Entscheidungsdatum: 26.03.2012
Die beglaubigte Abschrift einer Berufungsbegründungsschrift ersetzt die Urschrift, wenn der Beglaubigungsvermerk von dem Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers handschriftlich vollzogen ist. Die Rechtswirkungen der Einreichung der Urschrift eines bestimmenden Schriftsatzes treten auch dann ein, wenn eine von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich beglaubigte Abschrift fristgemäß bei Gericht eingegangen ist.
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. Januar 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur Verhandlung und erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Wert des Beschwerdeverfahrens: 14.869,35 €
I.
Der Beklagte ist mit Urteil des Landgerichts vom 2. Juni 2010 unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 14.869,35 € nebst Zinsen verurteilt worden. Das Urteil ist seinem Prozessbevollmächtigten am 7. Juni 2010 zugestellt worden. Mit am 5. Juli 2010 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten hat der Beklagte Berufung eingelegt und die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 7. September 2010 beantragt, die ihm antragsgemäß gewährt wurde. Am 7. September 2010 gingen beim Oberlandesgericht folgende Schriftstücke ein:
- Ein als Berufungsbegründung bezeichnetes Schriftstück, das auf Seite 1 den Stempel "Abschrift" trägt und auf Seite 268 unterhalb des Textes mit einem Beglaubigungsvermerk "Beglaubigt Rechtsanwalt" und der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten des Beklagten versehen ist.
- Zwei Telefaxsendungen, die jeweils Auszüge des vorbezeichneten Schriftsatzes - jeweils die ersten und die letzten zehn Seiten des Schriftsatzes - und auf Seite 1 ebenfalls den Aufdruck "Abschrift" sowie auf der letzten Seite nicht die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten in der Unterschriftszeile, sondern ebenfalls nur den unterschriebenen Beglaubigungsvermerk enthalten.
Am 8. September 2010 ging das Original der Berufungsbegründung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten ein, das auf Seite 1 keinen Stempelaufdruck und auf Seite 268 - in der Unterschriftenzeile - die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten des Beklagten trägt.
Nachdem der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am 15. November 2010 darauf hingewiesen worden war, dass am Tag des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist lediglich eine beglaubigte Abschrift der Begründungsschrift eingegangen sei, und ihm mit Verfügung des Vorsitzenden des Berufungsgerichts mitgeteilt worden war, dass es im Hinblick darauf beabsichtige, die Berufung durch Beschluss zu verwerfen, beantragte er mit Schriftsatz vom 5. Januar 2011 vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Mit Beschluss vom 19. Januar 2011 hat das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Es hat die Ansicht vertreten, der Wille des Absenders, die Berufungsbegründung in den Verkehr zu bringen, könne nicht mit hinreichender Sicherheit unterstellt werden, wenn am Tag des Fristablaufs lediglich eine aus der Sicht des Empfängers gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Zustellung an den Gegner bestimmte Abschrift einer Berufungsbegründung eingereicht werde. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der lediglich die auf einem als Originalschriftsatz bestimmten und eingereichten Schriftsatz fehlende Unterschrift (§ 130 Nr. 6 ZPO) unter bestimmten Voraussetzungen durch die Unterzeichnung einer beglaubigten Abschrift ersetzt werden könne. Den Wiedereinsetzungsantrag hat es mit der Begründung zurückgewiesen, dieser sei nicht innerhalb der Frist von zwei Wochen nach der Behebung des Hindernisses (§ 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO) gestellt worden, da der Prozessbevollmächtigte des Beklagten bereits am 15. November 2010 Kenntnis davon erhalten habe, dass lediglich eine beglaubigte Abschrift der Berufungsbegründung fristgerecht beim Berufungsgericht eingegangen sei. Angesichts dessen sei der erst am 5. Januar 2011 gestellte Wiedereinsetzungsantrag verspätet.
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde, für deren Durchführung ihm der Senat mit Beschluss vom 29. November 2011 Prozesskostenhilfe und mit Beschlüssen vom 15. und 19. Dezember 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt hat.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO auch zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, denn die angefochtene Entscheidung verletzt den Beklagten in entscheidungserheblicher Weise in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und zugleich in dem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Berufung des Beklagten sei nicht innerhalb der bis zum 7. September 2010 verlängerten Frist durch einen von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schriftsatz begründet worden, ist rechtsfehlerhaft.
Bereits nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 119, 62, 63; JW 1930, 2953 Nr. 21; JW 1934, 420 Nr. 16; JW 1938, 1237 Nr. 48), der sich der Bundesgerichtshof angeschlossen hat (siehe nur BGH, Beschluss vom 5. März 1954 - VI ZB 21/53, LM Nr. 14 zu § 519 ZPO; Urteil vom 22. September 1992 - XI ZR 35/92, VersR 1993, 459 [juris Rn. 13]; siehe auch BFH, Urteil vom 27. Juli 1977 - I R 207/75, BFHE 123, 286, 287 f. [juris Rn. 8]), ersetzt die beglaubigte Abschrift einer Berufungs- oder Berufungsbegründungsschrift die Urschrift, wenn der Beglaubigungsvermerk von dem Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers handschriftlich vollzogen ist. Die Rechtswirkungen der Einreichung der Urschrift eines bestimmten Schriftsatzes treten auch dann ein, wenn eine von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich beglaubigte Abschrift fristgemäß bei Gericht eingegangen ist. Anders als das Berufungsgericht meint, steht dem nicht entgegen, dass die beglaubigten Abschriften (an sich) nur zur Weiterleitung an den Gegner übergeben werden und somit nicht mit Sicherheit Bestandteil der Akten werden. Zwar trifft es zu, dass die Beglaubigung dann primär den Zweck hat, dem Gegner die Überzeugung der Übereinstimmung der Abschrift mit der Urschrift zu verschaffen. Das schließt aber nicht aus, dass die beglaubigten Abschriften trotzdem eine von ihrer unmittelbaren Zweckbestimmung nicht umfasste Wirkung haben. Diese Wirkung besteht darin, dass das Gericht aus ihrer Einreichung die Überzeugung gewinnen kann, dass das Schriftstück von dem Anwalt, der den Beglaubigungsvermerk vollzogen hat, herrührt, dass er die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernehmen und diesen bei Gericht einreichen will und dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist. Zur Einlegung der Berufung und ihrer Begründung genügt aber die Einreichung eines Schriftsatzes, der von einer Unterschrift - hier auf dem Beglaubigungsvermerk - des Prozessbevollmächtigten gedeckt ist.
3. Da der Beklagte seine Berufung rechtzeitig begründet hat, hätte das Berufungsgericht sie nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Der Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Es bedarf keiner Entscheidung über den von dem Beklagten wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist eingelegten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Insoweit ist der Beschluss des Berufungsgerichts gegenstandslos.
Bergmann Strohn Caliebe
Reichart Sunder