Bundessozialgericht

Entscheidungsdatum: 23.07.2014


BSG 23.07.2014 - B 12 P 1/12 R

Krankenversicherung - Beschäftigte in Werkstatt für Behinderte - Übersteigen des Mindestbetrags durch Einmalzahlung - alleinige oder hälftige Beitragstragung


Gericht:
Bundessozialgericht
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsdatum:
23.07.2014
Aktenzeichen:
B 12 P 1/12 R
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend SG Frankfurt (Oder), 21. Januar 2011, Az: S 11 P 37/10, Urteilvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 19. April 2012, Az: L 27 P 10/11, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Übersteigt das an die Beschäftigten einer Werkstatt für behinderte Menschen gezahlte Entgelt aufgrund einer Einmalzahlung den Mindestbetrag, bis zu dem der Träger der Einrichtung die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung allein trägt, kommt es auch in der Zeit ab 1.8.2003 in analoger Anwendung der für vergleichbare Personengruppen geltenden Regelungen nur hinsichtlich des den Mindestbetrag übersteigenden Betrags zu einer Beitragstragung durch die Beschäftigten und den Einrichtungsträger je zur Hälfte.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. April 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in allen Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand

1

Der klagende Träger einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) begehrt von der Beklagten als kommunalem Träger der Eingliederungshilfe die (vollständige) Erstattung von Beiträgen zur sozialen Pflegeversicherung (sPV).

2

Der Kläger beschäftigt in seiner WfbM im Rahmen von Maßnahmen der Eingliederungshilfe behinderte Menschen gegen ein monatliches Arbeitsentgelt von 120 Euro. Die hierauf von ihm entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sPV wurden ihm in der Regel von der beklagten Stadt gemäß § 251 Abs 2 S 2 SGB V - bezogen auf die sPV iVm § 59 Abs 1 S 1 SGB XI - erstattet.

3

Im Monat Juni 2006 zahlte der Kläger den Beschäftigten zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt eine Ausschüttung (Einmalzahlung) und entrichtete darauf entsprechende Beiträge. Mit Rechnung vom 30.6.2006 machte er für 35 bei ihm beschäftigte behinderte Menschen bei der Beklagten die Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), GKV und sPV in Höhe von 7966,44 Euro geltend. Mit Bescheid vom 12.9.2006 und Widerspruchsbescheid vom 13.2.2007 lehnte die Beklagte den Erstattungsanspruch teilweise ab. Sie berief sich darauf, dass die auf das gesamte im Juni 2006 gezahlte Entgelt (laufendes Entgelt zzgl Ausschüttung) entfallenden Beiträge zur GKV und sPV jeweils zur Hälfte vom Kläger als Träger der Einrichtung und von den Beschäftigten zu tragen seien; da die Zahlungen an die Beschäftigten in diesem Monat den in § 235 Abs 3 SGB V geregelte Mindestbetrag, bis zu dem der Träger der WfbM die Beiträge allein trage (seinerzeit 490 Euro) überschritten hätten, seien für den Kläger Beiträge nicht in Höhe des Mindestbetrags und der Hälfte des diesen übersteigenden Teils angefallen; vielmehr könne ihm nur die Hälfte der auf das gesamte Entgelt zu entrichtenden Beiträge zur GKV und zur sPV erstattet werden.

