Entscheidungsdatum: 17.05.2010
NV: Eine Anteilsübertragung im Gesellschafterkreis ist vom Tatbestand des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 2002 erfasst; dies gilt auch dann, wenn der Übertragende die Anteile vormals vom Erwerber erworben hatte .
I. Streitig ist, ob ein Verlustvortrag nach einer Übertragung der Anteile im Gesellschafterkreis und einer geschäftlichen Umstrukturierung untergegangen ist.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 25. November 1997 mit einem Stammkapital von 100.000 DM errichtet. Gründungsgesellschafter waren X mit einem Anteil von 51 % und Y mit einem Anteil von 49 %. Unternehmensgegenstand war der Einzelhandel mit Unterhaltungselektronik. Nach der Übertragung eines Teilgeschäftsanteils von 21 % im Mai 2001 von X auf Y war X nur noch zu 30 % beteiligt. Am 30. Dezember 2002 beschlossen die Gesellschafter die Erhöhung des Stammkapitals auf 81.130 €, wovon X 29,99 % halten sollte, Y 70,01 %. Mit Vertrag vom 22. Januar 2003 erwarb X zum Stichtag 1. Januar 2003 sämtliche Geschäftsanteile von Y zum Preis von 1 €. Unternehmensgegenstand der Klägerin ist seitdem der Betrieb einer Videothek nebst Vermittlung von Internetverkäufen. Der verbleibende Verlustvortrag auf den 31. Dezember 2002 betrug 121.760 €.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) stellte unter Hinweis auf § 8 Abs. 4 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 (KStG 2002) den verbleibenden Verlustvortrag zum 31. Dezember 2003 auf 0 € fest. Die Klage blieb erfolglos (Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht --FG--, Urteil vom 4. Juni 2009 1 K 1/09, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2009, 1489).
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 2003 vom 8. April 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Oktober 2005 dahingehend zu ändern, dass der verbleibende Verlustvortrag nach Abzug des Einkommens aus 2003 in Höhe von 24.145 € auf 97.203 € festgestellt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Das FG hat zu Recht entschieden, dass der zum 31. Dezember 2002 festgestellte verbleibende Verlustabzug im Streitjahr 2003 gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 2002 in der entsprechenden Feststellung zum 31. Dezember 2003 nicht mehr zu berücksichtigen war.
1. Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 2002 setzt der Verlustabzug nach § 10d des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG 2002) i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002 bei einer Körperschaft voraus, dass diese nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat.
§ 8 Abs. 4 KStG 2002 definiert die sog. wirtschaftliche Identität einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft ("insbesondere"), wann eine wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben ist. Nach diesem Satz 2 des § 8 Abs. 4 KStG 2002 als Regelbeispiel bzw. als Hauptanwendungsfall (so das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 16. April 1999, BStBl I 1999, 455 Tz. 01) fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität, wenn --erstens-- bezogen auf das gezeichnete Kapital mehr als die Hälfte der Geschäftsanteile übertragen werden, --zweitens-- überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt und --drittens-- der Geschäftsbetrieb mit diesem neuen Betriebsvermögen fortgeführt oder wieder aufgenommen wird. Die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft als Rechtsperson bestimmt sich damit durch ihren Unternehmensgegenstand und ihr verfügbares Betriebsvermögen (Senatsurteil vom 28. Mai 2008 I R 87/07, BFHE 222, 245, m.w.N.).
2. Die Voraussetzungen für den Ausschluss des Verlustabzugs gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 2002 liegen im Streitfall vor. Mit Vertrag vom 22. Januar 2003 wurden mehr als 50 % der Anteile der Klägerin von Y auf X übertragen. Im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Anteilsübertragung (s. z.B. Senatsurteile vom 14. März 2006 I R 8/05, BFHE 212, 517, BStBl II 2007, 602; vom 29. April 2008 I R 91/05, BFHE 222, 240) hat die Klägerin unstreitig "überwiegend neues Betriebsvermögen" erworben und ihren Geschäftsbetrieb (im Streitfall zusätzlich unter Änderung ihres bisherigen Unternehmensgegenstandes) wieder aufgenommen. Das Abzugsverbot bezieht sich auch auf den Teil des Verlusts, der in dem Zeitraum erwirtschaftet worden war, in dem X ursprünglich Mehrheitsgesellschafter der Klägerin gewesen war.
