Entscheidungsdatum: 06.10.2011
Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. November 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über die Feststellung von Gesundheitsstörungen als Impfschaden im Sinne des Bundes-Seuchengesetzes (BSeuchG) bzw des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) infolge einer am 30.4.1998 durchgeführten Poliomyelitis-Schluckimpfung.
Das beklagte Land lehnte die Feststellung eines Impfschadens ab, weil kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Polio-Schluckimpfung und den geltend gemachten Gesundheitsschäden bestehe (Bescheid vom 4.5.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.3.2001). Das Sozialgericht Berlin (SG) hat die dagegen erhobene Klage nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens ebenfalls wegen fehlender Kausalität abgewiesen (Urteil vom 8.11.2006).
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) hat auf Antrag der Klägerin ein weiteres Gutachten eingeholt, das ua die Frage der Kausalität zwischen Impfung und geltend gemachten Gesundheitsstörungen beurteilen sollte. Sein die Berufung zurückweisendes Urteil vom 11.11.2010 hat das LSG nach entsprechendem Hinweis in der mündlichen Verhandlung darauf gestützt, dass es bereits an einer öffentlich empfohlenen Schutzimpfung im Sinne des § 51 Abs 1 Satz 1 BSeuchG bzw § 60 Abs 1 Satz 1 IfSG fehle: Am 30.4.1998 sei die Verwendung des OPV-Impfstoffes im Land Berlin nicht mehr öffentlich empfohlen gewesen. Hinsichtlich der Impfmodalitäten sei nicht die Veröffentlichung im Amtsblatt für Berlin, sondern allein die Veröffentlichung durch das Robert-Koch-Institut im Epidemiologischen Bulletin maßgebend. Dort sei bereits am 30.1.1998 hervorgehoben worden, dass nur noch inaktivierter Polioimpfstoff (IPV) empfohlen werde. Am 17.4.1998 sei in dem Bulletin die von der Ständigen Impfkommission (STIKO) am 25.3.1998 verabschiedete Impfempfehlung veröffentlicht worden.
Das beklagte Land habe auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Rechtsscheinshaftung einzustehen. Denn es bestehe keine generelle Pflicht des beklagten Landes, die Ärzteschaft über eine Änderung der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zu informieren. Es gebe auch keinen Anhalt dafür, dass das beklagte Land seine Pflicht, fehlerhaftem Verhalten entgegenzuwirken, verletzt habe. Weder sei vorgetragen, dass der die Klägerin impfende Arzt sie dahingehend beraten habe, dass es sich um eine öffentlich empfohlene Impfung gehandelt habe, noch sei ersichtlich, dass das beklagte Land Anlass zur Annahme gehabt habe, es werde von dem betreffenden Arzt oder der Ärzteschaft generell von der Empfehlung der STIKO abgewichen.
Es habe auch keine Veranlassung bestanden, der Klägerin die beantragte, weitere Vortragsfrist einzuräumen, denn diese habe durchgängig die Ansicht vertreten, es habe sich um eine nicht öffentlich empfohlene Impfung gehandelt. Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin seien auch die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) zur Rechtsscheinshaftung bekannt gewesen, sodass ausreichend Gelegenheit bestanden habe, zu den danach maßgeblichen Voraussetzungen der Rechtsscheinshaftung vorzutragen.
Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil des LSG beim BSG Beschwerde eingelegt, die sie mit dem Vorliegen einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), nämlich einer Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG), begründet.
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil ist unter Verstoß des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) ergangen. Das LSG wäre verpflichtet gewesen, ihr die beantragte Frist zur Stellungnahme einzuräumen. Dieser von der Klägerin schlüssig gerügte Verfahrensmangel führt nach § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Aufhebung des Urteils des LSG und zur Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht.
