Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 22.05.2014


BGH 22.05.2014 - I ZR 109/13

Frachtführerhaftung im internationalen Straßengüterverkehr bei Sendungsverlust: Nachweis der Anzahl übergebener Frachtstücke durch Übernahmequittung


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
1. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
22.05.2014
Aktenzeichen:
I ZR 109/13
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend OLG Frankfurt, 24. Mai 2013, Az: 5 U 138/12, Urteilvorgehend LG Hanau, 23. Mai 2012, Az: 5 O 72/11, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 17 Abs 1 CMR
Art 29 Abs 1 CMR

Leitsätze

Wird weder ein Ladeschein noch ein Frachtbrief ausgestellt, kann der Beweis für die Anzahl der übergebenen Frachtstücke von dem nach Art. 17 Abs. 1 CMR Anspruchsberechtigten auch durch eine von dem Frachtführer oder seinem Fahrer ausgestellte Empfangsbestätigung (Übernahmequittung) geführt werden. Der Frachtführer kann sich nicht darauf berufen, die Übernahmequittung habe keinerlei Beweiswert oder aber ihr Beweiswert sei erschüttert, weil sie "blind" unterschrieben wurde, wenn der Unterzeichner der Empfangsbestätigung die Möglichkeit hatte, den Beladevorgang zu beobachten oder nach dessen Abschluss zumindest die Anzahl der Frachtstücke zu überprüfen.

Tenor

Auf die Revisionen der Klägerin und ihrer Streithelferin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin ist nach ihrer Behauptung führender Transportversicherer der W. C. He.   GmbH mit Sitz in H.  (im Folgenden: Versicherungsnehmerin). Diese beauftragte die seinerzeit in A.      ansässige Beklagte unter anderem mit dem Transport zweier Päckchen mit je drei Kilogramm Carboplatin per Lkw zu festen Kosten von H.  nach U.    in Österreich. Der Wert der Päckchen betrug nach der Packliste jeweils 86.000 €.

2

Mit der Durchführung des Transports vom Lager der Streithelferin der Klägerin in H.  nach A.      beauftragte die Beklagte ihre Streithelferin. Am Nachmittag des 4. August 2010 belud der Mitarbeiter Al.   der Streithelferin der Klägerin den von der Streithelferin der Beklagten bereitgestellten Lkw mit einer Vielzahl von Packstücken. Die einzelnen Sendungen erfasste der Mitarbeiter Al.   mit einem Handscanner. Dazu gehörten auch die beiden Päckchen der Versicherungsnehmerin mit Carboplatin. Während des Beladevorgangs hielt sich der Fahrer der Streithelferin der Beklagten K.  im Führerhaus des Lkw auf. Anschließend begaben sich der Mitarbeiter der Streithelferin der Klägerin und der Fahrer der Streithelferin der Beklagten zum Büro des Lagers. Der Fahrer der Streithelferin der Beklagten zeichnete die ihm dort vorgelegte Ladeliste, auf der auch die beiden Päckchen mit Carboplatin aufgeführt waren, unter dem Vermerk "Obige Sendung erhalten" ab. Daraufhin erhielt der Fahrer die Ladepapiere und eine Plombe zur Anbringung am Lkw, die der Streithelferin der Klägerin von der Beklagten zur Verfügung gestellt worden war. Der Fahrer verschloss den bis dahin offenstehenden Lkw und trat die Fahrt nach A.      an. Wann er den beladenen Lkw verplombte, ist nicht festgestellt. Bei der Entladung des Lkw im Lager der Beklagten in A.      fehlte eines der Päckchen mit Carboplatin.

3

Die Klägerin hat behauptet, beide Päckchen mit Carboplatin seien auf den Lkw der Streithelferin der Beklagten verladen worden. Jedes der Päckchen habe einen Warenwert von 77.180,54 € gehabt. Sie habe den der Versicherungsnehmerin entstandenen Schaden nach Abzug eines Selbstbehalts von 2.500 € reguliert.

