Entscheidungsdatum: 17.08.2010
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Hat die Markenstelle die Eintragung des angemeldeten Zeichens als Marke wegen Fehlens der Unterscheidungskraft versagt, so liegt kein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. von § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG vor, wenn die Markenstelle dabei zwar Vorbringen des Anmelders zur Eintragung ähnlicher Zeichen berücksichtigt, aber nicht im Einzelnen Gründe für eine differenzierte Beurteilung angegeben und nicht dargelegt hat, dass sie die Voreintragungen für rechtswidrig halte.
Auf die Rechtsbeschwerde der Anmelderin wird der Beschluss des 29. Senats (Marken-Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 10. Juni 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000 € festgesetzt.
I. Die Anmelderin hat am 30. November 2007 die Eintragung des Zeichens
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als Wortmarke für eine Vielzahl von Waren und Dienstleistungen der Klassen 16, 35 und 41 beantragt.
Die Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft mit Beschluss vom 22. Mai 2008 zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Erinnerung der Anmelderin hatte nur teilweise Erfolg. Mit Beschluss vom 20. August 2008 hat die Markenstelle die Zurückweisung der Anmeldung für folgende Waren und Dienstleistungen bestätigt:
Klasse 16: Druckereierzeugnisse, Druckschriften, Zeitschriften, Zeitungen, Bücher, Poster, Aufkleber (Papeteriewaren), Kalender; Schilder aus Papier und Pappe; Fotografien und Lichtbilderzeugnisse; Lehr- und Unterrichtsmittel (ausgenommen Apparate);
Klasse 35: Werbung, insbesondere Fernsehwerbung, Onlinewerbung in einem Computernetzwerk, Rundfunkwerbung, Versandwerbung, Plakatanschlagwerbung, Print- und Internetwerbung; Werbung über Mobilfunknetze; Werbung durch Handy-TV; Dienstleistungen einer Werbeagentur; Vermietung von Werbeflächen im Internet; Marketing, auch für Dritte in digitalen Netzen (Webvertising); Marktforschung und -analyse; Werbung im Internet für Dritte; Planung und Gestaltung von Werbemaßnahmen, Marketing; Telemarketing; Verteilen von Waren zu Werbezwecken; Verkaufsförderung (Sales Promotion); Öffentlichkeitsarbeit; Dienstleistungen einer PR-Agentur; Durchführung von Werbeveranstaltungen; Organisation von Ausstellungen und Messen für wirtschaftliche und Werbezwecke; Veranstaltung von Messen zu gewerblichen oder zu Werbezwecken; Beratung in Bezug auf Werbung und Marketing, insbesondere Entwicklung von Geschäftskonzepten; Dienstleistungen einer Merchandising-Agentur, soweit in Klasse 35 enthalten;
Klasse 41: Veröffentlichung und Herausgabe von Druckereierzeugnissen (ausgenommen für Werbezwecke), insbesondere von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, sowie von Lehr- und Informationsmaterial, jeweils einschließlich gespeicherter Ton- und Bildinformationen, auch in elektronischer Form und auch im Internet; Online-Publikationen, insbesondere von elektronischen Büchern und Zeitschriften (nicht herunterladbar); Dienstleistungen eines Ton- und Fernsehstudios, nämlich Produktion von Ton- und Bildaufzeichnungen auf Ton- und Bildträgern; Vorführung und Vermietung von Ton- und Bildaufzeichnungen; Produktion von Fernseh- und Rundfunksendungen; Zusammenstellen von Fernseh- und Rundfunkprogrammen; Unterhaltung, insbesondere Rundfunk- und Fernsehunterhaltung; Durchführung von Unterhaltungsveranstaltungen, kulturellen und sportlichen Live-Events, Schulungsveranstaltungen, Bildungsveranstaltungen sowie kulturellen und sportlichen Veranstaltungen, soweit in Klasse 41 enthalten; Organisation und Veranstaltung von Konferenzen, Kongressen, Konzerten und Symposien; Veranstaltung von Ausstellungen für kulturelle Zwecke; Veranstaltung von Unterhaltungsshows; Unterhaltung durch IP-TV; Durchführung von Spielen im Internet.
Das Bundespatentgericht hat die Beschlüsse des Deutschen Patent- und Markenamts auf die Beschwerde der Anmelderin aufgehoben, soweit die Anmeldung zurückgewiesen worden ist, und hat das Verfahren an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen (BPatG, Beschluss vom 10. Juni 2009 - 29 W (pat) 73/08, juris).
Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich die Anmelderin gegen den Beschluss des Bundespatentgerichts, soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist.
II. Das Bundespatentgericht hat ausgeführt, die Beschlüsse der Markenstelle seien unter Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt aufzuheben, weil sie nicht den Vorgaben des Beschlusses des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. Februar 2009 in den verbundenen Rechtssachen C-39/08 und C-43/08 (Slg. 2009, I-20 = GRUR 2009, 667 - Bild digital GmbH & Co KG u. ZVS Zeitungsvertrieb Stuttgart GmbH/Präsident des Deutschen Patent- und Markenamts) entsprächen.
