Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 14.02.2013


BSG 14.02.2013 - B 14 AS 51/12 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Abgrenzung von Einkommen und Vermögen - Zufluss am Tag der Antragstellung - Berücksichtigung als Einkommen


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsdatum:
14.02.2013
Aktenzeichen:
B 14 AS 51/12 R
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend SG München, 7. Oktober 2009, Az: S 52 AS 1676/08, Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 21. März 2012, Az: L 16 AS 202/11, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Bei der Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen ist nicht auf die exakte Uhrzeit des Zuflusses, sondern den jeweiligen Kalendertag abzustellen.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. März 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind für alle Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand

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Umstritten sind Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), insbesondere deren Beginn und die Berücksichtigung von Einkommen.

2

Der im Jahr 1968 geborene, im Landkreis M wohnende, alleinstehende Kläger, der schon früher Leistungen nach dem SGB II bezogen hatte, ging bis zum 31.3.2008 einer Beschäftigung nach und bekam sein Gehalt für den März 2008 in Höhe von 1189,45 Euro netto am 1.4.2008 auf seinem Konto bei der W-Bank gutgeschrieben. Ebenfalls am 1.4.2008 beantragte er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei der Agentur für Arbeit (AA) M Aufgrund der damals im Landkreis M bestehenden getrennten Trägerschaft bewilligte die AA dem Kläger nur die Regelleistung ab 1.5.2008 und verwies ihn im Übrigen an den Landkreis M In einem weiteren Bescheid lehnte sie für den Monat April 2008 Leistungen wegen des als Einkommen zu berücksichtigenden Märzgehaltes ab (Bescheid vom 22.4.2008; Widerspruchsbescheid vom 10.6.2008).

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Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) die genannten Bescheide aufgehoben und die AA verurteilt, dem Kläger für April Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung seines Märzgehaltes zu zahlen, weil ihm das Gehalt schon am 1.4. ab 00.01 Uhr und damit vor der Antragstellung zu den üblichen Öffnungszeiten der AA zur Verfügung gestanden habe (Urteil vom 7.10.2009). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zugelassen, auf die Berufung des Jobcenters Landkreis M, der als zwischenzeitlich zugelassener kommunaler Träger in die Rechtsstellung der AA eingetreten war, das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.3.2012). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die am 1.4.2008 auf dem Konto des Klägers gutgeschriebene Gehaltszahlung für März sei im April 2008 zu berücksichtigendes Einkommen iS des § 11 SGB II. Dass die Antragstellung am 1.4.2008 nach 11.30 Uhr und damit zeitlich erst nach der Gutschrift des Betrags auf dem Konto um 10.50 Uhr erfolgt sei, stehe dem nicht entgegen. Denn zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen sei zwar auf den Tag der Antragstellung abzustellen, nicht aber auf die Uhrzeit an diesem Tag. Bezugspunkt für die Leistungen nach dem SGB II sei der Kalendertag (§ 41 Abs 1 Satz 1 SGB II) und Leistungen würden erst ab Antragstellung erbracht (§ 37 Abs 2 Satz 1 SGB II).

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Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er macht geltend, das Urteil verletze § 11 Abs 1, § 12 Abs 1, § 37 Abs 2 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung. Nach der vom LSG angeführten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen und nicht auf den Kalendertag. Das Rückwirkungsverbot in § 37 Abs 2 Satz 1 SGB II habe nur deklaratorische Bedeutung. Anspruch auf Leistungen beständen nur für jeden vollen Kalendertag, vorliegend also erst ab dem 2.4.2008. Die Manipulationsüberlegungen des LSG träfen nicht zu, wenn er habe manipulieren wollen, würde er den Antrag erst am 2.4. gestellt haben. Erst durch die Neufassung des § 37 Abs 2 Satz 2 SGB II nF und die darin angeordnete Rückwirkung eines Antrags auf den Monatsersten sei die Rechtsfrage ab dem 1.1.2011 geklärt, was für die Zeit vorher für die Rechtsauffassung des Klägers spreche.

