Entscheidungsdatum: 14.03.2011
1. NV: Ein objektiv mehrdeutiges Urteil eines FG darf nicht nach § 107 FGO berichtigt werden .
2. NV: Die Berichtigung eines FG-Urteils scheidet auch dann aus, wenn die vom FG tatsächlich angestrebte Rechtsfolge nur aufgrund weiterer, vom FG bislang nicht getroffener Feststellung angeordnet werden kann .
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Urteil des Finanzgerichts (FG) nach § 107 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) berichtigt werden durfte.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hatte verschiedene Steuer-, Feststellungs- und Messbescheide, die der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ihr gegenüber erlassen hatte, mit einer Klage angegriffen. In dem Klageverfahren ging es u.a. um die Berücksichtigung von Aufwand aus Versicherungsprämien und Schuldzinsen. Das FG erließ ein Urteil, nach dessen Tenor die Steuern und Messbeträge in bestimmter Weise festgesetzt und verschiedene gesonderte Feststellungen getroffen wurden. Ferner heißt es im Tenor des Urteils, dass die Klage im Übrigen abgewiesen werde und die Verfahrenskosten den Beteiligten je zur Hälfte auferlegt würden. Dem Urteil war als Anlage eine Berechnung beigefügt, aus der sich --ausgehend von den Feststellungen einer voraufgegangenen Betriebsprüfung-- die im Urteilstenor genannten Werte ergaben.
In den Gründen des Urteils heißt es u.a., dass "der vom Gericht zugrunde gelegte Aufwand aus Versicherungsprämien und Schuldzinsen ... auf den laufenden Aufwand aus Versicherungsprämien und Schuldzinsen" begrenzt werde, "der von der Klägerin tatsächlich entrichtet wurde". Diese Maßgabe ist in der Berechnung, auf der der Urteilsausspruch beruht, nicht berücksichtigt worden. Das FG hat deshalb, einem Antrag des FA folgend, sein Urteil berichtigt. Der berichtigten Fassung des Urteils liegt eine geänderte Berechnung zugrunde, bei der --unter Übernahme aller sonstigen Daten aus der früheren Berechnung-- die in den Urteilsgründen erwähnte Begrenzung des Abzugs auf die tatsächlich geleisteten Beträge umgesetzt ist. Die Kostenentscheidung wurde, im Anschluss an den Urteilsausspruch in der Hauptsache, ebenfalls abweichend gefasst.
Mit ihrer Beschwerde macht die Klägerin geltend, dass das Urteil des FG nicht i.S. des § 107 Abs. 1 FGO "unrichtig" gewesen sei. Sie beantragt, den Berichtigungsbeschluss aufzuheben.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben. Das FG war nicht berechtigt, sein Urteil in der geschehenen Weise zu berichtigen.
1. Nach § 107 Abs. 1 FGO muss ein FG Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten in einem Urteil jederzeit berichtigen. Diese Regelung entspricht weitestgehend derjenigen, die § 129 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) zur Berichtigung von Verwaltungsakten trifft (Senatsbeschluss vom 29. Juli 2010 I B 121/10, BFH/NV 2010, 2098). Deshalb können die zu § 129 Satz 1 AO entwickelten Grundsätze regelmäßig auf die Anwendung des § 107 Abs. 1 FGO übertragen werden.
2. Im Streitfall ist dem FG bei der Abfassung seines Urteils kein Schreib- oder Rechenfehler unterlaufen. Ebenso leidet das Urteil nicht unter einer "ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit" i.S. des § 107 Abs. 1 FGO.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) umfasst der Begriff "ähnliche offenbare Unrichtigkeit" alle mechanischen Fehler, die bei dem Erlass eines Verwaltungsakts oder eines Urteils unterlaufen sind und ebenso mechanisch, also ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können (z.B. BFH-Urteile vom 16. März 2000 IV R 3/99, BFHE 191, 226, 233, BStBl II 2000, 372, 375; vom 27. Mai 2009 X R 47/08, BFHE 226, 8, BStBl II 2009, 946, m.w.N.). Speziell von § 107 Abs. 1 FGO werden nur Erklärungsmängel erfasst, die zu dem Erklärungswillen des Gerichts erkennbar im Widerspruch stehen (Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2010 I R 12/09, BFH/NV 2011, 275, m.w.N.). Davon abzugrenzen sind Fehler bei der Ermittlung eines Sachverhalts oder bei dessen Würdigung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht, die nicht § 129 Satz 1 AO und § 107 Abs. 1 FGO unterfallen (Senatsbeschluss vom 19. November 2003 I B 47/03, BFH/NV 2004, 515). Besteht die nicht nur theoretische Möglichkeit, dass dem FA bzw. dem FG ein Fehler der zuletzt genannten Art unterlaufen ist, so ist für eine Berichtigung kein Raum (BFH-Beschluss vom 21. Mai 2010 IV R 35/09, BFH/NV 2010, 1649). Der Fehler muss schließlich aus dem Urteil selbst erkennbar sein (BFH-Beschlüsse vom 21. August 2003 XI B 239/02, BFH/NV 2004, 67; in BFH/NV 2004, 515; vom 10. Februar 2004 X B 75/03, BFH/NV 2004, 663; in BFH/NV 2010, 2098); anderenfalls ist er nicht "offenbar" i.S. des § 107 Abs 1 FGO.
