Entscheidungsdatum: 14.03.2012
Die Beschwerde der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. September 2011 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
I. Der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 beantragten durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 6.9.2010 bei dem Beklagten "die Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide über Grundsicherung nach dem SGB II seit dem 1.1.2006 auf ihre Rechtmäßigkeit". Insbesondere wurde um Überprüfung sämtlicher Sanktions-, Aufhebungs- und Erstattungsbescheide gebeten. Trotz Aufforderung des Beklagten benannten die Kläger das Datum der Bescheide und den Sachgrund für das Überprüfungsbegehren nicht. Daraufhin lehnte der Beklagte den Antrag der Kläger mit Bescheid vom 10.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2010 ab, weil nicht einmal die Minimalanforderungen an die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens erfüllt seien.
Das SG hat die Klagen abgewiesen (Urteil vom 15.3.2011). Das LSG hat die Berufung des Klägers zu 1 zurückgewiesen (Urteil vom 29.9.2011): Im Berufungsverfahren seien nur noch Ansprüche des Klägers zu 1 im Streit. Nur in dessen Namen habe der Prozessbevollmächtigte gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt. Die Berufung sei insoweit unzulässig, als der Kläger zu 1 nunmehr erstmalig im Berufungsverfahren direkt im Wege der sogenannten Anfechtungs-/Leistungsklage die Verurteilung des Beklagten zu einer rückwirkend höheren Sozialleistung ohne Rücknahme der bestandskräftigen Bescheide begehre. Soweit der Kläger zu 1 mit seiner Berufung weiterhin die erstinstanzliche Entscheidung und letztlich den Überprüfungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides überprüfen lassen möchte, sei die Berufung unbegründet. Der Beklagte habe sich zu Recht ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung seiner bestandskräftigen Bescheide berufen, weil der Kläger zu 1 nicht vorgebracht habe, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könne.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wenden sich die Kläger mit ihren Beschwerden.
II. Die Beschwerden sind unzulässig. Dies gilt für die Beschwerde der Klägerin zu 2 schon deshalb, weil eine sie belastende Vorentscheidung des LSG nicht vorliegt, denn sie hat gegen das Urteil des SG keine Berufung eingelegt. Die Beschwerde des Klägers zu 1 erfüllt nicht die gesetzlichen Begründungserfordernisse, denn der Kläger zu 1 hat die von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe nicht formgerecht dargelegt (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch: BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und gegebenenfalls des Schrifttums nicht ohne Weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtslage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger zu 1 hält insoweit die Frage für klärungsbedürftig und klärungsfähig, ob die Behörde die sachliche Entscheidung eines Antrags nach § 44 SGB X unter Berufung auf die Bindungswirkung des Bescheides ablehnen dürfe, wenn der Antragsteller nicht darlege, dass und ggf warum die angegriffene Entscheidung rechtsfehlerhaft sei. Es kann dahinstehen, ob eine in dieser Allgemeinheit aufgeworfene Frage angesichts der bereits vorliegenden Rechtsprechung des 9. Senats (BSGE 63, 33 = SozR 1300 § 44 Nr 33), des 4. Senats (BSGE 88, 75 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 20) und des 2. Senats (Urteil vom 11.11.2003 - B 2 U 32/02 R) tatsächlich noch klärungsbedürftig sein könnte. Jedenfalls ist die aufgeworfene Frage im konkreten Verfahren nicht klärungsfähig, denn mit seinem ursprünglich gestellten Überprüfungsantrag begehrt der Kläger zu 1 entgegen der konkreten Fragestellung nicht die Überprüfung "des Bescheides", sondern er macht die vollständige Nachprüfung des Verwaltungshandelns der gesamten Leistungszeiträume seit Januar 2006 geltend. Damit hat er nicht mehr die Überprüfung der Verfügungssätze "des Bescheides" oder jedenfalls einer ohne Weiteres bestimmbaren Zahl von Verfügungssätzen von Verwaltungsakten zur Überprüfung des Beklagten gestellt.
Es kann - unabhängig von den Begründungserfordernissen des § 160 Abs 2 S 3 SGG - im übrigen Vorliegen nicht zweifelhaft sein, dass ein derart weitreichendes Überprüfungsbegehren mit entsprechenden Mitwirkungserfordernissen beim Berechtigten korrespondiert.
2. Um eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG zu bezeichnen, hat die Beschwerdebegründung einen Widerspruch im Grundsätzlichen oder ein Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze in der Entscheidung des LSG einerseits und in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits aufzuzeigen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67) und die in Bezug genommene Entscheidung so zu kennzeichnen, dass sie ohne Weiteres aufzufinden ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Dabei muss die Beschwerdebegründung deutlich machen, dass in der angefochtenen Entscheidung eine sie tragende Rechtsansicht entwickelt und nicht etwa nur ungenaue oder unzutreffende Rechtsausführungen oder Rechtsirrtum im Einzelfall für die Entscheidung bestimmen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67; BSG 27. Juni 2002 - B 11 AL 87/02 B -). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
In der Beschwerdebegründung wird die behauptete Divergenz zur Entscheidung des 2. Senats des BSG (Urteil vom 11.11.2003 - B 2 U 32/02 R) nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet. Das LSG hat in den Urteilsgründen auf Seite 12 des Umdrucks ausdrücklich ausgeführt und begründet, warum die ablehnende Entscheidung auch rechtmäßig sei, wenn zu Gunsten des Klägers der Rechtsprechung des 2. Senats gefolgt würde. Eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen des LSG ist in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vollständig unterblieben.
3. Schließlich wird auch ein Verfahrensmangel des LSG nicht in der gebotenen Form gerügt. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass Verfahrensmängel vorliegen, auf denen die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung der Verfahrensmängel zunächst die diese (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36).
In der Beschwerdebegründung wird eine Verletzung des § 106 SGG behauptet, weil kein Hinweis auf das Erfordernis der Aufhebung der bestandskräftigen Verwaltungsakte gegeben worden sei. Dieses Vorbringen ist schon insofern unschlüssig, als der Kläger zu 1 ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 29.9.2011 ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass der von ihm gestellte Antrag nicht sachdienlich bzw problematisch sei.
Die nicht formgerecht begründete Beschwerde war daher nach § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.