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Die Klägerin hat die Beklagte auf Zahlung von 77.180,54 € nebst Zinsen in Anspruch genommen, wobei sie hilfsweise Zahlung eines Teilbetrags von 2.500 € an die Versicherungsnehmerin beantragt hat.

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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen (LG Hanau, Urteil vom 23. Mai 2012 - 5 O 72/11, juris). Dagegen haben die Klägerin und ihre Streithelferin Berufung eingelegt, die das Berufungsgericht zurückgewiesen hat (OLG Frankfurt, TranspR 2013, 341 = RdTW 2014, 204). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte und ihre Streithelferin beantragen, verfolgen die Klägerin und ihre Streithelferin den Klageanspruch weiter.

Entscheidungsgründe

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I. Das Berufungsgericht hat den geltend gemachten Schadensersatzanspruch der Klägerin aus übergegangenem Recht der Versicherungsnehmerin für unbegründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt:

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Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass das in Verlust geratene Päckchen von der Beklagten übernommen worden sei. Die Beweisaufnahme habe nicht ergeben, dass der Mitarbeiter Al.   der Streithelferin der Klägerin das Frachtstück auf den Lkw verladen habe und dass es bei Abschluss des Ladevorgangs dort noch vorhanden gewesen sei. Die Abzeichnung der Ladeliste durch den Fahrer K.  unter dem Vermerk "Obige Sendung erhalten" habe keinen Beweiswert. Sie sei unstreitig ohne Kenntnis des Fahrers von der Vollständigkeit des Ladevorgangs, mithin "blind" erfolgt. Die Klägerin könne wegen der vom Fahrer unterzeichneten Ladeliste auch nicht verlangen, dass sich die Beklagte so behandeln lassen müsse, als ob sie das Päckchen übernommen habe. Die für die Streithelferin der Klägerin im Büro des Lagers tätige Mitarbeiterin habe gewusst, dass die Unterzeichnung durch den Fahrer keinen Rückschluss auf die Vollständigkeit der Verladung zugelassen habe. Der Fahrer habe zur Kontrolle der Verladung keine Unterlagen in Händen gehabt und hätte allenfalls die Packstücke zählen können, was aber unüblich gewesen wäre. Die Beklagte müsse sich die Abzeichnung der Ladeliste durch den Fahrer ihrer Streithelferin auch nicht als widersprüchliches Verhalten entgegenhalten lassen. Der Fahrer K.  habe mit der Abzeichnung keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, der die Streithelferin der Klägerin von weiteren Kontrollen oder Sicherungsmaßnahmen zur Vollständigkeit der Verladung abgehalten habe. Dass die Streithelferin der Klägerin dem Fahrer K.  die ihr von der Beklagten zur Verfügung gestellte Plombe gerade wegen der Unterzeichnung der Ladeliste zur freien Verfügung überlassen habe, sei weder vorgetragen noch aus den Umständen ersichtlich.

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II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revisionen der Klägerin und ihrer Streithelferin haben Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht angeführten Begründung kann ein nach § 86 Abs. 1 VVG auf die Klägerin übergegangener Schadensersatzanspruch der Versicherungsnehmerin nach Art. 17 Abs. 1 CMR nicht verneint werden.

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1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass auf den von der Versicherungsnehmerin in Auftrag gegebenen Transport die Bestimmungen des Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) anwendbar sind. Die Vorschriften der CMR gelten nach Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens für jeden Vertrag über die entgeltliche Beförderung von Gütern auf der Straße mittels Fahrzeugen, wenn der Ort der Übernahme des Gutes und der für die Ablieferung vorgesehene Ort in zwei verschiedenen Staaten liegen, von denen mindestens einer ein Vertragsstaat ist. Im Streitfall sollte das Gut per Lkw von H.  nach U.    in Österreich befördert werden. Sowohl Deutschland als auch Österreich gehören zu den Vertragsstaaten der CMR. Die Anwendungsvoraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 CMR sind damit erfüllt.

