Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 29.07.2010


BFH 29.07.2010 - I B 121/10

(Berichtigungsfähigkeit eines bei der Geschäftsstelle hinterlegten und den Beteiligten bekannt gegebenen Tenors - Kein Beginn der zweiwöchigen Beschwerdefrist bei fehlender Rechtsmittelbelehrung - Voraussetzungen einer Änderung nach § 107 FGO)


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
29.07.2010
Aktenzeichen:
I B 121/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 28. Juli 2009, Az: 1 K 2/05, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Hinterlegt das FG nach Schluss der mündlichen Verhandlung den Tenor bei der Geschäftsstelle und gibt ihn den Beteiligten formlos bekannt, gilt das Urteil als verkündet und ist für das erkennende Gericht bindend .

2. NV: Die im schriftlich abgefassten Urteil enthaltene Berichtigung des Tenors ist mit der Beschwerde nach § 128 FGO angreifbar. Ist der Berichtigungsbeschluss nicht mit einer diesbezüglichen Rechtsmittelbelehrung versehen, beginnt die zweiwöchige Beschwerdefrist des § 129 FGO nicht zu laufen .

3. NV: Eine Änderung nach § 107 FGO ist nicht möglich, wenn der verkündete Urteilstenor selbst keinen offensichtlichen Fehler enthält .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine GmbH, deren Alleingesellschafter die Stadt X ist. Gegenstand der Klägerin ist u.a. die Stromerzeugung sowie die Erzeugung und Versorgung der Stadt X mit Wärme.

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Der Klägerin war an einem Grundstück der Stadt X zum 1. Oktober 1998 ein Erbbaurecht über einen Zeitraum von 60 Jahren eingeräumt worden. Nach Beendigung des Erbbaurechts sollten errichtete Bauwerke und sonstige baulichen Anlagen in das Eigentum des Grundstückseigentümers übergehen. Bei Zeitablauf des Erbbaurechts sollte der Erbbauberechtigte eine Vergütung für das Erbbaurecht in Höhe von 60 % des Herstellungswerts des Gebäudes erhalten. Auf dem Grundstück errichtete die Klägerin ein Gebäude, das sie über einen Zeitraum von 30 Jahren an die Stadt X vermietete.

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Nach einer Außenprüfung kam der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) zu der Überzeugung, das Gebäude sei der Stadt X zuzurechnen. Gegen die im Anschluss hieran ergangenen Steuerbescheide erhob die Klägerin auch wegen weiterer Streitpunkte Klage. Im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 28. Juli 2009 gab das Finanzgericht (FG) den Beteiligten den in der Sitzung beschlossenen und bei der Geschäftsstelle hinterlegten Urteilstenor bekannt, der hinsichtlich des hier streitigen Punktes wie folgt lautete:

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"Unter Änderung der Bescheide über Körperschaftsteuer 2000 und über den Gewerbesteuermessbetrag 2000 vom 13. Juni 2005 werden die Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuermessbetrag 2000 jeweils auf den Betrag festgesetzt, der sich ergibt, wenn bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens bzw. des Gewinns aus Gewerbebetrieb ein Betrag von 103.222,10 DM gewinnmindernd berücksichtigt wird."

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Im den Beteiligten am 15. September 2009 zugestellten Urteil wurde die Klage jedoch insoweit abgewiesen und der Tenor unter Berufung auf § 107 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechend geändert. Zwar schloss sich das FG der rechtlichen Sicht der Klägerin an. Mangels steuerlicher Auswirkungen wies es die Klage insoweit jedoch mangels Beschwer als unzulässig ab. Wie sich aus Tz. 1.14 bis 1.19 des Prüfungsberichts vom 31. Januar 2007 i.V.m. den Erläuterungen zu Tz. 1.6 bis 1.11 im Prüfungsbericht vom 17. Juni 2006 ergebe, habe die Zuordnung des Gebäudes zur Stadt X zu einer Gewinnminderung und nicht zu einer Gewinnerhöhung geführt.

