Entscheidungsdatum: 21.07.2011
Der Gerichtsvollzieher hat dem Schuldner mit der Ladung zum Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung eine Abschrift des Vollstreckungsauftrags zuzustellen. Er kann den Gläubiger auffordern, eine solche Abschrift einzureichen, ist aber nicht berechtigt, das Zwangsvollstreckungsverfahren einzustellen, wenn der Gläubiger dieser Aufforderung nicht nachkommt.
Auf die Rechtsmittel des Gläubigers werden der Beschluss des Landgerichts Schweinfurt - 1. Zivilkammer - vom 30. November 2010 und der Beschluss des Amtsgerichts Bad Kissingen - Vollstreckungsgericht - vom 19. Oktober 2010 aufgehoben.
Der Gerichtsvollzieher wird angewiesen, die Vollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Coburg vom 16. Juni 2010 - Az.: 10734177800 - fortzusetzen und nicht davon abhängig zu machen, dass der Gläubiger ihm zuvor eine Abschrift des Vollstreckungsauftrags zur Verfügung stellt.
Die Kosten der Erinnerung und der Rechtsmittelverfahren hat der Schuldner zu tragen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 391,54 € festgesetzt.
I. Der Gläubiger betreibt aus einem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Coburg vom 16. Juni 2010 die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner.
Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 14. Juli 2010 erteilte der Gläubiger dem Gerichtsvollzieher über die Verteilungsstelle für Gerichtsvollzieheraufträge des Amtsgerichts Bad Kissingen den Auftrag, gegen den Schuldner wegen der titulierten Forderung die Zwangsvollstreckung durchzuführen. Der schriftliche Vollstreckungsauftrag wurde ohne Abschriften eingereicht. Mit Telefax-Schreiben vom 16. Juli 2010 bat der Gerichtsvollzieher den Verfahrensbevollmächtigten des Gläubigers, für die Zustellung an den Schuldner eine Abschrift des Vollstreckungsauftrags zu übersenden. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass er die Bearbeitung des Vollstreckungsauftrags kostenpflichtig zurückweisen werde, wenn die Abschrift nicht binnen 14 Tagen eingegangen sei. Da bis zum Ablauf der Frist keine Abschrift eingegangen war, stellte der Gerichtsvollzieher das Zwangsvollstreckungsverfahren ein.
Die hiergegen eingelegte Vollstreckungserinnerung des Gläubigers hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - zurückgewiesen. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde des Gläubigers zurückgewiesen (LG Schweinfurt, DGVZ 2011, 89). Gegen diese Entscheidung hat der Gläubiger die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er weiterhin das Ziel verfolgt, den Gerichtsvollzieher anzuweisen, das Zwangsvollstreckungsverfahren fortzusetzen, ohne die Fortsetzung davon abhängig zu machen, dass der Gläubiger ihm zuvor eine Abschrift des Vollstreckungsauftrags zur Verfügung stellt.
II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Die Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA) sehe in § 185b Nr. 3 Satz 2 zwar vor, dass der Auftrag zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung dem Schuldner zugestellt werden müsse. Dabei handele es sich allerdings nur um eine für den Gläubiger unverbindliche Verwaltungsvorschrift. Der in § 185b Nr. 3 Satz 2 GVGA zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke ergebe sich jedoch aus den allgemeinen Grundsätzen des Anspruchs auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren. Der Schuldner habe ein berechtigtes Interesse, durch eine Abschrift des Vollstreckungsauftrags Kenntnis von dessen Inhalt zu erlangen. Der Gläubiger sei daher gemäß § 133 ZPO, der grundsätzlich auch im Zwangsvollstreckungsverfahren zur Anwendung komme, verpflichtet, dem Vollstreckungsauftrag eine Abschrift des Auftrags für den Schuldner beizufügen. Komme er dem nach einer Aufforderung durch den Gerichtsvollzieher nicht innerhalb einer ihm dafür gesetzten Frist nach, sei der Gerichtsvollzieher berechtigt, die Zwangsvollstreckung einzustellen, weil es ihm nicht zugemutet werden könne, auf eigene Kosten Abschriften zu fertigen und das Risiko zu tragen, die entstandenen Auslagen später nicht erstattet zu erhalten. Die Abwägung der Interessen des Gläubigers und des Gerichtsvollziehers führe dazu, dass es dem Gläubiger zuzumuten sei, seinem Vollstreckungsauftrag eine Abschrift für den Schuldner beizufügen.
2. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts war der Gerichtsvollzieher nicht berechtigt, das Zwangsvollstreckungsverfahren einzustellen, weil der Gläubiger seiner Aufforderung zur Übersendung einer Abschrift des Vollstreckungsauftrags nicht fristgerecht nachgekommen ist.
a) Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sowohl der Auftrag zur Zwangsvollstreckung (§ 754 ZPO) als auch der damit verbundene Auftrag zur Bestimmung eines Termins zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht der Schriftform bedürfen, sondern auch mündlich gestellt werden können. Das ergibt sich zum einen aus § 754 ZPO (für den Vollstreckungsauftrag) und zum anderen aus § 4 Nr. 1 Satz 1 GVGA, in dem bestimmt ist, dass Aufträge an den Gerichtsvollzieher keiner Form bedürfen. Gemäß § 4 Nr. 1 Satz 2 GVGA genügt eine mündliche Erklärung des Auftraggebers, seines Bevollmächtigten oder der Geschäftsstelle, die den Auftrag vermittelt.
b) Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Annahme des Beschwerdegerichts, wenn ein Vollstreckungsauftrag und der Auftrag zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung schriftlich gestellt würden, komme im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich § 133 ZPO zur Anwendung, da der Auftrag gemäß § 900 Abs. 1 ZPO dem Schuldner zuzustellen sei.
Eine Verpflichtung, der Ladung des Schuldners zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung eine Abschrift des Vollstreckungsauftrags beizufügen, ist allerdings - worauf das Beschwerdegericht mit Recht hingewiesen hat - nicht ausdrücklich gesetzlich normiert. Die Regelung in § 185b Nr. 3 Satz 2 GVGA, wonach der Gerichtsvollzieher der Ladung an den Schuldner ein Überstück des Vollstreckungsauftrags beizufügen hat, ist für den Gläubiger nicht verbindlich, da es sich bei den Bestimmungen der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher um bloße Verwaltungsvorschriften handelt. Der Anspruch des Schuldners auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf ein faires Verfahren (Art. 3 Abs. 1 GG) gebieten es jedoch, ihm mit der Ladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung eine Abschrift des Vollstreckungsauftrags zu übermitteln (Schuschke in Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl., § 900 ZPO Rn. 6; MünchKomm.ZPO/Eickmann, 3. Aufl., § 900 Rn. 11; aA LG Hamburg, DGVZ 2005, 77; Musielak/Voit, ZPO, 8. Aufl., § 900 Rn. 12; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 900 Rn. 8). Der Schuldner hat ein berechtigtes Interesse, durch eine Abschrift des Auftrags Kenntnis von dessen Inhalt zu erlangen. Auf diese Weise wird er in die Lage versetzt, seine Interessen im Zwangsvollstreckungsverfahren wahrzunehmen. Dementsprechend ist grundsätzlich auch § 133 ZPO im Vollstreckungsverfahren anwendbar, wie das Beschwerdegericht mit Recht angenommen hat.
Die Rechtsbeschwerde hält dem ohne Erfolg entgegen, sowohl der Wortlaut als auch die systematische Einordnung des § 133 ZPO stünden einer Anwendung der Vorschrift im Zwangsvollstreckungsverfahren entgegen. Das Zwangsvollstreckungsverfahren ist nach der Gesetzessystematik einem Parteiprozess im Sinne von § 79 ZPO zuzuordnen. Für das Zwangsvollstreckungsverfahren nach §§ 704 ff. ZPO gelten neben den spezifischen Verfahrensvorschriften auch die allgemeinen prozessualen Regelungen in den §§ 1 bis 252 ZPO sinngemäß, soweit sich aus den Bestimmungen im zweiten Abschnitt des Achten Buches der Zivilprozessordnung nicht etwas anderes ergibt (vgl. Musielak/Lackmann aaO Vor § 704 Rn. 19; Kroppenberg in Prütting/Gehrlein, ZPO, 3. Aufl., Vor §§ 704 ff. Rn. 4; Zöller/Stöber aaO Vor § 704 Rn. 5). Auf den Umstand, dass der Begriff "Partei" im vierten Abschnitt des Achten Buches der Zivilprozessordnung nicht verwendet wird, kommt es in Anbetracht der Gesetzessystematik nicht entscheidend an (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2011 - I ZR 122/09, GRUR 2011, 352 Rn. 21 = NJW 2011, 929 - Makler als Vertreter im Zwangsversteigerungsverfahren).