Danach müsse eine nationale Behörde bei der Prüfung einer Anmeldung die zu ähnlichen Anmeldungen ergangenen früheren Entscheidungen berücksichtigen und dabei besonderes Augenmerk auf die Frage richten, ob im gleichen Sinne zu entscheiden sei oder nicht. Es bestehe nicht nur die Verpflichtung zur Einbeziehung von Vorentscheidungen in die Entscheidungsfindung als solche, sondern diese Überlegungen müssten für den Adressaten auch erkennbar sein. Dazu bedürfe es entsprechender Ausführungen in der die Anmeldung zurückweisenden Entscheidung. Die Beschlüsse des Deutschen Patent- und Markenamts enthielten keine derartige Begründung. Insoweit liege ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, so dass das Verfahren nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG zur vergleichenden Würdigung der Vorentscheidungen in materiell-rechtlicher Hinsicht und zur Nachholung der Begründung gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 MarkenG zurückverwiesen werde. Bei der Aufklärung des Sachverhalts, insbesondere hinsichtlich der Existenz vergleichbarer Voreintragungen und Zurückweisungen einschließlich gerichtlicher Vorentscheidungen, habe die Anmelderin mitzuwirken und ihren diesbezüglichen Sachvortrag entsprechend zu substantiieren. Dieser Mitwirkungspflicht sei die Anmelderin bisher nur sehr unvollständig nachgekommen, so dass auch aus diesem Grund die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen sei.
III. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, soweit das Bundespatentgericht gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG von einer eigenen Sachentscheidung abgesehen und die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen hat.
1. Nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG kann das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn das Verfahren vor dem Patent- und Markenamt an einem wesentlichen Mangel leidet. Von einem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne von § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG kann - wie bei § 79 Abs. 3 Nr. 2 PatG, dem die Vorschrift nachgebildet ist (vgl. Begründung zu § 70 MarkenG, BlfPMZ Sonderheft 1994, S. 99; vgl. ferner § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) - nur ausgegangen werden, wenn ein so erheblicher Verfahrensverstoß gegeben ist, dass es an einer ordnungsgemäßen Grundlage für eine Sachentscheidung fehlt (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1961 - I ZR 92/58, GRUR 1962, 86, 87 - Fischereifahrzeug, zur entsprechenden Anwendung von §§ 539, 540 ZPO a.F.; Büscher in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 2. Aufl., § 70 MarkenG Rn. 20; Fezer, Markenrecht, 4. Aufl., § 70 Rn. 10; Knoll in Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl., § 70 Rn. 7; vgl. ferner zur Regelung in der ZPO: BGH, Urteil vom 26. September 2002 - VII ZR 422/00, NJW-RR 2003, 131 mwN; Musielak/Ball, ZPO, 7. Aufl., § 538 Rn. 9; Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 538 Rn. 11; zu § 79 PatG: Benkard/Schäfers, PatG, 10. Aufl., § 79 Rn. 28; zu § 130 VwGO: Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 18. Aufl., § 130 Rn. 7). Ob ein wesentlicher Verfahrensfehler vorliegt, ist in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur entsprechenden Regelung in der Zivilprozessordnung allein aufgrund des materiell-rechtlichen Standpunkts der Vorinstanz zu beurteilen, auch wenn dieser verfehlt ist oder das Beschwerdegericht ihn für verfehlt erachtet (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1983 - IVa ZR 135/81, BGHZ 86, 218, 221; Urteil vom 13. Juli 2010 - VI ZR 254/09 Rn. 8, juris; Zöller/Heßler aaO § 538 Rn. 10, jeweils mwN). Ein wesentlicher Verfahrensmangel, der zum Fehlen einer ordnungsgemäßen Entscheidungsgrundlage führt, kann ferner nur angenommen werden, wenn er sich auf das Ergebnis der Entscheidung rechtlich ausgewirkt hat (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 1989 - I ZR 22/88, GRUR 1990, 68, 69 = WRP 1990, 274 - VOGUE-Ski; Urteil vom 9. Mai 1996 - VII ZR 259/94, NJW 1996, 2155 jeweils mwN, zu § 539 ZPO).
2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts leidet das Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt nicht an einem solchen Mangel. Die Markenstelle war nicht gehalten, im Hinblick auf eingetragene vergleichbare Marken im Einzelnen Gründe für eine differenzierte Beurteilung anzugeben oder darzulegen, dass es die Voreintragungen für rechtswidrig halte.
