Entscheidungsdatum: 13.09.2010
1. Zur Erhebung einer Anfechtungsklage gegen einen Bescheid, durch den ein Beschluss der Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer nach § 191e Halbs. 2 BRAO aufgehoben wird, ist allein die Bundesrechtsanwaltskammer, nicht die bei ihr eingerichtete Satzungsversammlung aktivlegitimiert .
2. § 59b Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe g BRAO ermächtigt auch zur Regelung von Anforderungen an die Einrichtung und den Betrieb einer Zweigstelle .
Der Bescheid des Bundesministeriums der Justiz vom 30. September 2009 (R B 1 3170/15-5-R 3 708/2008) wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Gegenstandswert wird auf 15.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
In ihrer 3. Sitzung am 15. Juni 2009 beschloss die 4. Satzungsversammlung bei der klagenden Bundesrechtsanwaltskammer unter anderem folgende Änderung von § 5 BORA:
"I. § 5 BORA
1. § 5 erhält folgende neue Überschrift: "Kanzlei und Zweigstelle"
2. § 5 Satz 2 erhält folgende Fassung:
Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, die für seine Berufsausübung erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen in Kanzlei und Zweigstelle vorzuhalten."
Diese Änderung hob das beklagte Bundesministerium der Justiz (fortan: Beklagter) mit bei der Klägerin am 6. Oktober 2009 eingegangenem Bescheid vom 30. September 2009 (R B 1 3170/15-5-R 3 708/2008) nach § 191e BRAO mit der Begründung auf, die Satzungsänderung sei von der Regelungskompetenz der Satzungsversammlung der Klägerin nicht gedeckt.
Die Klägerin meint, sie sei auf Grund von § 59b Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe g BRAO zu der beschlossenen Änderung von § 5 BORA ermächtigt. Danach dürften auch die Anforderungen an eine Zweigstelle geregelt werden. Kanzlei im Sinne dieser Vorschrift sei nicht nur die Hauptkanzlei, sondern auch eine Zweigstelle.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 30. September 2009 (R B 13170/15-5-R 3 708/2008) aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, § 59b Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe g BRAO ermächtige die Satzungsversammlung bei der Klägerin nur zur näheren Regelung der in § 27 Abs. 1 BRAO bestimmten Kanzleipflicht, nicht jedoch dazu, Regelungen über die Anforderungen an Kanzleien und Zweigstellen im Allgemeinen zu treffen.
Die Klage hat Erfolg.
I.
Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig.
1. Die Aufhebung eines Beschlusses der Satzungsversammlung bei der Klägerin ist ein Verwaltungsakt des Bundesministeriums, der mit der Anfechtungsklage nach § 112c BRAO i.V.m. § 42 VwGO angefochten werden kann. Die für diese Klageart vorgesehene Klagefrist von einem Monat ab der Bekanntgabe des Aufhebungsbescheids (§ 112c BRAO i.V.m. §§ 74 Abs. 1 Satz 2, 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO) ist - unabhängig davon, dass der Beklagte seinen Bescheid anscheinend entgegen § 112c BRAO i.V.m. § 59 VwGO nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen hat, so dass die Klagefrist nicht in Gang gesetzt worden sein dürfte (§ 112c BRAO i.V.m. § 58 Abs. 1 VwGO) - gewahrt. Die Klageschrift ist beim Bundesgerichtshof nämlich innerhalb eines Monats nach Bekanntmachung des Bescheids eingegangen.
2. Für die Entscheidung ist der Bundesgerichtshof zuständig. Nach § 112a Abs. 3 Nr. 1 BRAO entscheidet dieser in erster und letzter Instanz über Klagen gegen Entscheidungen des Bundesministeriums der Justiz, zu denen die Aufhebung von Beschlüssen der Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer nach § 191e Halbs. 2 BRAO gehört (Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 112f BRAO Rn. 5; Dahns, ebenda, § 191e BRAO Rn. 17-18; Hartung in Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 191e Rn. 9).
