Entscheidungsdatum: 23.07.2014
Der sozialhilferechtlichen Schiedsstelle ist es nicht verboten, einen Schiedsspruch über eine Vergütungsvereinbarung auch zu einem Zeitpunkt in Kraft zu setzen, der vor dem Eingang des Antrags auf Durchführung eines Schiedsverfahrens liegt.
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 3. Mai 2012 insgesamt und der Schiedsspruch der Schiedsstelle Bayern - Sozialhilfe - bei der Regierung von Niederbayern insoweit aufgehoben, als ein Inkrafttreten für die Zeit vor dem 1. August 2009 abgelehnt worden ist.
Die Klägerin trägt 1/11 der Gerichtskosten des erstinstanzlichen Verfahrens; ansonsten sind keine Gerichtskosten zu zahlen. Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin des erstinstanzlichen Verfahrens trägt der Beklagte 10/11, von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt die Klägerin 1/11. Für das Revisionsverfahren trägt der Beklagte die außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 250 000 Euro festgesetzt.
Im Streit ist (noch) der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Schiedsspruchs der Schiedsstelle Bayern - Sozialhilfe - bei der Regierung von Niederbayern (Schiedsstelle) vom 1.12.2009.
Die Klägerin betreibt drei Werkstätten für behinderte Menschen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Im Juli 2007 nahmen die Beteiligten Verhandlungen über den Abschluss neuer Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen auf. Mit Wirkung vom 1.1.2009 einigten sie sich bei bestehender Prüfungsvereinbarung auf neue Leistungsvereinbarungen für jede der Werkstätten; der Abschluss von Vergütungsvereinbarungen scheiterte. Daraufhin riefen sie die Schiedsstelle an (Eingang des Antrags der Klägerin bei der Schiedsstelle am 30.7.2009, des Beklagten am 24.8.2009) und beantragten die Festsetzung der jeweils als angemessen erachteten Vergütungen, die Klägerin mit Wirkung ab 1.2.2009, der Beklagte mit Wirkung ab 1.8.2009. Die Schiedsstelle setzte (unter Ablehnung der Anträge im Übrigen) für die Zeit vom 1.8.2009 bis 31.1.2010 die Vergütungen fest (Beschluss vom 1.12.2009). Zur Begründung ihrer Entscheidung führte sie ua aus, die Vergütung sei nach Maßgabe des § 77 Abs 2 Satz 2 und 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) nicht vor dem Tag des Antragseingangs bei der Schiedsstelle festzusetzen, auch wenn die Festsetzung bereits ab 1.2.2009 Sinn und Zweck der §§ 75 ff SGB XII entsprechen würde und eine solche Festsetzung ggf sinnvoll sei.
Nachdem dagegen die Klägerin und zunächst auch der Beklagte Klage erhoben hatten, die Klägerin mit dem Ziel der Festsetzung einer höheren Vergütung bereits ab 1.2.2009, der Beklagte gerichtet auf die Festsetzung einer geringeren Vergütung ab 1.8.2009, hat der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Landessozialgericht (LSG) seine Klage insgesamt sowie die Klägerin ihre für die Zeit ab 1.8.2009 zurückgenommen und nur noch beantragt, den Schiedsspruch insoweit aufzuheben, als die Vergütung nicht bereits ab dem 1.2.2009 festgesetzt worden sei. Das LSG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 3.5.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, § 77 Abs 2 Satz 3 SGB XII bestimme, dass ein Schiedsspruch nicht für eine Zeit vor dem Tag des Antragseingangs bei der Schiedsstelle in Kraft treten könne. Deshalb sei der von der Schiedsstelle festgesetzte Zeitpunkt nicht zu beanstanden.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision und macht eine Verletzung des § 77 Abs 2 SGB XII geltend. Weder Wortlaut, noch Systematik noch Sinn und Zweck der Vorschrift stünden einem früheren Inkrafttreten des Schiedsspruchs entgegen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG insgesamt und den Schiedsspruch der Schiedsstelle Bayern - Sozialhilfe - bei der Regierung von Niederbayern vom 1.12.2009 insoweit aufzuheben, als ein Inkrafttreten für die Zeit vor dem 1.8.2009 abgelehnt worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Die Revision der Klägerin ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Der Schiedsspruch ist rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten; denn die Schiedsstelle hat den ihr obliegenden Gestaltungsspielraum verkannt. Sie ist zu Unrecht davon ausgegangen, den Schiedsspruch nicht vor dem 1.8.2009 in Kraft setzen zu können.