Entscheidungsdatum: 14.10.2010
1. NV: Grundsätzlich obliegt dem FA die Entscheidung, auf welchem Wege die Bekanntgabe von Schriftstücken oder Verwaltungsakten erfolgt. Steuerbescheide müssen von Gesetzes wegen nicht zugestellt werden, auch wenn der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz nicht (mehr) im Inland hat.
2. NV: Hat das FG einen Sachantrag weder im Tatbestand des Urteils wiedergegeben noch in den Entscheidungsgründen behandelt, so muss, wenn das Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung ergangen ist, binnen zwei Wochen nach Zustellung des Urteils zunächst beim FG ein Antrag nach § 108 FGO auf Berichtigung des Tatbestands gestellt werden.
3. NV: Beantragt der Kläger erst kurz vor der mündlichen Verhandlung eine Verlegung des Termins, muss er von sich aus alle Umstände darlegen, die dem FG die Prüfung ermöglichen, ob eine Terminsverlegung gerechtfertigt ist.
4. NV: Ein Kläger kann beim BFH keine Beratungshilfe nach § 1 des Beratungshilfegesetzes beanspruchen.
I. Der nicht nach § 62 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vertretene Antragsteller wohnt in der Schweiz. Er erzielt als Systemmanager Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Mit seiner im April 2009 beim Niedersächsischen Finanzgericht (FG) erhobenen Klage begehrte er sinngemäß, den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) zu verpflichten, an ihn gerichtete Schreiben nur nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) bekannt zu geben. Der Termin zur mündlichen Verhandlung wurde auf Dienstag, den 20. April 2010 anberaumt. Mit Telefax vom 16. April 2010 lehnte er "das FG" als befangen ab und beantragte die Verlegung des Termins. Zur Begründung führte er aus, das FG habe wiederholt seine Anträge missachtet und über nicht gestellte Anträge entschieden. Das FG habe ihn in einer völlig inakzeptablen Art und Weise behandelt. Das FA sei örtlich unzuständig, weil sich sein letzter Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland nicht in Niedersachsen und damit nicht im Bereich des FA befunden habe. Das Befangenheitsgesuch wurde vom zuständigen Senat mit Beschluss vom 19. April 2010 12 K 168/09 unter Mitwirkung der abgelehnten Richter zurückgewiesen.
Der Termin zur mündlichen Verhandlung wurde aufgrund der telefonischen Mitteilung des Antragstellers, dass die Swiss Air für den 19. April 2010 sämtliche Flüge gestrichen habe, auf den 11. Mai 2010 verlegt. Der Antragsteller erklärte, dass dieser Termin nicht mit seinen beruflichen Verpflichtungen kollidiere. Mit Telefax vom 11. Mai 2010, das um 00:17 Uhr beim FG eingegangen ist, beantragte er erneut eine Terminsverlegung. Aufgrund einer Veranstaltung der Gemeinde, bei der alle Sportgruppenleiter obligatorisch präsent sein müssten, könne er den Termin vom 11. Mai 2010 nicht wahrnehmen. Zur mündlichen Verhandlung erschien er nicht. Das FG wies die Klage ab. Eine Entscheidung zur Akteneinsicht hielt das FG für entbehrlich, weil der Antragsteller mit Schriftsatz vom 16. April 2010 ausdrücklich erklärt habe, keinen Anspruch auf Akteneinsicht in diesem Verfahren geltend machen zu wollen. Im Urteil ist insoweit "nachrichtlich" darauf hingewiesen, dass § 19 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) im Falle der Ablehnung einer Auskunft keinen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch gegenüber der die Auskunft ablehnenden Behörde eröffnen dürfte. Das Urteil wurde am 20. Mai 2010 mit einfachem Brief an den Kläger versandt.
Am 30. Juli 2010 hat der Antragsteller "Widerspruch" gegen die am 8. Juli 2010 zugegangene Entscheidung des FG eingelegt und zugleich Prozesskostenhilfe (PKH), Beratungskostenhilfe und Akteneinsicht beantragt. Der Antragsteller hat geltend gemacht, dass das angefochtene Urteil inhaltlich falsch und verfahrensfehlerhaft ergangen sei. Insbesondere sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden, weil er keine Akteneinsicht erhalten habe und sich nicht direkt zur Sache habe äußern können.
Mit Schreiben der Geschäftsstelle des Senats vom 18. August und 17. September 2010 ist der Antragsteller aufgefordert worden, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Auf die verfahrensrechtlichen Folgen der Nichtbestellung eines Zustellungsbevollmächtigten nach § 53 Abs. 3 Satz 2 FGO ist der Antragsteller hingewiesen worden.