3. Die Klägerin ist auch aktivlegitimiert.
a) Wer für Klagen gegen den Aufhebungsbescheid des Bundesministeriums der Justiz nach § 191e Halbs. 2 BRAO aktivlegitimiert ist, ist allerdings streitig. Teilweise wird der Satzungsversammlung selbst die Aktivlegitimation zugesprochen (Dahns, aaO, § 191e BRAO Rn. 19; Kleine-Cosack, BRAO, 6. Aufl., § 191 Rn. 7; zum früheren Recht: Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl., § 191e Rn. 5; Hartung in Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl., § 191e Rn. 16). Teilweise wird demgegenüber die Bundesrechtsanwaltskammer als aktivlegitimiert angesehen (Schmidt-Räntsch, aaO, § 112f BRAO Rn. 5; Hartung in Henssler/Prütting, aaO [3. Aufl., fortan aaO], § 191e Rn. 9; Funk, Die Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer im System der anwaltlichen Selbstverwaltung, 2006, S. 282 f.). So haben es auch die Beteiligten dieses Verfahrens selbst gesehen.
b) Diese (zweite) Sicht teilt der Senat. Die Satzungsversammlung ist durch das Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2. September 1994 (BGBl. I S. 2278) als "neues Beschlussorgan der Bundesrechtsanwaltskammer" eingerichtet worden (Entwurfsbegründung in BT-Drucks. 12/4993, 36). Sie sollte keine von der Bundesrechtsanwaltskammer zu trennende Einrichtung, sondern - ähnlich wie die Satzungsversammlung der Steuerberaterkammer gemäß § 86a StBerG - ein besonderes Organ sein, dem die Rechtsetzungsaufgaben der Bundesrechtsanwaltskammer übertragen sind (Einzelheiten bei Funk, aaO, S. 91 ff., 107 ff.). Diese Einordnung ergibt sich jetzt auch aus § 112f Abs. 1 BRAO, der gegen Wahlen und Beschlüsse der Organe der Bundesrechtsanwaltskammer die Beschlussanfechtungsklage zulässt, hiervon aber Beschlüsse der Satzungsversammlung ausnimmt und damit indirekt die Stellung der Satzungsversammlung als Organ der Bundesrechtsanwaltkammer klarstellen sollte (Begründung der BRAO-Novelle 2009 in BT-Drucks. 16/11385, 42).
II.
Die Anfechtungsklage ist auch begründet. Der Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 112c BRAO i.V.m. § 113 Abs. 1 VwGO).
1. Der Beklagte hat den Bescheid allerdings fristgerecht erlassen. Er darf einen Satzungsbeschluss der Satzungsversammlung der Klägerin nach § 191e BRAO nur innerhalb von drei Monaten nach seiner Übermittlung an ihn aufheben. Diese Ausschlussfrist (Feuerich/Weyland, aaO, § 191e Rn. 2 a.E.; Funk, aaO, S. 256) hat der Beklagte gewahrt. Der Beschluss ist ihm nach der vorgelegten Zustellungsurkunde am 6. Juli 2009 übermittelt worden; der Aufhebungsbescheid ist der Klägerin am 6. Oktober 2009 bekannt gemacht worden.
2. Der angefochtene Bescheid ist aber materiell rechtswidrig. Der durch ihn aufgehobene Beschluss der Satzungsversammlung verstößt nicht gegen geltendes Recht.
a) Insbesondere fehlt es nicht an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage.
aa) Die (Satzungsversammlung der) Klägerin darf Satzungen zu den beruflichen Rechten und Pflichten der Rechtsanwälte allerdings nur erlassen, soweit sie dazu in § 59b Abs. 2 BRAO ermächtigt ist. Die in dieser Vorschrift bestimmte Satzungsermächtigung ist abschließend (Begründung des Entwurfs der BRAO-Novelle von 1994 in BT-Drucks. 12/7656, 50; Feuerich/Weyland, aaO, § 59b Rn. 1; Dahns, aaO, § 59b BRAO Rn. 3; Hartung in Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 4. Aufl., Einf. Rn. 62; Koch in Henssler/Prütting, aaO, § 59b Rn. 15; Kleine-Cosack, aaO, § 59b Rn. 22).
bb) Entgegen der Auffassung des Beklagten ermächtigt die Bundesrechtsanwaltsordnung in § 59b Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe g aber auch dazu, die Anforderungen an eine Zweigstelle durch Satzung in Form der Berufsordnung zu regeln.
