Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 08.09.2011


BFH 08.09.2011 - I R 78/10

Kein RAP für ratenweise erbrachten Schadensersatz; Schadensersatzleistungen nicht von der Gewerbesteuer befreit


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
08.09.2011
Aktenzeichen:
I R 78/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend FG Münster, 27. April 2010, Az: 9 K 5258/07 G, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Schadensersatzzahlungen, die eine GmbH von einem Arzt, dem die medizinische Leitung eines noch zu errichtenden Dialysezentrums übertragen wurde, wegen ungerechtfertigter Kündigung seines Anstellungsvertrages erhält, sind nicht von der Gewerbesteuerbefreiung des § 3 Nr. 20 GewStG erfasst, wenn das Dialysezentrum tatsächlich nicht errichtet wurde.

2. NV: Wird der Schadensersatz in monatlichen Raten geleistet, ist die sich durch den Schadensersatzanspruch ergebende Gewinnerhöhung nicht durch Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens auf den Zahlungszeitpunkt zu verteilen.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Schadensersatzleistung gemäß § 3 Nr. 20 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) von der Gewerbesteuer befreit ist.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, betreibt in A in Zusammenarbeit mit einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis ein Dialysezentrum. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass dieses Dialysezentrum eine Einrichtung zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen ist und deshalb § 3 Nr. 20 GewStG unterfällt.

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Im Juni 1994 schloss die Klägerin mit dem Arzt X einen Vertrag über den Betrieb eines noch zu errichtenden Dialysezentrums in B. Nach diesem Vertrag sollte die Klägerin die Finanzierung des Dialysezentrums sicherstellen und die im wirtschaftlichen Bereich anfallenden Entscheidungen treffen, während X die medizinische Leitung obliegen sollte. Der Vertrag wurde jedoch zu keiner Zeit durchgeführt. Vielmehr kündigte X ihn im September 1994, woraufhin die Klägerin ihn auf Schadensersatz verklagte. Der Rechtsstreit wurde bis zum Bundesgerichtshof geführt und letztlich durch einen im Juni 2003 geschlossenen Prozessvergleich beendet, in dem sich X verpflichtete, insgesamt 1.533.875,60 € in monatlichen Raten an die Klägerin zu zahlen. Auf dieser Basis erhielt die Klägerin im Streitjahr (2003) 130.000 €.

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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ging im Anschluss an eine Betriebsprüfung davon aus, dass die Klägerin die am 31. Dezember 2003 noch bestehende Schadensersatzforderung --unter Berücksichtigung der schon gezahlten Beträge, einer unstreitigen Abzinsung und eines ebenfalls unstreitigen Risikoabschlags-- zum Ende des Streitjahres mit 1 Mio. € aktivieren müsse. Den sich daraus ergebenden Gewinn behandelte er als steuerpflichtigen Gewerbeertrag. Die deshalb erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen (FG Münster, Urteil vom 27. April 2010  9 K 5258/07 G); sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 70 abgedruckt.

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Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 3 Nr. 20 GewStG. Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und den angefochtenen Bescheid dahin zu ändern, dass bei der Bemessung des steuerpflichtigen Gewerbeertrags weder die Schadensersatzforderung gegenüber X noch die von ihm geleisteten Zahlungen berücksichtigt werden.

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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das FG hat zu Recht entschieden, dass der angefochtene Bescheid keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Klägerin aufweist.

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1. Nach § 3 Nr. 20 GewStG sind u.a. Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen von der Gewerbesteuer befreit. Diese Regelung greift im Streitfall ihrem Wortlaut nach nicht ein. In diesem Zusammenhang kann die in der Revisionserwiderung aufgeworfene Frage offenbleiben, ob das seinerzeit von der Klägerin geplante Dialysezentrum im Fall seiner Inbetriebnahme zu den in § 3 Nr. 20 GewStG genannten Einrichtungen gezählt hätte. Denn jedenfalls hat die Klägerin die in Rede stehende Schadensersatzleistung nicht im Rahmen einer solchen Einrichtung erwirtschaftet. Es ging bei dieser Leistung vielmehr um den finanziellen Ausgleich dafür, dass eine solche Einrichtung gerade nicht zur Entstehung gelangt ist. Dieser Sachverhalt wird von einer Steuerbefreiung, die nach dem Normtext einer "Einrichtung" zusteht und mithin an das Bestehen einer solchen anknüpft, nicht erfasst. Der in ihrem Antrag auf mündliche Verhandlung vorgebrachte Einwand der Klägerin, es sei zwar nicht die ursprünglich geplante, aber eine andere Einrichtung realisiert worden, kann schon deshalb zu keinem anderen Ergebnis führen, weil es sich insoweit um neuen Sachvortrag handelt, der im Revisionsverfahren nicht beachtet werden kann. Außerdem würde dieser Umstand nichts daran ändern, dass jenes Dialysezentrum, dessen Scheitern die Schadensersatzpflicht ausgelöst hat, nicht tätig geworden ist. Und nur darauf kann es im Hinblick auf die Gewerbesteuerbefreiung ankommen.

