Entscheidungsdatum: 13.09.2018
Auf die Rechtsbeschwerde der Berufungsführerin wird der Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 28. September 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 73.735,20 € festgesetzt.
I. Die Klägerin ist Verkehrshaftungsversicherer der H. GmbH (im Folgenden: Versicherungsnehmerin). Sie verlangt von der Beklagten aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin Ersatz für den Verlust von Frachtgut auf einem Transport von Italien nach Deutschland. Die Versicherungsnehmerin wurde von der Berufungsführerin beauftragt, Reifen zu einer Kundin in Italien (Streitverkündete zu 1) zu befördern sowie bestimmte dort vorhandene Reifen zurückzubringen. Die Versicherungsnehmerin beauftragte die Beklagte, die wiederum die der Beklagten beigetretene Streitverkündete zu 2 beauftragte. Deren Fahrer übernahm die für die Streitverkündete zu 1 bestimmten Reifen und lieferte sie bei dieser ab. Streitig ist, ob der Lastzug sodann mit den bestimmten bei der Streitverkündeten zu 1 vorhandenen Reifen beladen wurde, die der Fahrer auf dem CMR-Frachtbrief quittierte, oder ob er lediglich eine geringe Anzahl von Reifen erhielt, die er zurück nach Deutschland brachte.
Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Auf das den Klägervertretern am 25. April 2017 zugestellte Urteil hat die Berufungsführerin am 19. Mai 2017 den Beitritt auf Seiten der Klägerin erklärt und zugleich Berufung eingelegt. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 25. Juli 2017 hat die Berufungsführerin mit am 24. Juli 2017 eingegangenem Schriftsatz unter anderem auf den erstinstanzlichen Vortrag der Klägerin verwiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Berufungsführerin im Zeitpunkt der Einlegung und der Begründung des Rechtsmittels dem Rechtsstreit nicht wirksam beigetreten gewesen sei.
II. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Berufungsführerin ist zulässig und begründet.
1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat der Berufungsführerin den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt ihren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284 [juris Rn. 25]; BVerfG, NJW 2003, 281 [juris Rn. 9]) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juni 2017 - V ZB 106/16, NJW-RR 2017, 1145 Rn. 5 mN).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht durfte die Berufung nicht mit der Begründung als unzulässig verwerfen, der Beitritt der Berufungsführerin zum Rechtsstreit sei nicht wirksam mit der Berufungseinlegung erfolgt.
a) Das Berufungsgericht hat angenommen, für einen wirksamen Beitritt müssten die formellen Erfordernisse von § 70 Abs. 1 Satz 2 ZPO erfüllt sein. Während die Beitrittserklärung der Berufungsführerin die Parteien und den Rechtsstreit bezeichne sowie eine eindeutige Beitrittserklärung enthalte (§ 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 ZPO), fehle es an der "bestimmten Angabe des Interesses" gemäß § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO. Zwar genüge dafür der bloß schlagwortartige Verweis auf Tatsachen, aus denen sich ein solches Interesse ergebe. Die Berufungsführerin habe jedoch weder in der Berufungsschrift noch in der Berufungsbegründung Tatsachen aufgezeigt, die es der Beklagten erlaubten, den Grund ihres Beitritts zu erkennen. Eine Streitverkündung an die Berufungsführerin, aus der ihr Interesse hervorgehen könnte, habe nicht stattgefunden. Der Verweis auf das Urteil - zumal lediglich als Gegenstand des Berufungsangriffs - genüge zur Darstellung des Interesses ebenfalls nicht. Die Berufungsführerin werde weder im Urteil noch in den dort in Bezug genommenen Schriftsätzen als etwaige Regress- oder Rückgriffsschuldnerin der Klägerin bezeichnet. Es bleibe sogar unklar, ob die Berufungsführerin Empfängerin der Regulierungszahlung gewesen sei. Die bloße Benennung der Berufungsführerin als Auftraggeberin genüge nicht zur "bestimmten Angabe des Interesses". Eine mögliche Inanspruchnahme durch die Klägerin liege auch keineswegs auf der Hand. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
b) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Da eine Berufung nur von Prozessbeteiligten eingelegt werden kann, hängt ihre Zulässigkeit im Falle der Einlegung durch eine Streithelferin davon ab, ob diese rechtzeitig - spätestens mit Einlegung der Berufung (§ 66 Abs. 2 ZPO) - und wirksam dem Rechtsstreit beigetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Oktober 1990 - IX ZB 78/90, NJW 1991, 229, 230 [juris Rn. 7]; Urteil vom 10. März 1994 - IX ZR 152/93, NJW 1994, 1537 [juris Rn. 6]; Urteil vom 16. Januar 1997 - I ZR 208/94, NJW 1997, 2385 [juris Rn. 16]; Beschluss vom 11. Mai 2000 - I ZB 26/99, juris Rn. 7).