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2. Nach Art. 17 Abs. 1 CMR haftet der Frachtführer für den Verlust des Gutes, sofern der Verlust zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme des Gutes und dem seiner Ablieferung eintritt. Die Übernahme setzt voraus, dass der Frachtführer willentlich selbst oder durch seine Gehilfen aufgrund eines wirksamen Frachtvertrages den unmittelbaren oder mittelbaren Besitz an dem zu befördernden Gut erwirbt (vgl. zu § 425 HGB BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 - I ZR 214/10, TranspR 2012, 107 Rn. 13 = VersR 2013, 251; zu Art. 17 CMR Koller, Transportrecht, 8. Aufl., Art. 17 CMR Rn. 4; Thume in Thume, CMR, 3. Aufl., Art. 17 Rn. 18; Boesche in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., Art. 17 CMR Rn. 9). Die Übernahme setzt weiter den Willen des Absenders voraus, die Verfügungsgewalt über das Transportgut aufzugeben, und den Willen des Frachtführers, die Kontrolle daran zu übernehmen (Thume aaO Art. 17 Rn. 18).

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a) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Streithelferin der Beklagten das Transportgut mit dem Aufbruch der Zeugen Al.   und K.  zum Ladebüro der Streithelferin der Klägerin nach Abschluss der Verladearbeiten durch den Zeugen Al.   übernommen hat. Von einer Übernahme im Sinne des Art. 17 Abs. 1 CMR ist auszugehen, wenn die vom Absender vorzunehmenden Ladearbeiten abgeschlossen sind und der Fahrer entweder den Laderaum schließt oder das Gut derart in den Verantwortungsbereich des Frachtführers oder seiner Erfüllungsgehilfen gelangt, dass er oder seine Gehilfen es vor Schäden bewahren können (vgl. zu § 425 HGB BGH, TranspR 2012, 107 Rn. 13). Diese Voraussetzungen lagen zum Zeitpunkt des Abschlusses der Ladearbeiten vor. Zu diesem Zeitpunkt war der Fahrer K.  in der Lage, das Transportgut durch Verschließen des Laderaums vor Schäden zu bewahren. Dass er statt dessen das Fahrzeug während des Zeitraums, in dem er das Ladebüro aufsuchte, offen stehen ließ, führt nicht zu einer Verschiebung des Zeitpunkts der Übernahme des Gutes.

12

b) Die Klägerin ist für die Übernahme des in Rede stehenden Päckchens mit Carboplatin darlegungs- und beweisbelastet (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2002 - I ZR 104/00, TranspR 2003, 156, 158 = NJW-RR 2003, 754). Im Streitfall ist davon auszugehen, dass die Klägerin den ihr obliegenden Beweis geführt hat. Aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist allerdings die vom Berufungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung (dazu II 2 c und d). Mit Erfolg macht die Revision aber geltend, dass die Beklagte sich an der Bestätigung des Fahrers K.  ihrer Streithelferin festhalten lassen muss (dazu II 2 e).

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c) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, aufgrund der Bekundungen der Zeugen sei der Nachweis nicht geführt, dass das fragliche Päckchen Carboplatin auf den Lkw verbracht worden sei.

14

aa) Das Landgericht hat der Aussage des Zeugen Al.  , er habe die beiden Päckchen der Versicherungsnehmerin aus dem Tresor geholt, auf den Lkw des Zeugen K.  verladen und dort gescannt, keinen Glauben geschenkt. Das Berufungsgericht, das die Beweisaufnahme teilweise wiederholt hat, hat ausgeführt, die Beweisaufnahme habe nicht ergeben, dass der Zeuge Al.   das Frachtstück auf das Transportfahrzeug verladen habe und dass dieses bei Abschluss des Ladevorgangs dort noch vorhanden gewesen sei. Es könne nicht ausreichend sicher ausgeschlossen werden, dass der Zeuge Al.   das Päckchen in unredlicher Absicht zwar mit dem Erfassungsgerät aufgezeichnet, dann aber entweder nicht verladen oder aber wieder ausgeladen habe. Ebenso sei es möglich, dass der Zeuge K.  das Päckchen zur Seite geschafft habe. Auch sei ein Zugriff Dritter nicht auszuschließen, nachdem der Lastwagen bis zur Rückkehr des Zeugen K.  vom Ladebüro offen gestanden habe.