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2. Eine Anwendung des § 3 Nr. 20 GewStG auf den im Streitfall zu beurteilenden Ertrag der Klägerin wird auch vom Zweck der Vorschrift nicht gefordert. Dieser Zweck liegt darin, die bestehenden Versorgungsstrukturen bei der Behandlung kranker und pflegebedürftiger Personen zu verbessern und die Sozialversicherungsträger von Aufwendungen zu entlasten (Senatsurteil vom 22. Oktober 2003 I R 65/02, BFHE 204, 278, BStBl II 2004, 300). Der streitgegenständliche Schadensersatz gilt jedoch keine Leistung der Klägerin ab, die der Behandlung des genannten Personenkreises dient oder einem Sozialversicherungsträger in Rechnung gestellt werden könnte. Er kann daher auch nicht an den in § 3 Nr. 20 GewStG genannten Einschränkungen gemessen werden, nach denen mindestens 40 % der von der Einrichtung erbrachten Leistungen einem bestimmten Personenkreis zugute gekommen (§ 3 Nr. 20 Buchst. c GewStG) oder in mindestens 40 % der Fälle die Pflegekosten ganz oder überwiegend von den gesetzlichen Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträgern getragen worden sein müssen (§ 3 Nr. 20 Buchst. d GewStG). Angesichts dessen kann eine teleologische Betrachtung eine Anwendung der Vorschrift im Streitfall ebenfalls nicht rechtfertigen.

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3. Schließlich besteht kein allgemeiner Rechtssatz des Inhalts, dass eine Schadensersatzleistung stets steuerfrei ist, wenn sie den Ausfall einer steuerfreien Einnahme oder eines steuerfreien Ertrags abgilt. Vielmehr hat der Senat wiederholt entschieden, dass sich z.B. das zu versteuernde Einkommen der GmbH erhöht, wenn diese von ihrem Steuerberater eine Ersatzleistung wegen falscher Beratung hinsichtlich der Körperschaftsteuer erhält (Senatsurteil vom 4. Dezember 1991 I R 26/91, BFHE 167, 32, BStBl II 1992, 686; Senatsbeschluss vom 20. November 2007 I R 54/05, BFH/NV 2008, 617, m.w.N.). In jenem Fall würde zwar die Minderung oder Erstattung der Körperschaftsteuer, die sich bei richtiger Beratung ergeben hätte, die Bemessungsgrundlage der bei der GmbH entstehenden Körperschaftsteuer nicht erhöhen. Die Steuerpflicht der durch einen Dritten --den Steuerberater-- erbrachten Ersatzleistung wird davon aber nicht berührt. Nicht anders ist es im Streitfall, in dem ein Dritter --X-- der Klägerin einen entgangenen Gewinn ersetzt hat, der im Fall seiner Entstehung möglicherweise nicht der Gewerbesteuer unterlegen hätte.

