Entscheidungsdatum: 16.03.2017
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 26. August 2016 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Beschwerdeverfahren.
I. Streitig ist die Erstattung von Kosten für einen Pflegedienst, welcher der Versicherten in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) in der Zeit vom 1.1.2009 bis 31.8.2010 Insulininjektionen verabreichte.
Die Klägerin ist die Mutter der 1974 geborenen und am 2014 verstorbenen Versicherten der beklagten Krankenkasse. Die Versicherte lebte zum Zeitpunkt ihres Todes mit der Klägerin zusammen, die seitdem das Verfahren fortführt.
Die Versicherte war seit 1998 in einer WfbM beschäftigt, die in der Trägerschaft des Beigeladenen zu 2. stand. Sie litt ua an einer frühkindlichen Hirnschädigung, Imbezillität, Epilepsie, insulinpflichtigem Diabetes mellitus, einer Missbildung und Atrophie der rechten Hand und bezog Leistungen nach der Pflegestufe III. Ihr behandelnder Facharzt für Innere Medizin verordnete ihr für die gesamten Jahre 2009 und 2010 einmal täglich/fünfmal wöchentlich in der WfbM des Beigeladenen zu 2. häusliche Krankenpflege zur Verabreichung von Insulininjektionen. Aufgrund ihrer ausgesprochen labilen Stoffwechsellage sei eine vier- bis fünfmalige Spritzeninjektion und eine besondere Zuwendung durch einen qualifizierten Pflegedienst erforderlich, der auch Einfluss auf die Insulindosierung nehmen könne. Mitarbeiter in der WfbM könnten diese Aufgabe nicht übernehmen.
Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme ab (Bescheide vom 4.2.2009 sowie vom 4.1.2010; Widerspruchsbescheide vom 16.4.2009 und vom 11.3.2010), da die Verabreichung der Insulininjektionen Aufgabe der beigeladenen WfbM sei. Die in einer WfbM vorzuhaltenden begleitenden Dienste dienten ua der medizinischen Betreuung der behinderten Menschen und könnten die verordneten subkutanen Injektionen erbringen. Andernfalls müsse die WfbM auf eigene Kosten einen Pflegedienst beauftragen. Leistungen der häuslichen Krankenpflege kämen nur bei einem besonders hohen Pflegebedarf in Betracht. Ein solcher liege nach dem Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nicht vor.
Im Laufe des dagegen gerichteten Klageverfahrens hat die Klägerin die Rechnungen des Pflegedienstes für die Verabreichung der Insulininjektionen im streitigen Zeitraum in der WfbM beglichen. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13.4.2011). Auf die Berufung hat das LSG dieses Urteil sowie die entgegenstehenden Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt, der Klägerin die an den Pflegedienst gezahlten Kosten für die Verabreichung von Insulininjektionen für die Zeit vom 1.1.2009 bis 31.8.2010 in Höhe von 2070,04 Euro zu erstatten (Urteil vom 26.8.2016). Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei als alleinige Sonderrechtsnachfolgerin der Versicherten gemäß § 56 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB I prozessführungsbefugt, weil sie mit der Versicherten zum Zeitpunkt ihres Todes zusammengelebt habe und es sich bei dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch um einen Anspruch auf laufende Geldleistungen im Sinne dieser Vorschrift handele. Der Klägerin stehe der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 S 1 SGB V zu, denn bis zur Erteilung des ersten Ablehnungsbescheides vom 4.2.2009 habe es sich um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt, und für die Zeit nach Zugang dieses sowie des weiteren Bescheides vom 4.1.2010 habe die Beklagte die Leistung zu Unrecht abgelehnt. In der streitigen Zeit habe die Versicherte einen Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte auf Erbringung einer Insulininjektion täglich (fünfmal wöchentlich) in der WfbM im Rahmen der häuslichen Krankenpflege gehabt. Ein besonders hoher Pflegebedarf iS von § 37 Abs 2 S 1 SGB V sei gegeben, wenn dieser mit den zur Verfügung stehenden pflegerischen Fachkräften nicht hinreichend abgedeckt werden könne. Nach der Rechtsprechung des BSG handele es sich bei der Injektion von Insulin nicht um einfachste behandlungspflegerische Maßnahmen. Die verordneten Insulininjektionen hätten nach den Ausführungen des behandelnden Arztes nicht vom Personal des Beigeladenen zu 2. und den vorzuhaltenden begleitenden Diensten verabreicht werden dürfen. Der Beigeladene zu 2. sei auch aufgrund des Einrichtungszwecks und seines Aufgabenprofils sowie des zu betreuenden Personenkreises nicht verpflichtet gewesen, entsprechendes Personal vorzuhalten. Der Einrichtungszweck, Menschen mit Behinderungen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren, erfordere es nicht, dass Fachpersonal für medizinische Maßnahmen vorgehalten werde, die über die einfachste Behandlungspflege hinausgingen und weder behinderungsspezifisch noch im Zusammenhang mit der Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt stünden.