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bb) Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts lässt keine revisionsrechtlich beachtlichen Fehler erkennen. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Das Revisionsgericht kann lediglich überprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 Abs. 1 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denk-, Natur- oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 24. Juni 2009 - VIII ZR 150/08, BGHZ 181, 346 Rn. 30).

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cc) Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts entspricht diesen Anforderungen. Die Revision rügt vergeblich, das Berufungsgericht habe nicht erwogen, dass der bei der Streithelferin der Klägerin beschäftigte Zeuge Al.   Carboplatin gekannt habe; er habe deshalb gewusst, dass es sich nicht um das Edelmetall Platin, sondern um Gefahrgut handelte. Dagegen sei es dem abholenden Fahrer K.  eher zuzutrauen, dass er das in Verlust geratene Päckchen für wertvoll und stehlenswert gehalten habe. Damit kann die Revision schon deshalb nicht durchdringen, weil der Zeuge Al.   bei seinen Vernehmungen vor dem Landgericht und dem Berufungsgericht ausdrücklich bekundet hat, nicht gewusst zu haben, dass sich in dem verloren gegangenen Päckchen Gefahrgut befunden hat.

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d) Die Revision greift vergeblich die Würdigung des Berufungsgerichts an, der Beweis der Übernahme des in Rede stehenden Packstücks sei nicht durch die Übernahmequittung des Fahrers K.  auf der Ladeliste geführt.

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aa) Die Klägerin kann sich im Streitfall nicht mit Erfolg auf die Beweisvermutung nach Art. 9 Abs. 2 CMR berufen. Nach dieser Bestimmung wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass die Anzahl der Frachtstücke und ihre Zeichen und Nummern mit den Angaben im Frachtbrief übereinstimmen, wenn dieser keinen mit Gründen versehenen Vorbehalt des Frachtführers aufweist. Diese Beweisvermutung greift aber nur ein, wenn ein den Vorschriften der Art. 5 und 6 CMR entsprechender Frachtbrief vorliegt (BGH, Urteil vom 9. Februar 1979 - I ZR 67/77, NJW 1979, 2471 = VersR 1979, 466; Urteil vom 18. Januar 2001 - I ZR 256/98, TranspR 2001, 369 = NJW-RR 2001, 1253). Das ist hier nicht der Fall. Die Ladeliste ersetzt den Frachtbrief nicht.

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Eine Haftung der Beklagten ergibt sich auch nicht im Zusammenhang mit den in Art. 8 CMR bestimmten Obliegenheiten. Wie die Revision selbst einräumt, begründet ein etwaiger Verstoß des Zeugen K.  gegen derartige Pflichten keine Haftung nach Art. 17 CMR (Koller, Transportrecht aaO Art. 8 CMR Rn. 1 mwN).

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bb) Der Revision verhilft die Rüge nicht zum Erfolg, das Berufungsgericht habe den Beweiswert des vom Fahrer K.  unterschriebenen Vermerks über den Erhalt der Sendung verkannt.

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(1) Wurde - wie hier - weder ein Ladeschein noch ein Frachtbrief ausgestellt, kann der Beweis für die Anzahl der übergebenen Frachtstücke von dem nach Art. 17 Abs. 1 CMR Anspruchsberechtigten grundsätzlich auch durch eine von dem Frachtführer oder seinem Fahrer ausgestellte Empfangsbestätigung (Übernahmequittung) geführt werden (BGH, TranspR 2003, 156, 158). Die formelle Beweiskraft einer solchen Empfangsbestätigung richtet sich nach § 416 ZPO. Ihre materielle Beweiskraft hängt - ebenso wie bei der Quittung im Sinne von § 368 BGB - von den Umständen des Einzelfalls ab. Sie unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) und kann durch jeden Gegenbeweis, durch den die Überzeugung des Gerichts von ihrer inhaltlichen Richtigkeit erschüttert wird, entkräftet werden (BGH, TranspR 2003, 156; BGH, Urteil vom 4. Mai 2005 - I ZR 235/02, TranspR 2005, 403 = NJW-RR 2005, 1557). Der Beweis des Gegenteils ist nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 13. Juli 1979 - I ZR 153/77, WM 1979, 1157). Eine Erschütterung der Beweiskraft kommt in Betracht, wenn die Empfangsquittung Angaben enthält, die der Unterzeichnende ersichtlich oder erwiesenermaßen nicht bestätigen konnte (BGH, Urteil vom 7. November 1985 - I ZR 130/83, TranspR 1986, 53, 56 = VersR 1986, 287). Dementsprechend bezieht sich die Beweiskraft einer Empfangsquittung im Zweifel nicht auf den Inhalt einer verschlossenen Sendung (BGH, TranspR 2003, 156, 158).

