Entscheidungsdatum: 23.09.2014
Für eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist grundsätzlich kein Notgeschäftsführer zu bestellen.
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 30. Januar 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligte zu 1 trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Geschäftswert: 30.000 €
I.
Am 27. Dezember 1995 haben F. M. , dessen Ehefrau A. M. sowie deren vier Kinder, die Beteiligten zu 1 bis 4, zur Bewirtschaftung dreier Hausgrundstücke in F. die M. GbR gegründet. F. M. und seine Ehefrau waren jeweils mit 2%, die Kinder jeweils mit 24% beteiligt. Der Gesellschaftsvertrag lautet auszugsweise:
„§ 6 Geschäftsführung und Vertretung
1. | Zur Geschäftsführung und Vertretung ist ausschließlich der Gesellschafter F. M. berufen. Soweit dieser verhindert sein sollte, wird dieser, sofern er nicht einen Dritten mit schriftlicher Vollmacht zu seinem Vertreter bestimmt, was diesem vorbehalten sein soll, von seiner Ehefrau, der Erschienenen zu 2. in seiner Geschäftsführerstellung vertreten. Eine Vertretung durch andere Familienangehörige, mit Ausnahme der Erschienenen zu 2., ist nicht möglich. … |
§ 9 Tod eines Gesellschafters
9.1. | Durch den Tod eines Gesellschafters wird die Gesellschaft nicht aufgelöst. Sie wird mit den oder dem Erben des verstorbenen Gesellschafters fortgesetzt, soweit es sich um Verwandte gerader Linie oder Adoptivkinder handelt und die verbleibenden Gesellschafter nicht mit 3/4-Mehrheit beschließen, dass diese abzufinden sind. …“ |
F. M. hatte zu seinen Lebzeiten die laufenden Geschäfte der GbR auf die Beteiligte zu 1 übertragen und diese u.a. bevollmächtigt, in seinem Namen Mietverträge abzuschließen und aufzuheben sowie den Inhalt der Mietverträge nach eigenem Ermessen zu gestalten; weiterhin hatte er sie mit einer Konto- und Depotvollmacht ausgestattet, die insbesondere auch das auf den Namen von F. M. eingerichtete Unterkonto 21 bei der D. Bank umfasste, auf das die Mieter der verwalteten Hausgrundstücke seit Jahrzehnten die Miete gezahlt hatten.
Am 2. September 2008 ist F. M. verstorben. In der Folge kam es zu Unstimmigkeiten über die Frage, auf welches Konto die Mieter der Wohnungen ihre Mieten zahlen sollen, wer verfügungsberechtigt über die aufgelaufenen Mieten ist und wer zur Vertretung der Gesellschaft berufen ist, sowie zu einer Vielzahl von Gerichtsprozessen zwischen den Beteiligten. Der Beteiligte zu 4 erstritt ein rechtskräftiges Teilurteil des Landgerichts Frankfurt vom 30. Januar 2010, in dem die Beteiligten zu 1 bis 3 und A. M. verurteilt wurden, einen Antrag auf Eröffnung eines Girokontos auf den Namen der GbR als Kontoinhaberin bei gemeinschaftlicher Verfügungsberechtigung aller Gesellschafter der GbR zu stellen, und die Mieter der Wohnungen der GbR anzuweisen, die Mieten nur noch auf das neu zu eröffnende Girokonto zu leisten. Die Gesellschafter konnten keine von allen getragene Einigung über diese Punkte erzielen, so dass eine Vielzahl von Mietern dazu übergegangen ist, die Mieten bei dem Amtsgericht zu hinterlegen oder an die Beteiligte zu 1 bar zu zahlen.
Mit Beschluss vom 8. Oktober 2012 wurde der Beteiligte zu 4 aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Über seine Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit dieses Beschlusses ist bisher nicht entschieden.
