Entscheidungsdatum: 26.06.2014
Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Februar 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
I. Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalles und die Gewährung einer Verletztenrente. Das SG Reutlingen hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 4.2.2013). Hiergegen hat die Klägerin Berufung zum LSG Baden-Württemberg eingelegt.
Im Berufungsverfahren hat der Vorsitzende des 8. Senats des LSG Termin zur mündlichen Verhandlung auf "Freitag, den 28.02.2014, 10:00 Uhr" bestimmt. Mit Schreiben vom 25.2.2014 hat die bevollmächtigte VdK Sozialrechtsschutz GmbH (VdK) beantragt, den Termin zu verlegen, weil der Sachbearbeiter wegen eines Trauerfalls in der Familie verhindert sei und die Klägerin die Vertretung durch einen anderen Bevollmächtigten nicht wünsche. Der Senatsvorsitzende hat daraufhin per Telefax vom 26.2.2014 den Verlegungsantrag abgelehnt, denn der Klägerin sei die Vertretung durch einen anderen Sozialrechtsreferenten der VdK zumutbar. Mit Schreiben vom 26.2.2014 entzog die Klägerin der VdK das Mandat. Da sie eine Falschauskunft erhalten habe und einige fachliche Fragen nicht hinreichend beantwortet worden seien, habe sie kein Vertrauen mehr. Mit weiterem Schreiben vom selben Tag beantragte die Klägerin unter Hinweis auf einen Vertrauensverlust erneut die Verlegung des Verhandlungstermins. Der Senatsvorsitzende lehnte mit Telefax vom 27.2.2014 auch diesen Antrag ab, weil sich dem Vorbringen der Klägerin ein Verlegungsgrund nicht entnehmen lasse. Auf das weitere Schreiben der Klägerin vom 27.2.2014, mit dem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und wiederum die Verlegung beantragt worden war, hat das LSG am selben Tag mitgeteilt, dass über die Prozesskostenhilfe in der mündlichen Verhandlung entschieden werde und es bei der Ablehnung des Verlegungsantrags verbleibe.
Das LSG hat in Abwesenheit der Klägerin die mündliche Verhandlung durchgeführt und anschließend die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die Kündigung eines Mandats einen Tag vor einem schon länger anberaumten Gerichtstermin könne nur ausnahmsweise eine Terminverlegung rechtfertigen. Ein irreparabler Vertrauensverlust sei nicht widerspruchsfrei dargelegt worden (Urteil vom 28.2.2014).
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin als Verfahrensfehler ua die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Sie beantragt, |
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die Revision zuzulassen. |
Die Beklagte hat sich nicht geäußert.
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) iVm dem Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren (Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG) und dem Grundsatz der Mündlichkeit (§ 124 Abs 1 SGG) ergibt. Die Beschwerdebegründung enthält auch hinreichende Ausführungen dazu, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhen kann. Ob diese zur Kennzeichnung des Verfahrensmangels überhaupt notwendig waren (vgl BSG vom 26.6.2007 - B 2 U 55/07 B - SozR 4-1750 § 227 Nr 1 RdNr 7 mwN), kann daher offenbleiben.
Der Entscheidung des LSG liegt ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zugrunde. Das Berufungsgericht hat das Grundrecht der Klägerin auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es das angegriffene Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung verkündet hat, obwohl sie weder daran teilgenommen hat noch ordnungsgemäß vertreten war. Daher ist die Entscheidung aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 160a Abs 5 SGG).
Das Gericht entscheidet nach § 124 Abs 1 SGG, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Dieser Mündlichkeitsgrundsatz räumt den Beteiligten und ihren Prozessbevollmächtigten das Recht ein, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen und mit ihren Ausführungen gehört zu werden. Sowohl die in Art 6 Abs 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention als auch im Falle eines - wie hier - vom SG erlassenen Gerichtsbescheides nach § 153 Abs 1 und 4 SGG grundsätzlich vorgeschriebene mündliche Verhandlung bietet eine besondere Gewähr zur Wahrung des rechtlichen Gehörs. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BSG vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN; BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfG vom 19.7.1967 - 2 BvR 639/66 - BVerfGE 22, 267, 274 und vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216 f). Bei einem Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung und Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben oder nicht, Gelegenheit gegeben werden, sich zur Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung selbst zu äußern (BSG vom 26.6.2007 - B 2 U 55/07 B - SozR 4-1750 § 227 Nr 1 RdNr 8).