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(2) Die Unterschrift des Zeugen K.  besitzt formelle Beweiskraft. Sie erbringt vollen Beweis für die Abgabe der in der Übernahmequittung enthaltenen Erklärung (§§ 416, 440 Abs. 2 ZPO). Ob die in der Übernahmequittung enthaltene Erklärung zur Überzeugung des Gerichts auch inhaltlich richtig oder ihre Beweiswirkung entkräftet ist, muss der Tatrichter würdigen. Diesem ist im Streitfall insoweit kein Rechtsfehler unterlaufen.

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(3) Vorliegend seht fest, dass der Fahrer K.  während des Ladevorgangs nicht zugegen war und den Vermerk über den Erhalt der Sendung ohne Prüfung der Anzahl der Packstücke unterzeichnet hat. Bei dieser Sachlage ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter nicht davon überzeugt war, das fragliche Päckchen sei in die Obhut des Frachtführers gelangt.

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e) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts muss die Beklagte sich aber an der Übernahmequittung festhalten lassen und kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, der Fahrer ihre Streithelferin habe die Anzahl der Packstücke ohne Überprüfung - sozusagen "blind" - quittiert.

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aa) Kann der Frachtführer oder ein von ihm eingeschalteter Erfüllungsgehilfe bei der Übernahme die Anzahl der Güter kontrollieren, macht er von dieser Möglichkeit aber keinen Gebrauch und quittiert er gleichwohl deren Zahl, so handelt er entgegen den Grundsätzen von Treu und Glauben nach § 242 BGB widersprüchlich, wenn er sich später darauf beruft, die Übernahmequittung sei "blind" erteilt worden (vgl. OLG Hamm, TranspR 1992, 359, 360; OLG Karlsruhe, TranspR 2004, 468, 470; Bästlein/Bästlein, TranspR 2003, 413, 418). In einem solchen Fall begründet die Übernahmequittung die widerlegliche Vermutung, dass die angegebene Stückzahl zutrifft (vgl. auch BGH, Urteil vom 4. Mai 2005 - I ZR 235/02, TranspR 2005, 403, 404 = VersR 2006, 573). Für dieses Ergebnis spricht die große Bedeutung, die der Übernahmequittung im Bereich des Transportwesens für den Nachweis der Übernahme des Gutes zukommt. Unterzeichnet der Frachtführer die Übernahmequittung, ohne die angegebene Stückzahl einer möglichen Kontrolle zu unterziehen, hält er den Absender regelmäßig davon ab, seinerseits die erforderlichen Beweise für die Übernahme des Gutes zu sichern.

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bb) Im Streitfall sind die Voraussetzungen gegeben, unter denen sich die Berufung der Beklagten auf die "blind" unterzeichnete Übernahmequittung als ein Verstoß gegen Treu und Glauben erweist.