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Das SG hat - nach Abtrennung des die Beiträge zur GKV betreffenden Teils des Streitgegenstandes - der verbliebenen Klage hinsichtlich der Erstattung der Beiträge zur sPV stattgegeben (Urteil vom 21.1.2011). Das LSG hat die dagegen gerichtete, vom SG zugelassene Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Auch nach Wegfall der Regelung in § 249 Abs 3 SGB V zum 1.8.2003 müsse der Arbeitgeber bei einer Überschreitung des in § 251 Abs 2 S 1 Nr 2, § 235 Abs 3 SGB V genannten Mindestbetrags infolge einmalig gezahlten Arbeitsentgelts Beiträge aus dem Arbeitsentgelt bis zur Höhe des Mindestbetrags allein tragen. Nur hinsichtlich des den Mindestbetrag übersteigenden Teils des Arbeitsentgelts finde eine hälftige Beitragstragung zwischen Beschäftigtem und Arbeitgeber statt. Dies folge daraus, dass der Gesetzgeber zeitgleich mit der Aufhebung von § 249 Abs 3 SGB V eine neue Regelung in § 20 Abs 3 S 2 SGB IV geschaffen habe, die die bisherige Rechtslage für bestimmte Geringverdiener übernommen habe. Zwar werde die Gruppe der behinderten Menschen, die in einer WfbM beschäftigt seien, vom Wortlaut der Regelung nicht explizit erfasst. Diese Gruppe sei aber mit dem in § 20 Abs 3 S 1 SGB IV genannten Personenkreis der zur Berufsausbildung Beschäftigten bzw der Versicherten, die ein freiwilliges soziales Jahr leisteten, vergleichbar. Demzufolge sei auch auf die vorliegende Gruppe die "arbeitnehmergünstige" Regelung in § 20 Abs 3 S 2 SGB IV anzuwenden (Urteil vom 19.4.2012).

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Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision und rügt eine Verletzung von § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB V iVm § 59 Abs 1 S 1 SGB XI. Bereits der klare Wortlaut von § 20 Abs 3 SGB IV stehe der Auslegung des LSG entgegen. Zudem seien die Bezugsgrößen für die jeweiligen Personenkreise unterschiedlich hoch ausgestaltet (§ 20 Abs 3 SGB IV: 325 Euro, § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB V iVm § 235 Abs 3 SGB V: zZ 525 Euro). Den Gesetzesmaterialien könne kein Hinweis darauf entnommen werden, dass über die ausdrücklich genannten Personengruppen der Auszubildenden und Teilnehmer an einem freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahr hinaus auch Beschäftigte einer WfbM in den Genuss der Regelung kommen sollten. Die in § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 Halbs 2 SGB V verbliebene Verweisung auf die (nicht mehr existente) Regelung des § 249 Abs 3 SGB V könne nicht als Verweisung auf die Neuregelung in § 20 Abs 3 S 2 SGB IV verstanden werden.

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Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. April 2012 und des Sozialgerichtes Frankfurt (Oder) vom 21. Januar 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

8

Er verteidigt die angefochtenen Urteile.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige, von der beklagten Stadt eingelegte Revision, über die der Senat als beim BSG für Streitigkeiten betreffend die Beitragspflicht und Beitragsentrichtung in der sPV (hier: die in § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 und Abs 2 S 2 SGB V iVm § 59 Abs 1 S 1 SGB XI spezialgesetzlich geregelte Verteilung der Beitragslast einschließlich der damit untrennbar verbundenen, ebenfalls im Beitragsrecht geregelten Ausgleichspflichten) geschäftsplanmäßig zuständiger Spruchkörper entscheidet, ist unbegründet.

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Zu Recht hat das LSG die gegen das stattgebende Urteil des SG gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten erweisen sich in dem mit der Klage geltend gemachten Umfang als rechtswidrig und verletzten den klagenden Verein als durch Regelungen des Beitragsrechts der sPV begünstigten Träger einer WfbM in seinen Rechten.

