Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 27.10.2016


BSG 27.10.2016 - B 13 R 337/15 B

Vertretungszwang vor dem BSG - Klagerücknahme - Postulationsfähigkeit


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsdatum:
27.10.2016
Aktenzeichen:
B 13 R 337/15 B
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend SG Berlin, 6. November 2013, Az: S 1 R 4971/11, Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 11. August 2015, Az: L 17 R 954/13, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. August 2015 wird eingestellt.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. November 2013 und das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. August 2015 sind durch Klagerücknahme wirkungslos geworden.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. In der Hauptsache ist zwischen den Beteiligten die Berücksichtigung von Beiträgen zur Höherversicherung bei der Rentenberechnung streitig gewesen.

2

Das SG Berlin hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 6.11.2013 (S 1 R 4971/11) abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das LSG Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 11.8.2015 (L 17 R 954/13) zurückgewiesen.

3

Der Kläger hat unter der Bezeichnung "Rechtslehrer a.D." mit einem von ihm selbst unterzeichneten Schreiben vom 2.9.2015, beim BSG eingegangen am 8.9.2015, gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG Beschwerde eingelegt. Auf die Aufforderungen des Berichterstatters Dr. F. und später von dessen Vertreter Dr. K., die Voraussetzungen einer Vertretungsbefugnis vor dem BSG als Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule iS von § 73 Abs 2 S 1 SGG nachzuweisen, hat der Kläger diese Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Vor einer Entscheidung hierüber hat er jedoch mit Schreiben vom 25.11.2015, beim BSG eingegangen am 1.12.2015, die Klage mit dem Aktenzeichen S 1 R 4971/11 zurückgenommen. Mit weiterem, am 30.12.2015 eingegangenem Schreiben beantragt der Kläger, die Wirkungslosigkeit der ergangenen Entscheidungen des SG und des LSG zu beschließen. Dabei legt er besonderen Wert darauf, im Rubrum eines solchen Beschlusses als "Rechtslehrer a.D." bezeichnet zu werden. Er verweist hierzu auf die Handhabung in dem ihn betreffenden Beschluss des Kammergerichts vom 31.10.2005 zum Aktenzeichen 24 W 78/04.

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II. 1. Der Senat kann eine Entscheidung unter Mitwirkung des Richters Dr. K. treffen. Das Ablehnungsgesuch gegenüber diesem Richter ist rechtsmissbräuchlich, weil es mit Umständen begründet ist, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Umstand rechtfertigen können (vgl BVerfG Beschluss vom 11.3.2013 - 1 BvR 2853/11 - Juris RdNr 28). Hierzu gehören insbesondere Gesuche, die Handlungen des Richters beanstanden, welche nach der Prozessordnung vorgeschrieben sind oder sich ohne weiteres aus der Stellung des Richters ergeben (BVerfG aaO RdNr 30).

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So verhält es sich hier. Der Kläger meint, Richter Dr. K. unterstelle ihm eine Lüge, wenn er sein Vorbringen, "Rechtslehrer a.D." zu sein, nicht glaube, sondern dafür von ihm einen Nachweis fordere. Die Ermittlung, ob die Voraussetzungen für eine Selbstvertretung des Klägers vor dem BSG iS von § 73 Abs 4 S 5 iVm Abs 4 S 2, Abs 2 S 1 SGG in tatsächlicher Hinsicht vorliegen (diese gehen über die Selbstbezeichnung als "Rechtslehrer a.D." deutlich hinaus), gehört jedoch zu den Handlungen, die das SGG dem Berichterstatter eines Verfahrens vor dem BSG aufgibt (§ 165 iVm § 155 Abs 1, § 106 Abs 3 Nr 1 SGG). Zu dieser Sachverhaltserforschung sind die Beteiligten kraft gesetzlicher Anordnung heranzuziehen (§ 103 S 1 Halbs 2 SGG); das gilt vor allem dann, wenn die betreffenden Umstände - wie hier - nicht gerichtsbekannt sind. Die Beanstandung eines Richters nur deshalb, weil dieser einen Nachweis dafür erbeten hat, dass der Kläger, der sich vor dem BSG selbst vertreten will, als Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union oder gleichgestellter Staaten tätig gewesen sei, ist somit offenkundig ungeeignet, ein Ablehnungsgesuch zu rechtfertigen.

