Entscheidungsdatum: 04.02.2010
1. NV: Der BFH ist an die Wertungen in Abschn. 37 Abs. 1 BewRGr grundsätzlich nicht gebunden, weil er nur dem Gesetz unterworfen ist (Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 GG). Eine von den Gerichten zu beachtende Selbstbindung der Verwaltung besteht allerdings als Ausfluss von Art. 3 Abs. 1 GG ausnahmsweise in dem Bereich der der Verwaltung vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsfreiheit, also im Bereich des Ermessens, der Billigkeit und der Typisierung oder Pauschalierung .
2. NV: Der zwischen dem geneigten Dach eines Gebäudes und den als Deckenabschluss vorhandenen abgehängten Decken in Räumen des Obergeschosses existierende Raum stellt sich als "nicht ausgebauter Dachraum" i. S. des Abschn. 37 Abs. 1 Satz 3 BewRGr dar .
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb im Jahr 2003 ein Grundstück, das mit einem in diesem Jahr fertig gestellten Einkaufszentrum bebaut ist. Die im Obergeschoss vorhandenen Büroräume sind nach oben hin durch eine abgehängte, waagerechte, nicht begehbare Decke abgeschlossen.
Das inzwischen in dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) aufgegangene FA X setzte den zwischen der abgehängten Decke und dem Pultdach befindlichen Raum bei der Einheitsbewertung auf den 1. Januar 2004 voll an.
Die Klägerin vertrat demgegenüber mit dem Einspruch die Auffassung, dieser Raum sei nach Abschn. 37 Abs. 1 Satz 3 der Richtlinien für die Bewertung des Grundvermögens (BewRGr) nur mit einem Drittel zu berücksichtigen. Der Einspruch blieb in diesem Punkt erfolglos.
Der dagegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 383 veröffentlichten Urteil abgesehen von der Frage, wie die Rundung nach § 30 des Bewertungsgesetzes (BewG) vorzunehmen ist, mit der Begründung statt, der oberhalb der Büroräume im Obergeschoss gelegene Teil des umbauten Raums sei nach Abschn. 37 Abs. 1 Sätze 3 ff. BewRGr und der durch Abschn. 37 Abs. 1 Satz 1 BewRGr in Bezug genommenen DIN 277 (1950) nur zu einem Drittel anzusetzen.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 85 BewG i.V.m. Abschn. 37 Abs. 1 Sätze 3 und 4 BewRGr. Entgegen der Ansicht des FG liege bei dem zu bewertenden Gebäude kein Dachraum vor, denn es gebe keine durchgehende Geschossdecke über dem Obergeschoss, sondern nur das Dach selbst und eine abgehängte Decke in einzelnen Räumen. So sei etwa im Flur und im Galeriebereich im Obergeschoss der Raum zur Untersicht des Daches offen.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist für den streitigen Rauminhalt zu Recht von einem nicht ausgebauten Dachraum i.S. von Abschn. 37 Abs. 1 Satz 3 BewRGr i.V.m. der Anlage 12 ausgegangen.