a) Die Klägerin hat den Gehörsverstoß (§ 62 SGG) ordnungsgemäß dargetan (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Sie macht in der Beschwerdebegründung geltend: Das LSG hätte ihrem in der mündlichen Verhandlung am 11.11.2010 gestellten Antrag, ihr eine Frist zur Stellungnahme von vier Wochen einzuräumen, entsprechen müssen. Vor der mündlichen Verhandlung habe sie nicht damit rechnen können, dass das LSG nicht von einer öffentlich empfohlenen Impfung ausgehen werde und deshalb nur eine Rechtsscheinshaftung des beklagten Landes in Betracht komme. Diese Auffassung hätten bis dahin weder das beklagte Land noch das SG vertreten. Auch die Berichterstatterin des LSG sei in ihrer Beweisanordnung davon ausgegangen, dass die am 30.4.1998 durchgeführte Poliomyelitis-Schutzimpfung zu diesem Zeitpunkt im Land Berlin noch empfohlen gewesen sei. Zudem hätte sich eine medizinische Sachaufklärung erübrigt, wenn man die in der mündlichen Verhandlung erstmals geäußerte Rechtsauffassung des LSG als zutreffend unterstelle. Sie habe vor diesem Zeitpunkt auch nicht damit rechnen können, dass das LSG zur Frage der Rechtsscheinshaftung weiteren Sachvortrag für erforderlich halten werde. Das LSG hätte deshalb keine Entscheidung treffen dürfen, ohne ihr zuvor die Möglichkeit einer fundierten Stellungnahme zur Rechtsscheinshaftung zu ermöglichen. Hätte ihr das LSG diese Möglichkeit eingeräumt, hätte sie vorgetragen, dass sie seitens des Impfarztes auf die öffentliche Empfehlung hingewiesen worden sei und sie dieser Hinweis veranlasst habe, die Impfung zu dulden. Dieser vom Impfarzt begründete Rechtsschein sei dem beklagten Land zuzurechnen, da der Arzt insoweit eine öffentliche Aufgabe wahrnehme. Dies ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des BSG. Aufgrund dieses ergänzenden Vortrags wäre das LSG möglicherweise zu einer für sie günstigeren Entscheidung gelangt.
b) Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel einer unzureichenden Gewährung rechtlichen Gehörs liegt auch vor. Das LSG hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) dadurch verletzt, dass es deren in der mündlichen Verhandlung am 11.11.2010 gestellten Antrag nicht gefolgt ist, ihr eine Frist zur Stellungnahme zu den (in der mündlichen Verhandlung erstmals) erteilten Hinweisen einzuräumen, "es sei eine nicht empfohlene Impfung durchgeführt worden" sowie "ein Entschädigungsanspruch könne allenfalls vor dem Hintergrund der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Haftung aufgrund einer Duldung nicht empfohlener Impfungen bestehen". Damit hat es der Klägerin keine hinreichende Gelegenheit zur Äußerung zu einem das Berufungsurteil tragenden rechtlichen Gesichtspunkt gegeben, mit dessen Entscheidungserheblichkeit die Beteiligten nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen mussten.
Der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör vor Gericht (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG) gewährleistet ua die hinreichende Möglichkeit, sich vor Erlass einer Entscheidung mindestens schriftlich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zur Sache zu äußern (vgl BVerfGE 84, 188, 190; 89, 28, 35; 101, 106, 129; BSGE 68, 205, 210 f = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6 f). Er soll ua verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG). Die Beteiligten müssen ausreichend Gelegenheit zur Abgabe sachgemäßer Erklärungen erhalten. Dazu muss ihnen eine angemessene Frist eingeräumt werden (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 5 S 8; BSG SozR 3-1500 § 128 Nr 14 S 28; BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 1 RdNr 6).
Dies gilt auch für den Verfahrensabschnitt der mündlichen Verhandlung, in der das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten zu erörtern ist (§ 112 Abs 2 SGG). In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten zwar Gelegenheit, sich zum gesamten Streitstoff zu äußern. Nimmt der Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung jedoch eine unerwartete Wendung, etwa dadurch, dass das Gericht - ohne vorangegangenen Hinweis - den Beteiligten mit einer geänderten Rechtsauffassung gegenübertritt (vgl etwa BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 4 S 23; BSG Urteil vom 12.4.2000 - B 9 VH 1/99 R - HVBG-INFO 2000, 2227; BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 1 RdNr 6), muss vom Gericht, um Überraschungsentscheidungen zu verhindern, sichergestellt werden, dass sich die Beteiligten sachgemäß zum Prozessstoff äußern können. In solchen Fällen hat das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs Vorrang vor der in § 106 Abs 2 SGG verankerten Pflicht, den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen. Gibt ein Beteiligter zu erkennen, dass er außer Stande ist, sich in der mündlichen Verhandlung ohne weiteren Rat sachgemäß zu erstmals eingeführten Tatsachen, Erfahrungssätzen oder rechtlichen Gesichtspunkten, die möglicherweise für die Sachentscheidung erheblich sind, zu äußern, so ist ihm auf Antrag eine angemessene Frist zur Stellungnahme einzuräumen, falls nicht offensichtlich ist, dass er den Antrag missbräuchlich stellt (vgl BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 1 RdNr 6).
Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin nicht ausreichend Zeit, sich mit den vom LSG erstmals in der mündlichen Verhandlung am 11.11.2010 als entscheidungserheblich bezeichneten Gesichtspunkten einer nicht (mehr) öffentlich empfohlenen Impfung im Sinne des § 51 Abs 1 Satz 1 BSeuchG bzw § 60 Abs 1 Satz 1 IfSG sowie eines Entschädigungsanspruchs aufgrund des Rechtsscheins einer öffentlichen Impfempfehlung vertraut zu machen und sich dazu sachgemäß zu äußern.