Mit der Beschwerde wendet sich die Beklagte gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet, weil der ausschließlich geltend gemachte Beschwerdegrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nicht gegeben ist.
Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache, wenn sich eine Rechtsfrage stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit; vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 60; SozR 3-1500 § 160a Nr 16; SozR 4-1500 § 160a Nr 5).
Die Beklagte hält folgende Frage für klärungsbedürftig:
"Erfasst das unbestimmte Tatbestandsmerkmal des 'besonders hohen Pflegebedarfs' nach § 37 Abs. 2, S. 1 SGB V in WfbM ausschließlich Maßnahmen der Behandlungspflege, die der behinderungsspezifischen Krankenbehandlung, also solcher, die im Zusammenhang mit der die Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verhindernden Behinderung steht, dient oder werden von diesem Begriff auch Pflegemaßnahmen umfasst, die nicht unmittelbar dieser behinderungsspezifischen Krankenbehandlung dient bzw. Maßnahmen der Grundpflege beinhaltet?" (vgl S 4 der Beschwerdebegründungsschrift).
In diesem Zusammenhang meint die Beklagte, es sei bisher nicht geklärt und daher klärungsbedürftig, was unter dem Begriff des "besonders hohen Pflegebedarfs" zu verstehen sei.
Diese Frage ist allerdings nicht klärungsbedürftig. Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "besonders hohen Pflegebedarfs" iS von § 37 Abs 2 S 1 SGB V bieten die gesetzlichen und untergesetzlichen Normen und die inzwischen dazu ergangene Rechtsprechung des erkennenden Senats vom 25.2.2015 (BSGE 118, 122 = SozR 4-2500 § 37 Nr 13) sowie vom 22.4.2015 (BSG Urteil vom 22.4.2015 - B 3 KR 16/14 R - Juris) ausreichende Anhaltspunkte. Ein Klärungsbedarf ist nicht mehr gegeben, wenn zur Auslegung vergleichbarer Regelungen schon höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte dafür geben, wie die konkret aufgeworfene Frage zu beantworten ist (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8; SozR 3-1500 § 146 Nr 2; BSG Beschlüsse vom 11.5.2010 - B 13 R 589/09 B - Juris; vom 9.9.2010 - B 13 R 173/10 B - Juris; vom 7.12.2010 - B 11 AL 74/10 B - Juris; vom 19.4.2011 - B 13 R 187/10 B - SozR 4-5050 § 22 Nr 11; vom 25.5.2011 - B 4 AS 29/11 B - Juris). Denn das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel mehr unterliegt, die Frage also "geklärt" ist (stRspr, vgl zuletzt Senatsbeschluss vom 7.3.2017 - B 3 KR 39/16 B).