Am 28. August 2013 hat die Beteiligte zu 1 beim Amtsgericht Frankfurt am Main beantragt, der Gesellschaft einen Notgeschäftsführer analog § 29 BGB zu bestellen. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Dagegen haben die Beteiligte zu 1 und - wegen der fehlenden Anordnung einer Kostenerstattung - die Beteiligten zu 2 bis 4 Beschwerde eingelegt. Während des Beschwerdeverfahrens verstarb A. M. . Das Oberlandesgericht hat die Beschwerden zurückgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Beteiligte zu 1 ihren Antrag auf Bestellung eines Notgeschäftsführers weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Oberlandesgericht (OLG Frankfurt, ZIP 2014, 875) hat ausgeführt, eine analoge Anwendung von § 29 BGB auf Personengesellschaften sei, von bestimmten Ausnahmen abgesehen, nicht möglich. Die Bestellung eines Dritten zum organschaftlichen Vertreter der Personengesellschaft entspreche nicht deren Leitbild, nach der die Vertretung nur einem Gesellschafter als geborenem Gesellschaftsorgan zustehen könne. Jedenfalls für den hier vorliegenden Fall einer begrenzten Familiengesellschaft bürgerlichen Rechts sei eine Abweichung von diesem Grundsatz zu verneinen. Dem stehe auch § 6 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags nicht entgegen, weil die dort ermöglichte Geschäftsführung einer Person, die nicht Gesellschafter sei, keine organschaftliche Stellung verschaffe und nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Regelung nach dem Tod von F. und A. M. noch Fortbestand haben solle. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass den von der Beteiligten zu 1 befürchteten Gefahren nicht weit überwiegend durch die von den Beteiligten zu 2 bis 4 vorgeschlagene Einsetzung einer professionellen Hausverwaltung begegnet werden könne.
2. Der Beschluss hält der Nachprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren stand.
a) Die Erstbeschwerde war zulässig. Die Beteiligte zu 1 ist beschwerdebefugt. Nach § 59 Abs. 1 und 2 FamFG steht die Beschwerde einem Antragsteller zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Die Beteiligte zu 1 hat den Antrag auf Bestellung eines Notgeschäftsführers gestellt und ist durch die Ablehnung in ihren Rechten verletzt.
Der Antrag auf Bestellung eines Notvorstands eines Vereins nach § 29 BGB kann von einem Vereinsmitglied als Beteiligtem gestellt werden. Ein Vereinsmitglied, das einen solchen Antrag gestellt hat, ist gegen die Ablehnung der Bestellung eines Notvorstands beschwerdeberechtigt, weil es in eigenen Rechten beeinträchtigt wird (vgl. OLG Schleswig, FGPrax 2013, 127, 128). Das einzelne Mitglied hat ein rechtlich geschütztes Interesse an der Handlungsfähigkeit des Vereins und ist, sofern die Satzung nichts Abweichendes regelt, zur Mitwirkung bei der Bestellung des Vorstands berufen.
Wenn wie hier eine entsprechende Anwendung der Notvorstandsbestellung auf einen anderen Verband in Frage steht, gilt Entsprechendes. Die Beteiligte zu 1 hat als Gesellschafterin ein Interesse an der Handlungsfähigkeit der Gesellschaft und ist zur Mitwirkung an der Geschäftsführung bzw. an der Übertragung der Geschäftsführung berufen, §§ 710, 709 Abs. 1 BGB.