Zutreffend hat die Klägerin in der Beschwerdebegründung darauf hingewiesen, dass bis zur mündlichen Verhandlung am 11.11.2010 weder das beklagte Land, noch das SG oder das LSG die Rechtsauffassung vertreten haben, bei der am 30.4.1998 durchgeführten Poliomyelitis-Schluckimpfung habe es sich um eine nicht (mehr) öffentlich empfohlene Impfung gehandelt; ein Entschädigungsanspruch komme deshalb nur nach den Grundsätzen der Rechtsscheinshaftung in Betracht.
Bis zur mündlichen Verhandlung am 11.11.2010 stellt sich der Verfahrensablauf wie folgt dar:
Das beklagte Land hat seine ablehnende Entscheidung (Bescheid vom 4.5.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.3.2001) allein darauf gestützt, dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und den von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen bestünde. Mit der fehlenden Kausalität zwischen der Polio-Impfung und der geltend gemachten gesundheitlichen Schädigung hat auch das SG, insbesondere gestützt auf ein Gutachten des Sachverständigen Dr. T. vom 22.5.2006, sein die Klage abweisendes Urteil vom 8.11.2006 begründet. Dieser Sachverständige hatte allerdings bereits darauf hingewiesen, dass die orale Impfung am 30.4.1998 nicht mehr die von der STIKO empfohlene Impfung war.
Im Berufungsverfahren hat das beklagte Land mit Schriftsatz vom 17.10.2007 weiterhin die Auffassung vertreten, dass es sich bei den von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht um eine Polio-Impfkomplikation handle. Dabei hat es sich auf ein Gutachten des Arztes für Mikrobiologie und Kinder-/Jugendmedizin Prof. Dr. S. vom 21.8.2007 gestützt, der davon ausging, dass die Impfung zum Zeitpunkt ihrer Durchführung am 30.4.1998 nicht nur zulässig, sondern im Land Berlin auch noch öffentlich empfohlen gewesen sei.
Die damalige Berichterstatterin des LSG hat die Beteiligten mit Schreiben vom 26.10.2007 gebeten, im Hinblick auf die Anmerkung des Sachverständigen Dr. T. ergänzend mitzuteilen, welche Impfung von der zuständigen Landesbehörde zum Zeitpunkt der Impfung öffentlich empfohlen war. Das beklagte Land hat in seiner Antwort vom 12.12.2007/12.2.2008 unter Hinweis auf die Veröffentlichung im Amtsblatt für Berlin vom 19.3.1993 an seiner Auffassung festgehalten, dass es sich bei der Impfung gegen Poliomyelitis um eine öffentlich empfohlene Schutzimpfung gehandelt habe; der verwendete Impfstoff Polio-Vaccinol/Td-pur sei zugelassen gewesen. Demgegenüber hat die Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 16.4.2008 unter Hinweis auf die Veröffentlichungen im Epidemischen Bulletin und ein Schreiben des Paul-Ehrlich-Instituts vom 15.12.2003 die Meinung vertreten, dass die STIKO seit April 1998 grundsätzlich nur noch Impfungen mit IPV empfohlen habe.
Die damalige Berichterstatterin ist nachfolgend sowohl in dem an die von der Klägerin nach § 109 SGG benannte Sachverständige Frau Prof. Dr. D. gerichteten Schreiben vom 21.5.2008 als auch in der Vorbemerkung der nachfolgenden Beweisanordnung vom 27.10.2008 davon ausgegangen, dass die am 30.4.1998 durchgeführte Poliomyelitis-Schluckimpfung zu diesem Zeitpunkt im Land Berlin noch öffentlich empfohlen war. Dementsprechend hat sich das im August 2010 beim LSG eingegangene ärztliche Gutachten von Frau Prof. Dr. D. mit der Beweisfrage befasst, welche Gesundheitsstörungen mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die am 30.4.1998 durchgeführte Impfung zurückzuführen seien. Auch in seiner zum Gutachten von Prof. Dr. D. abgegebenen Stellungnahme vom 30.9.2010, die allerdings erst am 8.11.2010 dem LSG vorgelegt worden ist, hat Prof. Dr. S. noch die Auffassung vertreten, dass die Impfung bei der Klägerin am 30.4.1998 mit dem Schluckimpfstoff öffentlich empfohlen und indiziert gewesen sei.
Im Hinblick auf diesen Verfahrensgang konnte die Klägerin bis dahin davon ausgehen, dass sich das LSG der Auffassung des beklagten Landes angeschlossen hatte und deshalb ihrerseits Ausführungen zur Rechtsscheinshaftung nicht erforderlich waren.
