Entscheidungsdatum: 01.06.2017
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 17. Januar 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
I
Mit Urteil vom 17.1.2017 hat das LSG im Rahmen einer Überprüfung nach § 48 SGB X einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 anstelle des von 80 auf 30 abgesenkten GdB verneint. Nach Ablauf der Heilungsbewährung wegen der Hauterkrankung der Klägerin bedingten unter Beachtung der Einschätzung des medizinischen Sachverständigen Dr. P. die bei der Klägerin bestehenden Erkrankungen einer leichten depressiven Episode, der Neurasthenie, der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, der rezidivierend auftretenden Migräneattacken sowie der Funktionseinschränkungen des linken Armes einen GdB von 30. Dabei sei zu bedenken, dass sich insbesondere das somatoforme Schmerzsyndrom mit Ausstrahlung in den Nackenbereich mit den häufig auftretenden Migräneattacken sowie leichtgradige depressive Symptomatik und Neurasthenie im erheblichen Umfange überschnitten. Sowohl die leichtgradige depressive Episode als auch die Neurasthenie seien von einer schnellen geistigen und körperlichen Ermüdbarkeit, Konzentrationsschwäche, uneffektiven Denken, Erschöpfung, Antriebs- und Interessenverlust und insgesamt von Aufmerksamkeits- und Konzentrationsdefiziten gekennzeichnet. Eine Erhöhung des GdB aufgrund der vorliegenden Einzel-GdB der Neurasthenie bzw der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung auf einen höheren GdB als 30 seien daher nicht veranlasst.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG), weil sich der Sachverständige Dr. P. in seinem Gutachten vom 29.6.2016 einer Erhöhung des Gesamt-GdB aufgrund der bestehenden Einzel-GdB-Werte verschließe. Folglich sei das Berufungsgericht bei der Ermittlung eines Gesamt-GdB und der Frage nach den bestehenden Überschneidungen von Einzelerkrankungen auf sich allein gestellt gewesen. Denn es handele sich um originär medizinische Fragestellungen, die nicht durch eigene rechtliche Beurteilungen ausgehebelt werden könnten, da insofern medizinische und nicht rechtliche Sachverhalte aufzuarbeiten seien.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um ihrer Darlegungspflicht zu genügen, muss eine Beschwerdeführerin mithin folgendes aufzeigen: (1.) eine bestimmte Rechtsfrage, (2.) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3.) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4.) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin hat bereits keine Rechtsfrage formuliert, der sie grundsätzliche Bedeutung beimisst. Ihrem Beschwerdevorbringen ist lediglich zu entnehmen, "dass die maßgeblichen Fragestellungen im Sinne des Teils A Nr. 3 der Anlage zu § 2 VersMedV zu den dortigen Aspekten
... |
a) ... Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander |
sowie |
|
... |
c) … im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ... um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden |
originär medizinische Fragestellungen betreffen, die insofern nicht ohne konkret diesbezügliche medizinische Einzelfallbetrachtung zu beurteilen sind, wobei die rechtliche Fehlvorstellung des hinzugezogenen Sachverständigen dahingehend, bei der Feststellung eines Gesamt-GdB dürfe nicht über den höchsten Einzel-GdB hinausgegangen werden, schon von vorn herein eine insofern zielführende, für eine Entscheidung zwingend notwendige verlässliche medizinische Beurteilungsgrundlage ausschließt."
Bei dieser von der Klägerin gestellten (vermeintlichen) Frage handelt es sich allerdings nicht um eine Rechtsfrage, die auf die Auslegung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmales abzielt, sondern um eine (unzulässige) Tatsachenfrage bezogen auf die Feststellung tatsächlicher Um stände des Einzelfalls (vgl hierzu Becker, SGb 2007, 261, 265 zu Fußnote 42 mwN). Die von der Klägerin angesprochene Thematik betrifft die tatsächliche Einschätzung und damit die tatrichterliche Beurteilung der Auswirkungen von Gesundheitsstörungen durch das LSG. Mit ihrer Kritik an den Ausführungen des Sachverständigen, aufgrund dessen Feststellungen das LSG seine Entscheidung getroffen hat, bemängelt die Klägerin tatsächlich die Beweiswürdigung des LSG und rügt die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung. Auf eine unzutreffende Rechtsanwendung durch das LSG kann allerdings eine Revisionszulassung nicht gestützt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10). Fragen, die Denkgesetze oder Erfahrungsgesetze bzw wissenschaftliche Erkenntnisse betreffen, die sich auf die Feststellung und Würdigung von Tatsachen beziehen, stellen überdies keine Rechtsfragen dar (vgl dazu BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 9).
Die Klägerin berücksichtigt nicht, dass die Bemessung des GdB nach der ständigen Rechtsprechung des BSG in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe ist (vgl BSGE 4, 147, 149 f; BSGE 62, 209, 212 ff = SozR 3870 § 3 Nr 26 S 83 f; BSG SozR 4 - 3250 § 69 Nr 10), wobei das Gericht nur bei der Feststellung der einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen (1. Schritt) ausschließlich ärztliches Fachwissen heranziehen muss. Bei der Bemessung der Einzel-GdB und des Gesamt-GdB kommt es indessen nach § 69 SGB IX maßgebend auf die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft an. Bei diesem zweiten und dritten Verfahrensschritt hat das Tatsachengericht über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichen Gebiet zu berücksichtigen. Diese Umstände sind in die als sog antizipierte Sachverständigengutachten anzusehenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht einbezogen worden. Für die seit dem 1.1.2009 geltende Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) gilt das Gleiche (vgl BSG Beschluss vom 9.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - RdNr 5 mwN). Auch mit diesen Voraussetzungen und der hierzu ergangenen Rechtsprechung setzt sich die Beschwerde nicht auseinander, sodass auch nicht erkennbar wird, ob und inwieweit noch Klärungsbedarf bestehen könnte.
3. Die Beschwerde ist ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).