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Schiedsspruch vom 1.12.2009. Nachdem der Beklagte seine Klage in vollem Umfang und die Klägerin ihre teilweise - bezogen auf die Höhe der Vergütung für die Zeit vom 1.2.2009 bis 31.1.2010 - zurückgenommen hat, ist die gerichtliche Überprüfung beschränkt auf die Entscheidung der Schiedsstelle über den Zeitpunkt des Inkrafttretens ihres Schiedsspruchs. Die Beteiligten waren insoweit befugt über den Gegenstand des Verfahrens zu verfügen. Denn allein sie bestimmen durch ihre Anträge den Gegenstand des Schiedsstellenverfahrens wie auch die Reichweite der Schiedsstellenentscheidung (vgl § 77 Abs 1 Satz 3 SGB XII: "Gegenstände, über die keine Einigung erzielt werden konnte"). Der Schiedsstelle als hoheitlichem Vertragshilfeorgan stehen nach der Konzeption der §§ 77, 80 SGB XII keine eigenen, sondern lediglich von den Vertragsparteien abgeleitete Rechte zu (BVerwGE 116, 78, 85 f; Neumann in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 77 RdNr 26, Stand März 2012; Münder in Lehr- und Praxiskommentar
Diese Funktion der Schiedsstelle als bloßem Vertragshelfer bedingt zwangsläufig die Verfügungsbefugnis der Beteiligten über den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens, dh, auch insoweit sind grundsätzlich deren Anträge bzw das dahinter stehende Begehren maßgeblich. Entscheidungsgegenstand kann damit allein oder zusammen mit der Festsetzung der Vergütung auch der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Schiedsspruchs sein. Die ansonsten für die Frage der Abtrennbarkeit von Streitgegenständen maßgeblichen Kriterien (vgl nur BSG SozR 4-3500 § 87 Nr 1 RdNr 13 f) sind im gerichtlichen Schiedsstellenverfahren unmaßgeblich. Ob und in welchem Umfang das Gericht im Rahmen des von den Beteiligten vorgegebenen Streitgegenstands ggf Inzidentprüfungen vornehmen muss bzw darf, die für die Beurteilung der eigentlich zur Entscheidung gestellten Frage unabdingbar, von den Beteiligten aber nicht ausdrücklich zum Gegenstand des Schiedsverfahrens gemacht worden sind (vgl dazu nur Jaritz/Eicher in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 77 SGB XII RdNr 68), bedarf keiner Entscheidung, weil sich solche Vorfragen inhaltlicher Art hier nicht stellen.
Gegen die Festsetzung der Schiedsstelle wendet sich die Klägerin zulässigerweise mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG); der Durchführung eines Vorverfahrens bedurfte es nicht (§ 77 Abs 1 Satz 6 SGB XII, § 78 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGG). Beim Beschluss der Schiedsstelle vom 1.12.2009 handelt es sich wegen seiner Funktion als Interessenausgleich um einen vertragsgestaltenden Verwaltungsakt, den die Schiedsstelle als Behörde iS des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) erlassen hat (zu § 93b Bundessozialhilfegesetz
Eine Verpflichtungsbescheidungs- oder Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 3. Alt, Abs 4, § 131 Abs 3 SGG) ginge "ins Leere" und wäre deshalb unzulässig. Beide Klagen würden auf eine Verurteilung des Beklagten zum Erlass eines Schiedsspruchs zielen; Beklagter ist nach § 77 Abs 1 Satz 5 SGB XII aber nicht die Schiedsstelle, sondern, anders als im SGB XI (s dazu: BSGE 112, 1 ff RdNr 14 = SozR 4-3300 § 115 Nr 1; BSGE 105, 126 ff RdNr 41 = SozR 4-3300 § 89 Nr 2; BSGE 87, 199, 200 = SozR 3-3300 § 85 Nr 1 S 3; BSG SozR 4-3300 § 89 Nr 1 RdNr 13), die andere Vertragspartei - eine prozessual ungewöhnliche sozialhilferechtliche Konstellation "sui generis" (Jaritz/Eicher in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 77 SGB XII RdNr 82). Diese wiederum kann nicht durch das Gericht zum Erlass eines anderen Schiedsspruchs verpflichtet werden. Hat die Anfechtungsklage - wie hier - Erfolg, ist zudem nach Aufhebung des Schiedsspruchs das Schiedsverfahren wiedereröffnet, sodass es einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Schiedsstelle im Rahmen einer Verpflichtungsbescheidungsklage auch in der Sache gar nicht bedarf (BVerwGE 116, 78 ff). Eine Bindung der Schiedsstelle an die Begründung des Anfechtungsausspruchs des Gerichts wird mittelbar dadurch bewirkt, dass die Schiedsstelle ihre Rechte, wie ausgeführt, nur von den Beteiligten des gerichtlichen Verfahrens ableitet, die wiederum an den Urteilsausspruch gebunden sind. Daneben bedarf es jedenfalls keiner gesonderten Feststellung; ob eine darauf gerichtete Feststellungsklage gleichwohl zulässig wäre, bedarf mangels entsprechenden Antrags keiner Entscheidung.