II. Der Antrag auf Gewährung von PKH hat keinen Erfolg.
1. Nach § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn für dessen Eintritt bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. März 2008 II S 24/07 (PKH), BFH/NV 2008, 1176).
Wird PKH für die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens beantragt und wird --wie hier-- nicht zugleich innerhalb der Rechtsmittelfrist durch eine vor dem BFH postulationsfähige Person oder Gesellschaft (vgl. § 62 Abs. 4 FGO) Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt, kann die beabsichtigte Rechtsverfolgung nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn damit zu rechnen ist, dass dem Antragsteller wegen unverschuldeter Versäumung der Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Das ist nur dann der Fall, wenn der Antragsteller innerhalb der Rechtsmittelfrist alle erforderlichen Voraussetzungen für eine positive Entscheidung über seinen Antrag schafft. Insbesondere muss er das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel --in zumindest laienhafter Weise-- darstellen (vgl. § 142 FGO i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO; ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 24. November 2009 II S 21/09 (PKH), BFH/NV 2010, 455).
2. Die vom Antragsteller beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Weder aus seinem Vorbringen noch aus der Vorentscheidung oder dem sonstigen Akteninhalt ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass einer der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe für die Zulassung der Revision vorliegen könnte. Nach dieser Vorschrift ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
a) Mit dem Vorbringen, das Urteil sei inhaltlich falsch, weil das FG einen Anspruch des Antragstellers auf Zustellung von Schriftstücken und Steuerbescheiden verneint habe, kann eine Zulassung der Revision nicht erreicht werden. Das FG hat zutreffend erkannt, dass grundsätzlich dem FA die Entscheidung obliegt, auf welchem Wege die Bekanntgabe von Schriftstücken oder Verwaltungsakten (vgl. § 122 der Abgabenordnung --AO--) erfolgt. Eine Ausnahme besteht nach § 122 Abs. 5 AO für solche Verwaltungsakte, deren Zustellung gesetzlich vorgeschrieben ist (wie z.B. für die Ladung zum Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 6 Satz 1 AO). Steuerbescheide müssen demgegenüber von Gesetzes wegen nicht zugestellt werden (vgl. Müller-Franken in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 122 AO Rz 485). Das gilt auch, wenn ein Steuerpflichtiger seinen Wohnsitz nicht (mehr) im Inland hat.
b) Ein Grund für die Zulassung der Revision ergibt sich nicht daraus, dass der Antragsteller meint, das FG habe entschieden, es bestehe kein Anspruch des Bürgers auf Auskunft nach § 19 BDSG. Das FG hat in dem angefochtenen Urteil die Klage des Antragstellers dahin ausgelegt, dass er nur die Verpflichtung des FA begehrt, an ihn gerichtete Schreiben nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 VwZG bekannt zu geben. Dies zeigt sich schon darin, dass im Tatbestand nur dieser Antrag aufgenommen wurde. Außerdem lassen die Entscheidungsgründe (Tz II.3.) deutlich erkennen, dass das FG keine Entscheidung zu einem Auskunftsanspruch nach § 19 BDSG getroffen hat. Dort ist dargelegt, dass sich Ausführungen zu einer Akteneinsicht erübrigen würden, weil der Antragsteller ausdrücklich erklärt habe, keinen Anspruch auf Akteneinsicht geltend machen zu wollen. Soweit er in diesem Zusammenhang auf § 19 BDSG verwiesen habe, weise der Senat "nachrichtlich" darauf hin, dass die in dieser Vorschrift geregelte Auskunft an den Betroffenen im Falle der Ablehnung einer solchen Auskunft keinen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch gegenüber der die Auskunft ablehnenden Behörde eröffnen dürfte.
Das Übergehen eines Sachantrags kann nicht mit einer Verfahrensrüge nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern nur mit einem Antrag auf Ergänzung des Urteils nach §§ 109, 113 Abs. 1 FGO korrigiert werden (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juni 1996 IV R 66/95, BFH/NV 1996, 840, m.w.N.). § 109 FGO gilt aber nur, wenn ein nach dem Tatbestand von einem Beteiligten gestellter Antrag bei der Entscheidung übergangen worden ist. Hat das FG den Sachantrag weder im Tatbestand des Urteils wiedergegeben noch in den Entscheidungsgründen behandelt, so muss, wenn das Urteil --wie im Streitfall-- aufgrund mündlicher Verhandlung ergangen ist, binnen zwei Wochen nach Zustellung des Urteils zunächst beim FG ein Antrag nach § 108 FGO auf Berichtigung des Tatbestands gestellt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 29. August 2003 III B 105/02, BFH/NV 2004, 178). Dies hat der Antragsteller unterlassen.
