Entscheidungsdatum: 01.07.2010
Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Januar 2010 wird das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
I. Das Bayerische LSG hat im Urteil vom 27.1.2010 einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint.
Der Kläger macht mit seiner beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil ausschließlich einen Verfahrensmangel geltend. Er trägt vor, das Berufungsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör sowie den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt, weil es in Abwesenheit seines zur mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladenen und zwischenzeitlich nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassenen Prozessbevollmächtigten verhandelt und sodann entschieden habe, ohne ihm selbst einen Hinweis zu geben, dass er eine Verlegung des Termins beantragen könne.
II. Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.
Der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt vor und führt gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 5 SGG zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil das angefochtene Urteil des LSG unter Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ergangen ist. Das Gebot des rechtlichen Gehörs hat auch zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur Abgabe sachgemäßer Erklärungen haben müssen (BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 5 S 8; BSG SozR 3-1500 § 128 Nr 14 S 28). Vor allem in der mündlichen Verhandlung, dem "Kernstück" des sozialgerichtlichen Verfahrens (vgl BSGE 44, 292, 293 = SozR 1500 § 124 Nr 2 S 2; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 57; BSG Beschluss vom 17.2.2010 - B 1 KR 112/09 B - Juris RdNr 5), ist den Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zum gesamten Streitstoff zu äußern. Wird daher aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen alle Beteiligten die Möglichkeit haben, hieran teilzunehmen.
Diese Möglichkeit hatte der Bevollmächtigte des Klägers - hier Rechtsanwalt S., der nach Erlöschen der Zulassung des ursprünglichen Prozessbevollmächtigten Dr. B. von der zuständigen Rechtsanwaltskammer zum Abwickler von dessen Kanzlei (vgl § 55 Abs 5 iVm Abs 2 Satz 4 Bundesrechtsanwaltsordnung) bestellt worden war - jedoch nicht, weil ihm entgegen § 73 Abs 6 Satz 5 SGG vom LSG keine Terminsmitteilung über die mündliche Verhandlung vom 27.1.2010 (§ 110 Abs 1 Satz 1 SGG - gemeinhin als Ladung bezeichnet) übermittelt worden war, in der sodann verhandelt und entschieden wurde (vgl BSG Beschluss vom 30.6.2009 - B 2 U 130/08 B - Juris RdNr 5 ff). Da allein der Kläger geladen war, lag mithin eine wirksame Terminsmitteilung an die Klägerseite nicht vor (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 110 RdNr 12). Aufgrund dieses Umstands war das LSG daran gehindert, die Instanz durch Urteil nach mündlicher Verhandlung zu beenden, sofern der Verfahrensmangel nicht zuvor durch einen Verzicht auf die Befolgung der Vorschrift, durch Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge oder anderweitig geheilt wurde (vgl BSG SozR 3-1500 § 110 Nr 3 S 5).
Eine Heilung des Ladungsmangels ist hier nicht anzunehmen. Allerdings ist zu Beginn der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 27.1.2010 festgehalten: "Der Kläger gibt an, dass sein Bevollmächtigter nicht erscheint und verhandelt werden solle". Dies führt jedoch - ungeachtet der abweichenden Darstellung des Klägers in der Beschwerdebegründung, die ihn aber bislang nicht zu einem Antrag auf Protokollberichtigung veranlasst hat (vgl § 122 SGG iVm § 164 ZPO) - nicht dazu, dass die unterbliebene Mitteilung des Termins zur mündlichen Verhandlung an den Prozessbevollmächtigten und die damit verbundene Versagung rechtlichen Gehörs gemäß § 202 SGG iVm §§ 556, 295 Abs 1 ZPO als unbeachtlich anzusehen ist. Denn eine Heilung durch rügeloses Einlassen auf eine mündliche Verhandlung gemäß § 295 Abs 1 Alt 2 ZPO (vgl BVerwG Beschluss vom 31.8.1988 - 4 B 153/88 - Buchholz 303 § 295 ZPO Nr 8) kann bei einem nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten ohnehin nur angenommen werden, wenn das Gericht ihn zuvor auf das Vorliegen des Mangels sowie auf den Verlust des Rügerechts im Falle weiteren Verhandelns ausdrücklich hingewiesen hätte (vgl BSG SozR Nr 4 zu § 107 SGG; BSG Urteil vom 12.4.2000 - B 9 SB 2/99 R - Juris RdNr 21; s auch BVerwGE 51, 66, 68). Dass dies geschehen wäre, ergibt sich weder aus der oben wiedergegebenen Feststellung in der Sitzungsniederschrift noch aus der Beschwerdebegründung des Klägers.