Diese Vorschrift enthält zwar ausdrücklich eine Ermächtigung nur für Regelungen der "Kanzleipflicht". Unter Regelungen zur Kanzleipflicht sind aber auch solche Bestimmungen zu verstehen, mit denen die Anforderungen an eine Kanzlei - gegebenenfalls mit ihrer Hauptstelle und ihren Zweigstellen - festgelegt werden (ebenso: Dahns, aaO, § 59b BRAO Rn. 21; Prütting in Henssler/Prütting, aaO, § 5 BORA Rn. 12 f.; Kleine-Cosack, aaO, § 27 Rn. 11; Horn, BRAK-Mitt. 2007, 94, 95; a.M. Hartung in Hartung/Römermann, aaO, § 5 BORA Rn. 79; Römermann, AnwBl. 2007, 609 ff.).
aaa) Satzungsrechtliche Vorschriften zu den Anforderungen an eine Zweigstelle könnten allerdings in § 59b Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe g BRAO keine Grundlage finden, wenn als Regelungen der "Kanzleipflicht" schon für den Rechtsanwalt mit einer Kanzlei ohne Zweigstelle - begrifflich oder aus systematischen Erwägungen - nur Vorschriften angesehen werden könnten, mit denen die Pflicht, eine Kanzlei einzurichten, in ihren Voraussetzungen näher beschrieben oder durch Schaffung von Ausnahmetatbeständen ausgestaltet wird. Das ist indes nicht der Fall:
Unter Regelungen der "Kanzleipflicht" lassen sich begrifflich ohne Weiteres auch Satzungsbestimmungen fassen, mit denen diese Pflicht inhaltlich ausgestaltet und näher festgelegt wird, welche Voraussetzungen der Geschäftsbetrieb eines Rechtsanwalts erfüllen muss, damit angenommen werden kann, dass er seine Tätigkeit aus einer Kanzlei heraus betreibt.
Systematische Erwägungen schließen eine andere Betrachtung sogar aus. Beschränkte sich die in § 59b Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe g BRAO geschaffene Regelungskompetenz auf das "Ob" der Einrichtung einer Kanzlei, liefe die Vorschrift leer. Dass der Rechtsanwalt eine Kanzlei zu unterhalten hat, ergibt sich bereits aus der gesetzlichen Regelung des § 27 BRAO. Das Gesetz legt auch - in § 29 und § 29a BRAO - abschließend fest, unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsanwalt von der Kanzleipflicht befreit ist. Diese Pflicht als solche, also das "Ob" einer Kanzlei, ist danach einer weiteren sinnvollen Regelung durch Vorschriften einer Satzung nicht zugänglich. Hingegen legt das Gesetz nicht des Näheren fest, welche Anforderungen der Geschäftsbetrieb des Rechtsanwalts erfüllen muss, damit er seine Kanzleipflicht erfüllt. Insoweit besteht ein Bedarf an näheren Regelungen. Diese gerade auch in der Form einer Satzung zu treffen, ermöglicht § 59b Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe g BRAO.
