Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 05.06.2013


BSG 05.06.2013 - B 6 KA 7/13 B

Kassenärztliche Vereinigung - Disziplinarmaßnahme - Verschuldensfeststellung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsdatum:
05.06.2013
Aktenzeichen:
B 6 KA 7/13 B
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend SG Hannover, 17. Juni 2009, Az: S 24 KA 228/05vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 19. Dezember 2012, Az: L 3 KA 54/09, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 19. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten auch des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5500 Euro festgesetzt.

Gründe

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I. Streitig ist die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme wegen Nichtbeantwortung von Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) und der Ablehnung vertragsärztlicher Behandlung.

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Die Klägerin ist seit 1992 als Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten im Bezirk der beklagten KÄV zur kassen- bzw vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Gegründet auf den Vorhalt, sie habe zahlreiche Schreiben der Beklagten nicht beantwortet und außerdem die (Nach-)Behandlung einer Patientin verweigert, die über Schmerzen im Bereich ihrer Operationswunde geklagt habe und der nur die Behandlung als Privatpatientin angeboten worden sei, setzte der Disziplinarausschuss der Beklagten gegen die Klägerin eine Geldbuße von 500 Euro fest (Bescheid vom 18.5.2005). Ihre Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteile des SG vom 17.6.2009 und des LSG vom 19.12.2012). Das LSG hat ausgeführt, die Klägerin habe sowohl durch die Nichtbeantwortung der Schreiben der KÄV als auch durch die Ablehnung der Behandlung der Schmerzpatientin vertragsärztliche Pflichten verletzt. Ein eigenes Verschulden liege auch insoweit vor, als die Behandlungsablehnung durch ihren Ehemann erfolgt sei: Sie müsse sich dessen Verhalten als Mitarbeiter in ihrer Praxis gemäß § 278 Satz 1 BGB zurechnen lassen; zumindest treffe sie ein Organisationsverschulden, weil sie die regelmäßige Kontrolle und Überwachung der bei ihr tätigen Mitarbeiter - insoweit auch ihres Ehemannes - unterlassen habe.

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Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG und Verfahrensmängel geltend.

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II. Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet.

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1. Die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) besteht nicht.

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Eine grundsätzliche Bedeutung setzt voraus, dass eine Rechtsfrage aufgeworfen wird, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt insbesondere dann, wenn die Rechtsfrage durch die vorliegende Rechtsprechung bereits geklärt ist (s zB BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 5 RdNr 3 mwN). Die Klärungsfähigkeit ist nicht gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage nicht im Revisionsverfahren zur Entscheidung anstehen würde (Entscheidungserheblichkeit), und die Bedeutung über den Einzelfall hinaus besteht nicht, wenn die Relevanz der Rechtsfrage auch für weitere Fälle nicht erkennbar ist oder die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des vorliegenden Rechtsstreits keiner verallgemeinerungsfähigen Beantwortung zugänglich ist (vgl zB BSG vom 5.11.2008 - B 6 KA 50/07 B - RdNr 6 iVm 11). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s die BVerfG-Angaben in BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 sowie BVerfG SozR 4-1500 § 160a Nr 16 RdNr 4 f).

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Nach diesen Maßstäben sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung nicht gegeben. Die von der Klägerin aufgeworfene - hier sinngemäß verkürzt formulierte - Frage,

        

ob das Verhalten ihres Ehemannes ihr ohne Feststellung eines eigenen Verschuldens zugerechnet werden kann (Beschwerdebegründung S 12 unter II.1. iVm S 13-16),

ist nicht klärungsfähig (entscheidungserheblich), weil es auf sie nach dem Kontext des Bescheids und auch nach den Ausführungen des LSG nicht ankommt. Der Disziplinarausschuss hat in seinem Bescheid zum Ausdruck gebracht, dass er ein eigenes Verschulden der Klägerin auch dann als gegeben ansieht, wenn sie von dem Verhalten ihres Ehemanns nichts wusste; denn jedenfalls "hätte sie dafür Sorge tragen müssen, dass solche vertrags(arzt)rechtswidrigen Handlungen durch das Personal, zu dem hier auch der Ehemann gehörte, unterbleiben" (Bescheid S 3). Damit hat der Disziplinarausschuss darauf abgestellt, dass die Klägerin zumindest ein Organisationsverschulden trifft; darin liegt ein eigenes Verschulden der Klägerin. Diese Argumentation des Disziplinarausschusses hat das LSG übernommen, indem es das Verschulden der Klägerin jedenfalls in Organisationsmängeln sieht (LSG-Urteil S 9). Damit haben sowohl der Disziplinarausschuss als auch das LSG ein eigenes Verschulden jedenfalls aufgrund von Organisationsmängeln festgestellt. Daher kommt es für die Verschuldensfeststellung nicht auf die Frage an, ob ein eigenes Verschulden auch auf die Zurechnung des Verhaltens ihres Ehemanns gegründet werden kann.

