglieder beizutragen sowie durch den Sport Zusammengehörigkeit unter seinen Mitgliedern zu fördern. Das setzt nicht zwingend voraus, dass der Kläger eine bestimmte Abteilung unterhält.
Indes könnte eine durch die Veräußerung des Grundstücks bewirkte faktische Auflösung einer satzungsgemäß geschaffenen Abteilung - wie der Beklagten - möglicherweise als Satzungsänderung aufzufassen sein, so dass der Vorstand dann nur mit Zustimmung der Mitgliederversammlung des Klägers handeln könnte. Ob das der Fall ist und ob gegebenenfalls der Beschluss der Mitgliederversammlung vom 22. April 2009, mit dem die Versammlung dem Räumungsverlangen des Vorstands zugestimmt hat, wirksam ist - der Rechtsstreit über seine Wirksamkeit ist nach § 148 ZPO ausgesetzt , bedarf derzeit keiner Entscheidung. Denn das Berufungsgericht hat keine Feststellungen getroffen, die seine Annahme tragen würden, die Beklagte werde durch die Veräußerung des Grundstücks faktisch aufgelöst.
Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 2. Juli 2007 bereits ausgeführt hat, ist die Beklagte nicht auf das von ihr derzeit genutzte Grundstück angewiesen, um einen Wasserzugang zu haben und damit den Rudersport ausüben zu können. Sie kann das auch von anderen geeigneten Grundstücken aus tun. Die Revision macht zu Recht geltend, dass der Kläger der Beklagten mehrere Grundstücke benannt hat, die nach seiner Auffassung für diesen Zweck geeignet waren. Das Berufungsgericht ist diesem Vortrag nicht nachgegangen. Es hat vielmehr angenommen, es sei Sache des Vorstands des Klägers, ein geeignetes Grundstück anzumieten und es der Beklagten in einer den Annahmeverzug begründenden Weise anzubieten. Damit überspannt das Berufungsgericht die Pflichten des Klägers. Zwar heißt es im Urteil des Senats vom 2. Juli 2007, der Kläger habe den Mitgliedern der Beklagten auf andere Weise Zugang zu einem Gewässer zu bieten (BGH, Urteil vom 2. Juli 2007 - II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942 Rn. 46). Damit ist aber nicht gemeint, dass er ein Grundstück von sich aus anmieten muss. Das kann vielmehr auch Sache des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten sein. Nach § 10 Abs. 6 der Satzung des Klägers sind nämlich die Abteilungsvorsitzenden im Innenverhältnis berechtigt, Verpflichtungen einzugehen, die die jeweilige Abteilung betreffen und sich im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Mittel halten. Das Berufungsgericht hat nicht geprüft, ob diese Voraussetzungen hier erfüllt sind.
Hinzu kommt, dass die Beklagte die Auffassung vertreten hat, ein Mietgrundstück komme ohnehin nicht infrage und sie werde das Grundstück ohne rechtskräftiges Räumungsurteil nicht räumen. Damit nimmt die Beklagte ein Recht zur Nutzung des Grundstücks und zur Wahrung des derzeitigen Besitzstands für sich in Anspruch, das ihr im Verhältnis zu dem ihr übergeordneten Kläger nicht zusteht. Der Kläger hat die Interessen aller seiner Abteilungen zu berücksichtigen. In diesem Rahmen kann es durchaus angemessen sein, die in dem Vereinsgrundstück gebundenen erheblichen Mittel freizusetzen und für alle Abteilungen zu verwenden. Dass sich der Kläger dabei in einem existenzbedrohenden Zustand befinden müsste, ist - anders als das Berufungsgericht meint - dafür keine Voraussetzung. In diesem Rahmen wird gegebenenfalls zu entscheiden sein, ob der Kläger (auch) die Beklagte, soweit die von ihr erhobenen Mitgliedsbeiträge nicht ausreichen sollten, angemessen mit Liquidität auszustatten hat, damit sie die Miete für ein Ersatzgrundstück zahlen kann. Dass der Kläger dazu von vornherein nicht bereit wäre, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
III. Die Sache ist noch nicht zur Endentscheidung reif. Das Berufungsgericht wird in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung zu prüfen haben, ob die der Beklagten von dem Kläger nachgewiesenen Ersatzgrundstücke für die Ausübung des Rudersports geeignet waren. Sollte das der Fall gewesen sein, könnte sich die Beklagte jetzt nicht mehr darauf berufen, sie habe bei einer Räumung und Herausgabe des derzeit von ihr genutzten Grundstücks keinen Zugang zu einem Gewässer mehr. Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht weiter zu prüfen haben, ob die Mittel der Beklagten grundsätzlich ausreichen, um die Miete für ein Ersatzgrundstück zu zahlen. Dann wäre es vorrangig Sache der Beklagten, sich um ein geeignetes Grundstück zu bemühen.
Bergmann Strohn Reichart
Drescher Born