Entscheidungsdatum: 04.11.2014
Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. Mai 2014 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
I. Streitig ist die Anerkennung einer Lungenkrebserkrankung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin als Berufskrankheit (BK) nach Nr 4104 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (Lungenkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Pleura oder bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaubdosis von mindestens 25 Faserjahren). Das SG hat die Klage gegen die ablehnenden Bescheide der Beklagten durch Urteil vom 27.4.2010 abgewiesen. Auf die Berufung, die die Klägerin mit diversen ärztlichen Stellungnahmen sowie Befundberichten begründet hat, hat das LSG ein weiteres Sachverständigengutachten vom 30.8.2013 eingeholt. Am 9.1.2014 hat das LSG die mündliche Verhandlung auf den 14.5.2014 anberaumt. Die Ladung ist der Klägerin am 10.1.2014 durch PZU zugestellt worden. Die Klägerin erteilte am 5.5.2014 dem Rechtsanwalt G. Vollmacht. Am 6.5.2014 beantragte Rechtsanwalt G. wegen der "notwendigen Einarbeitung in den recht komplizierten Sach- und Streitstoff", den Termin zur mündlichen Verhandlung zum 14.5.2014 aufzuheben und auf einen mindestens zehn Wochen späteren Termin neu zu terminieren. Ferner hat der Rechtsanwalt beantragt, ihm Einsicht in die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten zu gewähren und diese Akten in sein Büro zur Einsichtnahme für zwei Wochen zu übersenden.
Der Berichterstatter hat daraufhin am 8.5.2014 schriftlich mitgeteilt, dass gegenwärtig eine Terminverlegung nicht in Betracht gezogen werde. In dem seit Oktober 2010 beim LSG anhängigen Verfahren sei umfassend vorgetragen worden. Die Klägerin habe ausreichend Zeit gehabt, einen Prozessbevollmächtigten zu beauftragen. Eine "Vertagung" sei nur bei wichtigem Grund möglich. Die Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten kurz vor dem Termin ohne Darlegung der Gründe für eine verspätete Beauftragung stelle keinen wichtigen Grund dar.
Hierauf hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin unter dem 12.5.2014 per Fax dem LSG mitgeteilt, dass die Anträge vom 6.5.2014 in keinerlei Hinsicht eine Prozessverschleppung beinhalteten. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts erst Anfang Mai habe sachlich nachvollziehbare Gründe gehabt. Vorliegend sei vom LSG erst drei Jahre nach der Berufungseinlegung ein Gutachten veranlasst worden, welches der Klägerin im September 2013 bekannt gegeben worden sei. Auch nach der Ladung des LSG vom 9.1.2014 habe die Klägerin, die von einer "Beratungsstelle für ehemals Beschäftigte der Fa. C. H. B." juristisch beraten worden sei, kein Erfordernis für eine Mandatierung eines Prozessbevollmächtigten gesehen. Erst durch einen zufälligen Kontakt mit ihm in der zweiten Hälfte des April 2014 sei sie durch ihn darüber informiert worden, dass die Ladung zur Beweisaufnahme stark vermuten lasse, das LSG werde das Klagebegehren ablehnen.
Die Senatsvorsitzende am LSG hat dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin durch Faxschreiben vom 12.5.2014 mitgeteilt, dass dem Antrag auf Terminverlegung auch im Hinblick auf die Ausführungen dieses Schriftsatzes nicht stattgegeben werde. Hinsichtlich der beantragten Akteneinsicht werde ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen, noch vor dem für 14:30 Uhr am 14.5.2014 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung auf der Geschäftsstelle des Senats Akteneinsicht zu nehmen.
Durch in der mündlichen Verhandlung vom 14.5.2014 überreichten Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erneut beantragt, rechtliches Gehör zu erhalten sowie die Verhandlung vom 14.5.2014 zu vertagen und seinem Antrag auf Akteneinsicht vom 6.5.2014 stattzugeben. Nach Durchführung einer Zwischenberatung hat das LSG die Anträge durch Beschluss abgelehnt.
Im Anschluss hat das LSG die Anträge aufgenommen und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Lübeck vom 27.4.2010 sodann zurückgewiesen.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin das Vorliegen von Verfahrensmängeln iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend. Sie rügt insbesondere, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.5.2014 nicht verlegt worden sei. Das LSG begründe an keiner Stelle, unter welchen Voraussetzungen es einen "wichtigen Grund" zur Terminverlegung iS des § 227 ZPO anerkennen wolle. Das LSG habe gegen das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen. Ihr, der Klägerin, könne nicht angelastet werden, dass sie sich erst zu einem sehr späten Zeitpunkt Klarheit darüber verschafft habe, dass die Notwendigkeit einer juristischen Vertretung bestehe.
II. Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 14.5.2014 hat die Klägerin form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt sowie diese begründet. Das angefochtene Urteil des LSG vom 14.5.2014 ist unter Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs ergangen, weil das LSG den Antrag auf Terminverlegung gemäß § 227 ZPO zu Unrecht abgelehnt hat. Dieser von der Klägerin auch schlüssig gerügte Verfahrensmangel führt gemäß § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.
Gemäß § 62 Halbs 1 SGG, der das durch Art 103 Abs 1 GG garantierte prozessuale Grundrecht wiederholt, ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren; dieses gilt insbesondere für eine Instanz abschließende Entscheidung wie das am 14.5.2014 verkündete Urteil. Entsprechend durfte dieses Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG). Zu diesem Zweck können sich die Beteiligten in jeder Lage des Verfahrens durch prozessfähige Bevollmächtigte vertreten lassen (§ 73 Abs 2 Satz 1 SGG).