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1. Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von (zusätzlich) 120,86 Euro; ihre dem entgegenstehenden Bescheide sind aufzuheben. Das ergibt sich ausgehend von den für den Anspruch einschlägigen gesetzlichen Regelungen (dazu im Folgenden a). Danach führt die den in der WfbM Beschäftigten gewährte Einmalzahlung nicht (nach den allgemeinen Regelungen) insgesamt zu einer hälftigen Beitragstragung durch den Kläger und die Beschäftigten hinsichtlich des Gesamtentgeltbetrags für Juni 2006 auf der Grundlage von § 249 Abs 1 S 1 SGB V; die hälftige Beitragstragung erfolgt nur hinsichtlich des Entgeltanteils, der den Mindestbetrag nach § 235 Abs 3 SGB V übersteigt, also hinsichtlich der Einmalzahlung als solcher (dazu b). Demzufolge ist dem Kläger nicht nur Erstattung der abgeführten Beiträge in Höhe des von der Beklagten bereits zuerkannten Betrages zu gewähren.

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a) Grundlage des Anspruchs des Klägers gegen die Beklagte ist § 59 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 251 Abs 2 S 2 SGB V (letztgenannte Vorschrift in der gegenüber der Ursprungsfassung des GRG vom 20.12.1988, BGBl I 2477, durch Gesetz vom 19.6.2001, BGBl I 1046, mWv 1.7.2001 redaktionell geänderten Fassung). Danach sind für die nach § 20 Abs 1 S 2 Nr 7 SGB XI (§ 5 Abs 1 Nr 7 SGB V) versicherungspflichtigen behinderten Menschen die Beiträge, die der Träger der Einrichtung zu tragen hat, von den für die behinderten Menschen zuständigen Leistungsträgern zu erstatten; erstattungspflichtig ist hier - was zwischen den Beteiligten nicht im Streit ist - die beklagte Stadt als für die Hilfe in einer WfbM sachlich und örtlich zuständige Trägerin der Eingliederungshilfe (vgl § 54 Abs 1 S 1 Nr 4, § 56 SGB XII).

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Der Umfang des an die vom Träger der Einrichtung zu entrichtenden und entrichteten Beiträge anknüpfenden Erstattungsanspruchs nach § 59 Abs 1 S 1 SGB XI iVm § 251 Abs 2 S 2 SGB V richtet sich danach, in welchem Umfang der Träger der Einrichtung (hier also der Kläger) die Beiträge zu tragen hat. Dies wiederum bestimmte sich seinerzeit nach § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB V (idF des GRG, aaO, mWv 1.1.1990 um Halbs 2 neu gefasst durch Art 2 Nr 2 des Gesetzes zur Einführung eines Sozialversicherungsausweises und zur Änderung anderer Sozialgesetze vom 6.10.1989, BGBl I 1822) iVm § 59 Abs 1 S 1 SGB XI. Nach § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB V trägt der Träger der Einrichtung den Beitrag allein für die nach § 5 Abs 1 Nr 7 oder 8 SGB V (§ 20 Abs 1 S 2 Nr 7 SGB XI) versicherungspflichtigen behinderten Menschen, wenn das tatsächliche Arbeitsentgelt den nach § 235 Abs 3 SGB V maßgeblichen Mindestbetrag nicht übersteigt; im Übrigen - so § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 Halbs 2 SGB V - gilt § 249 Abs 1 und Abs 3 SGB V entsprechend.

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Der insoweit maßgebende Mindest(grenz)betrag gemäß § 235 Abs 3 SGB V, bis zu dem der Träger der Einrichtung die Beiträge allein trägt, entspricht 20 vH der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV. Er lag im hier betroffenen Monat Juni 2006 bei 490 Euro (§ 309 Abs 1 Nr 1 SGB V, § 18 Abs 1 SGB IV). Dieser Betrag wurde hier nach den Feststellungen des LSG durch die Einmalzahlung überschritten.