a) Auch wenn § 8 Abs. 4 KStG 2002 in erster Linie bezweckt, missbräuchlichen Gestaltungen vorzubeugen und in diesem Zusammenhang vor allem den "Handel" mit vortragsfähigen Verlusten zu unterbinden (z.B. Senatsurteil in BFHE 222, 245) --was zugleich den rechtfertigenden Grund für die Restriktion der "Verlustnutzung" beschreibt--, wird die Anwendung des gesetzlichen Tatbestands nicht durch den Umstand gehindert, dass die Anteilsübertragung im Gesellschafterkreis stattfindet. Die Anteilsübertragung ist außerdem nicht aus dem Grund unbeachtlich, dass der Übertragende die Anteile vorher vom Erwerber erworben hatte.
aa) Der Regelungswortlaut gibt eine Einschränkung des personellen Bereichs des Anteilserwerbs auf dritte (bisher nicht beteiligte) Personen nicht her (s. auch BMF-Schreiben in BStBl I 1999, 455, Tz. 05, dort Satz 1). Es wird vielmehr lediglich auf den (formalen) Akt der Übertragung von Anteilen abgestellt. Auch der Regelungszweck kann bezogen auf das Tatbestandsmerkmal "Erwerb" weder in einer einschränkenden noch in einer erweiternden Weise fruchtbar gemacht werden. Dies hat der Senat schon in verschiedenen Entscheidungen dargelegt. So hat er in seinem Urteil vom 20. August 2003 I R 61/01 (BFHE 203, 135, BStBl II 2004, 616) die Übertragung einer mittelbaren Beteiligung als weder i.S. des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 2002 noch i.S. des § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 2002 tatbestandsmäßig angesehen; die wirtschaftliche Identität einer Kapitalgesellschaft ist in ihrer personellen Komponente nur in der ersten Stufe der Anteilseignerebene angesprochen. Zugleich werden aber alle Übertragungen in dieser ersten Stufe einschränkungslos erfasst; auf bestimmte Gründe oder Absichten, die der Übertragung zugrunde liegen, kommt es nicht an. Dass es im Rahmen des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 2002 lediglich auf die (formale) Übertragung der qualifizierten Anteilsmehrheit auf einen oder auf mehrere andere Gesellschafter ankommt und damit eine zivilrechtliche Betrachtungsweise maßgebend ist, wird auch im Senatsurteil vom 20. August 2003 I R 81/02 (BFHE 203, 424, BStBl II 2004, 614) betont. Der Senat hat diese Sichtweise zuletzt in seinem Urteil vom 27. August 2008 I R 78/01 (BFHE 222, 528) ausdrücklich bestätigt. Darüber hinaus liegt sie --als Konstellation einer Übertragung von mehr als der Hälfte der Anteile an einer GmbH auf einen Gründungsgesellschafter, der damit zum Alleingesellschafter wurde-- dem Senatsbeschluss vom 8. Oktober 2008 I R 95/04 (BFHE 223, 105) zugrunde. Die Literatur hat sich dieser Sichtweise, die auch den Erwerb im Gesellschafterkreis als tatbestandsrelevanten Erwerb ansieht, überwiegend angeschlossen (s. neben den Nachweisen in den angeführten Entscheidungen z.B. Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 4 KStG Rz 55; Schloßmacher in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz 446; Rengers in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8 KStG Rz 932; Neu, EFG 2009, 1490 f.).
bb) Die Anteilsübertragung von Y an X kann nicht insoweit als unschädlich angesehen werden, als Y Anteile zuvor von X erworben hatte. Dass der Übertragung eine Rückabwicklung der früheren Übertragung zugrunde gelegen hat, die aus dem Tatbestand des § 8 Abs. 4 KStG 2002 ausgeschlossen werden könnte (s. z.B. Roser in Gosch, KStG, 2. Aufl., § 8 Rz 1417 "Rückübertragung"), ist vom FG nicht festgestellt worden.
b) Das Abzugsverbot des § 8 Abs. 4 KStG 2002 bezieht sich auf den Verlust (verbleibenden Verlustvortrag) der Körperschaft. Es liegt insoweit eine Einkommensermittlungsvorschrift (§ 7 Abs. 1 und 2, § 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d EStG 2002) im Rahmen der Besteuerung der Körperschaft vor, die eine sachliche Zuordnung von Verlusten der Körperschaft zu den Anteilen der Gesellschafter nicht vorsieht. Die gesetzliche Rechtsfolge des Abzugsverbots wirkt auf den gesamten Bestand des Verlustes bzw. des Verlustvortrags im Zeitpunkt der (schädlichen) Anteilsübertragung (z.B. Senatsurteil vom 5. Juni 2007 I R 9/06, BFHE 218, 207, BStBl II 2008, 988); eine Einschränkung auf einen den schädlichen Anteilserwerb entsprechenden Anteil oder auf bestimmte Erwirtschaftungszeiträume stünde damit nicht im Einklang.