Entscheidungsdatum: 11.04.2013
1. Ein Vollstreckungstitel, durch den der Schuldner zur Räumung eines Hauses verurteilt worden ist, bei dem ein Raum aufgrund eines Durchbruchs einen Teil des Nachbarhauses mitumfasst, ist nicht unbestimmt, wenn der Gerichtsvollzieher mit allgemein zugänglichen Hilfsmitteln (etwa Bauplänen) und unter Heranziehung von sachkundigen Hilfspersonen klären kann, was zu dem zu räumenden Haus gehört.
2. Der Schuldner kann im Verfahren der Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO nicht den Einwand erheben, ein Titel zur Räumung eines Hauses sei eine Verurteilung zu einer nach Art. 13 GG unzulässigen Teilräumung der Wohnung.
Die Rechtsbeschwerde der Schuldner gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 16. August 2012 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens tragen die Schuldner jeweils zur Hälfte.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 19.200 € festgesetzt.
I. Die Schuldner hatten das Hausgrundstück U.-Straße 6 in Bad B. zusammen mit Räumlichkeiten im Erdgeschoss des Nachbarhauses U.-Straße 4 vom Gläubiger gemietet. Die Häuser sind im Erdgeschoss verbunden; im Wohnzimmer des Hauses U.-Straße 6 befindet sich ein Durchbruch zum Haus U.-Straße 4.
Die Schuldner sind rechtskräftig verurteilt, das Einfamilienhaus U.-Straße 6 in Bad B. einschließlich Garage, Kellerraum und Garten zu räumen und an den Gläubiger herauszugeben.
Aufgrund eines Zwangsvollstreckungsauftrags des Gläubigers hat die Gerichtsvollzieherin Termin zur Räumung des Hauses angesetzt. Dagegen haben die Schuldner Erinnerung eingelegt, mit der sie geltend gemacht haben, die Räumung allein des Anwesens U.-Straße 6 liefe auf eine unzulässige Teilräumung hinaus. Zudem nutze ihr volljähriger Sohn, der im Obergeschoss des Hauses U.-Straße 4 wohne, die Küche des Hauses U.-Straße 6 mit.
Das Amtsgericht Sinzig hat auf die Erinnerung der Schuldner die Zwangsräumung für unzulässig erklärt. Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers hat das Landgericht Koblenz den Beschluss des Amtsgerichts Sinzig aufgehoben und die Erinnerung der Schuldner zurückgewiesen.
Dagegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Schuldner.
II. Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass die Zwangsräumung des Einfamilienhauses U.-Straße 6 in Bad B. aufgrund des Vollstreckungstitels nach § 885 ZPO zulässig ist. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Auch wenn der Termin zur Zwangsräumung am 7. Mai 2012 zwischenzeitlich verstrichen sei, bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung im Beschwerdeverfahren, weil die Räumung des Hauses noch nicht durchgeführt sei. Ein Mitbesitz des volljährigen Sohns der Schuldner an den Räumen des Hauses U.-Straße 6 sei nicht festgestellt. Der Vollstreckungstitel sei auch inhaltlich klar und unmissverständlich. Die Gerichtsvollzieherin könne ohne weiteres auch im Erdgeschoss der Häuser U.-Straße 4 und 6 die Räume feststellen, die vom Vollstreckungstitel erfasst seien.
III. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 575 ZPO). In der Sache hat sie keinen Erfolg.
1. Die Erinnerung der Schuldner ist nach § 766 ZPO zulässig. Den Schuldnern fehlt nicht das für die Erinnerung erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Der Umstand, dass der Termin zur Zwangsräumung vom 7. Mai 2012 verstrichen ist, macht die Erinnerung nicht unzulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Erinnerung nach § 766 ZPO gegen Maßnahmen des Gerichtsvollziehers nach § 885 Abs. 1 ZPO besteht regelmäßig solange, bis die Zwangsvollstreckung beendet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - IXa ZB 324/03, MDR 2005, 648; Beschluss vom 15. Oktober 2009 - VII ZB 1/09, NJWRR 2010, 785 Rn. 9 und 10). Im vorliegenden Fall ist die Zwangsvollstreckung noch nicht beendet, weil die Schuldner das Hausgrundstück U.-Straße 6 noch nicht geräumt haben und - je nach Ausgang des vorliegenden Verfahrens - mit der Anberaumung eines neuen Räumungstermins durch die Gerichtsvollzieherin rechnen müssen.
Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt vorliegend auch nicht deshalb, weil die Schuldner ausschließlich Verstöße gegen das Vollstreckungsrecht geltend machen, die Rechte Dritter betreffen. Die Schuldner berufen sich auf eine Unbestimmtheit des Vollstreckungstitels. Damit stützen sie die Erinnerung auf einen Verstoß gegen das Vollstreckungsrecht, der sie selbst beschwert.
2. Die Erinnerung ist jedoch unbegründet.
a) Die Rechtsbeschwerde rügt ohne Erfolg, das Beschwerdegericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, der volljährige Sohn der Schuldner habe keinen Mitbesitz an den Räumen des Hauses U.-Straße 6. Das Obergeschoss des Hauses U.-Straße 4, das der Sohn der Schuldner angemietet habe, verfüge weder über ein Wohnzimmer noch eine Küche. Da das Obergeschoss des Hauses nicht vom Erdgeschoss getrennt sei, hätten die Schuldner dem Sohn den Mitbesitz auch an dem Wohnzimmer der Häuser U.-Straße 4 und 6 und den übrigen Räumen des Hauses U.-Straße 6 eingeräumt.
Mit der Erinnerung können die Schuldner nur Verstöße gegen das Vollstreckungsrecht geltend machen, die sie selbst beschweren. Daran fehlt es, wenn die Schuldner eine Beeinträchtigung durch die Herausgabevollstreckung aus dem Recht eines Dritten ableiten (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 2009 - I ZB 91/08, NJWRR 2010, 281 Rn. 9). Das ist der Fall, weil die Schuldner sich auf den Mitbesitz eines an dem vorliegenden Verfahren nicht beteiligten Dritten berufen.
b) Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, der Vollstreckungstitel sei hinreichend bestimmt. Es gebe keine Zweifel, dass alle Räume innerhalb des Hauses U.-Straße 6 zu räumen seien. Diese Räume könne die Gerichtsvollzieherin ohne weiteres bestimmen. Daran sei sie auch nicht dadurch gehindert, dass im Erdgeschoss des Wohnzimmers des Hauses U.-Straße 6 ein Durchbruch zu einem Raum des Hauses U.-Straße 4 bestehe.
Die Rechtsbeschwerde macht dagegen geltend, es bestehe nicht lediglich ein Durchbruch zwischen den Häusern U.-Straße 4 und 6. Vielmehr sei das Wohnzimmer des Hauses U.-Straße 6 von dem weiteren Raum im Erdgeschoss des Hauses U.-Straße 4 räumlich nicht getrennt. Die räumliche Trennung fehle auch bei dem Wintergarten und einer Terrasse im ersten Obergeschoss der Häuser. Die Stromversorgung der Häuser sei ebenfalls nicht getrennt. Diese Angriffe verhelfen der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg.
Allerdings kann mit der Erinnerung nach § 766 ZPO geltend gemacht werden, der Tenor eines Vollstreckungstitels sei derart unbestimmt, dass er keinen vollstreckbaren Inhalt habe (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2008 - I ZB 120/05, NJWRR 2009, 445 Rn. 9; OLG Frankfurt, OLGR 1998, 132, 134; LAG Köln, Urteil vom 26. März 2004 - 4 Sa 1393/03, juris Rn. 4; Wieczorek/Schütze/Salzmann, ZPO, 3. Aufl., § 766 Rn. 43; Zöller/Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 766 Rn. 15). Ein Titel, dessen Inhalt auch durch Auslegung vom Vollstreckungsorgan nicht ermittelt werden kann, kann nicht Grundlage von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sein (vgl. OLG Hamm, MDR 1983, 849). In einem solchen Fall muss der Gläubiger die Reichweite des Titels durch eine Feststellungsklage klären (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 1972 - VIII ZR 81/71, NJW 1972, 2268).
