Entscheidungsdatum: 28.11.2013
Kostenlose Schätzung
Die Werbung eines Edelmetallankäufers mit dem Hinweis "kostenlose Schätzung" verstößt nicht als "Werbung mit einer Selbstverständlichkeit" gegen das Irreführungsverbot des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG.
Die Revision gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 31. Januar 2013 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch.
Die Parteien betätigen sich auf dem Gebiet des Ankaufs von Altedelmetallen. Die Klägerin hat ihren Geschäftssitz in Pforzheim, die Beklagte betreibt in Schneverdingen/Niedersachsen ein Ladengeschäft. Die Beklagte warb im September 2011 in einer im "Heidekurier" erschienenen Anzeige für den Ankauf von Edelmetallen und offerierte dabei eine "Kostenlose Schätzung" der ihr zum Kauf angebotenen Waren. Der konkrete Inhalt der Anzeige ergibt sich aus der nachfolgend wiedergegebenen Ablichtung.
Die Klägerin hält die Werbung mit dem Hinweis "Kostenlose Schätzung" für irreführend. Sie hat die Beklagte deshalb mit Schreiben ihrer Rechtsanwälte vom 14. Oktober 2011 abgemahnt und die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verlangt. Die Beklagte ist dem geltend gemachten Unterlassungsbegehren mit anwaltlichem Schreiben vom 28. Oktober 2011 entgegengetreten, hat sich aber dennoch verpflichtet,
ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage und Anerkennung einer Rechtspflicht, aber gleichwohl rechtsverbindlich gegenüber der Klägerin, es bei Meidung einer von der Klägerin im Einzelfall festzusetzenden und auf Angemessenheit durch das zuständige Gericht überprüfbaren Vertragsstrafe zu unterlassen, ab dem 4. November 2011 im geschäftlichen Verkehr beim Goldankauf mit der Formulierung "kostenlose Schätzung" zu werben.
Die mit der Abmahnung geltend gemachten vorprozessualen Anwaltskosten der Klägerin hat die Beklagte nicht bezahlt. Die Klägerin nimmt die Beklagte deshalb auf Zahlung von 651,80 € nebst Zinsen in Anspruch.
Das Berufungsgericht hat die in erster Instanz erfolgreiche Klage abgewiesen (OLG Celle, WRP 2013, 812). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
I. Das Berufungsgericht hat die Klagebefugnis der Klägerin bejaht. Einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG hat es dagegen verneint. Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt:
Aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen ergebe sich, dass zumindest hinsichtlich ihres in S. ansässigen Agenturpartners "Schuh- und Schlüsseldienst", der im Namen und auf Rechnung der Klägerin Edelmetalle ankaufe, ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien bestehe.
Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch sei indes nicht begründet, weil die von der Klägerin beanstandete Werbung der Beklagten nicht im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG irreführend sei. Die Beklagte habe nicht in wettbewerbswidriger Weise mit Selbstverständlichkeiten geworben, da es sich bei ihrem Angebot, die von potentiellen Kunden zum Kauf angebotenen Edelmetalle kostenlos zu schätzen, um eine freiwillige Sonderleistung der Beklagten handele.
II. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision sind nicht begründet.
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten ein konkretes Wettbewerbsverhältnis im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG besteht, weil ein Agenturpartner der Klägerin, der seinen Sitz im etwa 13 Kilometer vom Ladengeschäft der Beklagten entfernt gelegenen S. hat, für die Klägerin Edelmetalle an-kauft. Die Revisionserwiderung erhebt insoweit auch keine Beanstandungen.
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Abmahnkosten aus § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG abgelehnt. Die Abmahnung der Klägerin war nicht berechtigt im Sinne dieser Vorschrift.
a) Das Berufungsgericht hat einen Verstoß der Beklagten gegen § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UWG verneint. Es hat angenommen, die streitgegenständliche Anzeige der Beklagten enthalte keine irreführende Werbung mit Selbstverständlichkeiten. Die freiwillige Sonderleistung der Beklagten, das kostenlose Schätzen der ihr zum Kauf angebotenen Edelmetalle, beziehe sich weder auf eine Eigenschaft der angebotenen Leistung, die dieser wesensmäßig und deshalb selbstverständlich sei, noch auf einen gesetzlich vorgeschriebenen und daher für alle gleichartigen Leistungsangebote geltenden Umstand. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision ohne Erfolg.
b) Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine Werbung mit objektiv richtigen Angaben gemäß § 5 Abs. 1 UWG unzulässig sein, wenn sie bei einem erheblichen Teil der maßgeblichen Verkehrskreise einen unrichtigen Eindruck erweckt. Ein solcher unrichtiger Eindruck kann etwa entstehen, wenn Werbebehauptungen etwas Selbstverständliches in einer Weise hervorheben, dass der Adressat der Werbung hierin einen besonderen Vorzug der beworbenen Ware oder Leistung vermutet (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 1987 - I ZR 120/85, GRUR 1987, 916, 917 = WRP 1988, 28 - Gratis-Sehtest; Beschluss vom 23. Oktober 2008 - I ZR 121/07, WRP 2009, 435 Rn. 2 - Edelmetallankauf; Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl., § 5 Rn. 2.115; Harte/Henning/Dreyer, UWG, 3. Aufl., § 5 B Rn. 72). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn gesetzlich vorgeschriebene Eigenschaften oder zum Wesen der angebotenen Ware oder Leistung gehörende Umstände besonders hervorgehoben werden, so dass die Werbeadressaten davon ausgehen, es werde mit einem Vorzug gegenüber anderen Waren gleicher Gattung oder Konkurrenzangeboten geworben, obwohl es sich tatsächlich um Merkmale handelt, die das Leistungsangebot des Werbenden gegenüber anderen Angeboten nicht auszeichnen (vgl. Bornkamm in Köhler/Bornkamm aaO § 5 Rn. 2.115). In der zu § 3 UWG aF ergangenen Entscheidung "Gratis-Sehtest" hat der Senat die Werbung zugelassen, weil sie weder gesetzlich vorgeschrieben war noch eine zum Wesen der Ware gehörende Eigenschaft betraf, sondern eine freiwillige, wenn auch übliche Sonderleistung darstellte, die im gesundheitlichen Interesse der Verbraucher lag, ohne diese unmittelbar wirtschaftlichen Risiken auszusetzen (BGH, GRUR 1987, 916, 917). Wesensmäßige Eigenschaften der beworbenen Ware oder Leistung und gesetzlich vorgeschriebene Angaben sind jedoch nur Beispiele einer unlauteren Werbung mit Selbstverständlichkeiten (vgl. Bornkamm in Köhler/Bornkamm aaO § 5 Rn. 2.115 und die bei MünchKomm.UWG/Reese, § 5 Rn. 178 aufgeführten Fälle). Entscheidend ist, dass der angesprochene Verkehr in der herausgestellten Eigenschaft der beworbenen Ware oder Leistung irrtümlich einen Vorteil sieht, den er nicht ohne weiteres, insbesondere auch nicht bei Bezug der gleichen Ware oder Leistung bei einem Mitbewerber, erwarten kann (BGH, WRP 2009, 435 Rn. 2 - Edelmetallankauf).
c) Die Revision rügt ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe verkannt, dass eine Werbung mit freiwilligen Sonderleistungen gegen § 5 Abs. 1 Nr. 2 UWG verstoßen könne, auch wenn eine derartige Leistung wegen ihrer Freiwilligkeit nicht als gleichermaßen selbstverständlich wie eine gesetzlich vorgeschriebene oder durch ihr Wesen zwangsläufig gegebene Leistung angesehen werden könne. Sie meint, die Werbung mit der freiwilligen Sonderleistung (kostenlose Schätzung der zum Kauf angebotenen Artikel) vermittle den Werbeadressaten den Eindruck, der Goldankauf durch die Beklagte sei besonders vorteilhaft, weil Mitbewerber vom Kaufpreis noch die für die Schätzung des Werts anfallenden Kosten abzögen. Das Berufungsgericht habe nicht festgestellt, dem Publikum sei bekannt, dass die kostenlose Schätzung im Goldankaufsgeschäft eine Selbstverständlichkeit sei. Die Klägerin habe dies auch in Abrede gestellt.
d) Die Werbung mit dem Hinweis "kostenlose Schätzung" umfasst nicht nur die Fallgestaltung, dass der Wert eines der Beklagten zum Kauf angebotenen Gegenstands vor Abgabe eines Ankaufgebots kostenfrei ermittelt wird. Diese Schätzung muss die Beklagte schon deshalb vornehmen, um dem potentiellen Kunden einen konkreten Preis für den Fall eines Ankaufs nennen zu können. Dass diese Wertermittlung kostenlos erfolgt, ist eine Selbstverständlichkeit und wird von einem durchschnittlich informierten und situationsadäquat aufmerksamen Verbraucher auch ohne weiteres erkannt, so dass eine Irreführung bereits von vornherein ausscheidet.
Die von der Klägerin beanstandete Werbung der Beklagten erstreckt sich ihrem Wortlaut nach auch auf den Fall, dass die Beklagte von einem Verbraucher, der keine Verkaufsabsicht hat, um eine Schätzung gebeten wird, weil er erfahren möchte, wieviel ein bestimmter Gegenstand wert ist. Es ist nicht festgestellt und von der Klägerin auch nicht vorgetragen, dass die Beklagte für eine derartige Wertermittlung ein Entgelt verlangt.
Auch wenn es sich bei der Schätzung des Wertes einer zum Kauf angebotenen Sache um eine üblicherweise von Edelmetallankäufern unentgeltlich vorgenommene Leistung handelt, bleibt es doch gerade in den Fällen, in denen die Wertermittlung unabhängig von einer Verkaufsabsicht des Verbrauchers erfolgt, eine freiwillige Sonderleistung der Beklagten, die nicht als selbstverständlich angesehen werden kann und daher auch nicht mit einer gesetzlich vorgeschriebenen Angabe oder mit einem zum Wesen der Ware gehörenden Umstand vergleichbar ist. Es kommt hinzu, dass es sich bei dem in Rede stehenden Angebot um eine unentgeltliche Leistung handelt, die zumindest dann, wenn ein Vertragsschluss mit der Beklagten nicht beabsichtigt ist, nicht der Beklagten, sondern nur dem nachfragenden Verbraucher dient. Auf eine solche freiwillige, für einen Verbraucher nicht mit finanziellen Risiken verbundene Leistung muss der Anbieter auch dann werbend hinweisen dürfen, wenn er sie nicht allein gewährt, sondern eine entsprechende Übung auch bei seinen Mitbewerbern besteht (vgl. BGH, GRUR 1987, 916, 917 - Gratis-Sehtest).
Da die Abmahnung der Klägerin vom 14. Oktober 2011 somit nicht berechtigt war, besteht auch kein Kostenerstattungsanspruch aus § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG.
III. Danach ist die Revision der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Bornkamm Pokrant Büscher
Koch Löffler