Entscheidungsdatum: 14.11.2012
1. Eine Übertragung des nahezu gesamten Vermögens einer Unterstützungskasse auf einen anderen Rechtsträger lässt die Körperschaftsteuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 KStG 2002 mit Wirkung für die zurückliegenden Veranlagungszeiträume entfallen.
2. Es liegt ein Verstoß gegen die satzungsmäßige Vermögensbindung während des Bestehens der Kasse vor, da die Verwendung des Vermögens und der Einkünfte der Kasse nicht mehr tatsächlich für die Zwecke der Kasse "dauernd" gesichert i.S. von § 5 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c KStG 2002 ist (Bestätigung des Senatsurteils vom 15. Dezember 1976 I R 235/75, BFHE 121, 322, BStBl II 1977, 490).
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist eine Unterstützungskasse in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins, die vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) ursprünglich als nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 2002) steuerbefreit behandelt wurde. Mit Wirkung zum 1. Dezember 2006 übertrug der Kläger nahezu sein gesamtes Vermögen (1.021.580,94 €) auf die P-AG. Eine Beschlussfassung der Mitglieder des Klägers erfolgte hierzu nicht; die Satzung des Klägers wurde im Hinblick auf die Übertragung des Vermögens nicht geändert. Die P-AG übernahm die Verpflichtung des Klägers aus den Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Der gemeine Wert des Vermögens des Klägers betrug am 31. Dezember 2006 4.022,36 € und das zulässige Kassenvermögen 0 €.
In der Steuererklärung für das Streitjahr (2006) erklärte der Kläger steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 9.515,22 €. Er ging dabei von einer sog. Überdotierung der Kasse zum Ende des Wirtschaftsjahres in Höhe von 100 v.H. und damit von einer Körperschaftsteuerpflicht aus. In den Einkünften waren Rückstellungen für Verwaltungs- und Abwicklungskosten in Höhe von 37.000 € enthalten, die im Hinblick auf die Übertragung des Kassenvermögens auf die P-AG angefallen waren. Das FA erhöhte den erklärten Gewinn um die Aufwendungen für die Übertragung des Kassenvermögens in Höhe von 37.000 € und setzte die Steuer --auf der Grundlage steuerpflichtiger Einkünfte in Höhe von 48.065 €-- auf 10.715 € fest. Die geltend gemachten Aufwendungen wurden nicht zum Abzug zugelassen, da sie nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit den Einkünften aus Kapitalvermögen stünden.
Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, dass er seit der Übertragung seines gesamten Vermögens zum 1. Dezember 2006 keine Unterstützungskasse mehr sei, da zu diesem Zeitpunkt die steuerbefreite Tätigkeit beendet worden sei. Eine Steuerpflicht bestehe daher erst ab dem 1. Dezember 2006 in vollem Umfang. Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg folgte dem nicht und wies mit Urteil vom 18. Oktober 2011 8 K 8184/08 die Klage ab. Es war der Auffassung, dass die Übertragung des vollständigen Kassenvermögens ohne Satzungsänderung nicht zu einer Beendigung der Steuerbefreiung des Klägers geführt hat, der Kläger zum 31. Dezember 2006 überdotiert und daher mit seinen im Streitjahr erzielten Einkünften steuerpflichtig war. Die Aufwendungen für die Auflösung und Abwicklung der Kasse sah das FG als Folgekosten der Steuerbefreiung und damit nach § 3c Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002 als nicht abzugsfähig an.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Er beantragt sinngemäß,
das FG-Urteil aufzuheben und den angefochtenen Körperschaftsteuerbescheid dahin abzuändern, dass die Körperschaftsteuer 2006 auf 892,92 € festgesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. 1. Die Revision ist zulässig. Es ist unschädlich, dass das Streitjahr bei Revisionseinlegung unrichtig angegeben wurde. Ein Irrtum über die Identität des angefochtenen Urteils ist ausgeschlossen, da der Kläger das angefochtene Urteil genau bezeichnet und der Revision beigefügt hat (vgl. Senatsurteil vom 11. Dezember 1985 I R 31/84, BFHE 146, 196, BStBl II 1986, 474; Urteil des Bundesfinanzhofs vom 23. Februar 1988 IX R 157/84, BFHE 152, 496, BStBl II 1988, 604).
2. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG ist zwar im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die im Streitjahr erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen in vollem Umfang der Besteuerung unterliegen. Die Feststellungen des FG reichen aber für eine abschließende Entscheidung nicht aus. Das FG wird im zweiten Rechtsgang die tatsächlichen Feststellungen zu Art und Höhe der Aufwendungen für die Auflösung und Abwicklung der Kasse treffen müssen und hiernach zu entscheiden haben, ob diese Kosten in einem notwendigen Veranlassungszusammenhang zu den Einkünften aus Kapitalvermögen stehen oder als Kosten der Beendigung der Einkunftserzielung dem Vermögensbereich zuzuordnen sind.
a) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 KStG 2002 sind u.a. rechtsfähige Unterstützungskassen von der Körperschaftsteuer befreit, wenn neben weiteren Voraussetzungen sichergestellt ist, dass die ausschließliche und unmittelbare Verwendung des Vermögens und der Einkünfte der Kasse nach der Satzung und der tatsächlichen Geschäftsführung für die Zwecke der Kasse dauernd gesichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c KStG 2002). Diese Vermögensbindung betrifft die Sicherung des Kassenvermögens während des Bestehens der Kasse. Ist die Verwendung des Vermögens und der Einkünfte der Kasse nicht dauernd gesichert, entfällt die Steuerbefreiung nicht nur mit Wirkung für den Veranlagungszeitraum, in welchem die satzungsmäßige Vermögensbindung aufgehoben worden ist, sondern auch mit Wirkung für die zurückliegenden Veranlagungszeiträume, soweit die Verjährung des Steueranspruchs noch nicht eingetreten ist. Das ergibt sich unmittelbar aus der Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c KStG 2002, nach welcher die Verwendung des Vermögens und der Einkünfte der Kasse tatsächlich für die Zwecke der Kasse "dauernd" gesichert sein muss (Senatsurteil vom 15. Dezember 1976 I R 235/75, BFHE 121, 322, BStBl II 1977, 490).
Die Vermögensbindung während des Bestehens der Kasse ist von der Vermögensbindung bei Auflösung der Kasse zu unterscheiden. § 5 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KStG 2002 knüpft die Steuerbefreiung daran, dass der Betrieb der Kasse nach dem Geschäftsplan und nach Art und Höhe der Leistungen eine soziale Einrichtung darstellt. Nach § 1 Nr. 2 der Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung (KStDV 1977) handelt es sich bei einer Kasse nur dann um eine soziale Einrichtung i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KStG 2002, wenn bei Auflösung der Kasse deren Vermögen satzungsmäßig nur den Leistungsempfängern oder deren Angehörigen zugutekommt oder für ausschließlich gemeinnützige oder mildtätige Zwecke verwendet werden darf. Die Vermögensbindung bei Auflösung der Kasse stellt, wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 20. September 1967 I 62/63 (BFHE 90, 177, BStBl II 1968, 24) ausgeführt hat, eine der wichtigsten Voraussetzungen der Körperschaftsteuerfreiheit von Unterstützungskassen dar, die auch satzungsmäßig festzuhalten ist. Es ist daher nicht zulässig, dass nach Auflösung der Kasse das Vermögen an das Trägerunternehmen oder an den Unternehmer zurückfließt. Eine solche Verwendung läuft der Vorschrift des § 1 Nr. 2 KStDV 1977 zuwider und schließt die Steuerbefreiung aus (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 KStG Rz 88, 95).
b) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen liegt im Streitfall ein Verstoß gegen die satzungsmäßige Vermögensbindung während des Bestehens der Kasse vor. Nach den Feststellungen des FG, gegen die keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht worden sind und an die der Senat deshalb gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, hat der Kläger im Streitjahr einen Betrag von 1.021.580,94 € auf die P-AG übertragen. Dieser Betrag stellte nahezu das gesamte Vermögen des Klägers dar. Der gemeine Wert dieses Vermögens betrug am Ende des Streitjahres 4.022,36 € und das zulässige Kassenvermögen 0 €. Aufgrund der Übertragung des nahezu gesamten Vermögens auf die P-AG ist die Verwendung des Vermögens und der Einkünfte der Kasse nicht mehr tatsächlich für die Zwecke der Kasse "dauernd" gesichert i.S. von § 5 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c KStG 2002. Damit entfällt die Steuerbefreiung nicht nur mit Wirkung für den Veranlagungszeitraum, in welchem die satzungsmäßige Vermögensbindung aufgehoben worden ist, sondern auch mit Wirkung für die zurückliegenden Veranlagungszeiträume, soweit die Verjährung des Steueranspruchs noch nicht eingetreten ist. Der Senat hält insoweit an seinem Urteil in BFHE 121, 322, BStBl II 1977, 490 fest. Dass dieses Urteil noch zur alten Regelung in § 4 Abs. 1 Nr. 7 KStG a.F. i.V.m. § 11 Nr. 1 KStDV a.F. ergangen ist, ist unbeachtlich. Die nachfolgende Regelungsänderung durch § 20 des Gesetzes zur Verbesserung der Betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 (BGBl I 1974, 3610, BStBl I 1975, 22) betraf die Entlassung des überdotierten Vermögens einer Unterstützungskasse aus der Vermögensbindung (jetzt § 6 Abs. 6 KStG 2002; vgl. Urteil des FG Baden-Württemberg vom 1. Februar 1988 V K 145/87, juris); sie belässt die Regelung zur satzungsmäßigen Vermögensbindung, die vorliegend streitig ist, unberührt.
c) Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass die Kasse im Zeitpunkt der Übertragung des Kassenvermögens bereits aufgelöst war und der Streitfall damit im Ergebnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KStG 2002 i.V.m. § 1 Nr. 2 KStDV 1977 und nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c KStG 2002 zu beurteilen wäre. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob ein Verstoß gegen die satzungsmäßige Vermögensbindung bei Auflösung der Kasse auch dann vorliegen würde, wenn im Ergebnis --durch Übertragung der Kassenverpflichtungen auf die P-AG-- nur der Durchführungsweg der betrieblichen Altersversorgung gewechselt worden wäre. Denn von einer Auflösung des Klägers ist jedenfalls nicht bereits im Zeitpunkt der Übertragung des Kassenvermögens zum 1. Dezember 2006 auszugehen. Die Trägerunternehmen haben, indem sie den Vertrag mit der P-AG abgeschlossen haben, faktisch über das Vermögen des Klägers verfügt, ohne dessen Gremien formal einzuschalten. Hieraus kann nicht die sofortige Auflösung des Klägers abgeleitet werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) kann zwar ein Verein liquidationslos erlöschen, wenn sich beispielsweise der Verein über einen längeren Zeitraum aus Interessenlosigkeit der Mitglieder nicht mehr betätigt oder den Vereinszweck tatsächlich aufgegeben hat (vgl. BGH-Urteil vom 8. April 1976 II ZR 212/74, Wertpapier-Mitteilungen Teil IV --WM-- 1976, 686). Im Streitfall wird man diese Rechtsfolge aber nicht uno actu mit der Übertragung des Kassenvermögens annehmen können, da der Rechtsprechung des BGH auch zu entnehmen ist, dass eine nur vorübergehende, kurzzeitige Nichtausübung des Vereinszwecks noch nicht zum Verlust des rechtlichen Status führt (vgl. BGH-Urteil vom 26. Juni 1995 II ZR 282/93, WM 1995, 1446). So ist denn auch --worauf das FG zutreffend hinweist-- die Ansammlung begünstigten Kassenvermögens i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 3 KStG 2002 und damit der Unternehmensgegenstand des Klägers unverändert bestehen geblieben.
d) Es ist nach alledem nicht weiter darauf einzugehen, ob den Vorschriften in § 6 KStG 2002 zur Überdotierung und § 13 Abs. 2 und 5 KStG 2002 zum Beginn und Ende einer Steuerbefreiung ein allgemeines Prinzip entnommen werden kann, wonach die Überdotierung auf einen vom Kalenderjahr abweichenden Zeitraum zum (unterjährigen) Ende der Steuerbefreiung vorzunehmen ist.
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Die im Streitjahr erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen unterliegen in vollem Umfang der Besteuerung. Da die Steuerbefreiung des Klägers aber nicht nur mit Wirkung für das Streitjahr, sondern auch mit Wirkung für die zurückliegenden Veranlagungszeiträume entfallen ist, sind die geltend gemachten Aufwendungen für die "Auflösung und Abwicklung" des Klägers nicht mehr als Folgekosten der steuerbefreiten Unterstützungskasse nach § 3c Abs. 1 EStG 2002 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002 anzusehen. Das FG wird im zweiten Rechtsgang tatsächliche Feststellungen zu Art und Höhe der Aufwendungen für die "Auflösung und Abwicklung" der Kasse zu treffen haben, die eine Entscheidung ermöglichen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang diese Kosten in einem notwendigen Veranlassungszusammenhang zu den Einkünften aus Kapitalvermögen stehen oder als Kosten der Beendigung der Einkunftserzielung dem Vermögensbereich zuzuordnen sind.