Der Verfahrensmangel einer unterbliebenen Ladung des Prozessbevollmächtigten zur mündlichen Verhandlung ist auch nicht etwa dadurch unbeachtlich geworden, dass der - persönlich anwesende - Kläger in dem Termin wirksam seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten beendet und damit von seinem Recht Gebrauch gemacht hätte, den Rechtsstreit von nun an wieder selbst zu führen. Der Widerruf einer zuvor erteilten Bevollmächtigung (s hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 73 RdNr 74) muss gegenüber dem Gericht klar und deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Eine entsprechende Willensbekundung kann der bloßen Erklärung, dass trotz des Nichterscheinens des Bevollmächtigten verhandelt werden solle, nicht entnommen werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn ein selbst nicht rechtskundiger Beteiligter sich in dieser Weise äußert, ohne zuvor vom Gericht über seine prozessualen Rechte bei Fortführung der Prozessbevollmächtigung belehrt worden zu sein. Dafür, dass eine entsprechende Belehrung erfolgt wäre, ist vorliegend nichts ersichtlich.
Die somit nicht eingetretene Heilung oder Unbeachtlichkeit der unterbliebenen Ladung des Prozessbevollmächtigten des Klägers führt dazu, dass das LSG gehindert war, die Instanz durch Urteil nach mündlicher Verhandlung zu beenden (vgl BSG SozR 3-1750 § 551 Nr 6 S 18). Wenn es dennoch entschieden hat, verletzt dies den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör. Dies gilt nicht nur dann, wenn die Verhandlung zu einem anderen als in der Ladung genannten Zeitpunkt durchgeführt wurde (vgl hierzu BSG Urteil vom 22.4.1998 - B 9 SB 3/97 R - Juris RdNr 11), sondern erst recht dann, wenn überhaupt keine ordnungsgemäße Ladung erfolgt ist (BSG Beschluss vom 16.12.2009 - B 6 KA 37/09 B - Juris RdNr 8). Dass der zur Entscheidung berufene Senat des LSG möglicherweise keine Kenntnis davon hatte, dass die Zulassung des Rechtsanwalts B. zwischenzeitlich erloschen und Rechtsanwalt S. zu dessen Kanzleiabwickler bestellt worden war, vermag daran nichts zu ändern. Das Gericht konnte jedenfalls aus den Akten entnehmen, dass eine ordnungsgemäße Zustellung der an Rechtsanwalt B. adressierten Terminsmitteilung nicht nachweisbar war.
Darlegungen dazu, dass das Urteil des LSG auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen kann, bedurfte es unter diesen Umständen nicht; das Fehlen entsprechend substantiierter Ausführungen in der Beschwerdebegründung ist deshalb unschädlich. Wird ein Verfahrensbeteiligter bzw im Falle der Vertretung dessen Prozessbevollmächtigter verfahrensfehlerhaft daran gehindert, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, muss angesichts der besonderen Bedeutung der mündlichen Verhandlung für das sozialgerichtliche Verfahren davon ausgegangen werden, dass dieser Umstand für die Entscheidung ursächlich geworden ist (stRspr - vgl BSGE 53, 83, 85 = SozR 1500 § 124 Nr 7 S 15; BSG SozR 4-1750 § 227 Nr 1 RdNr 7; BSG vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B - Juris RdNr 18; vom 17.2.2010 - B 1 KR 112/09 B - Juris RdNr 5).
Der Senat hat zur Beschleunigung des seit 2003 anhängigen Verfahrens von der durch § 160a Abs 5 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.