Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 09.07.2014


BFH 09.07.2014 - II R 50/12

Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs bei Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts durch einen Miterben


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsdatum:
09.07.2014
Aktenzeichen:
II R 50/12
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 19. September 2012, Az: 11 K 11198/09, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Ein Grundstückserwerb, der auf der Übertragung von Anteilen an einer Erbengemeinschaft beruht, kann auch dadurch rückgängig gemacht werden, dass ein Miterbe sein gesetzliches Vorkaufsrecht ausübt und der Erwerber in Erfüllung seiner Verpflichtung aus § 2035 Abs. 1 Satz 1 BGB die Erbteile unmittelbar auf den vorkaufsberechtigten Miterben überträgt.

Tatbestand

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I. Mit mehreren notariell beurkundeten Erbteilskaufverträgen erwarb der Kläger und Revisionskläger (Kläger) zwischen Juni und Dezember 2006 insgesamt 337/384 der Anteile an einer ungeteilten Erbengemeinschaft. Zum Nachlass gehörten mehrere Grundstücke. Auf dieser Grundlage stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) zuletzt mit Bescheid vom 18. Oktober 2007 die Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gesondert fest.

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Eine weitere Miterbin (M) übte im Sommer 2007 ihr gesetzliches Vorkaufsrecht gegenüber dem Kläger aus und machte ihren Anspruch auf Abtretung der Erbteile vor dem Landgericht geltend. Zur Beendigung des Rechtsstreits schlossen der Kläger und M im November 2008 einen gerichtlichen Vergleich, mit dem der Kläger die wirksame Ausübung des Vorkaufsrechts durch M sowie die hieraus folgenden Ansprüche anerkannte und seine Anteile an der Erbengemeinschaft gegen Erstattung des gezahlten Kaufpreises, der anteiligen Guthaben aus dem Hausverwalterkonto sowie weiterer, durch die Erbteilskaufverträge entstandener Kosten auf M übertrug.

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Den Antrag des Klägers, die Bescheide über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer nach § 16 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) aufzuheben, lehnte das FA am 12. März 2009 ab. Der Einspruch blieb erfolglos. Mit Schreiben vom 10. September 2009 erklärte der Kläger hilfsweise den Rücktritt von den Erbteilskaufverträgen.

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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 16 GrEStG seien nicht erfüllt. Dass der Kläger die Anteile an der Erbengemeinschaft aufgrund der Ausübung des Vorkaufsrechts auf M übertragen habe, reiche für die Anwendung dieser Vorschrift nicht aus. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 142 veröffentlicht.

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Mit der Revision vertritt der Kläger die Ansicht, die Feststellungsbescheide seien in entsprechender Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Nr. 3 GrEStG aufzuheben, da ihm wegen der Übertragung der Anteile auf M keine Rechtsposition aus den Erbteilskaufverträgen verblieben sei.

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Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und das FA unter Aufhebung der ablehnenden Verfügung vom 12. März 2009 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 14. Juli 2009 zu verpflichten, die Bescheide über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer aufzuheben.

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Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Verpflichtung des FA, die Bescheide über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Auffassung des FG hat der Kläger einen Anspruch auf Aufhebung der Feststellungsbescheide in entsprechender Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG.

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1. Der Erwerb der Anteile an der Erbengemeinschaft durch den Kläger führte jeweils zu einem kraft Gesetzes eintretenden Ei-gentumsübergang an den zu dem Nachlass gehörenden Grundstücken i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Juli 1975 II R 141/74, BFHE 117, 270, BStBl II 1976, 159, und vom 27. März 1991 II R 82/87, BFHE 164, 473, BStBl II 1991, 731, sowie BFH-Beschluss vom 4. Februar 2004 II B 147/02, BFH/NV 2004, 813).