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(1) Die im Rechtsstreit vorgelegte Ladeliste besteht aus sieben fortlaufend nummerierten Seiten, in der insgesamt 30 Pakete jeweils mit Absender und Empfänger, Maßen, Gewicht, Lieferschein, Warenwert, Sendungsnummer und Auftragsnummer genannt sind. Auf der letzten Seite sind die Gesamtanzahl der Packstücke und das Gesamtgewicht angegeben. Auf der ersten Seite oben befinden sich unter dem Namen und der Adresse der Streithelferin der Klägerin die Tour-Nummer, das Datum, der Name der Sachbearbeiterin sowie die Telefon- und Telefax-Nummer. Direkt darunter hat die Streithelferin der Klägerin einen Stempel aufgebracht, auf dem unter der vorgedruckten Überschrift "Obige Sendung erhalten" das Datum, das Kfz-Kennzeichen, die Unterschrift und der Name in Druckbuchstaben anzugeben waren. In diesem Stempel finden sich als Eintragungen das Kennzeichen des vom Zeugen K.  gefahrenen Lkw, die Unterschrift des Zeugen sowie sein Name in Druckbuchstaben. Neben dem ausgefüllten Stempelaufdruck ist in einem vorgedruckten Feld handschriftlich die Plombennummer vermerkt.

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Da die Unterschrift des Fahrers K.  unterhalb der Angabe der Tour-Nummer und des Stempelvordrucks "Obige Sendung erhalten" angebracht ist, hat sie die Funktion, die Verantwortung für den darüber stehenden kurzen Text zu übernehmen und ihn räumlich abzuschließen. Die Beweisfunktion der Unterschrift erfasst damit die Erklärung des Fahrers K. , von der Streithelferin der Klägerin eine Sendung zu einer bestimmten Tour erhalten zu haben.

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(2) Die vom Zeugen K.  erteilte Übernahmequittung enthält materiell die Erklärung, dass er insgesamt 30 Packstücke übernommen hat. Diese Auslegung kann der Senat selbst vornehmen, da angesichts der umfangreichen Beweisaufnahme vor dem Landgericht und der teilweisen Wiederholung der Beweisaufnahme vor dem Berufungsgericht insoweit keine weiteren Feststellungen zu erwarten sind. Danach ist die Unterschrift des Fahrers K.  auf der von der Streithelferin der Klägerin erstellten Ladeliste als eine Quittung auch für das verloren gegangene Päckchen anzusehen.

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(3) Nach den Feststellungen des Landgerichts, auf die das Berufungsurteil Bezug genommen hat, war es Aufgabe der Streithelferin der Klägerin, den Lkw zu beladen, die aufgeladenen Pakete mithilfe eines Scan-Gerätes zu erfassen, die eingelesenen Daten mit der Ladeliste abzugleichen und dabei zu überprüfen, ob alle Pakete auf der Ladeliste eingescannt waren. Dabei waren der Zeuge Al.   mit der Beladung und dem Scannen, die Zeugin W.   mit dem Abgleich der vom Scanner übertragenen Daten mit der Ladeliste betraut. Die Streithelferin der Beklagten, für die der Zeuge K.  tätig war, war dagegen für die Beladung nicht verantwortlich. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde dem Fahrer die Ladeliste mit der Vorlage zur Unterschrift erstmals zur Kenntnis gebracht. Er war damit zu einer Überprüfung der Ladeliste während des Beladevorgangs ohne eigene Ladepapiere nicht in der Lage. Der Fahrer hatte aber die Möglichkeit, den Beladevorgang zu beobachten oder nach dessen Abschluss vor der Unterzeichnung der Übernahmequittung zumindest die Anzahl der Frachtstücke zu überprüfen. Davon hat er keinen Gebrauch gemacht und gleichwohl die Übernahmequittung unterzeichnet.

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(4) Aus dem gesamten Verhalten der Streithelferin der Klägerin ergibt sich, dass sie die Unterschrift des Fahrers zum Anlass genommen hat, auf weitere Maßnahmen zur Kontrolle der Vollständigkeit der Sendung zu verzichten und keine weiteren Beweise für die Übergabe der Güter zu sichern. Sie hat dem Fahrer die Ladepapiere ausgehändigt und ihm die ihr von der Beklagten zur Verfügung gestellte Plombe zum Verschließen des Lkw übergeben. Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, dass die Mitarbeiter der Streithelferin der Klägerin die mangelnde Kontrolle des Fahrers gekannt haben. Es war nicht ihre Aufgabe, den Fahrer zu Überprüfungsmaßnahmen anzuhalten. An dem durch die Unterzeichnung der Übernahmequittung geschaffenen Vertrauenstatbestand muss sich die Beklagte festhalten lassen. Auch wenn die Übernahmequittung ohne Kontrolle unterzeichnet worden ist, begründet sie die widerlegliche Vermutung für die Übernahme von zwei Päckchen mit Carboplatin. Diese Vermutung hat die Beklagte nicht widerlegt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist nicht zu klären, ob das fragliche Päckchen von der Streithelferin der Beklagten übernommen worden ist.