c) Mit Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde aber, dass sich aus der Vorschrift des § 133 ZPO keine Rechtfertigung für eine Einstellung des Zwangsvollstreckungsverfahrens ergibt, wenn der Gläubiger einer Aufforderung des Gerichtsvollziehers zur Einreichung einer Abschrift des Vollstreckungsauftrags nicht fristgerecht nachkommt.
aa) Gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1 ZPO sollen die Parteien den Schriftsätzen, die sie bei Gericht einreichen, die für die Zustellung erforderliche Zahl von Abschriften der Schriftsätze und deren Anlagen beifügen. Da es sich bei der genannten Bestimmung um eine Sollvorschrift handelt, führt eine Nichtbeachtung - selbst nach einer erfolglosen Aufforderung des Gerichts, Abschriften einzureichen - zu keinen sachlichen Nachteilen für die der Aufforderung nicht nachkommende Partei. Insbesondere finden die Präklusionsvorschriften (§ 282 Abs. 2, § 296 Abs. 2 ZPO) keine Anwendung (MünchKomm.ZPO/Wagner aaO § 133 Rn. 5; Zöller/Greger aaO § 133 Rn. 3; Prütting in Prütting/Gehrlein aaO § 133 Rn. 4; Musielak/Stadler aaO § 133 Rn. 1). Fehlende Abschriften hat das Gericht bei der einzureichenden Partei anzufordern oder - wenn dies nicht zum Erfolg führt - selbst auf deren Kosten anzufertigen (§ 28 Abs. 1 Satz 2 GKG i.V. mit KV Nr. 9000). Ein "Nichtbetreiben" des Verfahrens durch das Gericht ist dagegen nicht zulässig.
Für die entsprechende Anwendung des § 133 Abs. 1 Satz 1 ZPO im Zwangsvollstreckungsverfahren bedeutet dies, dass der Gerichtsvollzieher die erforderlichen Abschriften selbst auf Kosten des Gläubigers (§ 9 GvKostG i.V. mit KV Nr. 700 Ziff. 1b) herzustellen hat, wenn der Gläubiger sich weigert, diese einzureichen. Eine Zurückstellung der Erledigung des Vollstreckungsauftrags bis zur Einreichung der erforderlichen Abschriften durch den Gläubiger darf nicht erfolgen (aA AG Lahr, DGVZ 2000, 124; Schuschke in Schuschke/Walker aaO § 900 ZPO Rn. 6).
bb) Dies ist dem Gerichtsvollzieher entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts auch zumutbar. Die Erwägung des Beschwerdegerichts, es bestehe bei einer Fertigung von Abschriften durch den Gerichtsvollzieher selbst grundsätzlich die Gefahr, dass ihm Kosten entstünden, die er möglicherweise nicht beitreiben könne, steht dem nicht entgegen. Die Rechtsbeschwerde weist mit Recht darauf hin, dass das "Inkassorisiko" des Gerichtsvollziehers nur gering ist, weil durch die Herstellung der für den Schuldner bestimmten Abschriften keine hohen Kosten entstehen (s. KV Nr. 700 Ziff. 1b). Zudem ist der Gerichtsvollzieher gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 GvKostG berechtigt, den Auftraggeber zur Zahlung eines Vorschusses aufzufordern, der die voraussichtlich entstehenden Kosten deckt. Die Durchführung des Auftrags kann nach § 4 Abs. 1 Satz 2 GvKostG von der Zahlung des Vorschusses abhängig gemacht werden. Reicht ein Vorschuss nicht aus, um die zur Aufrechterhaltung einer Vollstreckungsmaßnahme voraussichtlich erforderlichen Auslagen zu decken, besteht gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 GvKostG die Möglichkeit einer Nachforderung. Erfüllt der Auftraggeber diese nicht fristgerecht, ist der Gerichtsvollzieher nach § 4 Abs. 2 Satz 3 GvKostG grundsätzlich berechtigt, die Vollstreckungsmaßnahme aufzuheben.
3. Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, entscheidet der Senat als Rechtsbeschwerdegericht in der Sache selbst (§ 577 Abs. 5 ZPO).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2004 - IXa ZB 297/03, NJW 2004, 2979, 2981; Beschluss vom 16. Juli 2009 - I ZB 80/05, NJWRR 2009, 1384 Rn. 13 mwN).
Bornkamm Pokrant Schaffert
Kirchhoff Löffler