Entscheidungsdatum: 14.11.2013
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Dezember 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
I. Mit Beschluss vom 20.12.2012 hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" verneint. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat die Klägerin beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt, die sie mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) begründet.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist zulässig. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung des § 153 Abs 4 SGG durch das LSG ist iS des § 160a Abs 2 S 3 SGG hinreichend bezeichnet.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Das LSG hat unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles von der sich aus § 153 Abs 4 SGG ergebenden Befugnis, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, verfahrensfehlerhaft Gebrauch gemacht.
Nach § 153 Abs 4 S 1 SGG kann das LSG, außer in den Fällen, in denen das SG durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs 2 S 1 SGG) entschieden hat, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Nach § 153 Abs 4 S 2 SGG sind die Beteiligten vorher zu hören. Ändert sich nach einer solchen Anhörung die Prozesslage wesentlich, etwa durch eine entsprechende Äußerung des betroffenen Beteiligten, so hat eine erneute Anhörung zu erfolgen (s Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 153 RdNr 20 f mwN). Diese Grundsätze hat das LSG hier nicht hinreichend beachtet.
Mit Schreiben vom 21.9.2012 hat das LSG "im Hinblick auf den Antrag nach § 109 SGG" zur Zahlung eines Kostenvorschusses eine Frist bis zum 15.10.2012 gesetzt. Unter dem 29.10.2012 hat das LSG den Bevollmächtigten der Klägerin schriftlich mitgeteilt, dass der Senat mangels Zahlung des festgesetzten Kostenvorschusses im Beschlussverfahren nach § 153 Abs 4 SGG entscheiden werde. Die Bevollmächtigten haben danach mit Telefaxschriftsatz vom 9.11.2012 gegenüber dem LSG erklärt, dass der Kostenvorschuss von ihnen mit Schreiben vom 27.9.2012 bei der Rechtsschutzversicherung der Klägerin angefordert und von dieser am 17.10.2012 angewiesen worden sei. Zugleich haben sie die Bitte geäußert, den Zahlungseingang abzuwarten. Damit haben sie auch sinngemäß beantragt, von einer Entscheidung über die Berufung durch Beschluss abzusehen.
Zwar ist die vom LSG gesetzte Frist zur Einzahlung des Kostenvorschusses (15.10.2012) nicht eingehalten worden. Angesichts des § 109 Abs 2 SGG, wonach das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen den Antrag nach § 109 Abs 1 SGG ablehnen "kann", und nach dem Hinweis der Klägerin auf die erfolgte Anweisung des Kostenvorschusses durch die Rechtsschutzversicherung ist das LSG jedoch, auch wegen einer fehlenden Entscheidung nach § 109 Abs 2 SGG, zunächst an einer Beschlussfassung gemäß § 153 Abs 4 SGG gehindert gewesen. Da der Berufungssenat bei seiner Anhörungsmitteilung vom 29.10.2012 davon ausgegangen war, dass bis dahin kein Kostenvorschuss eingegangen sei, ist durch die Mitteilung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die Zahlung sei am 17.10.2012 erfolgt, eine neue prozessuale Lage eingetreten. Das LSG hätte zunächst nach dem Zahlungseingang forschen müssen. Hätte es nach Kenntnis des am 22.10.2012 erfolgten Eingangs des Kostenvorschusses den nach § 109 SGG gestellten Antrag der Klägerin ablehnen wollen, so hätte diese Entscheidung grundsätzlich der Klägerin bekanntgegeben werden müssen. Unabhängig davon ist jedenfalls eine erneute Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG erforderlich gewesen. Da eine solche fehlt, ist der Beschluss des LSG vom 20.12.2012 verfahrensfehlerhaft zustande gekommen.
Da das LSG an einer Entscheidung gemäß § 153 Abs 4 S 1 SGG gehindert gewesen ist, bedarf es keiner Prüfung, ob die Entscheidung des LSG auf diesem Verfahrensfehler beruhen kann. Denn es handelt sich um einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO. Die Verletzung des § 153 Abs 4 SGG führt zu einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts ohne ehrenamtliche Richter (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 14 RdNr 15 mwN).
Da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, macht der Senat von dem ihm gemäß § 160a Abs 5 SGG eingeräumten Ermessen zur Verfahrensbeschleunigung Gebrauch und verweist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurück.
Das LSG wird bei Abschluss des wieder eröffneten Berufungsverfahrens über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde zu entscheiden haben.