Prozessuale Verfahrensfehler stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Einer (notwendigen) Beiladung (§ 75 Abs 2 SGG) der Schiedsstelle bedurfte es nicht, weil ihr keine eigenen Rechte zustehen (BVerwGE 116, 78, 85; Neumann in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 77 RdNr 26, Stand März 2012; Flint in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 80 SGB XII RdNr 29; Münder in LPK-SGB XII, 9. Aufl 2012, § 77 SGB XII RdNr 17; Jaritz/Eicher in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 77 SGB XII RdNr 83). Zutreffend richtet sich die Klage gegen den am Schiedsverfahren beteiligten Bezirk Mittelfranken, der nach § 77 Abs 1 Satz 2 SGB XII, der für das Schiedsverfahren maßgeblichen Regelung für die Bestimmung der Zuständigkeit (vgl Schellhorn in Schellhorn/ Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 77 RdNr 7; Jaritz/Eicher in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 77 SGB XII RdNr 33), für den Sitz der Klägerin (N.) örtlich und als überörtlicher Träger der Sozialhilfe für den Abschluss von Vereinbarungen nach den §§ 75 ff SGB XII auch sachlich zuständig ist (§ 97 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm Art 87 Abs 1 und Art 82 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Bayerisches Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze vom 8.12.2006 - Gesetz- und Verordnungsblatt 942). Das Schiedsverfahren selbst leidet mithin auch nicht an einem entsprechenden Verfahrensmangel.
Der Schiedsspruch ist aus anderen Gründen rechtswidrig und deshalb aufzuheben; der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Schiedsspruchs darf allerdings nicht durch das Gericht festgesetzt werden; dem trägt auch der Antrag der Klägerin Rechnung. Da auch der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Schiedsspruchs der Vertragsautonomie der Beteiligten unterliegt (§ 77 Abs 2 Satz 1 SGB XII), kann sich nämlich die Überprüfung durch das Gericht nur darauf richten, ob der Sachverhalt ermittelt ist, die verfahrensrechtlichen Regelungen eingehalten sind und die Schiedsstelle ihren Gestaltungsspielraum nicht verkannt hat (vgl: BVerwGE 108, 47 ff; BSGE 112, 156 ff RdNr 27 mwN = SozR 4-2500 § 114 Nr 1; BSGE 87, 199, 207 = SozR 3-3300 § 85 Nr 1 S 10; so auch Jaritz/Eicher in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 77 SGB XII RdNr 119 f); der Zeitpunkt des Inkrafttretens darf deshalb in der Regel nicht durch das Gericht selbst festgesetzt werden. Die Schiedsstelle hat den ihr obliegenden Gestaltungsspielraum verkannt. Sie hat sich zu Unrecht rechtlich daran gehindert gesehen, den Schiedsspruch schon vor dem 1.8.2009 in Kraft zu setzen.
