Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 27.06.2018


BSG 27.06.2018 - B 6 KA 83/17 B

Vertragszahnärztliche Versorgung - Behandlungsfehler - Zerstörung des Vertrauensverhältnisses


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsdatum:
27.06.2018
Aktenzeichen:
B 6 KA 83/17 B
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2018:270618BB6KA8317B0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend SG München, 4. Dezember 2014, Az: S 43 KA 5115/12, Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 11. Oktober 2017, Az: L 12 KA 5005/15, Urteil
Zitierte Gesetze
BMV-Z

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3241,99 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Streitig ist ein Regress wegen mangelhafter zahnprothetischer Versorgung.

2

Der Kläger nimmt im Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung an der vertragszahnärztlichen Versorgung teil. Er setzte der Versicherten G. eine von der zu 2. beigeladenen Krankenkasse genehmigte Ober- und Unterkieferteleskopversorgung ein. Danach suchte die Patientin den Kläger viermal zur Nachbehandlung auf. Nach dem dritten Nachbehandlungsversuch meldete die Patientin bei der Beigeladenen zu 2. Mängel der Versorgung an. Die Prothesen hielten nicht und die Teleskope "klickten" nicht richtig ein. Das daraufhin von der Beigeladenen zu 2. eingeholte zahnmedizinische Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass der Zahnersatz nicht frei von Fehlern und Mängeln sei und dass eine Neuanfertigung erforderlich sei. Im Rahmen des von der Beigeladenen zu 2. daraufhin eingeleiteten Mängelrügeverfahrens wurde die Patientin durch die zahnärztlichen Mitglieder des Prothetikausschusses Südbayern untersucht. Aufgrund der festgestellten Befunde kamen die zahnärztlichen Mitglieder des Prothetikausschusses ebenfalls zu dem Ergebnis, dass zur Wiederherstellung einer ausreichenden Funktion eine Neuversorgung des Ober- und des Unterkiefers erforderlich sei. Dem Antrag der Krankenkasse auf Rückerstattung der geleisteten Festzuschüsse gab der Ausschuss statt.

3

Im anschließenden Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, dass ihm die Möglichkeit der Nachbesserung gegeben werden müsse. Dass eine Neuversorgung geboten sei, könne nicht nachvollzogen werden. Schuldhaftes und vertragswidriges Verhalten sei ihm nicht anzulasten. Den Widerspruch des Klägers wies der beklagte Prothetik-Einigungsausschuss zurück. Klage und Berufung des Klägers blieben ebenfalls ohne Erfolg. Das LSG ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass der der Patientin eingegliederte Zahnersatz mangelhaft war, dass dieser Mangel nur durch eine Neuanfertigung behoben werden könne und dass der Versicherten eine Fortsetzung der Behandlung durch den Kläger unter den gegebenen Umständen nicht zumutbar gewesen sei.

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Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.

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II. 1. Die Beschwerde des Klägers ist nicht begründet.

6

Die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BVerfG Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; s auch BSG Beschluss vom 16.11.1995 - 11 BAr 117/95 - SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; BSG Beschluss vom 14.8.2000 - B 2 U 86/00 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 30 S 57 f mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist oder wenn sich die Antwort ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften oder aus bereits vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung klar beantworten lässt (BSG Beschluss vom 11.10.2017 - B 6 KA 29/17 B - Juris RdNr 4).

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Der Kläger bezeichnet folgende Rechtsfrage als grundsätzlich klärungsbedürftig:

        

"Kann ein substantiiertes Bestreiten von - nach dem Abbruch der zahnärztlichen Behandlung durch den Versicherten - gutachterlich festgestellten Mängeln

        

beziehungsweise

        

der nachträgliche Verweis des Zahnarztes auf die aus seiner Sicht bestehende Möglichkeit der Nachbesserung anstelle der gutachterlich für erforderlich gehaltenen Neuanfertigung des Zahnersatzes das für die zahnärztliche Behandlung notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Zahnarzt und Versicherten [Versichertem] auch dann wegen Uneinsichtigkeit i. S. der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zerstören, wenn der Versicherte schon nach der erstmaligen Begutachtung nicht mehr zu[r] Fortsetzung seiner Behandlung in der Praxis des erstbehandelnden Zahnarztes bereit ist"?

