Entscheidungsdatum: 09.04.2019
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. September 2018 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
I. Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren, ihr Leistungen nach dem SGB V ohne Nutzung einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK) zur Verfügung zu stellen, bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das LSG unter Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid ausgeführt, die gesetzlichen Regelungen zur Ausgestaltung und Verwendung der eGK stünden im Einklang mit deutschem und europäischem Datenschutz- sowie Verfassungsrecht, wie das BSG bereits entschieden habe (vgl BSGE 117, 224 = SozR 4-2500 § 291a Nr 1). Das LSG entscheide über die Berufung ohne mündliche Verhandlung, nachdem sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt hätten (Urteil vom 25.9.2018).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer dagegen eingelegten Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil und rügt Verfahrensmängel.
II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Die Klägerin bezeichnet insbesondere ausreichend einen Verfahrensfehler (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf stützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), muss zur Bezeichnung des Verfahrensmangels die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Er hat zudem darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Die Klägerin trägt diesen Anforderungen mit ihrer Begründung hinreichend Rechnung. Sie trägt unter Darlegung des genauen Verfahrensablaufs ua vor, das LSG habe nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen (§ 124 Abs 2 SGG), da sie ihr Einverständnis hierzu nur bedingt erteilt habe. Damit rügt die Klägerin einen Verstoß gegen das Prinzip der mündlichen Verhandlung (§ 124 Abs 1 SGG) sowie die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 EMRK).
2. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensfehler liegt insoweit auch vor (hierzu a). Das Urteil des LSG kann auf diesem Verfahrensfehler beruhen (hierzu b).
a) Die Klägerin beanstandet zu Recht, dass das LSG über ihre Berufung ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, obwohl das für eine solche Verfahrensweise erforderliche Einverständnis der Klägerin nicht vorgelegen hat (§ 124 Abs 2 SGG). Um wirksam auf eine Entscheidung mit mündlicher Verhandlung zu verzichten, muss jeder Beteiligte sein Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung klar, eindeutig und grds - abgesehen von innerprozessualen Bedingungen wie dem Widerruf eines Vergleichs - vorbehaltlos erklären (vgl BSG Urteil vom 12.10.1972 - 10 RV 357/72 - Juris RdNr 24; BSGE 44, 292, 293 = SozR 1500 § 124 Nr 2 S 3; BSG Beschluss vom 3.6.2009 - B 5 R 306/07 B - Juris RdNr 10; BFH Urteil vom 31.8.2010 - VIII R 36/08 - BFHE 231, 1 = Juris RdNr 20; Hauck in Zeihe, SGG, Stand Oktober 2018, § 124 Anm 6a). An einem solchen eindeutigen, vorbehaltlosen Einverständnis der Klägerin fehlt es. Die Klägerin hat auf die mehrfache Anfrage des Berufungsgerichts, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung besteht, mit Schreiben vom 17.9.2018 erklärt, sie möchte - wie telefonisch besprochen - kein solches Einverständnis geben. Vielmehr hat die Klägerin erneut um Verschiebung des für den 25.9.2018 anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung wegen Verhinderung ("House- und Dogsitting" ohne Entgelt bei Freunden) gebeten. Schließlich hat die Klägerin mit auf den 21.9.2018 datiertem Schreiben mitgeteilt, nach ihrer gestrigen Krebsdiagnose habe sie in den nächsten Monaten nicht die Kraft, sich auf eine Gerichtsverhandlung zu konzentrieren. Ob aus diesem Grund eine Terminsverschiebung möglich sei, könne sie nicht beurteilen, sie sei kein Jurist und werde anwaltlich nicht vertreten. Daher sei sie auf die Beratung des LSG angewiesen. Auf Wunsch