Entscheidungsdatum: 31.05.2017
NV: Einwendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Zinshöhe betreffen die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung und sind vorrangig im Rechtsbehelfsverfahren gegen diese und nicht im Erlassverfahren geltend zu machen (Bestätigung der Rechtsprechung) .
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 22. April 2015 3 K 889/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, unterhält einen Gastronomiebetrieb. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) nahm im Anschluss an eine Außenprüfung eine Hinzuschätzung der Umsätze vor und änderte dementsprechend unter dem 17. November 2011 die Bescheide für die Jahre 2004 bis 2006 über Körperschaftsteuer sowie Umsatzsteuer. Zudem setzte er jeweils Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO fest. Im finanzgerichtlichen Verfahren gegen die Änderungsbescheide verminderte das FA die erfolgten Hinzuschätzungen und erließ am 19. Juni 2013 neben geänderten Bescheiden über Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer die streitgegenständlichen und gleichfalls (geänderten) Bescheide über die Festsetzung von Nachzahlungszinsen in Höhe von 10.709 €.
Mit Schreiben vom 25. Juni 2013 beantragte die Klägerin den Erlass der festgesetzten Nachzahlungszinsen. Dies wurde vom FA mit Schreiben vom 3. Juli 2013 abgelehnt. Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, dass sie kein Verschulden daran trage, dass sich im Verfahren ein derart langer Zinslauf ergeben habe. Die besonderen Umstände des Verfahrens rechtfertigten ausnahmsweise einen Erlass aus Billigkeitsgründen wegen Verfahrensverschleppung. Darüber hinaus folge die offensichtliche und eindeutige Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung aus dem festgesetzten Zinssatz von monatlich 0,5 v.H.; es bestünden gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit bzw. Verfassungsmäßigkeit dieses Zinssatzes. Mit Urteil vom 22. April 2015 3 K 889/13 (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2016, 354) hat das Thüringer Finanzgericht (FG) die Klage als unbegründet abgewiesen.
Ihre Revision stützt die Klägerin auf eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des Thüringer FG vom 22. April 2015 3 K 889/13 aufzuheben und das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 3. Juli 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. September 2013 zu verpflichten, die Zinsen zur Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer 2004 bis 2006 in Höhe von 10.709 € zu erlassen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Die Revision ist nach § 126 Abs. 4 FGO zurückzuweisen. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erlass der Nachzahlungszinsen zur Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer 2004 bis 2006 in Höhe von 10.709 € hat und die Ablehnung des Erlassantrags nicht ermessensfehlerhaft war. Die Erhebung der Zinsen ist nicht unbillig i.S. des § 227 AO.
1. Die Finanzbehörden können nach § 227 AO Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
a) Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehören nach § 37 Abs. 1 AO auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen, zu denen wiederum nach § 3 Abs. 4 AO auch Zinsen (§§ 233 bis 237 AO) zählen. Dem Erlass von Nachforderungszinsen nach § 233a AO steht nicht entgegen, dass § 233a AO im Gegensatz zu § 234 Abs. 2 AO für Stundungszinsen und § 237 Abs. 4 AO für Aussetzungszinsen keine ausdrückliche Ermächtigung zu Billigkeitsmaßnahmen enthält (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. Juni 2016 X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668, m.w.N.).
b) Die Unbilligkeit der Einziehung einer Steuer, an die § 227 AO die Möglichkeit eines Erlasses knüpft, kann sich aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen ergeben, wobei die Beteiligten des Streitfalles zu Recht nur um die erste Variante streiten. Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH dann anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (z.B. BFH-Urteile vom 11. Juli 1996 V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259; vom 26. August 2010 III R 80/07, BFH/NV 2011, 401; vom 8. Oktober 2013 X R 3/10, BFH/NV 2014, 5, jeweils m.w.N.). Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber eine andere Regelung getroffen hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte (z.B. Senatsurteil vom 21. Oktober 2009 I R 112/08, BFH/NV 2010, 606). Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat, können dagegen keinen Billigkeitserlass rechtfertigen (BFH-Urteile vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865, und vom 4. Februar 2010 II R 25/08, BFHE 228, 130, BStBl II 2010, 663, jeweils m.w.N.). Die Billigkeitsprüfung darf die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes nicht unterlaufen (BFH-Urteil in BFH/NV 2011, 401), sich andererseits auch nicht in Überlegungen zur richtigen Rechtsanwendung erschöpfen, da dann ein auf sachliche Billigkeitsgründe gestützter Erlass nach § 227 AO niemals möglich wäre (vgl. BFH-Urteil in BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259). Diese Grundsätze gelten auch für den Erlass nach § 233a AO festgesetzter Zinsen (BFH-Urteile in BFH/NV 2014, 5; vom 3. Juli 2014 III R 53/12, BFHE 246, 203, BStBl II 2017, 3, jeweils m.w.N.).
c) Der Erlass von festgesetzten Zinsen ist eine Maßnahme der finanzbehördlichen Billigkeit im Steuerschuldverhältnis, über die in einem vom Steuerfestsetzungsverfahren gesonderten Verfahren durch eigenständigen Verwaltungsakt zu entscheiden ist. Dieser Verwaltungsakt unterliegt, wenn die begehrte Billigkeitsmaßnahme abgelehnt wurde, nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung (§ 102 FGO); diese beschränkt sich darauf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht beachtet wurden oder Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde.
2. Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die vom FA getroffene Entscheidung, die Nachzahlungszinsen nicht zu erlassen, nicht zu beanstanden.
a) Die Verzinsungsregelung in § 233a AO bezweckt einen typisierten Ausgleich für die Liquiditätsverschiebungen, die aus dem individuell sehr unterschiedlichen Verlauf des Besteuerungsverfahrens entstehen können. Es soll ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen, aus welchen Gründen auch immer, zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden (vgl. BTDrucks 11/2157, S. 194). Insoweit beruht die Vorschrift auf der zulässig typisierenden Annahme, dass derjenige, dessen Steuer ganz oder zum Teil zu einem späteren Zeitpunkt festgesetzt wird, gegenüber demjenigen, dessen Steuer bereits frühzeitig festgesetzt wird, einen Liquiditäts- und damit auch einen potentiellen Zinsvorteil hat. Dieser Vorteil ist umso größer, je höher der nachzuzahlende Betrag ist und je später die Steuer festgesetzt wird. Durch die Verzinsung sollen der Liquiditätsvorteil des Steuerpflichtigen und seine damit verbundene erhöhte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abgeschöpft werden. Gleichzeitig soll der vorhandene Zinsnachteil des Fiskus, der den nicht gezahlten Steuerbetrag nicht anderweitig nutzen kann, ausgeglichen werden (Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 3. September 2009 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115, unter III.1.a bb (2) (a)). Aus welchem Grund es zu einem Unterschiedsbetrag gekommen ist und ob die möglichen Zins- und Liquiditätsvorteile tatsächlich bestanden und genutzt wurden, ist demzufolge grundsätzlich unbeachtlich (vgl. BVerfG-Beschluss in BFH/NV 2009, 2115, unter III.1.a bb (2) (b) und III.1.a cc; BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 5, m.w.N.). Der Hinweis auf eine verzögerte Bearbeitung des Steuerfalles ist damit grundsätzlich nicht geeignet, eine abweichende Zinsfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu begründen (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Juli 2006 VI B 134/05, BFH/NV 2006, 2029; Senatsurteil in BFH/NV 2010, 606, m.w.N.). Ob in einem bestimmten Einzelfall davon Ausnahmen zu machen sind, hängt von den konkreten Einzelfallumständen ab (vgl. BFH-Beschluss vom 11. März 2014 X B 45/13, BFH/NV 2014, 826). Im Revisionsverfahren ist dies alles allerdings nicht mehr streitig. Der Senat sieht daher von weiteren Ausführungen hierzu ab.
b) Soweit die Klägerin im Revisionsverfahren die Frage aufwirft, ob nicht durch § 233a AO typisierend ein wirtschaftlicher Erfolg in Gestalt eines erzielbaren Zinsvorteils fingiert werde, den es angesichts der andauernden Niedrigzinsphase gar nicht gebe, wendet sie sich gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Zinshöhe. Derartige Einwendungen betreffen die einfach-rechtlichen Grundlagen und damit die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung und sind vorrangig im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Zinsfestsetzung und nicht im Erlassverfahren geltend zu machen (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Mai 2011 X B 184/10, BFH/NV 2011, 1659; Senatsbeschluss vom 30. September 2015 I B 62/14, BFH/NV 2016, 369; Senatsurteil vom 28. Januar 2015 I R 70/13, BFHE 249, 118, BStBl II 2017, 101, Rz 17).
Ausweislich der Gründe des angegriffenen Urteils ist die Zinsfestsetzung im Streitfall in Bestandskraft erwachsen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass eine rechtlich unzutreffende, aber bestandskräftige Festsetzung von Steuern oder steuerlichen Nebenleistungen grundsätzlich nicht durch einen Billigkeitserweis aus sachlichen Gründen nachträglich korrigiert werden kann (z.B. BFH-Urteile vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512; vom 13. Januar 2005 V R 35/03, BFHE 208, 398, BStBl II 2005, 460; Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl., § 163 Rz 45, zu verfassungsrechtlichen Einwendungen auch Rz 35). Der Auffassung der Vorinstanz, wonach die Möglichkeit, sich im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Zinsbescheide und die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes zu wenden, es nicht ausschließe, diese Einwände grundsätzlich auch im Erlassverfahren als sachliche Billigkeitsgründe vorzubringen, war von daher nicht zu folgen.
Dass vorliegend der Ausnahmefall einer offensichtlich und eindeutig unrichtigen Steuer- bzw. Zinsfestsetzung vorliegt und Rechtsbehelfe nicht oder nicht in zumutbarer Weise eingelegt werden konnten (dazu BFH-Urteile in BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512, und in BFHE 208, 398, BStBl II 2005, 460), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.