Entscheidungsdatum: 29.01.2013
Der Beitritt eines Aufsichtsratsmitglieds auf Seiten einer Aktiengesellschaft im Rechtsstreit der Aktiengesellschaft mit einem Vorstandsmitglied über die Wirksamkeit oder den Inhalt des Abberufungsbeschlusses ist zulässig.
Der Beitritt des Nebenintervenienten zu 2 auf Seiten der Beklagten wird zugelassen.
Die Kosten des Zwischenstreits haben die Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen
I. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Bauwirtschaft in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Die Anteile an der Beklagten werden mittelbar über eine Holding von den beiden Firmengründern E. H. und B. H. gehalten. Zwischen den Brüdern bzw. den Familienstämmen gibt es erhebliche Spannungen. Die Kläger waren am 6. Juli 2007 - wie der erkennende Senat mit seiner Entscheidung vom 17. Juli 2012 (II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750) bestätigt hat - wirksam zu Mitgliedern des Vorstands der Beklagten bestellt worden. Der Nebenintervenient ist eines von sechs Mitgliedern des Aufsichtsrats, von denen drei auf den Vorschlag von E. H. und drei auf den Vorschlag von B. H. hin bestellt worden sind.
Am 26. Oktober 2009 fand eine Sitzung des Aufsichtsrats statt. Tagesordnungspunkt war unter anderem die Abberufung der Kläger als Vorstände. Den Klägern war vorgeworfen worden, im Zusammenhang mit der Erweiterung des Geschäftsfelds der Beklagten auf T. den dortigen Bauminister bestochen zu haben. Der Aufsichtsrat stimmte mit 3 : 3 Stimmen ab. Die dem Stamm B. H. zuzuordnenden Aufsichtsratsmitglieder verneinten das Vorliegen eines wichtigen Grundes und lehnten die Abberufung ab. Der Nebenintervenient, der dem Stamm E. H. zugeordnet ist, stimmte für die Abberufung der Kläger. Gemäß § 10 Abs. 4 S. 5 der Satzung der Beklagten führt Stimmengleichheit zur Ablehnung eines Beschlussantrags. Der Aufsichtsratsvorsitzende entschied, die drei gegen eine Abberufung stimmenden Aufsichtsratsmitglieder hätten ihr Stimmrecht missbräuchlich ausgeübt, so dass ihre Stimmen bei der Feststellung des Abstimmungsergebnisses nicht zu berücksichtigen seien, womit die Abberufung der Kläger als Vorstände der Beklagten mit 3 : 0 beschlossen sei. Dementsprechend stellte der Aufsichtsratsvorsitzende die Abberufung der Kläger durch Aufsichtsratsbeschluss vom 26. Oktober 2009 fest.
Das Landgericht Frankenthal (Pfalz) hat antragsgemäß festgestellt, dass in der Aufsichtsratssitzung vom 26. Oktober 2009 ein Beschluss, die Kläger aus wichtigem Grund abzuberufen, nicht ergangen sei und dass die Beklagte verpflichtet sei, den Klägern einen Schaden zu ersetzen, der ihnen aus dem unwirksamen Widerruf ihrer Vorstandsämter entstanden sei und noch entstehen werde.
Am 19. Juni 2010 stimmte der Aufsichtsrat der Beklagten über den Antrag des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden ab, „die Prozessführung vor dem Landgericht Frankenthal (Pfalz) und dem OLG Zweibrücken zu genehmigen“. Anlass hierfür war, dass die für die Beklagte im gerichtlichen Verfahren auftretenden Rechtsanwälte lediglich von deren Aufsichtsratsvorsitzenden beauftragt worden waren. Drei Aufsichtsräte stimmten für den Antrag, drei dagegen.
Die Beklagte hat gegen das landgerichtliche Urteil Berufung beim OLG Zweibrücken eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zur Einlegung des Rechtsmittels nicht wirksam bevollmächtigt gewesen seien.