könne sie die Diagnose der Radiologie zusenden. Abschließend hat sie ausgeführt, "Nur wenn das keinen Grund darstellt, sehe ich mich gezwungen, der Verhandlung im schriftlichen Verfahren zuzustimmen. Ich bitte daher um Aufhebung des Termins am 25.09.2018, 9:00 h." Der Vorsitzende hat die Klägerin daraufhin mit Fax vom 21.9.2018 - einem Freitag - aufgefordert, eine ärztliche Bescheinigung zu übersenden, damit ein Verlegungsgrund geprüft werden könne: "Darin sollte der Arzt Aussagen zu Ihrer momentanen körperlichen/psychischen Belastbarkeit/Reisefähigkeit treffen." Mit am 24.9.2018 bei Gericht eingegangenem Fax hat die Klägerin vorgetragen, eine ärztliche Bescheinigung könne sie in einigen Wochen übersenden. Einen Termin bei einem Psychiater habe sie erst Anfang Dezember 2018. Die Krebsdiagnose habe sie tief getroffen. Eine Aussage ihres Psychiaters lege sie vor, sobald der Termin stattgefunden habe, wenn noch erwünscht. Als Anlage hat die Klägerin einen Befund des Radiologen beigefügt. Der Vorsitzende hat der Klägerin am selben Tag per Fax mitgeteilt, aus ihrem Schriftsatz vom 22.9.2018 ergebe sich nicht die rechtlich erforderliche Glaubhaftmachung, etwa zur Reiseunfähigkeit. Der Termin am morgigen 25.9.2018 werde daher stattfinden. Einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung könne sie nach wie vor zustimmen. Die Klägerin hat dieses Schreiben ebenfalls am selben Tag zurückgeschickt mit dem handschriftlichen Hinweis "Habe ich bereits zugestimmt! Bitte lesen Arzttermine bekommt man nicht innerhalb von 1 TAG !!!" Damit hat die Klägerin keine Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt, sondern auf die zuvor mit Schreiben vom 21.9.2018 lediglich bedingt erteilte Zustimmung Bezug genommen. Aus dem gesamten Vortrag der Klägerin ergibt sich, dass diese auf eine mündliche Verhandlung nicht verzichten wollte. Ausschließlich für den Fall, dass das Berufungsgericht ihren Vortrag nicht als erheblichen Grund für eine Terminverlegung (§ 227 Abs 1 S 1 ZPO iVm § 202 S 1 SGG) ansehen würde, hat sie einer "Verhandlung im schriftlichen Verfahren" zugestimmt. Dabei nahm die Klägerin - auch für das LSG erkennbar - irrtümlich an, um einen Verlegungsgrund glaubhaft zu machen, müsse sie bezüglich ihrer "psychischen Belastbarkeit" das Attest eines Psychiaters vorlegen. Vor diesem Hintergrund durfte das LSG kein Einverständnis iS des § 124 Abs 2 SGG annehmen, sondern hätte die Klägerin über ihren Irrtum aufklären und den Termin vertagen müssen.
b) Die Klägerin macht auch einen Verfahrensmangel geltend, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Es bedarf keines weiteren Vortrags zum "Beruhen - Können" der angegriffenen Entscheidung auf dem Verfahrensfehler, wenn ein Beschwerdeführer behauptet, um sein Recht auf eine mündliche Verhandlung gebracht worden zu sein (vgl BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2 RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 62; Hauck in Zeihe, SGG, Stand Oktober 2018, § 124 Anm 6e). Wegen der besonderen Wertigkeit der mündlichen Verhandlung als Kernstück des sozialgerichtlichen Verfahrens reicht es vielmehr aus, dass eine andere Entscheidung nicht auszuschließen ist, wenn der Betroffene Gelegenheit gehabt hätte, in der mündlichen Verhandlung vorzutragen (vgl BSGE 44, 292, 295 = SozR 1500 § 124 Nr 2 S 5; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 60 ff; BSG Beschluss vom 17.2.2010 - B 1 KR 112/09 B - Juris RdNr 5). Es ist nicht auszuschließen, dass das LSG zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn die Klägerin Gelegenheit gehabt hätte, sich in einer mündlichen Verhandlung zu den rechtlichen und tatsächlichen Aspekten des Rechtsstreits zu äußern. Dies gilt in besonderem Maße, da eine mündliche Verhandlung in der ersten Instanz nicht stattgefunden hat (vgl Art 6 Abs 1 EMRK).
3. Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.