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Die weiteren Ablehnungsgesuche des Klägers in Bezug auf die Richter Dr. F. und Prof. Dr. S. sind überholt, da diese zwischenzeitlich aus dem Gericht bzw aus dem Senat ausgeschieden sind (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 60 RdNr 10b).

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2. Aufgrund der wirksamen Klagerücknahme ist entsprechend dem Antrag des Klägers gemäß § 102 Abs 3 S 1 SGG die Einstellung des Verfahrens durch Beschluss auszusprechen.

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a) Nach § 102 Abs 1 S 1 SGG kann der Kläger die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Die Rücknahme ist hier rechtzeitig erfolgt. Insoweit kann dahinstehen, ob der Kläger die speziellen Voraussetzungen für die Vertretungsbefugnis eines Rechtslehrers nach § 73 Abs 2 S 1 SGG tatsächlich erfüllt und damit die Beschwerde unter Beachtung des Vertretungszwangs vor dem BSG (§ 73 Abs 4 SGG) formgerecht eingelegt hat. Auch eine ggf unzulässig eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hemmt den Eintritt der Rechtskraft. Das Urteil des LSG wird erst mit der Verwerfung der Beschwerde gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG rechtskräftig (§ 160a Abs 4 S 3 SGG). Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - das eingelegte Rechtsmittel an sich statthaft und fristgerecht eingelegt ist (vgl GmSOGB Beschluss vom 24.10.1983 - GmS-OGB 1/83 - BGHZ 88, 353). Ist demnach die Klagerücknahme auch noch während des beim BSG anhängigen Beschwerdeverfahrens zulässig, so wird sie mit der Erklärung gegenüber diesem Gericht wirksam (vgl BSG Beschluss vom 27.9.1983 - 8 BK 16/82 - SozR 1500 § 102 Nr 5 S 11; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 102 RdNr 7a).

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Auch für die Wirksamkeit der Rücknahme der Klage kommt es nicht darauf an, ob der Kläger vor dem BSG postulationsfähig ist. Der Kläger, der die Nichtzulassungsbeschwerde selbst eingelegt hat, kann in einem "actus contrarius" diese oder auch die Klage selbst wieder zurücknehmen (BSG Urteil vom 23.9.1982 - 8 RK 19/82 - Juris RdNr 18, insoweit in BSGE 54, 104, 105 sowie in SozR 2100 § 57 Nr 1 nicht abgedruckt).

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b) Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache (§ 102 Abs 1 S 2 SGG). Gemäß § 202 S 1 SGG iVm § 269 Abs 3 S 1 Halbs 2 ZPO werden - abgesehen von Kostenentscheidungen nach § 192 Abs 1, Abs 3 S 1 SGG - in der Sache bereits ergangene Entscheidungen mit der Klagerücknahme wirkungslos (vgl § 269 Abs 4 S 1 ZPO, § 92 Abs 3 S 2 VwGO; s auch BFH Beschluss vom 14.10.1992 - IV R 123/92 - Juris RdNr 4).

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3. Nach § 102 Abs 3 SGG ist auch über die Kosten zu entscheiden, soweit diese entstanden sind. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG und berücksichtigt insbesondere die mangelnden Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde zum Zeitpunkt der Klagerücknahme (vgl BSG Beschluss vom 18.1.1957 - 6 RKa 7/56 - SozR Nr 3 zu § 193 SGG).

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4. Dieser Beschluss ergeht ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 3 SGG) und somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 12 Abs 1 S 2 iVm § 40 S 1, § 33 Abs 1 S 2 SGG); er ist unanfechtbar (§ 102 Abs 3 S 2 SGG). Entgegen dem Ansinnen des Klägers ist für eine Angabe seines Standes oder Gewerbes (vgl § 130 Nr 1 ZPO) im Rubrum dieses Beschlusses kein Raum. Denn das Gesetz sieht eine Bezeichnung der Beteiligten in gerichtlichen Entscheidungen lediglich "nach Namen, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren" vor (s § 136 Abs 1 Nr 1 SGG, der auch für Beschlüsse sinngemäß anzuwenden ist - vgl Wahrendorf in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 142 RdNr 9).