Entscheidungsdatum: 18.06.2012
1. NV: Es ist ernstlich zweifelhaft, ob § 3 Nr. 4 GrEStG insoweit verfassungsgemäß i.S. von Art. 3 Abs. 1 GG ist, als zwar der Grundstückserwerb durch den Ehegatten, nicht aber durch den eingetragenen Lebenspartner des Veräußerers von der Grunderwerbsteuer befreit ist.
2. NV: Ist für einen Grundstückserwerb durch den Lebenspartner des Veräußerers Grunderwerbsteuer festgesetzt und entrichtet worden, ist vorläufiger Rechtsschutz im Wege der Aufhebung der Vollziehung zu gewähren.
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) erwarb mit notarieller Urkunde vom 6. Oktober 2010 ein Grundstück von seinem eingetragenen Lebenspartner.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ging davon aus, der Grundstückserwerb sei nicht nach § 3 Nr. 4 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) in der für Erwerbe bis zum 13. Dezember 2010 geltenden Fassung vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1790, BStBl I 2001, 3) steuerbefreit und setzte mit Bescheid vom 8. November 2010 die Grunderwerbsteuer auf 5.566 € fest. Mit dem Einspruch machte der Antragsteller geltend, es verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), den Erwerb des Grundstücks nicht wie bei Ehegatten nach § 3 Nr. 4 GrEStG von der Steuer zu befreien. Die von ihm beantragte Aussetzung der Vollziehung lehnte das FA mit Bescheid vom 30. November 2010 ab. Der Antragsteller entrichtete die Grunderwerbsteuer. Das Einspruchsverfahren ist noch beim FA anhängig.
Am 22. Juli 2011 beantragte der Antragsteller beim FA und am 28. September 2011 beim Finanzgericht (FG) jeweils erfolglos die Aufhebung der Vollziehung. Das FG führte zur Begründung aus, der Antragsteller habe kein besonderes Aussetzungsinteresse. Die Bedeutung und Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Antragsteller einerseits und die Auswirkungen der Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung andererseits rechtfertigten nicht die Aufhebung der Vollziehung. Es sei dem Antragsteller zumutbar, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Verfahren 1 BvL 16/11 abzuwarten.
Mit der Beschwerde rügt der Antragsteller die Verletzung des § 69 Abs. 2 Sätze 2 und 7 sowie Abs. 3 Sätze 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes könne bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer der Besteuerung zugrunde gelegten Norm nicht zusätzlich und ohne gesetzliche Grundlage verlangt werden, dass ein besonderes berechtigtes Interesse des Rechtsschutzsuchenden bestehe.
Der Antragsteller beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Vollziehung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 8. November 2010 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Einspruch ohne Sicherheitsleistung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung und die Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids sind aufzuheben. Entgegen der Auffassung des FG kommt dem Interesse des Antragstellers an der Aufhebung der Vollziehung der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Gesetzesvollzug zu.
1. An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids bestehen --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO.
a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO hat das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. März 2012 I B 111/11, BFH/NV 2012, 1073, Der Betrieb 2012, 1071, m.w.N.). Im Falle eines bereits vollzogenen Verwaltungsaktes ist die Vollziehung wieder aufzuheben (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO).
b) Im Streitfall bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Nr. 4 GrEStG. Beim BVerfG sind mehrere Normenkontrollverfahren zu der Frage anhängig, ob § 3 Nr. 4 GrEStG (in der Fassung bis zur Änderung durch das Jahressteuergesetz --JStG-- 2010 vom 8. Dezember 2010, BGBl I 2010, 1768, BStBl I 2010, 1394) insoweit gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt, als zwar der Grundstückserwerb durch den Ehegatten, nicht aber durch den eingetragenen Lebenspartner des Veräußerers von der Grunderwerbsteuer befreit ist (vgl. Vorlagebeschlüsse des FG Münster vom 24. März 2011 8 K 2430/09 GrE, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2011, 1449, Az. beim BVerfG 1 BvL 16/11; des Schleswig-Holsteinischen FG vom 28. Juni 2011 3 K 217/08, EFG 2011, 1915, Az. beim BVerfG 1 BvL 19/11; des Niedersächsischen FG vom 26. August 2011 7 K 65/10, EFG 2012, 645, Az. beim BVerfG 1 BvL 3/12). Auch in der Literatur werden ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Nr. 4 GrEStG geäußert (Wenzel, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2009, 2403; Messner, DStR 2010, 1875; Marfels, Steuerberater Woche, 2011, 706; Meßbacher-Hönsch in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 17. Aufl., § 3 Rz 375).