Vereinbarungen und Schiedsstellenentscheidungen treten nach § 77 Abs 2 Satz 1 SGB XII zu dem darin bestimmten Zeitpunkt in Kraft. Wird ein Zeitpunkt nicht bestimmt, werden Vereinbarungen mit dem Tag ihres Abschlusses, Festsetzungen der Schiedsstelle mit dem Tag wirksam, an dem der Antrag bei der Schiedsstelle eingegangen ist (Satz 2). Ein jeweils vor diesen Zeitpunkt zurückwirkendes Vereinbaren oder Festsetzen von Vergütungen ist nicht zulässig (Satz 3).
§ 77 Abs 2 Satz 3 SGB XII steht - insoweit entgegen der Ansicht der Schiedsstelle und des LSG - einem Inkrafttreten des Schiedsspruchs für eine Zeit vor dem 1.8.2009 nicht entgegen - abgesehen davon, dass der (erste) Antrag bereits am 30.7.2009 bei der Schiedsstelle eingegangen ist. Mit der (sprachlich wenig geglückten) Regelung soll (nur) verhindert werden, dass - wie vor Einführung entsprechender Regelungen in § 93b BSHG - Vergütungen nachträglich nach den bereits entstandenen Kosten abgerechnet werden, also ein Gewinn- oder Verlustausgleich ohne Rücksicht auf die im Leistungszeitpunkt gültigen Vereinbarungen durchgeführt werden kann (vgl BT-Drucks 12/5510, S 10 zu Nr 4); die Regelung konkretisiert damit lediglich die Vorschrift des § 77 Abs 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB XII, wonach nachträgliche Ausgleiche, dh Ausgleiche für Zeiträume vor dem eigentlichen Verhandlungszeitraum, unzulässig sind. Die Regelung enthält also kein gesetzliches Verbot des rückwirkenden Inkraftsetzens, sondern verbietet bei systematischer und an der Verfassung orientierter Auslegung nur - nachgehende - Vereinbarungen, die das Ziel haben, für einen bestimmten Zeitraum vereinbarte oder festgesetzte Vergütungen auch auf einen davor liegenden Zeitraum zu erstrecken. Der Grundsatz der Prospektivität der Verhandlungen, den § 77 Abs 1 Satz 1 SGB XII zum Ausdruck bringt, und ein rückwirkendes Inkraftsetzen von Vereinbarungen widersprechen sich insoweit nicht. Denn die Gefahr eines nachträglichen Ausgleichs von Leistung und Gegenleistung besteht nicht nur dann nicht, wenn die Beteiligten prospektiv, dh für einen zukünftigen Zeitraum, verhandeln und die Verhandlungen selbst entsprechend abschließen, sondern auch, wenn sie, wie hier, prospektiv verhandeln und unter Beachtung der Prospektivität eine Leistungsvereinbarung abschließen und die Vergütungsvereinbarung nicht vor einem Zeitpunkt in Kraft gesetzt werden soll, für den eine neue Leistungsvereinbarung vereinbart worden ist.
Ein Verbot rückwirkenden Inkrafttretens enthält auch nicht § 77 Abs 2 Satz 1 SGB XII. Vielmehr geht die Norm gerade von dem Grundsatz aus, dass die Beteiligten bzw die Schiedsstelle über den Zeitpunkt des - auch rückwirkenden - Inkrafttretens der Vereinbarungen bei prospektivem Verhandeln frei entscheiden können. Dies muss in gleicher Weise die Befugnisse der Schiedsstelle bestimmen; dadurch wird das Vereinbarungssystem gerade nicht verlassen, sondern nur dahin modifiziert, dass an die Stelle der zu vereinbarenden die von der Schiedsstelle festgesetzte Vergütung tritt (vgl BVerwGE 126, 295 ff RdNr 13 zu § 93 Abs 2 und 3 BSHG).