Die oben genannten Urteile des Senats vom 25.2. und 22.4.2015 betrafen zwar keine WfbM, sondern andere Einrichtungen der Eingliederungshilfe. Allerdings sind auch WfbM Eingliederungseinrichtungen, nämlich solche zur Eingliederung in das Arbeitsleben (§ 136 Abs 1 S 1 SGB IX). Anders als für andere Eingliederungseinrichtungen ist die Frage, ob es sich bei WfbM um einen geeigneten Ort zur Erbringung von häuslicher Krankenpflege handelt, schon durch den Gesetzeswortlaut ausdrücklich geklärt. Denn die WfbM werden in § 37 Abs 1 S 1 und in § 37 Abs 2 S 1 SGB V ausdrücklich als geeignete Orte aufgeführt, an denen häusliche Krankenpflege zu erbringen ist. In WfbM ist häusliche Krankenpflege allerdings - wie die Beklagte richtig ausführt - nur bei einem "besonders hohen Pflegebedarf" von der Krankenkasse zu erbringen. Aus dem ausdrücklichen gesetzlichen Verweis auf § 10 der Werkstättenverordnung (WVO) und aus der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP-Richtlinie) ergibt sich unzweifelhaft, dass ein solcher Bedarf vorliegt, wenn die WfbM nicht verpflichtet ist, die medizinisch notwendige Pflegeleistung mit den nach § 10 WVO vorzuhaltenden Diensten, Personal und sonstigen Kräften zu erbringen.
Damit ist diese grundsätzliche Rechtsfrage schon aufgrund der Normen ganz parallel zu den oben genannten Entscheidungen des Senats geklärt. Der Senat hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass sich nach den gesetzlichen Vorschriften des SGB V in Verbindung mit den Normen der HKP-Richtlinie ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege zunächst an allen geeigneten Orten ergeben kann, an denen sich der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält, wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthalts an diesem Ort notwendig ist. Einschränkungen ergeben sich für die Zeit des Aufenthaltes in Einrichtungen nur dann, wenn nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht. Ob ein solcher Anspruch besteht, ist im Einzelfall durch die Krankenkasse zu prüfen (vgl BSG Urteil vom 22.4.2015 - B 3 KR 16/14 R - RdNr 20, Juris). Einrichtungen der Eingliederungshilfe sind nach den gesetzlichen Bestimmungen grundsätzlich nur soweit zur Erbringung von medizinischer Behandlungspflege verpflichtet, wie diese aufgrund der sächlichen und personellen Ausstattung von der Einrichtung erbracht werden kann (vgl BSG Urteil vom 22.4.2015 - B 3 KR 16/14 R - RdNr 26, Juris). Das Gleiche ergibt sich für die WfbM aus den gesetzlichen Vorschriften in Verbindung mit der HKP-Richtlinie. Auch die WfbM haben im Hinblick auf Leistungen der medizinischen Behandlungspflege keine weiteren Pflichten zur Leistungserbringung, als sie mit ihrer personellen Ausstattung erfüllen können.
Wieviel Personal eine Einrichtung vorhalten muss, insbesondere welche Fachkräfte zur Verfügung stehen müssen, ergibt sich regelmäßig aus den gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften in Verbindung mit den bestehenden Verträgen und Leistungsbeschreibungen. Zur Beurteilung, ob die erforderliche behandlungspflegerische Maßnahme damit im konkreten Einzelfall von der Einrichtung geschuldet wird, sind im Zweifel darüber hinaus Ziel und der Zweck der Einrichtung sowie ihr Aufgabenprofil und der zu betreuende Personenkreis mit heranzuziehen (BSG Urteil vom 22.4.2015 - B 3 KR 16/14 R - RdNr 32, 41, Juris), so wie das Berufungsgericht das in der mit der Beschwerde angefochtenen Entscheidung getan hat. Darüber hinaus hat der erkennende Senat bereits entschieden, dass für das Verabreichen von Insulininjektionen regelmäßig medizinisches Fachpersonal erforderlich ist (BSG Urteil vom 22.4.2015 - B 3 KR 16/14 R - RdNr 41, Juris), sodass eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht mehr gegeben ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 SGG. Die Klägerin ist nach § 183 S 1 SGG iVm § 56 SGB I Sonderrechtsnachfolgerin der Versicherten (vgl § 197a Abs 1 S 1 SGG).