15

Nach dem in § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 Halbs 2 SGB V in Bezug genommenen § 249 Abs 1 SGB V (hier für den Monat Juni 2006 anzuwenden idF des ab 1.1.2006 geltenden GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190, iVm dem Gesetz vom 15.12.2004, BGBl I 3445), der danach "im Übrigen" zur Anwendung kommt, tragen die nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V versicherungspflichtig Beschäftigten und ihre Arbeitgeber die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessenden Beiträge jeweils zur Hälfte; den zusätzlichen Beitragssatz trägt der versicherungspflichtige Beschäftigte allein (Halbs 2). In Bezug auf Einmalzahlungen hatte nach § 249 Abs 3 SGB V (idF des Gesetzes zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt vom 12.12.1996, BGBl I 1859) allerdings allgemein noch folgende Besonderheit gegolten:

        

"Wird infolge einmalig gezahlten Arbeitsentgelts (§ 23a des Vierten Buches) die in Absatz 2 Nr 1 genannte Grenze überschritten, tragen der Versicherungspflichtige und der Arbeitgeber den Beitrag von dem diese Grenze übersteigenden Teil des Arbeitsentgelts jeweils zur Hälfte; im Übrigen trägt der Arbeitgeber den Beitrag allein".

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§ 249 Abs 3 SGB V wurde allerdings durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuches und anderer Gesetze vom 24.7.2003 (BGBl I 1526) mit Wirkung vom 1.8.2003 aufgehoben und war mithin in Bezug auf den hier streitigen Zeitraum nicht mehr anzuwenden. Durch dasselbe Gesetz wurde zudem zeitgleich in § 20 SGB IV folgender Abs 3 angefügt:

        

"1Der Arbeitgeber trägt abweichend von den besonderen Vorschriften für Beschäftigte für die einzelnen Versicherungszweige den Gesamtsozialversicherungsbeitrag allein, wenn

1. Versicherte, die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind, ein Arbeitsentgelt erzielen, das auf den Monat bezogen 325 Euro nicht übersteigt, oder

2. Versicherte ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres leisten.

2Wird infolge einmalig gezahlten Arbeitsentgelts die in Satz 1 genannte Grenze überschritten, tragen die Versicherten und die Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag von dem diese Grenze übersteigenden Teil des Arbeitsentgelts jeweils zur Hälfte."

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b) Zu Recht haben die Vorinstanzen angenommen, dass die Überschreitung des Mindestbetrags nach § 235 Abs 3 SGB V durch die Gewährung einer Einmalzahlung nicht hinsichtlich des Gesamtentgeltbetrags zu einer hälftigen Beitragstragung durch den Kläger und die Beschäftigten nach § 249 Abs 1 Halbs 1 SGB V führt. Diese Folge tritt vielmehr - in entsprechender Anwendung von § 20 Abs 3 S 2 SGB IV - nur hinsichtlich des den Mindestbetrag übersteigenden Entgeltteils, also der Einmalzahlung, ein.

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aa) Zwar scheint die Verwendung der Konjunktion "wenn" in § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB V anstelle der Konjunktion "soweit" auf den ersten Blick dafür zu sprechen, dass bei Nichterfüllung der Kondition bei Überschreitung des Mindestbetrags die angeordnete Folge (= vollumfängliche Beitragstragung durch den Träger) nicht eintreten soll; vielmehr könnte es danach stattdessen insgesamt zu der allgemeinen, in § 249 Abs 1 SGB V geregelten hälftigen Beitragstragung durch den Träger und die Beschäftigten kommen. Gegen ein solches Verständnis in einem "absoluten" Sinne spricht allerdings schon die Einleitung in Halbs 2 des § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB V mit den Worten "im Übrigen" anstelle der sonst eigentlich eher zu erwartenden Begriffe "ansonsten" oder "anderenfalls".

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Dieser Sichtweise steht darüber hinaus auch die nach wie vor in § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 Halbs 2 SGB V enthaltene und bestehen gebliebene Verweisung auf die zwischenzeitlich nicht mehr existente Vorschrift des (alten, eigentlich aufgehobenen) § 249 Abs 3 SGB V entgegen. Schon daraus folgt, dass § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB V nur dahin verstanden werden kann, dass es im Fall der Überschreitung des Mindestbetrags nach § 235 Abs 3 SGB V zu differenzierten Rechtsfolgen kommen soll, je nachdem, welche Ursache die Überschreitung des Mindestbetrags nach § 235 Abs 3 SGB V hat.

