Entscheidungsdatum: 23.10.2014
Kosten der "Berliner Räumung"
Kosten einer vor dem 1. Mai 2013 begonnenen Räumung im Sinne von § 885a Abs. 1 ZPO sind keine Kosten der Zwangsvollstreckung nach § 788 Abs. 1 ZPO. Auf diese Räumungskosten ist die Vorschrift des § 885a Abs. 7 ZPO nicht anwendbar.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 82 des Landgerichts Berlin vom 16. Oktober 2013 wird auf Kosten des Gläubigers zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 993,02 € festgesetzt.
I. Der Schuldner wurde durch Versäumnisurteil des Amtsgerichts Berlin Mitte vom 4. September 2012 dazu verurteilt, die Wohnung D. , S. links in B. , zu räumen und geräumt herauszugeben.
Nachdem der Schuldner nicht freiwillig räumte, wurde der Gläubiger vom Gerichtsvollzieher in den Besitz der Wohnung eingewiesen. Der Gläubiger ließ die Wohnung unter Berufung auf sein Vermieterpfandrecht am 14. November 2012 von der G. mbH (G. ) räumen und das Pfandgut über einen freien Versteigerer versteigern. Unter dem 6. März 2013 stellte die G. dem Gläubiger für Räumung und Versteigerung nach Abzug des Versteigerungserlöses insgesamt 993,02 € in Rechnung.
Mit Schreiben vom 11. März 2013 hat der Gläubiger beantragt, die ihm von der G. berechneten Kosten als weitere Kosten der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner festzusetzen. Das Amtsgericht hat diesen Antrag zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen Kostenfestsetzungsantrag weiter.
II. Das Beschwerdegericht hat angenommen, bei den für die Beauftragung der G. entstandenen Kosten handele es sich nicht um Kosten der Zwangsvollstreckung im Sinne von § 788 Abs. 1 ZPO. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Zwangsvollstreckung sei die Durchsetzung eines materiellen Anspruchs mit staatlichem Zwang. Im Streitfall habe der Gläubiger den Gerichtsvollzieher nur mit der Durchführung der Räumung nach dem "Berliner Modell" beauftragt und im Übrigen sein Vermieterpfandrecht geltend gemacht. Die Räumungsvollstreckung sei deshalb auf die Besitzeinweisung des Gläubigers gemäß § 885 Abs. 1 ZPO beschränkt gewesen. Die für die Räumung des Objekts und die Versteigerung des Pfandgutes angefallenen Kosten der G. seien dann keine Kosten der Zwangsvollstreckung. Vielmehr seien sie in Ausübung des Vermieterpfandrechts entstanden und könnten nur in einem ordentlichen Verfahren als Aufwendungs- oder Schadensersatz geltend gemacht werden.
III. Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch sonst zulässig (§ 575 ZPO). In der Sache hat sie allerdings keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass der Antrag auf Festsetzung der von der G. berechneten Kosten als Kosten der Zwangsvollstreckung unbegründet ist.
1. Die dem Gläubiger von der G. berechneten Aufwendungen sind nicht nach § 885a Abs. 7 ZPO Kosten der Zwangsvollstreckung.
a) Allerdings hat der Gesetzgeber durch das am 1. Mai 2013 in Kraft getretene Mietrechtsänderungsgesetz vom 11. März 2013 mit der Einfügung von § 885a ZPO das schon zuvor in der Rechtsprechung anerkannte "Berliner Modell" zur Räumungsvollstreckung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2005 - I ZB 45/05, NJW 2006, 848 Rn. 8 ff.; Beschluss vom 16. Juli 2009 - I ZB 80/05, NJW-RR 2009, 1384 Rn. 8 ff.) gesetzlich näher geregelt (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/10485, S. 15, 31). Nach § 885a Abs. 1, § 885 Abs. 1 ZPO kann der Vollstreckungsauftrag des Gläubigers auf die Besitzverschaffung an den Räumen beschränkt werden. Der Gläubiger kann die in der Wohnung vorgefundenen beweglichen Sachen, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sind, unter Beachtung der näheren Regelungen der Absätze 3 bis 5 des § 885a ZPO wegschaffen und verwerten. Nach § 885a Abs. 7 ZPO gelten die Kosten, die dem Gläubiger durch die Wegschaffung, Verwahrung, Vernichtung oder Verwertung der Sachen des Schuldners gemäß § 885a Abs. 3 und 4 ZPO entstehen, als Kosten der Zwangsvollstreckung.