Bei der Ermittlung des Grundstückswerts im Sachwertverfahren ist vom Bodenwert (§ 84 BewG), vom Gebäudewert (§§ 85 bis 88 BewG) und vom Wert der Außenanlagen (§ 89 BewG) auszugehen (§ 83 Satz 1 BewG). Dieser Ausgangswert ist durch Anwendung einer Wertzahl an den gemeinen Wert anzugleichen (§ 83 Satz 2, § 90 Abs. 1 BewG). Für die Ermittlung des Gebäudewerts ist dabei zunächst ein Wert auf der Grundlage von durchschnittlichen Herstellungskosten nach den Baupreisverhältnissen des Jahres 1958 zu errechnen (§ 85 Satz 1 BewG). Dieser Wert ist dann nach den Baupreisverhältnissen im Hauptfeststellungszeitpunkt (1. Januar 1964) umzurechnen (§ 85 Satz 2 BewG). Der so errechnete Gebäudenormalherstellungswert ist Grundlage zur Findung des Gebäudesachwerts unter Berücksichtigung der §§ 86, 87 BewG, der nach Maßgabe des § 88 BewG in besonderen Fällen ermäßigt oder erhöht werden kann (§ 85 Sätze 3 und 4 BewG; vgl. dazu insgesamt Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. Juni 2002 II R 15/99, BFH/NV 2002, 1282). Die Verfassungsmäßigkeit der genannten Vorschriften hat der BFH trotz des lange zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunktes und der Wertverzerrungen, die sich daraus ergeben können, in ständiger Rechtsprechung bejaht (vgl. BFH-Urteile vom 2. Februar 2005 II R 36/03, BFHE 209, 138, BStBl II 2005, 428; vom 21. Februar 2006 II R 31/04, BFH/NV 2006, 1450; BFH-Beschlüsse vom 8. Februar 2000 II B 65/99, BFH/NV 2000, 1076; vom 22. Juli 2005 II B 121/04, BFH/NV 2005, 1979; vom 4. August 2005 II B 40/05, BFH/NV 2005, 1983; vom 12. Oktober 2005 II B 106/04, BFH/NV 2006, 253; vom 4. Juli 2007 II B 95/06, BFH/NV 2007, 1829; vom 15. Oktober 2008 II B 74/08, BFH/NV 2009, 125).
a) Angesichts der Tatsache, dass das BewG keine weiteren Vorgaben zur Ermittlung des Gebäudewerts enthält, hat die Bundesregierung bereits am 19. September 1966 mit Zustimmung des Bundesrates auf der Grundlage des Art. 108 Abs. 6 des Grundgesetzes (GG) in der damaligen Fassung die BewRGr erlassen, welche das Bewertungsrecht betreffende Zweifels- und Auslegungsfragen von allgemeiner Bedeutung behandeln und primär der einheitlichen Anwendung des Bewertungsrechts durch die Finanzbehörden dienen. Nach Abschn. 37 Abs. 1 Satz 1 BewRGr ist der umbaute Raum nach DIN 277 in der Fassung aus November 1950 zu berechnen, wozu ausweislich des Satzes 5 der Vorschrift im Einzelnen auf die in Anlage 12 zu den BewRGr enthaltenen, aus der DIN 277 entnommenen Zeichnungen verwiesen wird. Nach Abschn. 37 Abs. 1 Satz 2 BewRGr werden unter anderem "ausgebaute Dachgeschosse" mit dem vollen Rauminhalt angesetzt, während nach Satz 3 der Vorschrift "nicht ausgebaute Dachräume" mit einem Drittel ihres Rauminhalts berücksichtigt werden. Letzteres gilt nach Abschn. 37 Abs. 1 Satz 4 BewRGr auch dann, wenn die Decke über dem obersten Vollgeschoss nicht begehbar ist, wie dies nach den dortigen Ausführungen "z.B." bei "unterhalb des Daches aufgehängte(n) Staubdecken" der Fall sein soll.
b) Der Senat ist zwar an die Wertungen in Abschn. 37 Abs. 1 BewRGr nicht gebunden, weil er nur dem Gesetz unterworfen ist (Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 GG) und Verwaltungsvorschriften (Richtlinien, Erlasse, Verfügungen) nur die nachgeordneten Verwaltungsdienststellen binden (vgl. BFH-Urteile vom 7. November 1975 III R 120/74, BFHE 118, 59, BStBl II 1976, 277; vom 13. Dezember 2007 IV R 92/05, BFHE 220, 482, BStBl II 2008, 583). Eine von den Gerichten zu beachtende Selbstbindung der Verwaltung besteht allerdings als Ausfluss von Art. 3 Abs. 1 GG ausnahmsweise in dem Bereich der der Verwaltung vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsfreiheit, also im Bereich des Ermessens, der Billigkeit und der Typisierung oder Pauschalierung (BFH-Urteile vom 26. April 1995 XI R 81/93, BFHE 178, 4, BStBl II 1995, 754; vom 7. Dezember 2005 I R 123/04, BFH/NV 2006, 1097). Damit wird der Bedeutung Rechnung getragen, die den BewRGr für die Gewährleistung einer möglichst gleichmäßigen Besteuerung, für die Rechtssicherheit sowie für die Praktikabilität des Bewertungsverfahrens zukommt (BFH-Urteil vom 26. Juni 1981 III R 3/79, BFHE 133, 437, BStBl II 1981, 643).