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Die formulierte Rechtsfrage ist in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Mit der Auffassung, dass der Patientin eine Fortsetzung der Behandlung bei dem Kläger nicht zuzumuten ist, hat sich das LSG in erster Linie auf den Umstand gestützt, dass es diesem in vier Nachbehandlungen nicht gelungen ist, die aufgezeigten Mängel zu beseitigen. Das LSG hat lediglich ergänzend ausgeführt, es falle "zudem … auf", dass der Kläger auch im Berufungsverfahren die Notwendigkeit der Neuanfertigung bestreite und weiterhin vortrage, eine Nachbesserung sei möglich und zumutbar. Dass dieser im Urteil ergänzend bezeichnete Gesichtspunkt für die Entscheidung tragend geworden ist, hat der Kläger jedenfalls nicht dargelegt.

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Bei der Frage, ob und in welcher Weise das Gericht der Einsicht des Zahnarztes in die Fehlerhaftigkeit seiner Behandlung für die Entscheidung über einen Regress wegen mangelhafter zahnprothetischer Versorgung Bedeutung beimisst, handelt es sich im Übrigen um eine Frage des Einzelfalles, die einer generalisierenden Beantwortung im Revisionsverfahren nicht zugänglich ist.

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Ferner ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass der ärztliche Behandlungsvertrag durch ein besonderes Vertrauensverhältnis geprägt ist und dass deshalb keine hohen Anforderungen an die vom Versicherten geltend gemachte Unzumutbarkeit einer Nacherfüllung durch den erstbehandelnden Zahnarzt gestellt werden können (vgl BSG Urteil vom 10.5.2017 - B 6 KA 15/16 R - SozR 4-5555 § 21 Nr 3 RdNr 35). Das Vertrauensverhältnis des Versicherten zum behandelnden Zahnarzt kann dadurch zerstört werden, dass der Zahnarzt einen später gutachtlich bestätigten Behandlungsfehler gegenüber dem Versicherten nachhaltig bestreitet und sich uneinsichtig zeigt (vgl BSG Urteil vom 10.5.2017 - B 6 KA 15/16 R - SozR 4-5555 § 21 Nr 3 RdNr 35; BSG Urteil vom 29.11.2006 - B 6 KA 21/06 R - SozR 4-5555 § 15 Nr 1 RdNr 21). Richtig ist, dass es dabei regelmäßig in erster Linie auf das Verhalten des Zahnarztes gegenüber dem Versicherten vor dem endgültigen Abbruch der Behandlung ankommen wird, weil das Verhalten des Zahnarztes im nachfolgenden Prozess für den vorangegangenen Behandlungsabbruch nicht mehr ursächlich sein kann.

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Allerdings kann das Vorbringen des Zahnarztes im nachfolgenden Gerichtsverfahren für die Beurteilung der Frage, ob dem Versicherten die Fortsetzung der Behandlung zumutbar gewesen wäre, auch dann Bedeutung gewinnen, wenn dieses Vorbringen keinen relevanten Einfluss mehr auf das Vertrauensverhältnis haben kann, weil die Behandlung bereits endgültig beendet worden ist: Wenn der erstbehandelnde Zahnarzt - wie hier - noch im Gerichtsverfahren davon überzeugt ist, dass Nachbesserungsmaßnahmen ausreichend gewesen wären, obwohl zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass eine Neuanfertigung erforderlich war und wenn der Zahnarzt dem Versicherten die Neuanfertigung der zahnprothetischen Versorgung auch nicht angeboten hat, dann kann das den Schluss rechtfertigen, dass eine Fortsetzung der Behandlung durch den Zahnarzt nicht zu einem erfolgreichen Abschluss der Behandlung hätte führen können. Die Fortsetzung einer - zur Beseitigung des Mangels objektiv ungeeigneten - Behandlung ist dem Versicherten jedenfalls nicht zumutbar.

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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung der Kosten der Beigeladenen zu 1. ist nicht veranlasst; sie hat - anders als die Beigeladene zu 2. - im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt (§ 162 Abs 3 VwGO; vgl dazu BSG Urteil vom 31.5.2006 - B 6 KA 62/04 R - BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

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3. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3 S 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Dessen Bemessung erfolgt - übereinstimmend mit der von keinem Verfahrensbeteiligten angegriffenen Streitwertentscheidung des LSG - in Höhe des von dem Beklagten festgesetzten Regresses.