b) Im Streitfall kann offenbleiben, ob der ursprüngliche Tenor des FG-Urteils auf einem in diesem Sinne "mechanischen" Versehen beruht. Denn jedenfalls war der dem FG unterlaufene Fehler nicht "offenbar"; zudem konnte er nicht durch eine rein "mechanische" Operation beseitigt werden.
aa) Das FG hat in den Gründen seines Urteils festgehalten, dass es nur denjenigen "Aufwand aus Versicherungsprämien und Schuldzinsen" als abziehbar berücksichtige, "der von der Klägerin tatsächlich entrichtet wurde". Darin kommt zum Ausdruck, dass der Wille des FG dahin ging, den Aufwandsabzug nur in den in den Entscheidungsgründen erwähnten Grenzen zuzulassen. Diesen Willen, dessen Vorliegen das FG in seinem Berichtigungsbeschluss bestätigt hat, hat der ursprüngliche Urteilstenor nicht zutreffend zum Ausdruck gebracht. Der Tenor war daher i.S. des § 107 Abs. 1 FGO "unrichtig".
Jedoch war diese Unrichtigkeit nicht "offenbar". Denn ein objektiver Dritter hätte das Urteil nicht zwangsläufig so verstanden, dass das FG einen eingeschränkten Abzug anordnen wollte und nur bei der Berechnung der sich aus seiner Entscheidung ergebenden Besteuerungsgrundlagen und der Abfassung des daran anschließenden Tenors diese Einschränkung versehentlich übersehen hat. Vielmehr konnte er ebenso gut für möglich halten, dass das FG die im Urteilstenor ausgesprochene Entscheidung treffen wollte und dass die damit nicht übereinstimmende Passage zur Einschränkung des Abzugs nur versehentlich in die Entscheidungsgründe aufgenommen worden ist. Daher erschließt sich der --im Berichtigungsbeschluss bestätigte-- Fehler des FG aus dem Urteil selbst nicht so eindeutig, dass die darauf beruhende Unrichtigkeit des Urteilstenors als "offenbar" angesehen werden könnte. Schon dieser Umstand schließt eine Berichtigung nach § 107 Abs. 1 FGO aus (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 2098).
bb) Zudem weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass es ebenso an der Möglichkeit zu einer "mechanischen" Korrektur fehlt, die Voraussetzung für eine Anwendung des § 107 Abs. 1 FGO ist. Denn die Berichtigung des Fehlers erforderte eine Einbeziehung der Höhe der tatsächlich von der Klägerin geleisteten Zahlungen, deren Höhe das FG im ursprünglichen Urteilstext nicht ausdrücklich festgestellt hatte. Diese Beträge ergaben sich auch nicht aus den im Urteil enthaltenen Berechnungen, bei denen das FG die Begrenzung des Aufwandsabzugs ja gerade übersehen hat. Deshalb musste das FG im Vorfeld der Berichtigung zunächst den Akteninhalt daraufhin würdigen, in welchem Umfang es die in Rede stehenden Zahlungen als geleistet ansah. Eine Berichtigung, die eine zusätzliche oder erneute richterliche Würdigung des Sachverhalts voraussetzt, ist aber keine "mechanische" im Sinne der Rechtsprechung zu § 107 Abs. 1 FGO; das muss im Interesse der Rechtsklarheit unabhängig davon gelten, ob jene Würdigung im Einzelfall schwierig oder einfach ist. Deshalb steht selbst dann, wenn die Zahlungen der Klägerin der Höhe nach unstreitig gewesen sein und keinem Zweifel unterlegen haben sollten, dieser Gesichtspunkt im Streitfall einer Berichtigung ebenfalls entgegen.