Erst in der mündlichen Verhandlung am 11.11.2010 hat der Vorsitzende des 13. Senats des LSG die Beteiligten darauf hingewiesen, dass vorliegend eine nicht empfohlene Impfung durchgeführt worden sei, weil maßgeblich die Veröffentlichung der STIKO sei. Vor diesem Hintergrund könne allenfalls ein Entschädigungsanspruch aufgrund einer Duldung nicht empfohlener Impfungen bestehen. Das LSG ist damit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung mit einer geänderten, entscheidungserheblichen Rechtsauffassung gegenüber getreten, denn diese Hinweise betreffen die Frage, ob überhaupt ein schädigendes Ereignis im Sinne des BSeuchG bzw des IfSG vorliegt, während bis dahin vom beklagten Land, vom SG und auch vom LSG die Frage der Kausalität zwischen schädigendem Ereignis und geltend gemachten Gesundheitsstörungen als entscheidungserheblich angesehen wurde. Der Rechtsstreit hat demnach in der mündlichen Verhandlung eine überraschende Wendung genommen, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Prozessverlauf, insbesondere im Hinblick auf das Schreiben der damaligen Berichterstatterin vom 21.5.2008 sowie deren Beweisanordnung vom 27.10.2008, nicht zu rechnen brauchten. Darüber hinaus haben die vom LSG angesprochenen neuen Gesichtspunkte eine besondere Schwierigkeit. Mithin konnte von der anwaltlich vertretenen Klägerin nicht erwartet werden, dazu unmittelbar in der mündlichen Verhandlung abschließend Stellung zu nehmen.
Das LSG hätte deshalb, bevor es abschließend eine Entscheidung verkündet und begründet, in der es sowohl das Vorliegen einer öffentlich empfohlenen Impfung als auch eine Rechtsscheinshaftung des beklagten Landes verneint, der Klägerin Gelegenheit geben müssen, sich sachgemäß vor allem zu den schwierigen rechtlichen Gesichtspunkten der Rechtsscheinshaftung zu äußern, indem es der Klägerin die beantragte Frist von vier Wochen zur ergänzenden Stellungnahme einräumte und aus erheblichen Gründen die Verhandlung nach § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO iVm § 202 SGG vertagte (vgl hierzu BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 1 RdNr 8). Da das LSG von dieser gebotenen Verfahrensweise keinen Gebrauch gemacht hat, sondern unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung beraten und zu Lasten der Klägerin entschieden hat, fehlt es an einer hinreichenden Gewährung rechtlichen Gehörs.
Auf dieser Verletzung kann das mit der Beschwerde angefochtene Urteil des LSG auch beruhen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin in ihrer Stellungnahme tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte, insbesondere zur Rechtsscheinshaftung, aufgezeigt hätte, die das LSG möglicherweise zunächst ggf zu weiterer Sachverhaltsermittlung und danach zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung hätten veranlassen können. Gerade bei dem hier relevanten Übergang von einer empfohlenen zu einer nicht mehr empfohlenen Impfung sind die Voraussetzungen einer Rechtsscheinshaftung besonders sorgfältig zu prüfen (vgl dazu BSG SozR 4-3851 § 60 Nr 2).
Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückverweisen, wenn - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Der Senat macht im Hinblick auf die Umstände des vorliegenden Falles von dieser Möglichkeit Gebrauch, denn der weiter geltend gemachte Zulassungsgrund des Vorliegens einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) führt schon deshalb nicht zur Zulassung der Revision, weil er nicht ordnungsgemäß begründet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Zur formgerechten Rüge einer Divergenz ist in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das LSG abweichen soll, zumindest so zu bezeichnen, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin eine Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine die Berufungsentscheidung tragende Abweichung in deren rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Er muss einen abstrakten Rechtssatz der vorinstanzlichen Entscheidung und einen abstrakten Rechtssatz aus dem höchstrichterlichen Urteil so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar ist. Es reicht dagegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29).
Diese Begründungserfordernisse hat die Klägerin nicht ausreichend berücksichtigt, insbesondere hat sie nicht genügend deutlich gemacht, dass das LSG mit einem abstrakten Rechtssatz von einem abstrakten Rechtssatz im dem Urteil des BSG vom 23.4.2009 - B 9 VJ 1/08 R - SozR 4-3851 § 60 Nr 3 abgewichen ist. Mit ihren Ausführungen, das LSG sei von den (von ihr dargestellten) Rechtssätzen des BSG dadurch abgewichen, dass es ausgeführt habe, eine Überwachungsverpflichtung (der zuständigen Behörde) bestehe nur insoweit, als einem ständigen und längere Zeit andauernden fehlerhaften Verhalten entgegenzuwirken sei, macht sie letztlich nur geltend, dass das LSG die in dem vorgenannten Urteil des BSG aufgestellten Grundsätze zur Haftung nach Rechtsscheinsgesichtspunkten im konkreten Fall nicht beachtet habe. Mit ihrem Vorbringen rügt sie demnach im Kern eine unzutreffende Rechtsanwendung, auf die eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
Das LSG wird im wieder eröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu befinden haben.