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in einer mündlichen Verhandlung umfasst auch das Recht auf Aufhebung oder Verlegung eines anberaumten Termins, wenn dies aus erheblichen Gründen geboten ist (§ 227 Abs 1 ZPO iVm § 202 SGG). Liegt ein erheblicher Grund vor, ist das Gericht zur Terminverlegung verpflichtet, ein Ermessen ist ihm nicht eingeräumt. Das Recht auf rechtliches Gehör ist daher auch dann verletzt, wenn das Bestehen eines erheblichen Grundes zu Unrecht verneint wird (BSG vom 26.6.2007 - B 2 U 55/07 - SozR 4-1750 § 227 Nr 1 RdNr 8). Das ist hier der Fall. Die Klägerin hat Umstände glaubhaft dargetan, die dem LSG Anlass zur Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung geben mussten.
Ein erheblicher Grund für eine Terminänderung liegt zwar nicht schon dann vor, wenn ein Beteiligter wegen einer Mandatsentziehung in der mündlichen Verhandlung voraussichtlich nicht vertreten sein wird. Entscheidend ist vielmehr, ob die Beendigung der Prozessbevollmächtigung selbst auf einem erheblichen Grund beruht, weil es dem Beteiligten nicht mehr zugemutet werden konnte, sich von seinem früheren Bevollmächtigten auch weiterhin vertreten zu lassen (BVerwG vom 4.8.1998 - 7 B 127/98 - juris RdNr 3 mwN). Ein solcher Grund ist bei der Klägerin darin zu erblicken, dass nach ihrer Überzeugung das Vertrauen in eine angemessene Prozessvertretung durch die VdK erschüttert war. Die Klägerin hat mit ihrem Verlegungsantrag geltend gemacht, dass Mitarbeiter der VdK ihr eine Falschauskunft gerade wegen der Vertretungsrechte vor dem LSG erteilt hätten und nicht in der Lage gewesen seien, einige fachliche Fragen zu beantworten. Die wegen dieser Umstände von der Klägerin angenommene Einschätzung, es fehle an einem die Fortsetzung der Prozessvertretung tragenden Vertrauensverhältnis, erscheint jedenfalls nachvollziehbar und glaubhaft. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass zur Sicherstellung effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) an die Beurteilung der Frage, ob der Beteiligte zumutbar auf seinen bisherigen Prozessbevollmächtigten verwiesen werden kann, keine übermäßig strengen Maßstäbe angelegt werden dürfen. Es kommt vielmehr darauf an, ob sich - wie hier - die Sachlage aus Sicht des Beteiligten (subjektiv) so darstellen konnte, dass das Vertrauensverhältnis zu seinem Bevollmächtigten erschüttert war, weil er sich nicht hinreichend sachgerecht vertreten fühlen durfte (BSG vom 11.12.2002 - B 6 KA 8/02 R - juris RdNr 25). Die zur Begründung ihrer Verlegungsanträge aufgezeigten Umstände lassen die Unzufriedenheit der Klägerin mit der Tätigkeit der VdK erkennen und rechtfertigen jedenfalls deren subjektive Annahme eines Vertrauensverlustes.
Der Senat verkennt nicht, dass die Prozessbevollmächtigung erst zwei Tage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung beendet worden ist. Allein aus diesem Verhalten kann aber nicht geschlossen werden, dass die Klägerin mit der Mandatsentziehung und den Verlegungsanträgen den Rechtsstreit rechtsmissbräuchlich hätte verzögern wollen. Auch sonstige Umstände, die Verzögerungstendenzen erkennen ließen, sind nicht ersichtlich.
Wird einem Beteiligten das rechtliche Gehör dadurch versagt, dass es ihm nicht ermöglicht wird, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, so ist davon auszugehen, dass dies für eine aufgrund dieser Verhandlung ergangene Entscheidung ursächlich geworden ist (BSG vom 26.6.2007 - B 2 U 55/07 B - SozR 4-1750 § 227 Nr 1 RdNr 7 mwN). Gründe, welche die Ursächlichkeit des gerügten Verfahrensmangels der Verletzung des rechtlichen Gehörs für das angefochtene Urteil ausschließen könnten, sind nicht ersichtlich.
Liegen - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor, kann auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 160a Abs 5 SGG). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.