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Die Übertragung eines Erbteils bewirkt eine Veränderung der eigentumsmäßigen Zuordnung der zum Nachlass gehörenden Grundstücke, ist aber keine Verfügung über die Grundstücke selbst (BFH-Urteil in BFHE 117, 270, BStBl II 1976, 159). Der Anteilserwerb vollzieht sich mit Abtretung der Erbteile ohne Auflassung und Eintragung im Grundbuch (vgl. Palandt/Weidlich, Bürgerliches Gesetzbuch, 73. Aufl., § 2033 Rz 13; MünchKommBGB/Gergen, 6. Aufl., § 2033 Rz 12, m.w.N.; Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 5. Aufl., § 1 Rz 180; Fischer in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 17. Aufl., § 1 Rz 566). Die Eintragung der Eigentumsänderung in das Grundbuch ist als bloße Grundbuchberichtigung (§ 894 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--, § 22 der Grundbuchordnung) für den Eigentumsübergang ohne Belang.

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2. Die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Erbteilserwerbe des Klägers ist jedoch in entsprechender Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG aufzuheben. Diese Erwerbsvorgänge sind aufgrund der Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts durch M und der Übertragung der Erbteile auf M durch den gerichtlichen Vergleich vom November 2008 als rückgängig gemacht anzusehen.

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a) Erwirbt der Veräußerer das Eigentum an dem veräußerten Grundstück zurück, wird nach § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG auf Antrag sowohl für den Rückerwerb als auch für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn die Vertragsbedingungen des Rechtsgeschäfts, das den Anspruch auf Übereignung begründet hat, nicht erfüllt werden und das Rechtsgeschäft deshalb aufgrund eines Rechtsanspruchs rückgängig gemacht wird. Diese Vorschrift gilt auch für Feststellungsbescheide nach § 17 GrEStG und ist ferner über ihren Wortlaut hinaus auf Erwerbsvorgänge i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG anwendbar, die auf der Übertragung von Anteilen an einer Erbengemeinschaft beruhen, wenn ein Miterbe sein gesetzliches Vorkaufsrecht ausübt und der Erwerber in Erfüllung seiner Verpflichtung aus § 2035 Abs. 1 Satz 1 BGB die Erbteile auf den vorkaufsberechtigten Miterben überträgt.

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b) Wie der BFH bereits entschieden hat, lässt sich aus der Vorschrift des § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG der allgemeine Rechtsgedanke ableiten, dass in den Fällen, in denen sich der Erwerber oder der Veräußerer der Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs bzw. einer Rückübertragung des Grundstücks aus Rechtsgründen nicht entziehen kann, also ein durchsetzbarer Anspruch besteht, die Steuer nicht festgesetzt bzw. die Steuerfestsetzung aufgehoben werden soll (BFH-Urteil vom 6. Februar 1980 II R 7/76, BFHE 130, 186, BStBl II 1980, 363). Dieser Grundsatz gilt in entsprechender Weise auch für einen Erbteilserwerb, der zur Erfüllung des Steuertatbestands des § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG geführt hat, da sich der Erwerber nach Ausübung des Vorkaufsrechts der Herausgabe der Anteile an den vorkaufsberechtigten Miterben rechtlich nicht entziehen kann.

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Übt ein vorkaufsberechtigter Miterbe nach Übergang der Erbtei-le auf den Erbteilskäufer sein gesetzliches Vorkaufsrecht aus (vgl. § 2035 Abs. 1 Satz 1 BGB), entsteht zwischen dem Erbteilserwerber und dem das Vorkaufsrecht ausübenden Miterben ein gesetzliches Schuldverhältnis (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 21. Oktober 1954 IV ZR 128/54, BGHZ 15, 102, sowie Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg --HansOLG Hamburg-- vom 13. Juni 1961  2 U 57/61, Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 1961, 851; Palandt/ Weidlich, a.a.O., § 2034 Rz 9). Gegenüber dem Anteilsverkäufer erlischt das Vorkaufsrecht mit der Übertragung des Miterbenanteils (§ 2035 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der vorkaufsberechtigte Miterbe erwirbt mit Ausübung des Vorkaufsrechts unmittelbar gegen den Erbteilskäufer einen schuldrechtlichen Anspruch auf Abtretung der Erbteile Zug um Zug gegen Erstattung des gezahlten Kaufpreises und der durch den Erbteilskaufvertrag entstandenen Kosten (HansOLG Hamburg in MDR 1961, 851; Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2034 Rz 9). Der vorkaufsverpflichtete Anteilskäufer muss sich letztlich so behandeln lassen, als ob ein Erbteilskaufvertrag zwischen dem Anteilsverkäufer und dem vorkaufsberechtigten Miterben zustande gekommen wäre, der auch ihm gegenüber wirkt (BGH-Urteil in BGHZ 15, 102).