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Der Kläger beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. März 2012 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 7. Oktober 2009 zurückzuweisen.

6

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision des Klägers ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Das LSG hat zu Recht auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger hat gegen das beklagte Jobcenter als Rechtsnachfolger der ursprünglich beklagten AA keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Monat April 2008.

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Die Rechtmäßigkeit des Beteiligtenwechsels auf der Beklagtenseite ergibt sich aus der im Laufe des Berufungsverfahrens erfolgten Zulassung des Beklagten als kommunalen Träger durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Kommunalträger-Zulassungsverordnung vom 14.4.2011 (BGBl I 645) und den gesetzlich angeordneten Eintritt des neuen Trägers an die Stelle des bisherigen Trägers durch § 76 Abs 3 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010 (BGBl I 1112).

9

Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten, vom SG zugesprochenen und vom LSG zu Recht verneinten Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes im April 2008 ist § 19 Satz 1 iVm § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II in der für die strittige Zeit geltenden Fassung des Vierten Gesetzes zur Modernisierung des Arbeitsmarktes vom 24.12.2003 (BGBl I 2954), die abgesehen von sprachlichen Anpassungen bis heute nicht grundlegend geändert wurde. Die Grundvoraussetzungen, um Leistungen nach dem SGB II zu erhalten, sind nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II ein bestimmtes Alter, Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit und ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland. Außerdem dürfen bestimmte Ausschlusstatbestände nicht gegeben sein (vgl § 7 Abs 1 Satz 2, Abs 4, 5 SGB II).

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Vorliegend mangelt es beim Kläger für den strittigen April 2008 schon an der Voraussetzung der Hilfebedürftigkeit. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht

1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit,

2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen

sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs 1 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung, im Folgenden: SGB II aF, die der Entscheidung zugrunde zu legen ist, weil um Leistungen in abgeschlossenen Bewilligungsabschnitten gestritten wird).

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Der allein lebende Kläger ist im April 2008 nicht hilfebedürftig gewesen, weil sich sein Bedarf maximal nur aus der Regelleistung in Höhe von 347 Euro plus seinen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung von rund 425 Euro zusammensetzte und sein zu berücksichtigendes Einkommen deutlich über diesem Betrag liegt. Dies folgt aus der am 1.4.2008 seinem Konto gutgeschriebenen und als Einnahme iS des § 11 Abs 1 SGB II zu berücksichtigenden Gehaltszahlung in Höhe von 1189,45 Euro netto, selbst wenn dieser Betrag noch nach dem damals geltenden § 11 Abs 2, 3 SGB II aF bereinigt wird. Hinsichtlich dieser tatsächlichen Feststellung des LSG sind von Seiten der Beteiligten keine Rügen erhoben worden.

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Die Gehaltszahlung ist - entgegen der Auffassung des Klägers - als (laufende) Einnahme iS des § 11 Abs 1 SGB II und nicht als Vermögen anzusehen, weil sie an dem selben Tag auf seinem Konto einging, an dem er auch seinen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II stellte. Auf die Uhrzeit der Kontogutschrift - vorliegend um 10.50 Uhr - und den Zeitpunkt der Antragstellung bei der Rechtsvorgängerin des Beklagten - erst nach 11.30 Uhr - kommt es nicht an.