a) Maßgebliche Grundlage für die Entscheidung, ob die Eintragung des angemeldeten Zeichens als Marke für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zu versagen ist, ist die Prüfung, ob eines der in § 8 Abs. 1 und 2 MarkenG genannten Eintragungshindernisse gegeben ist. Diese Prüfung darf nicht abstrakt erfolgen. Sie hat sich vielmehr auf die Eigenschaften der Marke zu beziehen, deren Eintragung begehrt wird, und hängt in jedem Einzelfall von besonderen, im Rahmen ganz bestimmter Umstände anwendbaren Kriterien ab, anhand deren ermittelt werden soll, ob das angemeldete Zeichen unter eines der Eintragungshindernisse fällt (vgl. EuGH, GRUR 2009, 667 Rn. 14 f. - Bild digital u.a./Präsident DPMA). Etwaige Entscheidungen über ähnliche Anmeldungen sind zwar, soweit sie bekannt sind, im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigen, ob im gleichen Sinne zu entscheiden ist oder nicht; sie sind jedoch keinesfalls bindend (EuGH aaO Rn. 17, 19). Denn für die Entscheidung, ob der Markenanmeldung ein Eintragungshindernis entgegensteht, kommt es allein darauf an, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen eines der gesetzlich geregelten Schutzhindernisse gegeben sind. Der Umstand, dass identische oder ähnliche Zeichen als Marken eingetragen worden sind, ist demgegenüber nicht maßgebend (EuGH aaO Rn. 15, 18 f.).
b) Von diesen Grundsätzen ist auch die Markenstelle in ihren Beschlüssen ausgegangen. Sie hat zu Recht die Prüfung, ob das angemeldete Zeichen für die einzelnen beanspruchten Waren und Dienstleistungen gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG von der Eintragung ausgeschlossen ist, maßgeblich darauf gerichtet, ob dem Zeichen insoweit jegliche Unterscheidungskraft im Sinne dieser Vorschrift fehlt. Den Rechtsbegriff der Unterscheidungskraft hat die Markenstelle rechtsfehlerfrei in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs im Sinne der konkreten Eignung des Zeichens bestimmt, die Waren und Dienstleistungen, für die die Eintragung begehrt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und sie von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Januar 2010 - C-398/08 P, GRUR 2010, 228 Rn. 33 - Audi [Vorsprung durch Technik], mwN; BGH, Beschluss vom 19. November 2009 - I ZB 76/08, GRUR 2010, 637 Rn. 12 = WRP 2010, 888 - Farbe gelb). Zutreffend ist sie weiter davon ausgegangen, dass die Unterscheidungskraft zum einen im Hinblick auf die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen und zum anderen im Hinblick auf die beteiligten Verkehrskreise zu beurteilen ist, wobei auf die mutmaßliche Wahrnehmung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (vgl. EuGH aaO Rn. 34 - Audi [Vorsprung durch Technik], mwN). Sodann hat sie die Wahrnehmung der von den hier beanspruchten Waren und Dienstleistungen angesprochenen Verkehrskreise ermittelt und auf dieser Grundlage für die im Einzelnen angeführten Waren und Dienstleistungen die Voraussetzungen des Eintragungshindernisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG bejaht. Dabei hat die Markenstelle ausgeführt, dass die von der Anmelderin angeführten Entscheidungen und Voreintragungen zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung führen könnten.
c) Darin kann entgegen der Auffassung des Bundespatentgerichts kein wesentlicher Verfahrensfehler im Sinne von § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG gesehen werden. Von dem für die Anwendung des § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG maßgeblichen (oben unter III 1 a.E.) materiell-rechtlichen Standpunkt der Markenstelle kam es allein darauf an, dass nach ihrer Beurteilung die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Eintragungshindernisses des Fehlens jeglicher Unterscheidungskraft hinsichtlich der von ihr im Einzelnen angeführten Waren und Dienstleistungen vorliegen. Bei dieser Beurteilung hat sie das Vorbringen der Anmelderin zu ähnlichen Anmeldungen und Voreintragungen hinreichend im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigt. Die Markenstelle musste, da sie die Voraussetzungen des Eintragungshindernisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG bejaht hat, auf dieses Vorbringen auch deshalb nicht näher eingehen, weil zum einem (nicht begründeten) Eintragungen anderer Marken keine weiter gehenden Informationen im Hinblick auf die Beurteilung der konkreten Anmeldung entnommen werden können und zum anderen auch unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht von einer den rechtlichen Vorgaben entsprechenden Entscheidung abgesehen werden darf (EuGH aaO Rn. 18 - Bild digital, mwN). Das Bundespatentgericht hätte somit schon aus diesem Grunde nicht gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG von einer eigenen Entscheidung absehen dürfen.
IV. Auf die Rechtsbeschwerde ist der angefochtene Beschluss daher aufzuheben und die Sache an das Bundespatentgericht zurückzuverweisen (§ 89 Abs. 4 Satz 1 MarkenG), das im Rahmen seiner eigenen umfassenden Prüfungsbefugnis (vgl. § 73 Abs. 1 MarkenG) die erforderlichen Feststellungen zum Vorliegen des Schutzhindernisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG nachzuholen hat. Sollte das Bundespatentgericht dabei zu dem Ergebnis gelangen, der Beurteilung der vorliegenden Anmeldung durch die Markenstelle liege eine rechtlich fehlerhafte Anwendung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zugrunde, sind in diesem Fall etwaige Voreintragungen gleichfalls ohne Bedeutung, weil dann schon die auf die konkrete Anmeldung beschränkte fehlerfreie Anwendung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zur Eintragung führt.
Bornkamm Pokrant Büscher
Bergmann Kirchhoff