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Im Übrigen fehlt es bei der Rechtsfrage in der von der Klägerin gewählten konkreten Formulierung auch an der Bedeutung über den Einzelfall hinaus. Denn die Rechtsfrage ist durch den Passus "Verhalten des Ehemannes der Beschwerdeführerin" auf den Einzelfall der Klägerin beschränkt. Fragen der Rechtsanwendung in ganz besonders gelagerten, singulären Konstellationen haben regelmäßig von vornherein keine grundsätzliche Bedeutung.

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2. Auch die von der Klägerin geltend gemachte Rechtsprechungsabweichung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) liegt nicht vor. Entgegen ihrer Ansicht (Beschwerdebegründung S 12 unter II.2. iVm S 16 f) weicht das Urteil des LSG nicht von dem Urteil des BSG vom 11.9.2002 (B 6 KA 36/01 R - SozR 3-2500 § 81 Nr 8) ab. Nach diesem Urteil des BSG sind in Disziplinarangelegenheiten die Gerichte nicht befugt, ihrerseits an Stelle des Disziplinarausschusses entscheidungserhebliche Feststellungen, Gewichtungen und Abwägungen nachzuholen (BSG aaO S 44 = Juris RdNr 23).

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Davon ist das LSG nicht abgewichen. Es hat keinen mit den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung unvereinbaren Rechtssatz aufgestellt.

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Das LSG ist im Übrigen auch im Rahmen seiner Rechtsanwendung im Einzelfall nicht von der Aussage des BSG abgewichen. Die Ansicht der Klägerin, das LSG-Urteil enthalte Feststellungen, die nicht im Disziplinarbescheid enthalten sind, trifft nicht zu: Im Disziplinarbescheid ist nicht nur der Vorwurf des Organisationsverschuldens enthalten; dort heißt es, die Klägerin hätte "dafür Sorge tragen müssen, dass solche vertragsrechtswidrigen Handlungen durch das Personal, zu dem hier auch der Ehemann gehörte, unterbleiben" (Bescheid S 3); dort sind auch die Belastungen der Klägerin durch die schwere Erkrankung ihres Bruders und dessen Tod sowie durch Krankheit und Schwangerschaft ihrer Arzthelferinnen festgestellt, und ist ausgeführt, dass die Klägerin trotz dieser Schwierigkeiten dafür Sorge tragen musste, dass den Angelegenheiten, zu deren Erledigung sie vertragsarztrechtlich verpflichtet ist, Rechnung getragen werden kann (Bescheid S 2 im Absatz "Die betroffene Ärztin hat sich dahingehend eingelassen …"). Das LSG hat auch seinerseits nur diese vom Disziplinarausschuss benannten Gesichtspunkte zugrunde gelegt: Es hat zum einen den Vorwurf des Organisationsverschuldens erhoben und zum anderen ausgeführt, dass dieser Vorwurf hier auch bei Berücksichtigung ihrer Belastung mit familiären Problemen berechtigt ist (LSG-Urteil S 9). Der Vorhalt der Klägerin, das LSG habe "an Stelle des Disziplinarausschusses" entscheidungserhebliche Feststellungen getroffen, ist somit unbegründet.

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3. Die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) ist ebenfalls unbegründet. Unter diesem Gesichtspunkt macht die Klägerin sinngemäß geltend, das LSG hätte wegen des dem SG anzulastenden Gehörsverstoßes - aufgrund der versagten Terminsverlegung - den Rechtsstreit an das SG zurückverweisen müssen (vgl Beschwerdebegründung S 12 unter II.3. iVm S 17). Indessen trifft dieser Vorhalt nicht zu. Wie das LSG ausgeführt hat, ist in § 159 Abs 1 SGG normiert, dass das LSG die Sache an das SG zurückverweisen "kann", wenn das Verfahren des SG an einem wesentlichen Mangel leidet. Das LSG ist also im Falle eines Verfahrensfehlers des SG nicht zur Zurückverweisung verpflichtet, sondern "kann" aus sachlichen Gründen davon absehen. Ein solcher Grund liegt vor, wenn die bisherige Verfahrensdauer schon sehr lang gewesen ist und das Verfahren in der Sache entscheidungsreif ist (so auch LSG Urteil S 6 mit Hinweis auf Keller in Meyer-Ladewig). Bedenken dagegen, dass diese Voraussetzungen hier vorgelegen haben, sind nicht ersichtlich und der Beschwerdebegründung auch nicht zu entnehmen.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).

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Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Bei Anfechtung von Disziplinarbescheiden ist zunächst der sog Regelwert von 5000 Euro zugrunde zu legen (vgl § 52 Abs 2 GKG) und dieser Betrag im Falle einer festgesetzten Geldbuße um deren Betrag zu erhöhen (vgl BSG vom 1.2.2005 - B 6 KA 70/04 B - SozR 4-1935 § 33 Nr 1 RdNr 8 f = Juris RdNr 7 f mwN; BSG vom 15.8.2012 - B 6 KA 13/12 B - Juris RdNr 24).