Der von der Klägerin am 5.5.2014 beauftragte Prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt G. konnte aufgrund der Kurzfristigkeit seiner Beauftragung mit dem Sachverhalt noch nicht hinreichend vertraut sein. Damit hat der Prozessbevollmächtigte in seinem Schriftsatz vom 6.5.2014 einen erheblichen Grund iS des § 227 ZPO geltend gemacht. Das LSG war deshalb zur Terminverlegung verpflichtet (vgl BSG vom 26.6.2007 - B 2 U 55/07 B - SozR 4-1750 § 227 Nr 1). Denn das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs hat insbesondere zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur Abgabe sachgemäßer Erklärungen haben und ihnen dazu eine angemessene Zeit eingeräumt wird; dies gilt auch und gerade für die mündliche Verhandlung, in der das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten zu erörtern ist (§ 112 Abs 2 SGG; vgl BSG vom 11.12.2002 - B 6 KA 8/02 R - USK 2002-149 mwN; vgl BSG vom 22.8.2000 - B 2 U 15/00 R - SozR 3-1500 § 128 Nr 14 S 28, SozR 3-1500 § 62 Nr 25; BSG vom 3.4.1958 - 2 RU 44/54 - SozR Nr 6 zu § 62 SGG).
Zwar ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht anzunehmen, wenn dem Beteiligten die rechtzeitige Bestellung des Bevollmächtigten zugemutet werden konnte (so BSG vom 27.10.1955 - 4 RJ 6/54 - BSGE 1, 280, 282 f = SozR SGG § 119 Nr 2, SozR ZPO § 227 Nr 2, SozR GG Art 103 Nr 2, SozR SGG § 62 Nr 2, SozR SGG § 162 Nr 16, SozR GG Art 103 Nr 2). Dasselbe gilt, wenn den Beteiligten hierbei ein Verschulden anzulasten ist (vgl Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 110 RdNr 5a) oder wenn der Beteiligte kurzfristig einen Anwaltswechsel vorgenommen hat, obwohl ihm zuzumuten war, sich durch den von ihm bislang bestellten Bevollmächtigten weiterhin vertreten zu lassen (vgl BVerwG vom 22.12.1986 - 7 CB 90/86 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 245; BVerwG vom 27.3.1985 - 4 C 79/84 - NJW 1986, 339 mwN).
Allerdings gebietet es der Grundsatz rechtlichen Gehörs, hier keine allzu strengen Maßstäbe anzulegen. Dies gilt bereits bei einem Wechsel des Anwalts (BSG vom 11.12.2002 - B 6 KA 8/02 R - juris), und muss daher erst recht bei einem zuvor nicht anwaltlich vertretenen Betroffenen ohne juristische Vorbildung gelten. Die Klägerin war bislang lediglich von einer Beratungsstelle beraten worden, so dass von einem erheblichen Grund für eine Terminverlegung iS des § 227 ZPO ausgegangen werden muss, wenn sie nach zufälligem Kontakt zu einem Anwalt diesen zehn Tage vor der mündlichen Verhandlung mandatiert, weil sie eine professionelle Prozessvertretung nunmehr für erforderlich hält. Zwar wäre es der Klägerin möglich gewesen, bereits zu einem früheren Zeitpunkt einen Rechtsanwalt zu beauftragen, jedoch würde eine Berücksichtigung dieses Umstands zu ihrem Nachteil dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG) zuwiderlaufen. Der Grundsatz, dass Verlegungen oder Vertagungen von Terminen mit der vom Gesetz geforderten Beschleunigung des Verfahrens in Einklang zu bringen sind, darf nämlich nicht zu einer Verkümmerung des rechtlichen Gehörs führen (BSG vom 26.10.1955 - 3 RJ 34/54 - BSGE 1, 277 = SozR GG Art 103 Nr 1, SozR GG Art 102 Nr 1, SozR SGG § 62 Nr 1, SozR SGG § 110 Nr 1, SozR SGG § 162 Nr 15, SozR ZPO § 227 Nr 1). Dies gilt umso mehr, als bei einer Verlegung im Gegensatz zur Vertagung keine Kollision mit dem in § 106 Abs 2 SGG verankerten Gebot, den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (s BSG vom 23.8.1960 - 9 RV 1042/57 - SozR Nr 13 zu § 106 SGG; BSG vom 22.8.2000 - B 2 U 15/00 R - SozR 3-1500 § 128 Nr 14 S 28; BSG vom 19.3.1991 - 2 RU 28/90 - SozR 3-1500 § 62 Nr 5 S 8), zu erwarten ist. Abgesehen von einer erneuten Ladung entsteht für das Gericht und die Beteiligten hierdurch kein zusätzlicher Kostenaufwand.
Im Hinblick auf die Gesamtumstände war die Verlegung der mündlichen Verhandlung vom 14.5.2014 daher rechtlich geboten, um dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Möglichkeit zu geben, sich in den umfangreichen Sach- und Streitstand des zwei Bände Gerichtsakten und zwei Bände Verwaltungsakten umfassenden Rechtsstreits einzuarbeiten, der zudem eine komplizierte Frage der Anerkennung einer Berufskrankheit betrifft. Dementsprechend bedarf es keiner weiteren Vertiefung, ob die Ablehnung des zu Beginn der mündlichen Verhandlung gestellten Vertagungsantrages einen zusätzlichen Verfahrensmangel darstellt (BSG vom 25.2.2010 - B 11 AL 113/09 B - juris) sowie ob die Möglichkeit zur Einsichtnahme der Akten am Tag der mündlichen Verhandlung dem ebenfalls dem Anspruch auf rechtliches Gehör dienenden Akteneinsichtsrecht (§ 120 SGG) genügte.
Der Senat hat von der durch § 160a Abs 5 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.