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bb) Folge dieser vorgefundenen Ausgestaltung im Normtext ist jedoch, dass die Regelung in § 20 Abs 3 S 2 SGB IV auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation analog anzuwenden ist (ebenso: Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, Stand Einzelkommentierung 4/13, K § 251 RdNr 27; Hornig in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, Stand Einzelkommentierung Februar 2013, § 251 SGB V RdNr 9; Peters in Kasseler Komm, Stand Einzelkommentierung April 2012, § 251 SGB V RdNr 10; Propp in jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 251 RdNr 50). Kommt es infolge einmalig gezahlten Arbeitsentgelts zu einer Überschreitung des Mindestbetrags nach § 235 Abs 3 SGB V, tragen demnach zum einen der Träger der WfbM und zum anderen die beschäftigten behinderten Menschen die Beiträge jeweils zur Hälfte nur hinsichtlich des diese Grenze übersteigenden Teils des Arbeitsentgelts; (nur) für den unterhalb des Mindestbetrags liegenden Teil des Arbeitsentgelts verbleibt es dagegen bei der (vollen) Beitragstragung durch den Träger der Einrichtung.

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Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung von § 20 Abs 3 S 2 SGB IV auf die in WfbM Beschäftigten sind erfüllt. Eine Analogie ist die Übertragung der Rechtsfolge eines geregelten Tatbestandes auf einen ihm ähnlichen, allerdings ungeregelten Sachverhalt. Sie beruht - insbesondere im vorliegenden Fall in Anlehnung an Art 3 Abs 1 GG - auf der Forderung normativer Gerechtigkeit, im Wesentlichen Gleichartiges auch gleich zu behandeln und setzt voraus, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, er wäre im Zuge einer Interessenabwägung, bei der er sich von denselben Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (so zB BSGE 108, 8 = SozR 4-5425 § 4 Nr 1, RdNr 18 mwN; BSG Urteil vom 18.6.2014 - B 3 P 7/13 R, SozR 4-3320 Art 45 Nr 1 RdNr 14; zu den Voraussetzungen ferner zB BVerfGE 82, 6, 11 ff mwN; zur Pflicht der Fachgerichte, Auslegungsprobleme mit Hilfe der anerkannten Grundsätze der juristischen Methodenlehre - einschließlich der Analogie einer einzelnen gesetzlichen Bestimmung oder sogar einer Gesamtanalogie eines Konglomerats von gesetzlichen Regelungen - zu bewältigen, vgl BVerfGE 131, 88, 122, 125 mwN; BVerfGE 132, 99 RdNr 74, 77 f mwN; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 202 ff; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, 7. Aufl 2013, RdNr 888 ff).

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(1) Es liegt eine Regelungslücke vor; denn § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 Halbs 2 SGB V verweist unverändert auf § 249 Abs 3 SGB V, obwohl dieser seit 1.8.2003 nicht mehr existiert. Weder die Verweisungsnorm noch die gesetzliche Bestimmung in § 20 Abs 3 S 2 SGB IV, die an die Stelle der Norm trat, auf die ursprünglich verwiesen wurde, treffen selbst eine ausdrückliche oder auch nur mittelbare Aussage darüber, welche Rechtslage stattdessen seit 1.8.2003 gilt. Eine Spezialregelung, die die Frage im Regelungskontext des SGB oder anderer Gesetze behandelt, ist ebenfalls nicht ersichtlich.