Gegen den Verwerfungsbeschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten. Der Nebenintervenient ist dem Verfahren innerhalb laufender Rechtsbeschwerdefrist auf Seiten der Beklagten beigetreten und hat gleichfalls Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Kläger haben beantragt, die Nebenintervention zurückzuweisen.
I. Die Nebenintervention war zuzulassen. Ein Aufsichtsratsmitglied hat ein rechtliches Interesse daran, auf Seiten einer Aktiengesellschaft im Rechtsstreit der Aktiengesellschaft mit einem Vorstandsmitglied über die Wirksamkeit oder den Inhalt des Abberufungsbeschlusses beizutreten (§ 71 Abs. 1, § 66 Abs. 1 ZPO).
1. Der Nebenintervenient ist eine andere Person im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO.
Nach § 66 Abs. 1 ZPO setzt die Nebenintervention einen zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit voraus. Nach einer Auffassung in der Rechtsprechung und im Schrifttum ist der gesetzliche Vertreter einer Partei im Verhältnis zu dieser Partei keine andere Person in diesem Sinne und kann daher nicht Nebenintervenient sein (OLG Hamm, FamRZ 1994, 386; Münch KommZPO/Schultes, 4. Aufl., § 66 Rn. 4; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 66 Rn. 7; Musielak/Weth, ZPO, 9. Aufl., § 66 Rn. 4; Gehrlein in Prütting/Gehrlein, ZPO, 4. Aufl., § 66 Rn. 4; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 33. Aufl., § 66 Rn. 3; Saenger/Bendtsen, ZPO, 5. Aufl., § 66 Rn. 4; vgl. OLG München, ZIP 2008, 2173). Nach anderer Auffassung kann die Nebenintervention des gesetzlichen Vertreters im Rechtsstreit und auf Seiten des Vertretenen im Einzelfall zulässig sein, wenn der gesetzliche Vertreter ein eigenes rechtliches Interesse geltend machen kann (so OLG Karlsruhe, FamRZ 1998, 485; OLG Hamm, NZG 1999, 597; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 66 Rn. 8; Wieczorek/Schütze/Mansel, ZPO, 3. Aufl., § 66 Rn. 23). Welche dieser beiden Meinungen den Vorzug verdient, bedarf keiner Entscheidung. Ein etwaiger Ausschluss des gesetzlichen Vertreters von der Nebenintervention steht der Zulassung des Beitritts des Nebenintervenienten auf der Seite der Beklagten nicht entgegen. Denn das einzelne Aufsichtsratsmitglied ist nicht gesetzlicher Vertreter in diesem Sinne.
Eine Aktiengesellschaft wird in einem Prozess mit einem Vorstandsmitglied - auch nach dessen Ausscheiden - gemäß § 112 AktG durch ihren Aufsichtsrat als Organ vertreten (BGH, Urteil vom 16. Februar 2009 - II ZR 282/07, ZIP 2009, 717 Rn. 7; Urteil vom 16. Oktober 2006 - II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213 Rn. 5; Urteil vom 22. April 1991 - II ZR 151/90, ZIP 1991, 796; Urteil vom9. Oktober 1986 - II ZR 284/85, ZIP 1986, 1381, 1382) und nicht durch das einzelne Aufsichtsratsmitglied.
