Entscheidungsdatum: 24.10.2013
Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Mai 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
I. Der Kläger wendet sich in der Sache dagegen, dass die Beklagte rückständige Beitragsforderungen gegen seine Altersrente aufrechnet.
Der im Jahre 1938 geborene Kläger (GdB von 90, Merkzeichen G, B; Bescheid des Versorgungsamtes vom 17.9.2012) ist als Rechtsanwalt tätig. Die Beklagte errechnete rückständige Pflichtbeiträge aufgrund versicherter selbständiger Tätigkeit des Klägers (iHv 48 677,60 €), mit denen sie ab November 2009 gegen seine laufende Altersrente mit einem Betrag iHv 800 € monatlich aufrechnete (Bescheid vom 10.9.2009; Widerspruchsbescheid vom 4.2.2010). Das SG Frankfurt am Main hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25.10.2011 abgewiesen. Das Hessische LSG hat auf die mündliche Verhandlung vom 14.5.2013 die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid zurückgewiesen.
Der Kläger ist mit Schreiben der Berichterstatterin des LSG vom 26.3.2013 vom Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.5.2013 benachrichtigt worden. Mit Schriftsatz vom 26.3.2013 hat er Akteneinsicht in seinen Kanzleiräumen beantragt mit der Begründung, dass sein Gesundheitszustand, insbesondere seine Sehbehinderung, die ihm zuvor eingeräumte Einsichtnahme auf der Geschäftsstelle ausschließe. Mit Schreiben vom 10.5.2013, das vorab per Telefax am 11.5.2013 beim LSG eingegangen ist, hat der Kläger beantragt, den Termin aufzuheben. Er hat darauf hingewiesen, dass seine am 23.4.2013 durchgeführte Augenoperation nicht den erhofften Erfolg gehabt habe. Beim Lesen und Erfassen von Texten sei er auf den Einsatz einer Lupe angewiesen. Seine "nochmals anwaltlich versicherte Sehbehinderung" lasse derzeit keine Terminswahrnehmung zu, auch mangels ausreichender Vorbereitungszeit. Mit Schreiben der Berichterstatterin vom 13.5.2013 wurde der Kläger gebeten, glaubhaft zu machen (§ 227 Abs 2 ZPO), dass er seit der Terminsmitteilung gesundheitlich gehindert sei, den Termin ausreichend vorzubereiten. In der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Berichterstatterin mit zwei ehrenamtlichen Richtern vom 14.5.2013 ist festgehalten, dass der Kläger trotz ordnungsgemäßer Terminsmitteilung nicht erschienen sei. Zudem ist dort vermerkt, dass die Sitzung am 14.5.2013 um 11.40 Uhr begann und um 11.50 Uhr endete. Der Kläger hat mit Schreiben vom 14.5.2013, das am selben Tag um 11.04 Uhr per Telefax beim LSG eingegangen ist, eine ärztliche Bescheinigung vom 13.5.2013 eingereicht, wonach er vom 13.5.2013 bis einschließlich 24.5.2013 nicht arbeitsfähig sei. Mit Schreiben vom 16.5.2013 hat die Berichterstatterin dem Kläger mitgeteilt, dass sein Schreiben vom 14.5.2013 die zuständige Serviceeinheit an diesem Tag erst um 13.00 Uhr erreicht habe.
Mit der gegen das seine Berufung zurückweisende Urteil des LSG vom 14.5.2013 eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), ua die Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG). Das LSG habe seinen Verlegungsantrag zu Unrecht abgelehnt. Das LSG habe den Rechtsstreit entschieden, ohne ihn anzuhören.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.
Der Kläger hat den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) formgerecht (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) gerügt.
Der Verfahrensmangel liegt auch vor. Denn das LSG hat mit der Entscheidung über die Berufung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.5.2013 den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) verletzt.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne der aufgezeigten Vorschriften gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung darzulegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 4 S 5 mwN). Ferner ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs 1 S 1 SGG), der Beteiligte bzw sein Prozessbevollmächtigter ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33; BSG vom 28.4.1999 - B 6 KA 40/98 R - Juris RdNr 16).
Grundsätzlich stellt zwar allein der Umstand, dass ein Beteiligter außer Stande ist, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen, und dies vorher mitteilt, noch keinen zwingenden Grund für eine Terminsverlegung dar (vgl Senatsbeschluss vom 24.9.2002 - B 13 RJ 55/02 B - Juris RdNr 9; BSG vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - Juris RdNr 11). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Gericht auf die Möglichkeit hingewiesen hat, dass bei Fernbleiben eines Beteiligten nach Lage der Akten entschieden werden kann (vgl dazu § 110 Abs 1 S 2 SGG).
Ein Termin zur mündlichen Verhandlung kann - und ggf muss - jedoch gemäß § 202 SGG iVm dem entsprechend anwendbaren § 227 Abs 1 S 1 ZPO bei Vorliegen erheblicher Gründe aufgehoben werden, auch wenn - wie vorliegend - das persönliche Erscheinen des Klägers nicht angeordnet worden ist (vgl Senatsbeschlüsse vom 29.3.2006 - B 13 RJ 199/05 B; vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B - Juris RdNr 15 mwN). Ein iS des § 227 Abs 1 S 1 ZPO ordnungsgemäß gestellter Verlegungsantrag mit einem hinreichend substantiiert geltend und ggf glaubhaft gemachten Terminsverlegungsgrund begründet grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung (BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1 S 2; BSG vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - Juris RdNr 11). Die Behandlung von Anträgen auf Terminsverlegung hat dabei der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen (vgl hierzu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 58).
Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist unabhängig von einem Verschulden des Gerichts (BVerfGE 62, 347, 352), insbesondere auch davon, wen innerhalb des Gerichts ggf ein Verschulden trifft (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 59 f; BVerwG vom 29.11.1985 - 9 C 49/85 - NJW 1986, 1125; BFH vom 7.2.1995 - VIII R 48/92 - Juris RdNr 20). Vielmehr ist das Gericht insgesamt dafür verantwortlich, dass dem Gebot des rechtlichen Gehörs Rechnung getragen wird (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 59 f; BSG SozR 1500 § 62 Nr 17 S 17 mwN). Im Übrigen gilt, dass der Anspruch auf ein faires Verfahren verbietet, dass ein Gericht aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen Verfahrensnachteile für die Beteiligten ableitet (vgl BVerfGE 60, 1, 6 f; 69, 381, 386; 75, 183, 190; BVerfG vom 2.6.2010 - 1 BvR 448/06 - NZS 2011, 133; Senatsbeschluss vom 31.10.2012 - B 13 R 165/12 B - Juris RdNr 15). Wenn daher ein Terminsverlegungsantrag unberücksichtigt bleibt, der erst am Tage der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingeht und dem Richter bis zur Urteilsverkündung nicht mehr vorgelegt wird, ist das rechtliche Gehör verletzt (vgl BSG SozR 1500 § 62 Nr 17 S 17; vgl auch BSG SozR Nr 16 zu § 62 SGG zu einem am Tag vor der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangenen, aber unberücksichtigt gebliebenen Verlegungsantrag).
Der Kläger hat seinen mit Schriftsatz vom 10.5.2013 gestellten Antrag auf Terminsaufhebung mit dem Hinweis auf seine Augenerkrankung begründet, die eine Terminswahrnehmung nicht zulasse. Seine seit 13.5.2013 bestehende Arbeitsunfähigkeit hat er durch ärztliches Attest belegt. Obwohl das Attest noch vor der mündlichen Verhandlung beim Gericht eingegangen ist, hat es das LSG bei seiner Entscheidung über die Berufung des Klägers nicht berücksichtigt. Im Ergebnis unerheblich ist, dass das Attest erst ca eine halbe Stunde vor Sitzungsbeginn beim LSG eingegangen ist (Eingang des Faxes um 11.04 Uhr; Terminierung 11.15 Uhr, tatsächlicher Sitzungsbeginn 11.40 Uhr) und die zuständige Serviceeinheit erst nach Sitzungsende um 13.00 Uhr erreicht hat.
Das rechtliche Gehör des Klägers wäre nur dann nicht verletzt, wenn das Attest des Klägers so kurzfristig beim LSG eingegangen wäre, dass es nach den Umständen des Einzelfalls ausgeschlossen gewesen wäre, dass es die zuständige Richterin noch erreicht hätte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 59). Eine solche Situation lag hier nicht vor. Der Kläger hat auf die Dringlichkeit in seinem Schreiben vom 14.5.2013 deutlich hingewiesen, indem er es mit dem Zusatz "Eilt! Sofort vorlegen! Termin: Heute!" versehen hatte. Die verbleibende Zeit von ca 30 Minuten bis zum Sitzungsbeginn war nicht unangemessen zu kurz, weil diese Zeitspanne innerhalb der ortsüblichen Geschäftszeiten eines Gerichts lag (hier vor 12.00 Uhr), in der die Posteingangsstelle des Gerichts regelmäßig besetzt ist. Im Übrigen wäre es ausreichend gewesen, wenn das Telefax des Klägers die zuständige Richterin bis zur Urteilsverkündung erreicht hätte.
Da die Richterin den Kläger am Vortag der mündlichen Verhandlung selbst zur Vorlage eines Nachweises seiner Verhinderung aufgefordert hatte, hätte nahegelegen, die Posteingangsstelle zu bitten, evtl eingehende Post sofort vorzulegen oder jedenfalls unmittelbar vor Sitzungsbeginn nachzufragen, ob ein Schreiben des Klägers eingegangen ist. Denn üblicherweise sind der Posteingangsstelle die am selben Tag stattfindenden Sitzungen bekannt und dazugehörige Posteingänge werden entsprechend sorgfältig behandelt. Die Ungewissheit, aus welchem Grund das Attest des Klägers den Senat nicht rechtzeitig vor der Urteilsverkündung erreicht hat, kann aber aus den dargelegten Gründen nicht zu Lasten des Klägers gehen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass bei sofortiger Weiterleitung des Schriftverkehrs das Attest den Senat noch rechtzeitig erreicht hätte. Hindernisse in der Gerichtsorganisation, die einer sofortigen Weitergabe des Faxes entgegengestanden hätten, sind nicht ersichtlich.
Die unterbliebene Verlegung oder Vertagung des Termins stellt sich als Verstoß gegen die Verpflichtung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs im gerichtlichen Verfahren dar (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) und ist damit ein wesentlicher Verfahrensmangel. Die angefochtene Entscheidung kann darauf auch beruhen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die darauf ergangene Entscheidung beeinflusst hat; einer Angabe, welches Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert worden ist, bedarf es nicht (BSG vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - Juris RdNr 13; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 62; Senatsbeschluss vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B - Juris RdNr 18).
Auf der Grundlage von § 160a Abs 5 SGG macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.