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(2) Die mithin bestehende Regelungslücke ist auch - entgegen der Ansicht der Beklagten - erkennbar unbeabsichtigt. Dies lässt sich ohne Weiteres den Gesetzesmaterialien entnehmen. Die Streichung von § 249 Abs 3 SGB V wurde in den Beratungen des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung des 15. Deutschen Bundestages als "Folgeänderung" (nur) zur zentralen Regelung der Tragung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags für Auszubildende und Teilnehmer an einem freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahr in § 20 Abs 3 SGB IV angesehen (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung zu Gesetzentwürfen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einerseits sowie der Bundesregierung andererseits für ein Gesetz zur Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch und des Sozialgerichtsgesetzes, BT-Drucks 15/1199 S 19 zu Artikel [01] Nr 2 - neu -, im Folgenden: Ausschussbericht). Dabei wurde im Ausschuss allerdings offensichtlich schlicht übersehen, dass der (alte) § 249 Abs 3 SGB V nicht nur die beiden im Bericht hervorgehobenen, in der Regelung unmittelbar angesprochenen Personengruppen betraf, sondern - wegen der Verweisung auf diese Regelung in § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 Halbs 2 SGB V - gleichermaßen auch den Personenkreis der in WfbM beschäftigten Menschen. Im Zusammenhang mit der Schaffung von § 20 Abs 3 S 2 SGB IV wird in den Gesetzesmaterialien dazu nur ausgeführt, diese "Neuregelung entspricht dem geltenden Recht" (so Ausschussbericht, aaO). Daher kann mangels gegenteiliger Äußerungen allein angenommen werden, dass der Gesetzgeber die zuvor in § 249 Abs 3 SGB V getroffene Regelung nur gesetzestechnisch ("Folgeänderung") vor die Klammer ziehen und nunmehr im SGB IV zentral regeln wollte, ohne inhaltlich-sachliche Änderungen vorzunehmen und ohne an der vorherigen Rechtslage insgesamt im Ergebnis etwas zu ändern.

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Die Beklagte kann gegen diese Auslegung nicht mit Erfolg einwenden, dass ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers nicht nur in der Nichtnennung der Gruppe der in WfbM Beschäftigten in § 20 Abs 3 SGB IV nF liegen, sondern umgekehrt auch in der nach wie vor bestehenden Verweisung des § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 Halbs 2 SGB V auf § 249 Abs 3 SGB V gesehen werden könne. Dagegen spricht indessen, dass den Gesetzesmaterialien dann gerade zu entnehmen sein müsste, dass man im Gesetzgebungsverfahren in Abkehr von dem zuvor geltenden Recht - dessen Fortgeltung ja gerade bekräftigt wurde - speziell den zuvor ebenfalls begünstigten Personenkreis der Beschäftigten in einer WfbM von einer fortbestehenden Privilegierung bewusst ausschließen wollte. Für Derartiges fehlt jedoch jeglicher Hinweis.

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(3) Die so entstandene Regelungslücke kann zur Bekräftigung des Fortgeltens der alten Rechtslage nur durch eine entsprechende Anwendung des § 20 Abs 3 SGB IV nF auch auf die Gruppe der in einer WfbM Beschäftigten sachgerecht geschlossen werden.

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Eine solche analoge Anwendung von § 20 Abs 3 S 2 SGB IV ist auch aus Gründen der Gleichbehandlung geboten. Die Interessenlage der Beschäftigten in einer WfbM ist der gesetzlich geregelten so ähnlich, dass nur angenommen werden kann, dass die Gesetzgebung die getroffene Regelung auch für den ungeregelten Sachverhalt vorgesehen hätte, wäre ihm die aufgetretene Lücke bewusst gewesen. § 20 Abs 3 S 2 SGB IV führt nämlich zu einer Privilegierung, weil es im Fall der Gewährung von einmalig gezahlten Arbeitsentgelts bestimmte, als Geringverdiener in die Sozialversicherung einbezogene Personen (= Versicherte, die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind oder ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr absolvieren) nur hinsichtlich des den Mindestbetrag übersteigenden Teils mit einer (hälftigen) Beitragstragung belastet. Nach den Gesetzesmaterialien sollte durch die Regelung vermieden werden, dass durch ein vorübergehendes Überschreiten der Geringverdienergrenze infolge von Einmalzahlungen (zB Weihnachtsgeld) wegen der dadurch auftretenden Pflicht, die Hälfte der gesamten Sozialversicherungsbeiträge zu tragen, ein Nettobetrag verbleibt, der geringer ist als der Nettobetrag, welcher ohne die Einmalzahlung aufgrund des laufenden Arbeitsentgelts erzielt wird (so Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Einführung eines Sozialversicherungsausweises und zur Änderung anderer Sozialgesetze, BT-Drucks 11/2807 S 17 zu Artikel 2 bis 5).