Die in diesem Zusammenhang erforderliche Willensbildung erfolgt durch ausdrücklichen Beschluss nach § 108 Abs. 1 AktG (BGH, Urteil vom 16. Februar 2009 - II ZR 282/07, ZIP 2009, 717 Rn. 12; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, AktG, § 112 Rn. 9, 10; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 112 Rn. 26; MünchKommAktG/Habersack, 3. Aufl., § 112 Rn. 21). In die Entscheidungsbefugnis des Aufsichtsrats fällt im Passivprozess mit dem Vorstand etwa die Frage, inwieweit ein Anspruch im Rahmen der Dispositionsbefugnis der Gesellschaft anerkannt werden kann oder ob - wie vorliegend - im Falle des Unterliegens von einem Rechtsmittel Gebrauch gemacht werden soll. Der in einem hierüber gefassten Beschluss zum Ausdruck gekommene einheitliche oder mehrheitliche Wille der abstimmenden Aufsichtsratsmitglieder stellt den Willen des Aufsichtsrats dar (BGH, Urteil vom 6. April 1964 - II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 286). Dieser Vorgang einheitlicher Willensbildung kann durch das einzelne Aufsichtsratsmitglied nicht ersetzt werden, weil es seinen Willen abweichend vom Aufsichtsrat bilden könnte.
2. Der Nebenintervenient hat auch ein rechtliches Interesse am Beitritt.
Ein verfahrensrechtlich unter Verletzung zwingenden Gesetzes- oder Satzungsrechts zustande gekommener oder ein inhaltlich gegen derartiges Recht verstoßender Beschluss des Aufsichtsrats ist nichtig und diese Nichtigkeit kann mit der gegen die Gesellschaft gerichteten Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO geltend gemacht werden (BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750 Rn. 10; Urteil vom 21. April 1997 - II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 247). Der erkennende Senat bejaht ein rechtliches Interesse der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder an der Feststellung, dass die im Aufsichtsrat gefassten Beschlüsse unwirksam sind, so dass diese berechtigt sind, die Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen auf dem Klagewege feststellen zu lassen. Dieses Interesse beruht auf der Organstellung der Aufsichtsratsmitglieder und der sich daraus ergebenden gemeinsamen Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der von ihnen gefassten Beschlüsse (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750 Rn. 12; Urteil vom 21. April 1997 II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 248 ff.).
In gleicher Weise, wie das Aufsichtsratsmitglied ein rechtliches Interesse daran haben kann, feststellen zu lassen, dass ein Aufsichtsratsbeschluss nichtig ist, folgt aus seiner Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der vom Aufsichtsrat gefassten Beschlüsse auch ein Interesse an der Verteidigung eines von ihm für rechtmäßig gehaltenen Aufsichtsratsbeschlusses, hier in Form eines Abberufungsbeschlusses, wenn der Vorstand dessen Wirksamkeit in Frage stellt. Denn hierdurch wird unmittelbar in seinen Verantwortungsbereich eingegriffen. In einem Rechtsstreit über die vom Vorstand gegen die Gesellschaft erhobene Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses ist das Aufsichtsratsmitglied daher berechtigt, der Gesellschaft als Nebenintervenient beizutreten.
Nichts anderes gilt im vorliegenden Fall, in dem die Kläger geltend machen, ein Abberufungsbeschluss sei gar nicht gefasst worden. Das aus der gemeinsamen Verantwortung der Aufsichtsratsmitglieder für die Rechtmäßigkeit der von ihnen gefassten Beschlüsse hergeleitete Feststellungsinteresse erstreckt sich auf die Frage, ob und mit welchem Inhalt ein Aufsichtsratsbeschluss gefasst worden ist. Um diesem Interesse auch im Rechtsstreit des Vorstands mit der Aktiengesellschaft Geltung zu verschaffen, ist das Aufsichtsratsmitglied berechtigt, dem Rechtsstreit auf der Seite der Gesellschaft beizutreten.
II. Die Kosten des Zwischenstreits hat im Falle der Zulassung der Nebenintervention in entsprechender Anwendung des § 91 ZPO die widersprechende Partei zu tragen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 71 Rn. 7; MünchKomm ZPO/Schultes, 4. Aufl., § 71 Rn. 9; bei Zurückweisung vgl. BAG, Zwischenurteil vom 5. Juli 1967 - 4 AZR 338/66, BAGE 19, 366, 369).
Bergmann Caliebe Drescher
Born Sunder