13

Dies kann schon den vom LSG und den Beteiligten angeführten Entscheidungen des Senats vom 30.7.2008 (B 14 AS 26/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 19 ff; - B 14 AS 43/07 R - RdNr 22 ff; - B 14/11b AS 17/07 R - RdNr 19 ff, jeweils mwN) entnommen werden. Nach diesen ist zusammengefasst von Folgendem auszugehen: Als Einkommen zu berücksichtigen ist grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, Vermögen ist alles, was er vor der Antragstellung bereits hatte. Dies folgt aus § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II, der im Wesentlichen wortgleich mit dem bis zum 31.12.2004 geltenden § 76 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) übereinstimmt, sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 15/1516 S 53 zu § 11) und dem Sinn und Zweck der Leistungen nach dem SGB II als bedarfsabhängige Fürsorgeleistungen. Entsprechend der vom BVerwG zuletzt vertretenen modifizierten Zuflusstheorie ist auf den tatsächlichen Zufluss der Einnahmen abzustellen, soweit nicht rechtlich ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt wird (normativer Zufluss). Auf die Identität der Zweckbestimmung oder des Zeitraums der Leistung und des Bedarfs kommt es nicht an (vgl nur BVerwG vom 18.2.1999 - 5 C 35/97 - BVerwGE 108, 296 ff). Da die Leistungen nach dem BSHG keinen Antrag voraussetzten (§ 5 BSHG), während die nach dem SGB II antragsabhängig sind (§ 37 SGB II), beginnt die "Bedarfszeit" - so der Begriff des BVerwG - im Rahmen des SGB II erst mit der Antragstellung, sodass diese auch der maßgebliche Zeitpunkt für die Unterscheidung von Einkommen und Vermögen ist.

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Dem hat sich der ebenfalls für das SGB II zuständige 4. Senat des BSG in mehreren Entscheidungen vom 30.9.2008 (B 4 AS 19/07 R - BSGE 101, 281 = SozR 4-4200 § 11 Nr 14; B 4 AS 29/07 R - BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15; B 4 AS 57/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 16) und vom 16.12.2008 (B 4 AS 70/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 19) angeschlossen. Der erkennende Senat ist dieser Rechtsprechung auch im Weiteren gefolgt (Urteil vom 7.5.2009 - B 14 AS 13/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 22; Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 45/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 36).

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Diesen Entscheidungen kann darüber hinaus entnommen werden, dass "mit Zeitpunkt der Antragstellung" als Zäsur zwischen Einkommen und Vermögen nicht die Uhrzeit an dem jeweiligen Tag der Antragstellung gemeint ist, sondern dieser Tag der Antragstellung. Denn als maßgebliche Begründung wird anknüpfend an die Rechtsprechung des BVerwG auf die Bedarfszeit abgestellt und die kleinste mögliche Bedarfszeit nach dem SGB II ist der Tag (vgl § 41 Satz 1 SGB II, die Rückwirkungsregelung in § 37 Abs 2 Satz 2 SGB II aF). Wird der Antrag an einem bestimmten Tag gestellt, so gilt er schon für diesen Tag und nicht erst für den nächsten. Der Antrag gilt auch nicht nur anteilig für diesen Tag der Antragstellung, je nachdem um wie viel Uhr er gestellt wurde. Denn mit der Antragstellung beim zuständigen Träger ist der Antrag bei diesem eingegangen (§ 16 Abs 2 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch). Der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag und eine zeitlich anteilige Erbringung von Leistungen sieht das Gesetz nur für Monate vor (§ 41 Abs 1 Satz 1, 3 SGB II).

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Im Übrigen wird zur Konkretisierung des Begriffs "Zeitpunkt" schon in den Urteilen vom 30.7.2008 auf das Datum abgestellt und der Begriff damit einem Kalendertag gleichgesetzt. Denn es wird ausgeführt, "da die Antragstellung gemäß § 37 SGB II am 25. Mai 2005 erfolgte, stellt dieses Datum hier die maßgebliche Zäsur dar" (so wörtlich im Urteil - B 14 AS 43/07 R - RdNr 26; ähnlich in - B 14 AS 26/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 23 am Ende).

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Bestätigt wird dieses auf den Kalendertag abstellende Ergebnis durch die zwischenzeitliche Neuregelung des § 37 Abs 2 Satz 2 SGB II durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch vom 24.3.2011 (BGBl I 453), nach der der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf "den Ersten des Monats" zurückwirkt, auch wenn diese Neuregelung vorliegend nicht anzuwenden ist, weil der Entscheidung die Rechtslage im strittigen Zeitpunkt zugrunde gelegt wird.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.