Entscheidungsdatum: 14.07.2015
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 5. November 2014 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 620.000 €
I. Die Klägerin macht gegen die Beklagten Darlehensrückzahlungsansprüche in Höhe von 620.000 € geltend. Ihre Klage wurde vom Landgericht mit Urteil vom 10. Juni 2014 abgewiesen. Das Urteil wurde ihrem Prozessbevollmächtigten am 14. Juni 2014 zugestellt. Die Klägerin hat mit nicht unterschriebenem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 7. Juli 2014 - eingegangen bei den Justizbehörden Frankfurt am 8. Juli 2014, bei dem Berufungsgericht am 9. Juli 2014 - Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 23. August 2014, eingegangen am 25. August 2014, begründet.
Die fehlende Unterschrift auf der Berufungsschrift wurde beim Berufungsgericht erstmals am 19. August 2014 bemerkt. Hierauf und auf den verspäteten Eingang der Berufungsbegründungsschrift wurde der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Verfügung des Vorsitzenden vom 10. September 2014, dem Prozessbevollmächtigten zugestellt am 23. September 2014, hingewiesen. Zugleich wurde der Prozessbevollmächtigte darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
Mit Telefax-Schriftsatz vom 23. September 2014 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für diese die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete diesen Antrag mit weiterem Telefax-Schriftsatz vom 13. Oktober 2014. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs macht die Klägerin geltend, die Unterschriftsleistung auf der Berufungsschrift hätte bei frühzeitigem Hinweis des Gerichts noch rechtzeitig nachgeholt werden können. Zudem habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 9. August 2014 den Antrag gestellt, die am 14. August 2014 ablaufende Berufungsbegründungsfrist um vier Wochen zu verlängern, weil er krankheitsbedingt arbeitsüberlastet gewesen sei. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sei an einer schweren Bronchitis/Kehlkopfentzündung erkrankt gewesen und habe ganz erhebliche Mengen an Antibiotika einnehmen müssen, was zu frühzeitiger Ermüdung und Konzentrationsschwächen geführt habe. Den Fristverlängerungsantrag habe er ordnungsgemäß frankiert im Beisein seiner Kanzleikraft am gleichen Tag noch vor 11 Uhr am L. in den Briefkasten geworfen. Zur Glaubhaftmachung hat sich die Klägerin auf die eidesstattlichen Versicherungen ihres Prozessbevollmächtigten sowie der Kanzleikraft bezogen.
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II. Die Rechtsbeschwerde der Klägerin ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss auch nicht den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch der Klägerin auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, WM 2014, 2388 Rn. 6 mwN).
1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Es könne dahinstehen, ob der Klägerin Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist zu gewähren sei. Jedenfalls sei das Wiedereinsetzungsgesuch gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist unbegründet. Die Klägerin sei nicht ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen. Es sei schon nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 9. August 2014 auf dem Postwege die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um vier Wochen beantragt habe. Aber selbst wenn man dies unterstelle, sei der behauptete Geschehensablauf nicht geeignet, die Klägerin zu entlasten, da es ihrem Prozessbevollmächtigten als Verschulden anzulasten sei, dass er nicht ausreichend kontrolliert habe bzw. keine ausreichende Kontrolle dahingehend sichergestellt habe, dass bei Ablauf der Berufungsbegründungsfrist durch Nachfrage beim Berufungsgericht geklärt würde, ob die Fristverlängerung bewilligt worden sei.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei wegen eines der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Anwaltsverschuldens eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Die Rügen der Rechtsbeschwerde gegen die dieser Entscheidung zugrunde liegende Annahme, die Klägerin habe ihren zur Wiedereinsetzung gehaltenen Vortrag nicht gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2, § 294 ZPO glaubhaft gemacht, greifen nicht durch. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen nicht überspannt, die an die Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds zu stellen sind. Zwar darf grundsätzlich von dem anwaltlich als richtig oder an Eides Statt versicherten Vorbringen in einem Wiedereinsetzungsantrag ausgegangen werden. Dies gilt aber dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte es ausschließen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zutreffend zu erachten (BGH, Beschluss vom 12. November 2014 - XII ZB 289/14, WM 2015, 410 Rn. 14 mwN). So liegt der Fall hier.
a) Die Frage, ob die eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen im Sinne von § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht sind, bestimmt sich nach den zu § 294 ZPO entwickelten Grundsätzen.
