Entscheidungsdatum: 05.08.2015
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 15. Januar 2015 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
I. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren die Feststellung begehrt, dass es sich bei der von ihr verrichteten Tätigkeit als Näherin bei der Beklagten um ein Arbeitsverhältnis gehandelt und dieses über den 8.4.2008 bis zum 3.6.2008 fortgedauert habe, hilfsweise, dass die Maßnahme zwischen den Beteiligten durch die Beendigungserklärung der Beklagten nicht beendet worden sei, sondern bis zum 3.6.2008 fortgedauert habe.
Die Bewilligung einer Eingliederungsleistung in Gestalt einer Arbeitsgelegenheit nach § 16 Abs 3 S 2 SGB II, die für die Zeit vom 8.4.2007 bis 3.6.2008 durchgeführt werden sollte, wurde mit Wirkung zum 10.4.2008 unter Hinweis auf eine längere Erkrankung der Klägerin aufgehoben. Nach Verweisung der von der Klägerin hiergegen erhobenen Kündigungsschutzklage durch das Arbeitsgericht an das SG Magdeburg hat dieses die Klage abgewiesen (Urteil vom 8.3.2013). Der Vorsitzende des beim LSG Sachsen-Anhalt für die Berufung der Klägerin hiergegen zuständigen Senats hat sie durch Schreiben vom 30.12.2014 darauf hingewiesen, dass davon ausgegangen werde, der Rechtsstreit sei auf die Geltendmachung einer Mehraufwandsentschädigung für 41 Arbeitstage gerichtet. Der Beschwerdewert betrage daher 314,88 Euro und erreiche nicht den nach § 144 Abs 1 SGG für eine statthafte Berufung erforderlichen Wert von 750 Euro. In der mündlichen Verhandlung hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin zur Niederschrift erklärt, dass sie trotz dieses Hinweises an dem ursprünglichen Begehren festhalte. Das LSG hat die Berufung alsdann durch Beschluss vom 15.1.2015 wegen der fehlenden Statthaftigkeit als unzulässig verworfen.
Ihre Beschwerde hat die Klägerin mit dem verfahrensfehlerhaften Erlass eines Prozessurteils an Stelle eines Sachurteils durch das LSG begründet (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Der Beschwerdewert übersteige den Betrag von 750 Euro. Die Klägerin habe mit ihren Haupt- und Hilfsanträgen die Feststellung des Fortbestands eines Arbeitsverhältnisses begehrt. Das Begehren sei daher nicht auf eine bestimmte Leistungspflicht gerichtet, sondern die beantragte Feststellung solle lediglich Grundlage für eine spätere Zahlung sein. Es unterfalle daher nicht der Grenze des § 144 Abs 1 SGG. Unabhängig davon sei der Beschwerdewert jedoch ohnehin höher, da die Klägerin nicht nur die Mehraufwandsentschädigung ab Kündigung der Eingliederungsvereinbarung sondern auch für die Zeit der Erkrankung begehrt habe.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG Erfolg (§ 160a Abs 5 SGG).
Wie die Klägerin formgerecht (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG) und zutreffend gerügt hat, ist das Urteil des LSG verfahrensfehlerhaft zustande gekommen (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Das LSG hat ein Prozessurteil an Stelle eines Sachurteils erlassen, weil es den Beschwerdewert im Berufungsverfahren verkannt hat. Unabhängig von der materiell-rechtlichen Bewertung der Rechtslage ist ausgehend von dem von der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren formulierten Begehren dieses in der Hauptsache auf die Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses auch für die Zeit vom 8.4. bis 3.6.2008 gerichtet. Der sich daraus ergebende Beschwerdewert übersteigt die Grenze von 750 Euro des § 144 Abs 1 SGG.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist danach zu bestimmen, was das SG dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was von diesem mit seinen Berufungsanträgen zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung weiter verfolgt wird (BSG vom 4.7.2011 - B 14 AS 30/11 B - juris RdNr 4; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 144 RdNr 14). Bei einem Feststellungsantrag muss das Gericht den Wert ermitteln (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, RdNr 15b; Littmann in Lüdtke, LPK-SGG, 4. Aufl, § 144 RdNr 10). Soweit es sich um eine der Leistungsklage gleichwertige Feststellungsklage handelt, bemisst sich der Streitwert nach dem Betrag, den der Kläger letztlich erstrebt (BSG vom 5.10.1999 - B 6 KA 24/98 R - juris RdNr 6).