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Die Klägerin rügt mit ihrer am 9. Oktober 2009 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenen Nichtzulassungsbeschwerde u.a., das FG habe zu Unrecht eine offenbare Unrichtigkeit des ursprünglichen Urteilsausspruchs angenommen. Ferner hätte eine Änderung nach § 107 FGO nicht im Urteil, sondern nur durch Beschluss erfolgen dürfen. Das FG hat der Beschwerde insoweit nicht abgeholfen.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Berichtigungsbeschluss aufzuheben.

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Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Es ist der Auffassung, da der bei der Geschäftsstelle hinterlegte Urteilsausspruch nicht verkündet worden sei, habe es sich um ein noch abänderbares "Internum" des Gerichts gehandelt.

Entscheidungsgründe

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II. 1. Der Senat wertet die mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision erhobenen Einwände gegen die Änderung des den Beteiligten ursprünglich bekannt gegebenen Urteilstenors als Beschwerde i.S. des § 128 FGO. Die Berichtigung ist zwar im schriftlich abgefassten Urteil erfolgt, gleichwohl handelt es sich der Sache nach um eine eigenständige, der Entscheidung über die Klage zeitlich nachfolgende und außerhalb der mündlichen Verhandlung getroffene Entscheidung, die ungeachtet ihrer äußerlichen Verbindung mit dem Urteil durch Beschluss gemäß § 107 Abs. 2 FGO und nicht durch ein Urteil getroffen worden ist. Dagegen ist die Beschwerde nach § 128 FGO gegeben.

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2. Der Zulässigkeit dieser Beschwerde steht nicht entgegen, dass sie erst am 9. Oktober 2009, mithin später als zwei Wochen nach Bekanntgabe des Berichtigungsbeschlusses --die mit Zustellung der Urteilsausfertigung am 15. September 2009 erfolgt war-- beim BFH eingegangen ist. Denn weil der Berichtigungsbeschluss des FG nicht mit einer diesbezüglichen Rechtsmittelbelehrung versehen war (§ 113 Abs. 1 i.V.m. § 105 Abs. 2 Nr. 6 FGO), begann gemäß § 55 Abs. 1 FGO die zweiwöchige Beschwerdefrist des § 129 FGO nicht mit der Bekanntgabe des Berichtigungsbeschlusses zu laufen und war deshalb zum Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerde noch nicht abgelaufen.

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3. Die Beschwerde ist begründet. Das FG durfte den in der Sitzung vom 28. Juli 2009 beschlossenen, bei der Geschäftsstelle hinterlegten und den Beteiligten formlos bekannt gegebenen Tenor nicht ändern.

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a) Das FG wollte der Klage hinsichtlich der Frage, wem das Gebäude zuzuordnen ist, ersichtlich stattgeben. Es hat sich, was die Auswirkungen einer Stattgabe anbelangt, auf den Antrag der Klägerin gestützt, den es mit Ausnahme eines Rechenfehlers von 2.000 DM in die Urteilsformel übernahm. Diesen Tenor hat das FG bei der Geschäftsstelle hinterlegt und den Beteiligten formlos übersandt. Die Entscheidung galt damit als verkündet (BFH-Urteil vom 6. November 1985 II R 217/85, BFHE 145, 120, BStBl II 1986, 175). Mit Verkündung wird das Urteil wirksam und damit auch für das erkennende Gericht bindend. Die Urteilsformel konnte demnach nur nach Maßgabe des § 107 FGO geändert werden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lagen jedoch nicht vor.