Ebenfalls frei von Rechtsfehlern ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Beitritt mit der Einlegung der Berufung verbunden werden kann (§ 66 Abs. 2, § 70 Abs. 1 Satz 1 ZPO), dann jedoch den inhaltlichen Anforderungen des § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 ZPO genügen muss. Beitritt und Berufung sind zwei selbständige Prozesshandlungen, deren Wirksamkeit je für sich gesondert zu beurteilen ist (BGH, NJW 1994, 1537 [juris Rn. 7]; NJW 1997, 2385 [juris Rn. 16]; BGH, Beschluss vom 11. Mai 2000 - I ZB 26/99, juris Rn. 7). Nach § 70 Abs. 1 Satz 2 ZPO muss ein Beitrittsschriftsatz die Bezeichnung der Parteien - insbesondere derjenigen, auf deren Seite der Beitritt erfolgen soll - und des Rechtsstreits, an dem der oder die Beitretende sich beteiligen will (Nr. 1), die bestimmte Angabe des Interesses, das dem Beitritt zugrunde liegt (Nr. 2) sowie die Erklärung des Beitritts enthalten (Nr. 3).
c) Die Rechtsbeschwerde rügt jedoch mit Recht, das Berufungsgericht habe die Anforderungen an die "bestimmte Angabe des Interesses" im Sinne von § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO überspannt und damit die Rechtsschutzgarantie verletzt.
aa) Sehen prozessrechtliche Vorschriften wie § 66 Abs. 2, § 70 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Möglichkeit vor, ein Rechtsmittel einzulegen, so verbietet die für zivilgerichtliche Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende Rechtsschutzgarantie eine Auslegung und Anwendung dieser Rechtsnormen, die die Beschreitung des eröffneten Rechtsweges in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (vgl. BVerfGE 74, 228, 234 [juris Rn. 25]; BVerfG, NVwZ 1994, Beilage 9, 65, 66 [juris Rn. 12]). Mit Blick auf diese verfassungsrechtliche Vorgabe hat sich die Auslegung von Prozesshandlungen an dem Grundsatz auszurichten, dass im Zweifel gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. BGH, NJW 1994, 1537 [juris Rn. 12] mwN).
Danach sind bei der (bloßen) formellen Prüfung des § 70 Abs. 1 Satz 2 ZPO unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschrift, den Parteien den Beitrittsgrund klarzumachen (vgl. RG, Urteil vom 14. Juni 1921 - II ZR 567/20, RGZ 102, 276, 278; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 76. Aufl., § 70 Rn. 6), keine überzogenen Anforderungen an die Darlegung des rechtlichen Interesses am Beitritt zum Rechtsstreit zu stellen. So ist beispielsweise der Hinweis auf eine vorausgegangene Streitverkündung regelmäßig ausreichend (vgl. RGZ 102, 276, 278; BGH, NJW 1994, 1537 f. [juris Rn. 16]; NJW 1997, 2358 [juris Rn. 17]). Das Interesse einer Streithelferin am Ausgang des Rechtsstreits kann auch bereits aus den Feststellungen des Berufungsgerichts folgen, wenn die Streithelferin danach gewärtigen muss, dass die Klägerin sie in Regress nimmt, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts rechtskräftig wird (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2000 - I ZB 26/99, juris Rn. 8). Ergibt sich das Interesse an einem Beitritt schon aus der mit dem Rechtsmittel angegriffenen Entscheidung, ist eine nähere Darlegung des Interesses im Sinne von § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO nicht erforderlich (vgl. OLG Hamm, FamRZ 1984, 810, 811).
bb) Nach diesen Maßstäben sind die formellen Voraussetzungen von § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO erfüllt. Das rechtliche Interesse der Berufungsführerin ergibt sich - insbesondere auch für die Beklagte - aus den Feststellungen im landgerichtlichen Urteil und den dort in Bezug genommenen Schriftsätzen. Danach war die Berufungsführerin als Empfängerin des Frachtguts neben der Klägerin gegenüber der Beklagten weitere Anspruchsberechtigte im Sinne von § 428 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 2006 - I ZR 226/03, TranspR 2006, 363, 365 [juris Rn. 30]; Versäumnisurteil vom 14. Juni 2007 - I ZR 50/05, BGHZ 172, 330 Rn. 30). Der Zweck der Regelung des § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO war damit erfüllt und eine nähere Darlegung des Interesses nicht erforderlich.
3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann nach alledem keinen Bestand haben. Sie ist nach § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO aufzuheben und die Sache zur Verhandlung und Entscheidung über die Begründetheit der Berufung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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