§ 77 Abs 2 Satz 2 SGB XII hingegen findet nur Anwendung, wenn sich weder die Beteiligten auf einen Zeitpunkt für das Inkrafttreten geeinigt haben noch - im Fall fehlender Einigung - die Schiedsstelle einen Zeitpunkt für das Inkrafttreten festgesetzt hat (so auch: Flint in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 77 SGB XII RdNr 13; Jaritz/Eicher in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 77 SGB XII RdNr 112), zB weil die Beteiligten durch ihre Anträge den Zeitpunkt des Inkrafttretens nicht zum Gegenstand des Schiedsverfahrens gemacht haben. Nur für diesen Fall sieht § 77 Abs 2 Satz 2 SGB XII gesetzlich als Wirksamkeitszeitpunkt entweder den Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung oder den des Eingangs des Antrags bei der Schiedsstelle vor. Mit § 77 Abs 2 Satz 2 SGB XII soll also lediglich sichergestellt werden, dass die Laufzeit der Vereinbarungen auch ohne ausdrückliche Bestimmung feststeht und gewährleistet ist. § 77 Abs 2 Satz 3 SGB XII kann daran logisch nicht anknüpfen und schränkt deshalb die Vertragsautonomie der Beteiligten bzw Gestaltungsfreiheit der Schiedsstelle nach Satz 1 insoweit während der laufenden Verhandlungen bzw des Schiedsstellenverfahrens nicht ein.
Dem kann schließlich nicht entgegengehalten werden, dass die Beteiligten ohnedies bereits sechs Wochen nach Aufforderung zu Verhandlungen die Schiedsstelle anrufen könnten (§ 77 Abs 1 Satz 3 SGB XII), also eines besonderen "Schutzes" durch die Möglichkeit der rückwirkenden Inkraftsetzung gar nicht bedürften. Teilt man die Auffassung, dass nur Vergütungs-, nicht aber Leistungsvereinbarungen schiedsstellenfähig seien (BVerwGE 126, 295 ff; Münder in LPK-SGB XII, 9. Aufl 2012, § 77 SGB XII RdNr 5; Flint in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 77 SGB XII RdNr 10; Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 77 SGB XII RdNr 4; Neumann in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 77 RdNr 8 und 11, Stand März 2012; aA Jaritz/Eicher in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 77 SGB XII RdNr 37 ff), würde dies - wenig realitätsnah - unterstellen, dass im Regelfall binnen sechs Wochen nach Aufnahme der Verhandlungen eine Leistungs-, Prüfungs- und Vergütungsvereinbarung abgeschlossen ist - will man nicht der Schiedsstelle die Kompetenz zuweisen, die Leistungsmerkmale als Vorfrage der Vergütungsregelung zu bewerten und damit den Gegenstand des Schiedsverfahrens mittelbar zumindest auf die Leistungsvereinbarung ausweiten und auf das Bestehen einer Prüfungsvereinbarung ggf verzichten. Ein "Zwang" zur - vorzeitigen - Anrufung der Schiedsstelle unterläge jedoch unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes verfassungsrechtlichen Bedenken, weil die Beteiligten in ein Schiedsstellenverfahren gezwungen würden, selbst wenn die Chance einer Einigung noch besteht, nur um sich so die Möglichkeit zu erhalten, zumindest eine Vergütungsvereinbarung mit Wirkung ab Antragstellung zu erwirken.
Bestätigt wird das gewonnene Ergebnis mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des § 93b Abs 2 Satz 3 BSHG, der Vorgängervorschrift des § 77 Abs 2 Satz 3 SGB XII. Der Gesetzgeber wollte durch das zum 1.1.1994 durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms eingefügte Gebot prospektiven Verhandelns einen nachträglichen Ausgleich von Unter- und Überdeckung ausschließen; vermeiden wollte er zugleich, dass eine Einrichtung gezwungen werden kann, die von ihr erwarteten Leistungen unterhalb ihrer Gestehungskosten anzubieten und zu erbringen (BT-Drucks 12/5510, S 10 zu Nr 4). Diese Situation kann aber eintreten, wenn der Schiedsstelle versagt wäre, die Vergütungsvereinbarung zeitgleich mit der - hier bereits vor Anrufung der Schiedsstelle abgeschlossenen - Leistungsvereinbarung in Kraft zu setzen.
Die Kostenfestsetzung beruht auf § 197a SGG iVm § 155 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Wegen der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung war zwischen den für die jeweilige Instanz angefallenen Kosten zu differenzieren und zu berücksichtigen, dass der Beklagte nach § 64 Abs 3 Satz 2 SGB X keine Gerichtskosten zu tragen hat. Die Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf §§ 40, 47 Abs 1, § 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz; von einer Streitwertfestsetzung für das Verfahren vor dem LSG sieht der Senat ab (vgl BSGE 97, 153, 157 = SozR 4-1500 § 183 Nr 4).