Entscheidungsdatum: 04.04.2017
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. September 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
I. Im Streit steht, ob die Erben als Rechtsnachfolger des früheren Arbeitnehmers einen Anspruch auf Insolvenzgeld (Insg) haben.
Die Kläger sind gesetzliche Erben des am 20.9.1978 geborenen und am 7.1.2016 verstorbenen W L (L). L war vom 2.2.2012 bis 18.2.2013 bei der G Gerüstbau H GmbH beschäftigt. Über das Vermögen der GmbH eröffnete das Amtsgericht Ingolstadt mit Beschluss vom 3.4.2013 das Insolvenzverfahren. Der Insolvenzverwalter übersandte der Beklagten die Insolvenzgeldbescheinigung vom 24.4.2013, nach der die Arbeitgeberin dem L Nettoarbeitsentgelt von 1569,66 Euro für Januar 2013 und von 1102,69 Euro für Februar 2013 nicht bezahlt habe. Der anwaltlich vertretene L erhob vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Frankfurt am Main Klage auf Zahlung rückständigen Entgelts. Das ArbG hat die Arbeitgeberin verurteilt, 2545,85 Euro nebst Zinsen an L zu zahlen.
Am 17.6.2013 beantragte L bei der Beklagten Insg. Diese lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 19.7.2013, Widerspruchsbescheid vom 5.8.2013), weil er nicht innerhalb der Ausschlussfrist von zwei Monaten nach Eintritt des Insolvenzereignisses gestellt worden sei. Das SG Frankfurt/Main hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 22.6.2014), das Hessische LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 23.9.2016).
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde machen die Erben als Rechtsnachfolger des L die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und werfen die Frage auf, |
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"ob in dem rechtzeitigen Übersenden der Insolvenzgeldbescheinigung durch den Insolvenzverwalter an den Beschwerdegegner die Frist von zwei Monaten zur Beantragung von Insolvenzgeld gewahrt ist." |
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet, denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (stRspr; BSG Beschluss vom 24.10.2016 - B 10 LW 6/16 B - juris RdNr 8 mwN).
Zwar machen die Kläger noch hinreichend deutlich, dass sich die Rechtsfrage auf die Auslegung und Anwendung des § 324 Abs 3 SGB III bezieht, obwohl die Norm in der Beschwerdeschrift nicht genannt wird. Sie legen auch die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage dar, sodass die Beschwerde zulässig ist.
Die Beschwerde ist aber unbegründet und zurückzuweisen, weil sich die aufgeworfene Rechtsfrage anhand der in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Maßstäbe zum Erfordernis einer Antragstellung und deren Rechtsnatur beantworten lässt.
1. L hat innerhalb der zweimonatigen Ausschlussfrist nach dem Insolvenzereignis vom 3.4.2013 keinen Antrag auf Insg gestellt.
Gemäß § 324 Abs 3 S 1 SGB III ist Insg abweichend von Abs 1 S 1 der Vorschrift innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Das Insolvenzereignis ist mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin am 3.4.2013 eingetreten (§ 165 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB III). Damit wurde die Frist des § 324 Abs 3 S 1 SGB III in Lauf gesetzt. Sie endete nach zwei Monaten mit Ablauf des 3.6.2013 (Montag). Der Kläger hat aber erst am 17.6.2013, also nach Ablauf der Ausschlussfrist, den Antrag auf Insg gestellt.
2. Die an die Beklagte gerichtete Insolvenzgeldbescheinigung des Insolvenzverwalters beinhaltet weder generell noch im Einzelfall einen Antrag auf Zahlung von Insg an L.
a) Der Insolvenzverwalter stellt mit Abgabe der Insolvenzgeldbescheinigung nicht generell einen Antrag auf Zahlung von Insg an die Arbeitnehmer.
§ 314 SGB III begründet eine öffentlich-rechtliche Pflicht des Insolvenzverwalters, der Agentur für Arbeit die dort näher bestimmten Daten zu bescheinigen. Zur Erstellung und Abgabe der Bescheinigung ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, während die Agentur für Arbeit Adressatin der Bescheinigung ist (Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, § 314 RdNr 13). Die dem Insolvenzverwalter gemäß § 314 SGB III (vgl auch § 316 Abs 2 SGB III) obliegende Bescheinigungspflicht verleiht ihm aber nicht die Befugnis, Rechte der Arbeitnehmer gegenüber der Beklagten wahrzunehmen (Voelzke, aaO, § 314 RdNr 32).
Seine Rechtsstellung ist insoweit nicht mit derjenigen des Arbeitgebers im Kurzarbeitergeldverfahren vergleichbar, dem die Durchsetzung der Ansprüche der Arbeitnehmer obliegt und anvertraut ist (BSG vom 11.12.2014 - B 11 AL 3/14 R - SozR 4-4300 § 170 Nr 3 RdNr 9). Auch räumt § 323 Abs 2 SGB III dem Arbeitgeber ausdrücklich ein Antragsrecht für das Kurzarbeitergeld der Arbeitnehmer ein. Eine analoge Anwendung des § 323 Abs 2 SGB III auf das Insg scheidet aus, weil das SGB III zwischen den Anträgen auf verschiedene Leistungen deutlich unterscheidet. Es regelt insoweit unterschiedliche Anforderungen und Fristen (vgl § 324 Abs 2 zu Berufsausbildungsbeihilfe, Ausbildungsgeld, Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld; § 324 Abs 3 zu Insolvenzgeld), sodass Regelungen über die Antragstellung für eine spezifische Leistung nicht auf andere - ebenfalls geregelte - Antragserfordernisse übertragbar ist.