Der vorliegende Vollstreckungstitel ist hinreichend bestimmt. Die Schuldner sind verurteilt worden, das Einfamilienhaus U.-Straße 6 in Bad B. einschließlich Garage, Keller und Garten zu räumen und an den Gläubiger herauszugeben. Soweit sich Unklarheiten ergeben, welche Teile der Räumlichkeiten und Bauteile zu dem zu räumenden Grundstück U.-Straße 6 gehören, muss der Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsorgan klären, welche Gebäudeteile dem Hausgrundstück zuzuordnen sind. Sollte dies anhand der Örtlichkeiten nicht ohne weiteres möglich sein, muss der Gerichtsvollzieher sich mit allgemein zugänglichen Hilfsmitteln - etwa Bauplänen - vergewissern, welche Räumlichkeiten und Flächen zum Gebäude U.-Straße 6 gehören. Kann der Gerichtsvollzieher ohne sachkundige Unterstützung die Frage nicht klären, muss er, wie sonst auch bei der Räumung selbst, Hilfspersonen hinzuziehen. Anhaltspunkte dafür, dass es dem Vollstreckungsorgan danach nicht möglich ist, den Umfang des zu räumenden Hauses genau zu bestimmen, bestehen nicht. Auch die nach dem Vortrag der Schuldner bestehende gemeinsame Stromversorgung der Häuser macht den Vollstreckungstitel nicht unbestimmt.
c) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist mit der Einweisung des Gläubigers in den Besitz am Haus U.-Straße 6 auch keine unzulässige Einräumung von Mitbesitz am Haus U.-Straße 4 verbunden. Die Einweisung in den Besitz des Hauses U.-Straße 6 ist auf die zu diesem Gebäude gehörenden Räume und Flächen beschränkt, deren genaue Zuordnung die Gerichtsvollzieherin zu klären hat. Dass eine derartige Beschränkung rechtlich und tatsächlich möglich ist, zeigt die Vorschrift des § 865 BGB über den Teilbesitz.
d) Die Rechtsbeschwerde rügt ohne Erfolg, eine Zwangsräumung des Hauses U.-Straße 6 sei mit Art. 13 GG unvereinbar. Durch dieses Grundrecht werde der angemietete Wohnraum als Privatsphäre vor dem Eingriff Dritter, auch des Eigentümers, geschützt. Der Schutz des Mieters an den Mieträumen als Ort seines Lebensmittelpunkts ginge ins Leere, wenn er einen räumlich nicht abgetrennten Teil weiter nutzen dürfe, den übrigen Teil aber herausgeben müsse.
Mit diesem Angriff ist die Rechtsbeschwerde im Verfahren der Erinnerung nach § 766 ZPO ausgeschlossen. Mit der Erinnerung können nur Anträge, Einwendungen und Erinnerungen geltend gemacht werden, die die Art und Weise der Zwangsvollstreckung oder das bei ihr vom Gerichtsvollzieher zu beobachtende Verfahren betreffen. Dagegen können mit der Erinnerung keine materiell-rechtlichen Einwendungen gegen den durch den Vollstreckungstitel rechtskräftig zuerkannten Anspruch geltend gemacht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2009 - V ZB 180/08, JurBüro 2009, 442 Rn. 8; BGH, NJWRR 2010, 281 Rn. 13). Die Vollstreckungsorgane sind wegen der Trennung von Erkenntnis und Vollstreckungsverfahren nicht befugt, den Vollstreckungstitel einer materiell-rechtlichen Überprüfung zu unterziehen (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1993 - IX ZR 244/92, NJW 1994, 460, 461; vgl. auch BGH, Beschluss vom 16. April 2009 - VII ZB 62/08, NJW 2009, 1887 Rn. 14). Die Prüfung, ob dem Gläubiger als Vermieter ein Räumungsanspruch beschränkt auf das Haus U.-Straße 6 zusteht oder der Räumungsanspruch nur einheitlich für den gesamten, auch das Erdgeschoss des Hauses U.-Straße 4 umfassenden Mietgegenstand geltend gemacht werden kann, setzt eine umfassende materiell-rechtliche Würdigung voraus, die nicht von den Vollstreckungsorganen vorzunehmen ist.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 1 ZPO.
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