27

Diese Zielsetzung ist auch für die Gruppe der in WfbM Beschäftigten anzuerkennen, nachdem sie in der früheren Vorschrift in § 249 Abs 3 SGB V so enthalten war und Gründe für eine Aufhebung dieser Privilegierung nicht ersichtlich sind.

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cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten sprechen auch die unterschiedlich hohen Beträge (§ 20 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB IV: 325 Euro, § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 iVm § 235 Abs 3 SGB V im Juni 2006: 490 Euro) nicht gegen eine analoge Anwendung von § 20 Abs 3 S 2 SGB IV auf den Personenkreis der Beschäftigten in einer WfbM. Dies gilt schon deshalb, weil der in § 20 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB IV genannte Betrag von 325 Euro ohnehin nur die Gruppe der zur Berufsausbildung Beschäftigten betrifft, nicht aber die weitere, in § 20 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB IV genannte Gruppe. Im Übrigen verfolgte der Gesetzgeber mit der Festlegung dieser Grenze spezifische arbeits- bzw ausbildungsmarktbezogene Ziele: So sollte durch die Absenkung auf 325 Euro die Bereitschaft, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, nicht durch zusätzliche Belastungen der Betriebe beeinträchtigt werden (Ausschussbericht, aaO).

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2. Gegen die Richtigkeit der Berechnung des von der Beklagten dem Kläger zu erstattenden (Rest-)Betrags haben die Beteiligten im Revisionsverfahren Einwendungen nicht erhoben; auch sonst ergeben sich keine Bedenken gegen die rechnerische Richtigkeit .

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 SGG.

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Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist der Kläger allerdings als "Leistungsempfänger" iS von § 183 S 1 SGG anzusehen, der gerichtskostenrechtlich privilegiert ist (vgl ähnlich bereits für Arbeitgeber als Empfänger von Eingliederungs- oder Lohnkostenzuschüssen nach dem SGB III: BSG SozR 4-1500 § 183 Nr 2; BSG SozR 4-4300 § 368 Nr 2; für die Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen für die Entgeltfortzahlung in Kleinbetrieben nach § 10 Lohnfortzahlungsgesetz BSG SozR 4-1500 § 183 Nr 3). Zwar stellt die vom Kläger für sich in Anspruch genommene Rechtsgrundlage in § 251 Abs 2 S 1 Nr 2 und Abs 2 S 2 SGB V iVm § 59 Abs 1 S 1 SGB XI eine spezialgesetzliche Regelung über die Verteilung der Beitragslasten und damit verbundene Erstattungspflichten dar und ist im Kern eine Regelung über Beitragstragung. Gleichwohl handelt es sich zumindest auch um eine sozialleistungsähnliche, die Kostenprivilegierung rechtfertigende Begünstigung (zu diesem Gesichtspunkt bereits BSG SozR 4-1500 § 183 Nr 3 RdNr 8 f), indem eine Entlastung des Trägers einer WfbM von Beitragsaufwendungen erfolgt, der Aufgaben gleich einem Arbeitgeber wahrnimmt.

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Dies rechtfertigt auch hier die Anwendung des § 183 SGG. Demzufolge hat der Senat auch keine Entscheidung über den Streitwert zu treffen.