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Überträgt der Erwerber in einem solchen Fall die Miterbenanteile in Erfüllung seiner Verpflichtung aus § 2035 Abs. 1 Satz 1 BGB und nicht aufgrund einer ihm aus dem Erbteilskaufvertrag verbleibenden Rechtsposition unmittelbar auf den das Vorkaufsrecht ausübenden Miterben, ist es gerechtfertigt, diesen Erwerbsvorgang einer Aufhebung des Erbteilskaufvertrags gleichzustellen und entsprechend § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG wie einen Rückerwerb wegen Rückgängigmachung aufgrund Rechtsanspruchs zu behandeln (vgl. zum möglichen Rückerwerb infolge der Ausübung eines Vorkaufsrechts auch Loose in Boruttau, a.a.O., § 16 Rz 45). Dass die Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts durch einen Miterben nicht zur Rückabwicklung des Erbteilskaufvertrags mit dem ursprünglichen Anteilsverkäufer führt, steht dem nicht entgegen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Erbteilserwerb bereits durch das Vorkaufsrecht belastet ist und sich mit Ausübung des Vorkaufsrechts die von vornherein bestehende Möglichkeit realisiert, dass der Erwerber die Erbteile wieder herausgeben muss. Es kommt daher weder darauf an, ob ein Erbteilskaufvertrag unter der auflösenden Bedingung der Nichtausübung des Vorkaufsrechts steht, noch darauf, ob dem Erwerber wegen der Ausübung des Vorkaufsrechts gegenüber dem Anteilsverkäufer ein gesetzliches oder vertragliches Rücktrittsrecht zusteht.

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c) Nach diesen Grundsätzen liegen im Streitfall die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG vor, da M ihr gesetzliches Vorkaufsrecht gegenüber dem Kläger ausgeübt und ihr der Kläger in Erfüllung seiner Herausgabeverpflichtung die erworbenen Erbteile Zug um Zug gegen Erstattung des gezahlten Kaufpreises und der mit den Erbteilskaufverträgen verbundenen Kosten abgetreten hat.

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Dass der Kläger die erworbenen Erbteile infolge des gerichtlichen Vergleichs vom November 2008 auf M übertragen hat, ist für die Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG insoweit ohne Bedeutung. Denn hierdurch ist ein Vertragsverhältnis zwischen dem Kläger und M nicht begründet worden. Durch den Abschluss des gerichtlichen Vergleichs sollte eine Einigung über rechtliche Zweifelsfragen hinsichtlich der wirksamen Ausübung des Vorkaufsrechts durch M und der sich hieraus ergebenden Rechtsfolgen erzielt werden; es sollten aber keine über § 2035 Abs. 1 Satz 1 BGB hinausgehenden vertraglichen Ansprüche zwischen M und dem Kläger begründet werden (vgl. zu den Rechtsfolgen eines Prozessvergleichs auch BGH-Urteil vom 24. Juni 2003 IX ZR 228/02, BGHZ 155, 199).

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3. Die auf anderen rechtlichen Erwägungen beruhende Vorentscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da die Erbteilserwerbe des Klägers durch die Ausübung des Vorkaufsrechts durch M und die Übertragung der Erbteile auf M durch den gerichtlichen Vergleich vom November 2008 als rückgängig gemacht anzusehen sind, ist die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer aufzuheben.