b) Im Streitfall erfolgte die Räumung der Wohnung vom 14. bis 16. November 2012 und damit vor Inkrafttreten des § 885a ZPO am 1. Mai 2013. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde war § 885a Abs. 7 ZPO für vor dem 1. Mai 2013 begonnene Räumungen weder bei Erlass des Beschlusses des Amtsgerichts (4. Juni 2013) noch bei der angefochtenen Beschwerdeentscheidung (16. Oktober 2013) zu beachten. Die dem Gläubiger von der G. in Rechnung gestellten Kosten wären vielmehr nur dann als Kosten der Zwangsvollstreckung anzusehen, wenn mit der Räumung nach dem 30. April 2013 begonnen worden wäre. Das war nicht der Fall.
aa) Soweit das Gesetz keine Überleitungsregel enthält, erfassen Änderungen des Verfahrensrechts zwar im Allgemeinen auch schwebende Verfahren. Sie sind mit Inkrafttreten des Änderungsgesetzes grundsätzlich nach neuem Recht zu beurteilen, soweit es nicht um unter Geltung des alten Rechts abgeschlossene Verfahrenshandlungen und abschließend entstandene Verfahrenslagen geht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2007 - II ZB 29/05, BGHZ 172, 136 Rn. 25 mwN) oder sich Abweichendes aus dem Sinn und Zweck der betreffenden Vorschrift oder aus dem Zusammenhang mit anderen Grundsätzen des Verfahrensrechts ergibt (BGH, Urteil vom 28. Februar 1991 - III ZR 53/90, BGHZ 114, 1, 3 f.).
bb) § 788 Abs. 1 ZPO ist aber keine Regelung des Verfahrensrechts, sondern eine materielle Regelung zur Kostentragung im Vollstreckungsverfahren. § 885a Abs. 7 ZPO regelt den Umfang dieses Erstattungsanspruchs, indem er bestimmte Kosten den Kosten der Zwangsvollstreckung gleichstellt. Zudem ist die Entstehung von Kosten ebenso wie die Einlegung eines Rechtsmittels oder der Beitritt als Nebenintervenient ein Ereignis, das ab einem bestimmten Zeitpunkt grundsätzlich endgültig eingetreten ist. Ferner ist es nicht sachgerecht, für die Frage der Kostenerstattung nach § 885a Abs. 7 ZPO auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über Vollstreckungskosten abzustellen, auf den der Gläubiger durch die Antragstellung Einfluss nehmen kann. Die gebotene Gleichbehandlung von Gläubiger und Schuldner spricht daher dafür, für die Anwendbarkeit von § 885a Abs. 7 ZPO einheitlich auf den Zeitpunkt des Beginns der Räumung abzustellen. Das entspricht auch der für Gerichtskosten in § 71 GKG getroffenen Wertung.
2. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist der Begründung des Regierungsentwurfs des Mietrechtsänderungsgesetzes 2013 auch nicht zu entnehmen, dass mit § 885a Abs. 7 ZPO lediglich bereits geltendes Recht kodifiziert werden sollte (vgl. BT-Drucks. 17/10485, S. 33). Vor dem Inkrafttreten dieser Vorschrift waren die hier in Rede stehenden Aufwendungen keine notwendigen Kosten der Zwangsvollstreckung im Sinne von § 788 Abs. 1 ZPO.
a) Zwar steht - worauf die Rechtsbeschwerde zu Recht verweist - einer Kostenfestsetzung nicht entgegen, dass der Gläubiger mit der G. ein privates Unternehmen beauftragt hat, das Objekt zu räumen und das Pfandgut durch einen freien Versteigerer öffentlich versteigern zu lassen, so dass der materielle Anspruch des Gläubigers nicht durch ein staatliches Organ unter Anwendung staatlichen Zwangs durchgesetzt wurde. Vielmehr kann eine Kostenfestsetzung unter Umständen auch für Kosten erfolgen, die auf einem privatrechtlichen Vertrag und nicht auf dem Handeln eines staatlichen Vollstreckungsorgans beruhen. Die Erstattungsfähigkeit der Kosten hängt nicht von der Natur des sie begründenden Rechtsverhältnisses ab (vgl. zu §§ 103, 104 ZPO BGH, Beschluss vom 20. Juli 2006 - I ZB 105/05, NJW 2006, 3010 Rn. 11 = DGVZ 2006, 159 - Sequestrationskosten; Beschluss vom 15. Februar 2007 - I ZB 36/06, DGVZ 2008, 77 Rn. 6).