2. Die Aufhebung der Vollziehung ist im Hinblick auf das besondere und vorrangige Interesse des Antragstellers zu gewähren.
a) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung setzt eine Aufhebung der Vollziehung, die mit ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Steuerbescheid zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift begründet wird, voraus, dass nach den Umständen des Einzelfalles ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558, und vom 9. März 2012 VII B 171/11, BFH/NV 2012, 874, jeweils m.w.N.).
b) Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen vorliegt, ist eine Interessenabwägung zwischen den individuellen Interessen des Steuerpflichtigen und den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen erforderlich. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 874, m.w.N.). Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist dann der Vorrang einzuräumen, wenn die Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheids im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sind und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat (BFH-Beschluss in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558).
c) Die im Streitfall gebotene Abwägung des für eine Aufhebung der Vollziehung sprechenden individuellen Interesses des Antragstellers und des einer solchen Maßnahme entgegenstehenden öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung sowie die gebotene Beachtung der Verwerfungskompetenz des BVerfG führen zu dem Ergebnis, dass vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren ist.
Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes führt nicht zu einem Außerkraftsetzen des GrEStG. Die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit betrifft nur die Grunderwerbsteuerbefreiung von Erwerbsvorgängen nach § 3 Nr. 4 GrEStG. Selbst bei Berücksichtigung der weiteren Steuerbefreiungsvorschriften in § 3 Nr. 3 Satz 2, Nr. 5, Nr. 6 Satz 3 und Nr. 7 Satz 2 GrEStG, bei denen möglicherweise ebenfalls eine Verfassungswidrigkeit nach Art. 3 Abs. 1 GG wegen der Ungleichbehandlung von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern in Erwägung zu ziehen ist, ist die Anzahl der insgesamt betroffenen Fälle eher gering. So hat das BVerfG im Beschluss vom 21. Juli 2010 1 BvR 2464/07 (BVerfGE 126, 400, BFH/NV 2010, 1985), in dem die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung (ErbStG) als mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt wurde, die als verfassungswidrig beurteilten Regelungen in allen offenen Fällen für nicht mehr anwendbar erklärt und keine Veranlassung gesehen, dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist zur Nachbesserung des ErbStG nach Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft einzuräumen. Zur Begründung ist ausgeführt, eine Gefährdung der geordneten Finanz- und Haushaltsplanung durch die rückwirkende Besserstellung eingetragener Lebenspartner im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrecht zum August 2001 komme angesichts der zu erwartenden geringen Zahl der hiervon betroffenen Fälle offensichtlich nicht in Betracht.
Entsprechendes gilt für die haushaltsrechtlichen Auswirkungen, die sich aus der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen der Ungleichbehandlung von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern bei der Anwendung von § 3 Nr. 4 GrEStG (und möglicherweise § 3 Nr. 3 Satz 2, Nr. 5, Nr. 6 Satz 3 und Nr. 7 Satz 2 GrEStG) ergeben. Ein überwiegendes öffentliches Interesse, insbesondere an einer geordneten Haushaltsführung ist insoweit nicht erkennbar. Durch die volle Gleichstellung der Lebenspartner mit den Ehegatten bei der Grunderwerbsteuer sind vielmehr nur geringfügige, nicht bezifferbare Steuermindereinnahmen zu erwarten (vgl. Entwurf des JStG 2010 vom 21. Juni 2010, BTDrucks 17/2249, S. 39). Demzufolge liegt ein berechtigtes Interesse des Antragstellers vor, dass das FA die nicht unerhebliche, bereits entrichtete Grunderwerbsteuer in Höhe von 5.566 € im Wege einer Aufhebung der Vollziehung vorläufig erstattet.