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b) Der in § 107 FGO verwendete Begriff "offenbare Unrichtigkeit" umfasst nach ständiger Rechtsprechung des BFH, ähnlich wie derjenige in § 129 der Abgabenordnung, alle bei der Abfassung des FG-Urteils unterlaufenen "mechanischen" Fehler (BFH-Beschlüsse vom 25. Januar 1996 III B 122/93, BFH/NV 1996, 682; vom 26. Juli 1999 V B 71/99, BFH/NV 2000, 66; vom 12. März 2004 VII B 239/02, BFH/NV 2004, 1114). Ein solcher liegt vor, wenn eine in dem Urteil enthaltene Aussage die vom FG getroffenen Feststellungen oder die von ihm angestellten Überlegungen nicht zutreffend zum Ausdruck bringt und dies aus dem Urteil selbst heraus erkennbar wird (BFH-Beschlüsse vom 21. August 2003 XI B 239/02, BFH/NV 2004, 67; vom 19. November 2003 I B 47/03, BFH/NV 2004, 515; vom 10. Februar 2004 X B 75/03, BFH/NV 2004, 663). § 107 FGO greift dagegen nicht ein, wenn die ernstliche Möglichkeit besteht, dass die in Rede stehende Wendung auf einer unvollständigen Ermittlung oder einer unrichtigen Würdigung des Sachverhalts oder auf einem Rechtsirrtum des FG beruht (BFH-Beschlüsse vom 25. Mai 1993 VIII B 53/93, BFH/NV 1994, 112; vom 27. November 2003 VI B 261/00, BFH/NV 2004, 364; vom 30. Januar 2006 III B 2/05, BFH/NV 2006, 910, m.w.N.).

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c) Eine offenbare Unrichtigkeit liegt schon deshalb nicht vor, weil aus dem verkündeten Urteilstenor selbst nicht ersichtlich ist, dass dem FG ein Rechenfehler unterlaufen ist. Darüber hinaus bedarf die Entscheidung der Frage, welche steuerlichen Folgen aus der Zurechnung des Gebäudes an die Klägerin statt an X zu ziehen sind, nicht nur einer bloßen Rechenoperation. Es müssen vielmehr die Besteuerungsgrundlagen, die sich durch die abweichende Zurechnung des Gebäudes ändern, ermittelt werden, was ohne rechtliche Wertung nicht möglich ist. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der fehlerhafte Tenor auch auf einer unvollständigen Ermittlung der Folgen der geänderten Zurechnung des Gebäudes oder einem Rechtsfehler beruht und somit das im Urteil erklärte und das vom FG tatsächlich gewollte Ergebnis nicht auseinander fielen.

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Überdies ist der dem Urteilstenor anhaftende Fehler nicht "offenbar", denn er lässt sich nicht zweifelsfrei und augenfällig feststellen. Hiervon ist schon deshalb auszugehen, weil das FG insoweit dem Antrag der Klägerin gefolgt ist, den es mit Ausnahme eines Rechenfehlers über 2.000 DM in die Urteilsformel übernahm. Ein "offensichtlicher" Fehler i.S. des § 107 Abs. 1 FGO liegt jedoch regelmäßig nicht vor, wenn die Entscheidung des Gerichts von dem Klageantrag gedeckt ist (Senatsurteil vom 9. März 2005 I R 13/03, BFH/NV 2005, 1336). Ferner ist der Fehler keinem der Beteiligten während des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens aufgefallen. Auch das FG hat ihn erst beim Abfassen der Urteilsgründe bemerkt. Die steuerlichen Auswirkungen der Zurechnung des Gebäudes an X können auch nur unter Zuhilfenahme verschiedener Ziffern des Betriebsprüfungsberichts ermittelt werden. Ein augenfälliger, leicht erkennbarer und korrigierbarer Fehler liegt daher nicht vor. Dies zeigen auch die Einwendungen der Klägerin gegen die Entscheidung des FG. Wie die Klägerin in einer eigenständigen Berechnung, die sich über zwei Seiten hinzieht, im Einzelnen darlegt, hätte die korrekte Umsetzung der Zurechnung des Gebäudes sogar zu einer höheren Einkommensminderung geführt als mit der Klage begehrt. Ob die Berechnung der Klägerin oder diejenige des FG zutrifft, kann in diesem Zusammenhang offenbleiben. Hieraus ergibt sich jedoch, dass dem zunächst verkündeten Tenor jedenfalls kein "offenbarer" Fehler anhaftet.