Danach genügt ein geringerer Grad der richterlichen Überzeugungsbildung. An die Stelle des Vollbeweises tritt eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung. Die Behauptung ist glaubhaft gemacht, sofern eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft (vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - IX ZB 60/06, NJW-RR 2007, 776 Rn. 11; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 210/09, NJW-RR 2011, 136 Rn. 7, jew. mwN). Diese Voraussetzungen sind dann erfüllt, wenn bei der erforderlichen umfassenden Würdigung der Umstände des jeweiligen Falles mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen (BGH, Beschluss vom 11. September 2003 - IX ZB 37/03, BGHZ 156, 139, 142 f.). Die Feststellung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit unterliegt dem Grundsatz der freien Würdigung des gesamten Vorbringens (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - IX ZB 60/06, NJW-RR 2007, 776 Rn. 12 mwN). Diese Würdigung vorzunehmen ist - ebenso wie die Beweiswürdigung nach § 286 ZPO - grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ihre Überprüfung durch die Rechtsbeschwerde ist darauf beschränkt, ob der Tatrichter sich mit dem Prozessstoff und den Glaubhaftmachungsmitteln umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt und nicht gegen Denk- und Naturgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2014 - I ZB 37/14, juris Rn. 14).
b) Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss gerecht. Insbesondere hat das Berufungsgericht die Anforderungen nicht überspannt, die an die Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes zu stellen sind.
Das Berufungsgericht hat den gesamten Inhalt der eidesstattlichen Versicherung der Kanzleiangestellten des Prozessbevollmächtigten sowie die eigene Versicherung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in den Blick genommen und im Einzelnen ausführlich begründet, warum es nicht für überwiegend wahrscheinlich hält, dass der Prozessbevollmächtigte am 9. August 2014 einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist per Post an das Berufungsgericht gesandt hat. Es hat ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze rechtsfehlerfrei darauf abgestellt, dass es der Lebenserfahrung widerspricht und deshalb unwahrscheinlich ist, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin angesichts seiner Erkrankung und seiner Schwächung durch die Antibiotika an einem Samstag einen Fristverlängerungsantrag gefertigt und ihn dann nicht, was sich nicht nur angesichts seines Gesundheitszustands aufgedrängt hätte, sondern zudem auch in Widerspruch zu seiner sonstigen überwiegenden Vorgehensweise bei der Versendung von Schriftsätzen stand, per Fax an das Berufungsgericht gesandt hat. Ebenso frei von Rechtsfehlern hat das Berufungsgericht es nicht für überwiegend wahrscheinlich gehalten, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht, was sich angesichts seiner Erkrankung ebenfalls aufgedrängt hätte, seine im Büro anwesende Kanzleikraft mit dem Einwurf des Verlängerungsantrags in den Briefkasten beauftragt hat, sondern sich statt dessen angesichts dieser Umstände unverständlicherweise selbst zu Fuß auf den Weg von der Kanzlei zu einem Briefkasten am Bahnhof begeben hat. Frei von Rechtsfehlern hat das Berufungsgericht zudem keinen nachvollziehbaren Grund dafür erkennen können, warum die Kanzleikraft ihn auf diesem Weg dann auch noch begleitet hat.
c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde musste das Berufungsgericht den Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht nach § 139 ZPO auf seine Zweifel an dem dargelegten Geschehensablauf hinweisen, um ihm Gelegenheit zu geben, das ergänzend vorzutragen, was er nunmehr mit seiner der Rechtsbeschwerde beigefügten eidesstattlichen Versicherung vorgetragen hat.