Der Senat hat deshalb entschieden, dass die Kosten der Sequestration im Kostenfestsetzungsverfahren aufgrund der Kostengrundentscheidung des Verfahrens festgesetzt werden können, in dem die Sequestration angeordnet worden ist, auch wenn die Sequestration auf einem privatrechtlichen Vertrag beruht. In diesen Fällen war der Schuldner jeweils verpflichtet worden, bestimmte Gegenstände an einen Gerichtsvollzieher als Sequester herauszugeben.
b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kann diese Rechtsprechung aber nicht auf den Streitfall übertragen werden.
aa) In den vom Senat zur Sequestration entschiedenen Fällen hatten die Gläubiger die Gerichtsvollzieher jeweils ohne Einschränkung mit der Vollstreckung der Herausgabetitel beauftragt. Demgegenüber wird beim "Berliner Modell" der auf Räumung und Herausgabe einer bestimmten Wohnung gerichtete Titel von vornherein nur beschränkt vollstreckt, indem der Gläubiger den Gerichtsvollzieher allein damit beauftragt, ihn in den Besitz der Wohnung einzuweisen. Sinn dieser Vorgehensweise ist es, hohe Transport- und Lagerkosten zu vermeiden und damit den Kostenvorschuss für die Vollstreckung zu reduzieren (vgl. BT-Drucks. 17/10485, S. 15). Wird die Durchsetzung eines Titels aber von vornherein keinem staatlichen Vollstreckungsorgan übertragen, das sich bei ihrer Durchführung gegebenenfalls auch privatrechtlicher Mittel bedienen kann, sondern steht allein eine von vornherein - bis 1. Mai 2013 nur im Hinblick auf das Vermieterpfandrecht zulässige - private Durchsetzung des Räumungstitels ohne staatlichen Zwang in Rede, so können die dabei entstehenden Kosten nur aufgrund einer besonderen gesetzlichen Anordnung den Kosten der Zwangsvollstreckung gleichgestellt werden. Daran fehlte es bis zum 1. Mai 2013.
bb) Daran ändert auch nichts, dass allein auf Initiative des künftigen Klägers entstandene Kosten etwa für Detektivermittlungen, Testkäufe oder Nachforschungen im Zusammenhang mit Patentstreitigkeiten, die auf der Grundlage zivilrechtlicher Verträge entstehen, im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden können (vgl. BGH, NJW 2006, 3010 Rn. 11 - Sequestrationskosten). Hierbei handelt es sich um Prozesskosten, die der Vorbereitung eines konkret bevorstehenden Rechtsstreits dienen. Daraus ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Zuordnung von Aufwendungen zu den Kosten der Zwangsvollstreckung.
cc) Gründe der Prozesswirtschaftlichkeit, die den Gesetzgeber zur Einfügung des § 885a Abs. 7 ZPO bewogen haben (vgl. BT-Drucks. 17/10485, S. 33), können für die Zeit vor dem 1. Mai 2013 für sich allein kein anderes Ergebnis rechtfertigen. Vor Inkrafttreten von § 885a Abs. 7 ZPO bestand kein Anhaltspunkt dafür, diese Räumungskosten entgegen dem Zweck des „Berliner Modells“ und dem Wortsinn als Kosten der Zwangsvollstreckung gemäß § 788 Abs. 1 ZPO anzusehen.
3. Das Beschwerdegericht hat somit zu Recht entschieden, dass die dem Gläubiger nach Besitzeinweisung für die vor dem 1. Mai 2013 begonnene Räumung der Wohnung entstandenen Kosten keine Kosten der Zwangsvollstreckung sind (ebenso AG Hannover, NJW-RR 2011, 288; Walker in Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl., § 885 Rn. 28; Saenger in Saenger, ZPO, 5. Aufl., § 788 Rn. 15).
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Büscher Schaffert Kirchhoff
Löffler Schwonke