Antragsberechtigt beim Insg sind die Arbeitnehmer. Sie können den Antrag einzeln oder auch als Sammelantrag stellen. Ein Sammelantrag muss aber von allen Arbeitnehmern unterschrieben sein. Soweit Arbeitnehmer den Antrag nicht selbst stellen, sondern sich dabei vertreten lassen (§ 13 SGB X), muss die entsprechende Vollmacht von dem jeweiligen Arbeitnehmer unterschrieben sein (Scholz in Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, SGB III, 6. Aufl 2017, § 324 RdNr 15).
Mangels Antragsberechtigung des Insolvenzverwalters ist die Abgabe der Insolvenzgeldbescheinigung nach § 314 Abs 1 SGB III nur als Erfüllung der Bescheinigungspflicht zu verstehen. Die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Pflicht beinhaltet keine generelle Erklärung dahingehend, der Insolvenzverwalter wolle für die Arbeitnehmer den Antrag auf Insg stellen.
b) Der Insolvenzverwalter hat mit Abgabe der Insolvenzgeldbescheinigung auch nicht im Einzelfall Insg für L beantragt.
Obwohl der Insolvenzverwalter von Gesetzes wegen nicht antragsberechtigt ist, könnte er für einen Arbeitnehmer den Antrag auf Insg stellen, wenn er im Einzelfall dazu bevollmächtigt worden wäre (denkbar zB nach Vorfinanzierung). In Betracht kommt auch, dass er als vollmachtloser Vertreter einen Antrag gestellt hat.
Da es sich bei der Antragstellung um die Abgabe einer einseitigen, empfangsbedürftigen öffentlich-rechtlichen Willenserklärung handelt (Seewald in Kasseler Kommentar, Stand Januar 2009, § 14 RdNr 3; Mönch-Kalina in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2011, § 16 RdNr 16), wäre für eine wirksame Antragstellung erforderlich, dass eine Erklärung abgegeben worden ist, die von der Agentur für Arbeit als deren Empfängerin so verstanden werden kann, dass der Insolvenzverwalter namens und in Vollmacht eines Arbeitnehmers - hier des L - den Antrag auf Insg stellen wollte. Im vorliegenden Fall hat der Insolvenzverwalter aber keine Erklärung abgegeben, die die Beklagte als Antragstellung für L verstehen konnte.
Aus dem Urteil des BSG vom 23.10.1984 (10 RAr 6/83 - SozR 4100 § 141e Nr 7) ergibt sich nichts anderes. Denn jener Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem der Anspruch auf das (damalige) Konkursausfallgeld abgetreten worden war, aber der Arbeitnehmer ohne Vollmacht des Abtretungsempfängers den Antrag auf Konkursausfallgeld gestellt hatte. Die Entscheidung betrifft also gerade einen Fall, in dem ein Antrag - wenn auch durch einen "Nichtberechtigten" - gestellt worden ist. Dies ist in dem vorliegenden Rechtsstreit - wie oben ausgeführt - gerade nicht der Fall.
3. Auch eine Nachfrist ist L nicht einzuräumen gewesen.
Gemäß § 324 Abs 3 S 2 SGB III wird Nachfrist gewährt, wenn die Ausschlussfrist nach Satz 1 der Vorschrift aus nicht selbst zu vertretenden Gründen versäumt worden ist. Ein zu vertretender Grund liegt vor, wenn sich ein Arbeitnehmer nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (§ 324 Abs 3 S 3 SGB III). Der Arbeitnehmer hat dabei jede - auch leichte - Fahrlässigkeit zu vertreten (§ 276 BGB; vgl auch BSG vom 26.8.1983 - 10 RAr 1/82 - BSGE 55, 284 = SozR 4100 § 141e Nr 5).
L hat seine Lohnrückstände arbeitsgerichtlich verfolgt. Er hat sie im März 2013 titulieren lassen, in dem Zusammenhang hätte er vorsorglich auch einen Antrag auf Insg stellen können. Soweit er im März 2013 das Insolvenzereignis noch nicht gekannt haben sollte, hätte er durch alsbaldige Vollstreckung des titulierten Zahlungsanspruchs von dem Insolvenzereignis erfahren können (vgl BSG vom 29.10.1992 - 10 RAr 14/91 - BSGE 71, 213 = SozR 3-4100 § 141e Nr 2; Hassel in Brand, SGB III, § 324 RdNr 23). Auch hat der Insolvenzverwalter, auf dessen Bescheinigung sich die Kläger berufen, die Betroffenen im April 2013 auf die Notwendigkeit der fristgerechten Antragstellung hingewiesen.
Die Beschwerde ist mithin gemäß § 160a Abs 4 S 1 SGG unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss zurückzuweisen.