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3. Das Berufungsgericht ist im Rahmen einer Hilfserwägung davon ausgegangen, dass die Beklagte nur beschränkt in Höhe von 25 Rechnungseinheiten haftet. Das hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

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a) Vollen Schadensersatz - über die Beschränkung des Art. 23 Abs. 3 CMR hinaus - schuldet die Beklagte nur dann, wenn die Voraussetzungen des Art. 29 CMR vorliegen. Nach dieser Bestimmung kann sich der Frachtführer nicht auf Haftungsbeschränkungen berufen, wenn er den Schaden vorsätzlich oder durch ein dem Vorsatz gleichstehendes Verschulden verursacht hat (Art. 29 Abs. 1 CMR). Das Gleiche gilt, wenn seinen Bediensteten oder Verrichtungsgehilfen ein solches qualifiziertes Verschulden zur Last fällt (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 CMR).

34

Da auf den zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten geschlossenen Beförderungsvertrag gemäß Art. 5 Abs. 1 der Rom-I-VO, der im Streitfall maßgeblich ist, deutsches Recht zur Anwendung kommt, ist im Rahmen von Art. 29 Abs. 1 CMR ergänzend § 435 HGB heranzuziehen (BGH, Urteil vom 4. Juli 2013 - I ZR 156/12, TranspR 2014, 146 Rn. 15 = RdTW 2014, 55). Nach dieser Vorschrift kann sich der Frachtführer nicht auf gesetzliche oder vertraglich vereinbarte Haftungsbeschränkungen berufen, wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die der Frachtführer oder eine in § 428 HGB genannte Person vorsätzlich oder bewusst leichtfertig begangen hat.

35

Das Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit erfordert einen besonders schweren Pflichtenverstoß, bei dem sich der Frachtführer oder seine Leute in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen des Vertragspartners hinwegsetzen. Das subjektive Erfordernis des Bewusstseins von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen (BGH, TranspR 2012, 107 Rn. 27). Welche Sicherheitsvorkehrungen der Frachtführer ergreifen muss, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.

36

Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es sich beim Umschlag von Transportgütern, wie er hier in Rede steht, um einen besonders schadensanfälligen Bereich handelt, der deshalb so organisiert werden muss, dass in der Regel Ein- und Ausgang der Güter kontrolliert werden, damit Fehlbestände frühzeitig festgehalten werden können. Ohne ausreichende Ein- und Ausgangskontrollen, die im Regelfall einen körperlichen Abgleich der papier- bzw. EDV-mäßig erfassten Ware erfordern, kann ein verlässlicher Überblick über Lauf und Verbleib der in den einzelnen Umschlagstationen ein- und abgehenden Güter nicht gewonnen werden mit der Folge, dass der Eintritt eines Schadens und der Schadensbereich in zeitlicher, räumlicher und personeller Hinsicht nicht eingegrenzt werden können. Das Erfordernis von Schnittstellenkontrollen wird noch verstärkt, wenn - wie im Streitfall - rechtlich selbständige Drittunternehmen in die Erbringung der Transportleistung eingebunden sind. Die in § 435 HGB geforderte Leichtfertigkeit des Frachtführers oder seiner "Leute" kann sich aus einer mangelhaften Organisation des Betriebsablaufs ergeben. Bei einer Betriebsorganisation, die Ein- und Ausgangskontrollen beim Umschlag von Transportgütern nicht durchgängig vorsieht, ist im Regelfall der Vorwurf eines leichtfertigen Verhaltens gerechtfertigt, weil es sich bei diesen Maßnahmen um elementare Vorkehrungen gegen Verlust von Ware handelt (BGH, Urteil vom 25. März 2004 - I ZR 205/01, BGHZ 158, 322, 330 f. mwN.).