aa) Die Partei muss im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 236 Abs. 2 ZPO die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vortragen und glaubhaft machen. Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht. Alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, müssen grundsätzlich innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden (§ 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Nur erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, dürfen nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2010 - IX ZB 73/10, NJW 2011, 458 Rn. 17; Beschluss vom 9. Februar 2010 - XI ZB 34/09, FamRZ 2010, 636 Rn. 9; Urteil vom 7. März 2002 - IX ZR 235/01, NJW 2002, 2107, 2108, jew. mwN).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen musste das Berufungsgericht der Klägerin keine Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens zu den Umständen des Posteinwurfs des Fristverlängerungsantrags geben. Die Angaben in der eidesstattlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sowie der Kanzleikraft waren, was die Schilderung des Geschehensablaufs betrifft, objektiv weder unklar noch ergänzungsbedürftig, sondern ergaben eine geschlossene Schilderung tatsächlicher Abläufe, die das Berufungsgericht seiner Bewertung, ob es den Einwurf des Verlängerungsantrags für glaubhaft gemacht hielt, zugrunde legen konnte. Insbesondere waren die Angaben in sich nicht widersprüchlich. Dass das Berufungsgericht die Schilderung nicht für überwiegend wahrscheinlich gehalten hat, lag nicht an unklaren, ergänzungsbedürftigen Angaben zu den Tatsachen, sondern allein daran, dass es den geschilderten Ablauf für konstruiert gehalten hat.
Es kann angesichts dessen dahinstehen, ob das Verhalten des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und der von ihm geschilderte Ablauf aufgrund der Angaben in der mit der Rechtsbeschwerdebegründung vorgelegten eidesstattlichen Versicherung, wonach es sich bei der Kanzleikraft um seine Lebensgefährtin handelt und der Arzt ihm kurze Spaziergänge empfohlen haben soll, um den Kreislauf in Gang zu halten, weniger unvernünftig erscheinen. Diesen Vortrag hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach § 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO bereits in seinem Wiedereinsetzungsgesuch halten und glaubhaft machen müssen.
Die Rechtsbeschwerde weist zwar zu Recht darauf hin, dass es zur Glaubhaftmachung nicht erforderlich ist, zusätzliche Gründe darzulegen und glaubhaft zu machen, die das Versehen an der Fristversäumung erklären können (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2014 - I ZB 37/14, juris Rn. 12 mwN). Sie irrt jedoch, wenn sie meint, deshalb hätten der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und seine Kanzleikraft keinen Anlass gehabt, den nunmehrigen Vortrag zu den Umständen des Briefeinwurfs zu halten, um den Geschehensablauf zu erklären. Es geht vorliegend nicht um eine Fristversäumnis aufgrund eines Versehens - wie etwa aufgrund einer versehentlichen Fristlöschung im Fristenkalender -, sondern um die Glaubhaftmachung eines Vorgangs, der dazu dienen soll zu belegen, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seinerseits alles Erforderliche zur Fristwahrung getan hat, der Fehler, der zur Fristversäumung geführt hat, also gerade nicht auf einem Versehen in seinem Verantwortungsbereich beruht. Zur Glaubhaftmachung eines solchen Vorgangs ist es aber erforderlich, alles darzulegen und zu versichern, was den Geschehensablauf so nachvollziehbar macht, dass er für überwiegend wahrscheinlich gehalten werden kann. Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ohne weiteres möglich gewesen wäre, anhand seines Fristenkalenders den Geschehensablauf glaubhaft zu machen. Beantragt der Prozessbevollmächtigte eine Fristverlängerung, so muss das beantragte Fristende bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenkalender eingetragen und als vorläufig gekennzeichnet werden, damit das wirkliche Ende der Frist festgestellt werden kann (st. Rspr., BGH, Beschluss vom 22. März 2011 - II ZB 19/09, NJW 2011, 1598 Rn. 12 mwN).
3. Da das Berufungsgericht frei von Rechtsfehlern von der mangelnden Glaubhaftmachung der Absendung des Fristverlängerungsantrags ausgegangen ist, kommt es auf die weitere Begründung des Berufungsgerichts, auch bei unterstellter Stellung eines Fristverlängerungsantrags sei die Fristversäumnis verschuldet, weil der Prozessbevollmächtigte nicht in ausreichender Weise kontrolliert habe, ob seinem Antrag stattgegeben worden sei, nicht mehr an.
Bergmann Caliebe Drescher
Born Sunder