c) Im Streitfall steht der einschränkenden Auslegung des Abschn. 37 Abs. 1 BewRGr durch das FA der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung entgegen. Die Verwaltung hat in Abschn. 37 Abs. 1 BewRGr eine die Berechnung des umbauten Raumes betreffende Typisierung vorgenommen, welche nach dem Grad der Raumnutzbarkeit differenziert und weder sachfremd ist noch den ohnehin nur kursorischen Vorgaben in §§ 85 ff. BewG widerspricht. Der zwischen dem geneigten Dach des streitbefangenen Gebäudes und den als Deckenabschluss vorhandenen abgehängten Decken in den Büroräumen des Obergeschosses existierende Raum stellt sich danach als "nicht ausgebauter Dachraum" i.S. des Abschn. 37 Abs. 1 Satz 3 BewRGr dar.
aa) Nach Abschn. 37 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BewRGr können Dachräume nämlich nur entweder "ausgebaut" i.S. des Satzes 2 oder "nicht ausgebaut" i.S. des Satzes 3 der Vorschrift sein. Dabei setzt ein "ausgebauter Dachraum" --wie sich aus der Aufzählung in Satz 2 ergibt-- Ausbaumaßnahmen in einem Umfang voraus, welche die Nutzung des Dachgeschossraumes nach Art eines Vollgeschosses oder Kellers ermöglichen. Nur diejenigen Dachgeschossräume sind also vollständig in die Ermittlung des umbauten Raumes einzubeziehen, die gerade durch ihren Ausbau mit Blick auf die Nutzbarkeit den ansonsten voll anzusetzenden Vollgeschoss- und Kellerräumen gleichstehen, während nicht ausgebaute Dachgeschosse wegen ihrer den vorgenannten Räumlichkeiten nicht vergleichbaren Nutzbarkeit nur vermindert einzubeziehen sind.
bb) Die Auffassung des FA, die abgehängte Decke diene lediglich der Aufnahme verkleideter Versorgungsleitungen und ihre Nichtbegehbarkeit führe nicht zu einem darüber liegenden Dachraum, widerspricht den von der Finanzverwaltung selbst geschaffenen Vorgaben des Abschn. 37 Abs. 1 Satz 4 BewRGr. Danach gelten die Ausführungen in Satz 3 auch, wenn die Decke über dem obersten Vollgeschoss nicht begehbar ist, womit jede nicht begehbare Decke über dem obersten Vollgeschoss erfasst wird. Auf die Frage, ob eine abgehängte Decke einer in Satz 4 beispielhaft aufgezählten, unterhalb des Daches aufgehängten Staubdecke entspricht, kommt es danach nicht an.
cc) Dies entspricht auch den in Abschn. 37 Abs. 1 Satz 5 BewRGr in Bezug genommenen Zeichnungen nach der Anlage 12. Diese entstammen zwar DIN 277 aus November 1950; da sie aber selbst als Anlage in die BewRGr aufgenommen wurden, richtet sich die Ermittlung des umbauten Raumes alleine nach ihrem Inhalt (vgl. Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, § 85 BewG Rz 13), ohne dass spätere Fassungen der vorgenannten DIN-Vorschrift Gegenstand der BewRGr geworden sein könnten. Nach Abschn. 1.2 der Anlage 12 ist dabei der umbaute Raum des nicht ausgebauten Dachraumes, der von den Flächen nach Abschn. 1.131 oder 1.132 und den Außenflächen des Daches umschlossen wird, mit einem Drittel anzurechnen. Bezogen auf den Streitfall ist dies der Raum zwischen der Außenfläche des Daches und dem Boden über dem obersten Vollgeschoss, welcher durch die abgehängte Decke gebildet wird.