b) Zu Recht hat das Oberlandesgericht die Bestellung eines Notgeschäftsführers für die Gesellschaft entsprechend § 29 BGB abgelehnt. Für eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist grundsätzlich kein Notgeschäftsführer zu bestellen, jedenfalls wenn sie keine Publikumsgesellschaft ist (Erman/Westermann, BGB, 14. Aufl., § 29 Rn. 4; Staudinger/Weick, BGB, Bearbeitung 2005, § 29 Rn. 5; MünchKommBGB/Reuter, 6. Aufl., § 29 Rn. 4; BeckOK BGB/Schöpflin Stand: 01.02.2014, § 29 Rn. 2; Soergel/Hadding, BGB, 13. Aufl., § 29 Rn. 3; Palandt/Ellenberger, BGB, 73. Aufl., § 29 Rn. 1; Otto in jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 29 Rn. 2; Andreas Bergmann in jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 709 Rn. 10; vgl. zur KG BGH, Urteil vom 9. Dezember 1968 - II ZR 33/67, BGHZ 51, 198, 200). Für die entsprechende Anwendung der Regelung des § 29 BGB fehlen die rechtlichen Voraussetzungen. Eine Analogie ist zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. Januar 2010 - IX ZR 65/09, BGHZ 184, 101 Rn. 32; Urteil vom 12. Januar 2010 - XI ZR 37/09, ZIP 2010, 319 Rn. 32 mwN).
aa) Es fehlt bereits eine planwidrige Regelungslücke. Der Notvorstand überbrückt bei der juristischen Person eine vorübergehende Handlungsunfähigkeit beim Fehlen eines ordentlich bestellten Vorstands. Der Wegfall der Geschäftsführungsbefugnis bei einem geschäftsführenden Gesellschafter oder sein Wegfall machen die Gesellschaft bürgerlichen Rechts dagegen auch beim Fehlen von Vorkehrungen im Gesellschaftsvertrag nicht handlungsunfähig, weil dafür Regelungen im Gesetz vorhanden oder von der Rechtsprechung entwickelt worden sind.
Der Wegfall des (einzigen) geschäftsführungsberechtigten Gesellschafters durch Tod führt zur Gesamtgeschäftsführungsbefugnis der verbliebenen Gesellschafter (§ 709 Abs. 1 BGB). Bei Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis oder Amtsniederlegung gilt Entsprechendes; ggf. bleibt es bei der Geschäftsführungsbefugnis der übrigen geschäftsführungsbefugten Gesellschafter (vgl. MünchKommBGB/Schäfer, 6. Aufl., § 712 Rn. 20 mwN). Dass sich die verbleibenden Gesellschafter blockieren können, ist in der Gesamtgeschäftsführungsbefugnis als dem gesetzlichen Regelfall bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts angelegt und begründet daher keine Regelungslücke.
Soweit etwa im Hinblick auf den Ausschluss des geschäftsführungs- und vertretungsbefugten Gesellschafters rechtliche Unsicherheiten bestehen, kann die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis durch eine einstweilige Verfügung vorläufig geregelt werden. Wenn ein dringender Handlungsbedarf wegen einer Gefahr für die Gesellschaft oder ihr Vermögen besteht, die keinen Aufschub bis zu einer Entscheidung der Gesellschafter duldet, bedarf es ebenfalls keines Notgeschäftsführers. Jeder Gesellschafter hat entsprechend § 744 Abs. 2 BGB die Befugnis zu den Maßnahmen, die zur Erhaltung eines zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenstandes oder der Gesellschaft selbst notwendig sind (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 1955 - IV ZR 185/54, BGHZ 17, 181, 183).
bb) Auch die von der Beteiligten zu 1 behauptete zeitweilige Geschäftsunfähigkeit des Beteiligten zu 3 führt nicht zu einer ungeregelten Situation. Der Gefahr der Mitwirkung eines Mitgesellschafters, die sich nachträglich als unwirksam herausstellt, kann durch die Bestellung eines Betreuers für den geschäftsunfähigen Gesellschafter und einen Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 BGB) begegnet werden (vgl. Palandt/Götz, BGB, 73. Aufl., § 1903 Rn. 10 mwN). Wenn in gerichtlichen Verfahren wegen der Eilbedürftigkeit ein Zuwarten mit Nachteilen verbunden wäre, kann vor der Betreuerbestellung ein Prozesspfleger nach § 57 ZPO bestellt werden.
Bergmann Caliebe Drescher
Born Sunder