Das LSG hat vorliegend angenommen, die Klägerin begehre mit ihrer Klage die Gewährung einer Mehraufwandsentschädigung für den Zeitraum vom 8.4. bis 3.6.2008. Dem hat sie jedoch ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung widersprochen, indem sie den Antrag auf Feststellung des Fortbestehens eines Arbeitsverhältnisses aufrechterhalten hat. Daher kann Ausgangspunkt der Wertbestimmung nur dieser Antrag sein, also der "Wert" des - nach Ansicht der Klägerin - bis zum 3.6.2008 fortbestehenden Arbeitsverhältnisses. Zu dessen Bestimmung genügt eine überschlägige Berechnung bzw Schätzung unter Bewertung des wirtschaftlichen Interesses des Klägers (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 144 RdNr 14; Littmann in Lüdtke, LPK-SGG, 4. Aufl, § 144 RdNr 10; Jungeblut in BeckOK, § 144 RdNr 22). Gemäß § 202 SGG, § 3 ZPO ist der Wert vom Gericht nach freiem Ermessen festzusetzen, das unter Zuhilfenahme aller Anhaltspunkte und Erkenntnisquellen auszuüben ist.
Der materielle Gegenwert des Klagebegehrens der Klägerin kann sich hier insoweit nur in dem Entgelt widerspiegeln, das aus der Behauptung resultiert, es habe sich um ein Arbeitsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten gehandelt. Dann wäre jedoch Grundlage der Wertbemessung nicht die Mehraufwandsentschädigung, wie vom LSG angenommen, sondern das ihr zu zahlende Arbeitsentgelt. Dabei ist davon auszugehen, dass dieses die Grenze von 750 Euro für den streitigen Zeitraum übersteigt, denn es wäre insoweit auf das ortsübliche Entgelt abzustellen und dieses mit den 41 verbleibenden Arbeitstagen und den von der Klägerin angegebenen 37,4 Wochenarbeitsstunden zu multiplizieren. Zwar mangelt es insoweit an Tatsachenfeststellungen des LSG. Selbst bei Zugrundelegung eines extrem niedrigen Stundenlohns ergibt sich jedoch ein Wert, der den des § 144 SGG deutlich übersteigt.
Ob man auch zu diesem Ergebnis gelangte, wenn die materiell-rechtlich grundlegenden Entscheidungen des BSG bedacht würden, dass die Arbeitsgelegenheiten gegen Mehraufwandsentschädigung kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts gemäß § 16 Abs 3 S 2 Halbs 2 SGB II aF begründeten (vgl BSG vom 13.4.2011 - B 14 AS 98/10 R - BSGE 108, 116 = SozR 4-4200 § 16 Nr 7 und - B 14 AS 101/10 R - SozR 4-4200 § 16 Nr 8; vom 13.11.2008 - B 14 AS 66/07 R - BSGE 102, 73 = SozR 4-4200 § 16 Nr 3 und BAG vom 26.9.2007 - 5 AZR 857/06 - NZA 2007, 1422 = AP Nr 3 zu § 16 SGB II; vgl auch BSG vom 27.8.2011 - B 4 AS 1/10 R - BSGE 109, 70 = SozR 4-4200 § 16 Nr 9, SozR 4-1300 § 31 Nr 7, RdNr 17) kann angesichts dessen, dass für die Statthaftigkeit der Berufung einzig auf das Berufungsbegehren abzustellen ist, dahinstehen. Insoweit käme allerdings, fehlte es bei der Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung - wie hier von der Klägerin vorgebracht - am Merkmal der "Zusätzlichkeit", ein Anspruch auf Wertersatz auf Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs durch den Träger der Grundsicherung wegen rechtsgrundlos erbrachter Arbeitsleistung in Betracht. Der Wertersatz ist arbeitstäglich danach zu bestimmen, was sonst hätte aufgewendet werden müssen, um die Arbeitsleistung zu erhalten, und welche Aufwendungen des Trägers dem gegenüberstanden (BSG, Urteil vom 13.4.2011 - B 14 AS 98/10 R - BSGE 108, 116 = SozR 4-4200 § 16 Nr 7).
Da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, steht es im Ermessen des erkennenden Senats, nach § 160a Abs 5 SGG zu verfahren. Im Rahmen dieser Ermessensausübung ist der Senat nicht daran gebunden, dass die Klägerin nur die Zulassung der Revision und nicht oder ggf hilfsweise die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz beantragt hat. Der Senat verweist den Rechtsstreit maßgeblich aus prozessökonomischen Gründen an das LSG zurück.