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b) Diesen an die Prüfung qualifizierten Verschuldens im Sinne von Art. 29 Abs. 1 CMR anzulegenden Maßstäben werden die hilfsweise hierzu angestellten Erwägungen des Berufungsgerichts nicht gerecht.

38

aa) Das Berufungsgericht hat gemeint, ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten sei nicht vorgetragen. Die Beklagte habe vielmehr einer ihr obliegenden sekundären Darlegungslast entsprochen. Die Umstände der Übernahme und des Transports bis zur Entladung in A.      seien von der Beklagten eingehend mitgeteilt worden. Es könne danach nicht ausgeschlossen werden, dass die Sendung aus der Obhut der Streithelferin der Beklagten abhandengekommen sei, indem sie aus dem offenen Fahrzeug entwendet worden sei. Das Unterlassen einer Sicherung sei dem Lkw-Fahrer zwar vorzuwerfen. Es sei aber nicht vorsatzgleich, weil der Zeuge K.  nach den örtlichen Verhältnissen ausreichende Anhaltspunkte gehabt habe, auf einen günstigen Ausgang zu vertrauen.

39

bb) Das Berufungsgericht hat dabei zum einen erhebliche Umstände in seine Betrachtung nicht einbezogen, zum anderen seine Auffassung auf Umstände gestützt, die nicht festgestellt sind.

40

Das Berufungsgericht hat nicht berücksichtigt, dass nach den getroffenen Feststellungen der Fahrer für die Streithelferin der Beklagten den Gewahrsam an dem Transportgut durch eine "blind" ausgestellte Quittung übernommen hat. Zudem hat er seinen Lkw mit geöffnetem Rolltor während der Entgegennahme der Ladepapiere unbeaufsichtigt offen stehen lassen. Dabei hat der Fahrer zum einen auf eine Vollständigkeitskontrolle der übernommenen Sendung verzichtet und zum anderen das übernommene Transportgut gefährdet. Denn es bestand, wie das Berufungsgericht auch festgestellt hat, die Möglichkeit, dass Dritte vom offenen Lastwagen das verloren gegangene Päckchen entwendet haben, weil in dieser Zeit noch zwei weitere Fahrzeuge in unmittelbarer Nähe beladen wurden. Diese Nachlässigkeiten schließen die Annahme einer mangelhaften Organisation des Betriebsablaufs bei der Eingangskontrolle sowie unzureichender Anweisungen an die Fahrer zum Schutz des Transportguts bei der Streithelferin der Beklagten nicht aus. Dies kann den Vorwurf der Leichtfertigkeit im Sinne von § 435 HGB begründen.

41

Die weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts, der Fahrer habe nach den örtlichen Verhältnissen ausreichende Anhaltspunkte gehabt, auf einen günstigen Ausgang zu vertrauen, lassen nicht erkennen, auf welchen Feststellungen sie beruhen.

42

III. Das Urteil des Berufungsgerichts kann danach keinen Bestand haben; es ist aufzuheben. Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

43

Sollte sich im wiedereröffneten Berufungsverfahren ergeben, dass die Beklagte ein qualifiziertes Verschulden an der Entstehung des Schadens trifft, kann der vom Berufungsgericht in anderem Zusammenhang gewürdigte Umstand, dass die Streithelferin der Klägerin dem Fahrer die ihr von der Beklagten überlassene Plombe zu dessen unkontrollierter Verfügung überließ, im Rahmen einer Prüfung eines eventuellen Mitverschuldens der Streithelferin der Klägerin (§ 254 BGB) an der Entstehung des Schadens berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 30. Januar 2008 - I ZR 146/05, TranspR 2008, 117 Rn. 34; Urteil vom 13. Juni 2012 - I ZR 87/11, TranspR 2012, 463 Rn. 22 = RdTW 2013, 24).

Büscher                      Schaffert                         Koch

                 Löffler                        Schwonke