c) Das FG hat den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) nicht verletzt.
aa) Ein Verstoß gegen § 78 Abs. 1 FGO wegen Nichtgewährung von Akteneinsicht liegt nur vor, wenn die Akteneinsicht ausdrücklich verwehrt wurde (vgl. BFH-Beschluss vom 16. Juni 2010 X B 91/09, BFH/NV 2010, 1844). § 78 Abs. 1 FGO geht davon aus, dass die Beteiligten jederzeit bei der Geschäftsstelle des Gerichts die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen können. Eine ausdrückliche Verweigerung der Akteneinsicht lässt sich weder dem Vorbringen des Antragstellers noch den Akten entnehmen.
bb) Ein Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3 FGO wegen Nichtverlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung ist nicht gegeben.
Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 ZPO kann ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt werden. Liegen erhebliche Gründe vor, verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit zu einer Rechtspflicht. Der Termin muss dann zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs aufgehoben oder verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Aufhebung oder Verlegung des Termins verzögert wird (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 19. November 2009 IX B 160/09, BFH/NV 2010, 454, m.w.N.). Ob im Einzelfall eine Terminsverlegung gerechtfertigt ist, muss das FG anhand der ihm bekannten Umstände beurteilen. Dazu muss es in der Lage sein, sich über das Vorliegen eines Verlegungsgrundes ein eigenes Urteil zu bilden. Die Voraussetzungen hierfür zu schaffen, ist Aufgabe desjenigen, der die Verlegung beantragt (BFH-Beschluss vom 28. August 2002 V B 71/01, BFH/NV 2003, 178, m.w.N.); das gilt jedenfalls dann, wenn der Antrag --wie hier-- erst kurz vor der mündlichen Verhandlung gestellt wird.
Im Streitfall war die Ablehnung der erneuten Terminsverlegung nicht verfahrensfehlerhaft. Der auf den 11. Mai 2010 verlegte Termin zur mündlichen Verhandlung war mit dem Antragsteller abgesprochen. Der Antragsteller hatte anlässlich des wegen der ersten Terminsverlegung geführten Telefonats vom 19. April 2010 ausdrücklich erklärt, dass der neue Termin nicht mit seinen beruflichen Verpflichtungen kollidiere. In dem zweiten Terminsverlegungsantrag vom 11. Mai 2010 trug er lediglich vor, dass er an der mündlichen Verhandlung am 11. Mai 2010 wegen einer Veranstaltung der Gemeinde, bei der alle Sportgruppenleiter obligatorisch präsent sein müssten, nicht teilnehmen könne. Damit sind erhebliche Gründe für eine weitere Terminsverlegung weder dargelegt noch glaubhaft gemacht worden.
d) Nicht hinreichend substantiiert ist das Vorbringen des Antragstellers, das FG sei nahezu unerreichbar, bearbeite seine Anträge nicht, entscheide über nie gestellte Anträge und verweigere die Annahme von Anträgen. Dies gilt auch für den Vortrag, das FA sei örtlich unzuständig. Gründe für eine Zulassung der Revision sind insoweit nicht erkennbar.
3. Der Antrag auf Akteneinsicht beim BFH ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses ebenfalls abzulehnen. Da bei summarischer Überprüfung im Rahmen des anhängigen Verfahrens keine Gründe gegeben sind, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnten, scheidet auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Beschwerdefrist (§ 116 Abs. 2 Satz 1 FGO) aus. Denn eine Beschwerde könnte nicht mehr in zulässiger Weise durch eine vertretungsberechtigte Person oder Gesellschaft eingelegt werden. Unter diesen Voraussetzungen ist die beantragte Akteneinsicht unter keinem Gesichtspunkt geeignet, der Verwirklichung des Rechtsschutzes zu dienen (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Juni 2006 X B 55/06, BFH/NV 2006, 1694).
4. Der Antragsteller kann beim BFH keinen Anspruch auf Beratungshilfe nach § 1 des Gesetzes über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz --BerHG--) geltend machen. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift wird die Beratungshilfe für die Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens und im obligatorischen Güteverfahren nach § 15a des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung gewährt. Sie erfasst damit nicht eine Rechtsberatung nach Einreichung eines Antrags auf PKH (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl., 2. Teil, Rz 918). Für die Entscheidung über den Antrag auf Beratungshilfe ist zudem das Amtsgericht sachlich zuständig (§ 4 Abs. 1 BerHG).
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.