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4. Schließlich hat das FG zu Recht angenommen, dass der am Ende des Streitjahres bestehende Schadensersatzanspruch in der Bilanz des Streitjahres in vollem Umfang zu aktivieren ist und dass die sich daraus ergebende Gewinnerhöhung nicht durch die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens auf das Streitjahr und die Folgejahre verteilt werden kann:

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a) Eine Forderung ist jedenfalls dann zu aktivieren, wenn sie in der Zeit vor Ablauf des Bilanzstichtags wirtschaftlich verursacht sowie bei Ablauf des Bilanzstichtags hinreichend sicher ist (Senatsurteil vom 18. Dezember 2002 I R 11/02, BFHE 201, 228, BStBl II 2003, 400, m.w.N.). In diesem Sinne ist eine Forderung "hinreichend sicher", wenn sie zwar zunächst bestritten war, der Gläubiger aber inzwischen eine Einigung mit dem Schuldner erzielt hat (Senatsurteil vom 29. April 2008 I R 67/06, BFHE 221, 201, 208, BStBl II 2011, 55, 59, m.w.N.). Diese Voraussetzungen waren nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) im Streitfall im Hinblick auf die Schadensersatzforderung am hier maßgeblichen Bilanzstichtag erfüllt.

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b) Mit ihrem Hinweis auf das Erfordernis einer Rechnungsabgrenzung kann die Klägerin keinen Erfolg haben. Denn eine solche setzt nach § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) voraus, dass eine vor dem Abschlussstichtag erzielte Einnahme einen Ertrag für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellt. Dazu hat der Bundesfinanzhof (BFH) zwar entschieden, dass zu den "Einnahmen" in diesem Sinne auch Forderungen gehören können, soweit deren Bilanzierung nicht die Regeln zur bilanziellen Behandlung schwebender Geschäfte entgegenstehen (BFH-Urteil vom 17. September 1987 IV R 49/86, BFHE 151, 386, 388, BStBl II 1987, 327, 328; vgl. auch Senatsbeschluss vom 7. April 2010 I R 77/08, BFHE 228, 533, BStBl II 2010, 739). Im Streitfall fehlt es aber an der wirtschaftlichen Zugehörigkeit der Schadensersatzforderung zu einer "Zeit nach dem Abschlussstichtag" i.S. des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG:

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Nach der Rechtsprechung des Senats darf ein Unternehmer, der mit der Abgabe eines Grundstücks eine Entschädigung für die Beeinträchtigung seines verbleibenden Betriebs erhält, für diese Entschädigung keinen passiven Rechnungsabgrenzungsposten bilden (Senatsurteil vom 11. Juli 1973 I R 140/71, BFHE 110, 248, BStBl II 1973, 840). Der Grund für diese rechtliche Beurteilung liegt darin, dass eine solche Entschädigung nicht ein künftiges Verhalten des Unternehmers abgilt, sondern nur das in der Vergangenheit abgewickelte Grundstücksgeschäft betrifft; dass sie nach künftig entstehenden Nachteilen bemessen wird, genügt für ihre wirtschaftliche Zuordnung zu der Zeit nach dem Abschlussstichtag nicht. An dieser Beurteilung, der Rechtsprechung und Schrifttum gefolgt sind (z.B. BFH-Urteil vom 29. November 1990 IV R 131/89, BFHE 168, 24, 28 f., BStBl II 1992, 715, 717 f.; FG Köln, Urteil vom 20. Mai 2009  5 K 2907/07, EFG 2009, 1369; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 920 "Entschädigung"; Federmann in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 5 EStG Rz 2000 "Entschädigungen"), ist festzuhalten. Sie greift im Streitfall ein: Der gegen X gerichtete Anspruch mag zwar danach berechnet worden sein, in welcher Höhe die Klägerin aus dem zunächst konzipierten Dialysezentrum in den Folgejahren Gewinne hätte erzielen können. Sein Rechtsgrund lag aber ausschließlich in der Kündigung des mit der Klägerin geschlossenen Vertrags durch X, die am Abschlussstichtag bereits vollzogen worden war; dementsprechend hing der Anspruch nicht mit einer nach jenem Stichtag zu erbringenden Gegenleistung der Klägerin zusammen. Das schließt die Bildung eines passiven Rechnungsabgrenzungspostens aus.

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c) Der Vortrag der Klägerin, dass die Höhe des Ersatzanspruchs in der Annahme bestimmt worden ist, die von X zu erbringende Leistung sei bei der Klägerin gewerbesteuerfrei, ist für die Beurteilung des Streitfalls unerheblich. Dieser Umstand könnte allenfalls die Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme (§§ 163, 227 der Abgabenordnung) rechtfertigen, über die aber nicht im Steuerfestsetzungsverfahren, sondern in einem davon getrennten gesonderten Verfahren zu befinden ist.