bbb) Auch der Beklagte bestreitet nicht, dass § 59b Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe g BRAO eine wirksame Ermächtigung für die Regelung von inhaltlichen Anforderungen an eine "Kanzlei" enthält. Er meint aber, dass sich diese Kompetenz auf die Festlegung von Anforderungen an die "Hauptstelle" der Kanzlei beschränke und auf "Zweigstellen" nicht erstreckt werden könne. Dazu macht er geltend:
Der Gesetzesbegriff der "Kanzleipflicht" finde sich in der Bundesrechtsanwaltsordnung außer in § 59b Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe g BRAO nur in der amtlichen Überschrift des § 29 BRAO. Aus § 29 Abs. 1 BRAO folge, dass das Gesetz unter "Kanzleipflicht" die "Pflicht des § 27 Abs. 1 BRAO" verstehe. Gemäß § 27 Abs. 1 BRAO müsse der Rechtsanwalt im Bezirk der Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied er sei, eine Kanzlei einrichten und unterhalten. § 59b Abs. 2 Nr. 1 BRAO gebe der Satzungsversammlung somit nur die Befugnis, diese in § 27 Abs. 1 BRAO normierte Pflicht des Anwalts zu regeln. Die Satzungsermächtigung umfasse dagegen nicht die Befugnis, Regelungen zu Kanzleien oder Zweigstellen zu treffen, die ein Rechtsanwalt jenseits der Verpflichtung nach § 27 Abs. 1 BRAO einrichte und unterhalte.
Dieser Betrachtung kann nicht gefolgt werden.
(1) Sie begegnet schon begrifflichen Bedenken. "Zweigstelle" und "Kanzlei" sind vom Wortsinn her keine Gegensätze. Mit dem Begriff der "Zweigstelle" korrespondiert nach allgemeinem Sprachgebrauch der - im Gesetz freilich nicht verwandte - Begriff der "Hauptstelle". Bei der Zweigstelle und der Hauptstelle handelt es sich jeweils um Niederlassungen der "Kanzlei", die sich danach unterscheiden, in welcher der Rechtsanwalt seine berufliche Tätigkeit ihrem Schwerpunkt nach entfaltet. Dementsprechend wurde auch schon nach altem Recht, das bei einem grundsätzlichen Verbot von Zweigstellen (§ 28 Abs. 1 Satz 1 BRAO a.F.) deren Einrichtung materiell von einem dringenden örtlichen Bedarf und formell von der Gestattung durch die Landesjustizverwaltung abhängig machte (§ 28 Abs. 1 Satz 2 BRAO a.F.), als Zweigstelle eine "Kanzlei angesehen, die neben einer bereits bestehenden Kanzlei eingerichtet oder unterhalten wird" (Prütting in Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl., § 28 Rn. 5).
(2) Vor allem aber ist die Argumentation des Beklagten mit dem Sinn und Zweck der Kanzleipflicht nicht in Einklang zu bringen. Mit der Kanzleipflicht will der Gesetzgeber erreichen, dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur von einer beruflichen Niederlassung aus ausübt. Das gilt für die Hauptniederlassung gleichermaßen wie für die Zweigstelle.
(a) Nach der Begründung der ursprünglichen Regelung sollte die Kanzleipflicht nicht nur das damals noch bestehende Lokalisationsprinzip absichern, sondern auch sicherstellen, dass der Rechtsanwalt "mit dem Gericht und den Rechtsuchenden in enger Verbindung bleibt" (BT-Drucks. III/120, 68). Das soll dadurch erreicht werden, dass der Rechtsanwalt eine Kanzlei unterhält, in der er für seine Mandanten, aber auch für Gerichte und Behörden, erreichbar und ansprechbar ist (Feuerich/Weyland, aaO, § 27 Rn. 2; Siegmund in Gaier/Wolf/Göcken, aaO, § 27 BRAO Rn. 21 ff.; Kleine-Cosack, aaO, § 27 Rn. 1).
(b) Diese "enge Verbindung" beschränkt sich nach dem Regelungskonzept des Gesetzgebers nicht auf den rein kommunikativen Aspekt, also darauf, dass an den Rechtsanwalt Zustellungen erfolgen können und dass er überhaupt erreichbar ist. Dazu würde die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten oder die Mitteilung einer Zustellanschrift und der Kommunikationsdaten ausreichen. Die zweite Maßnahme lässt das Gesetz nicht, die erste nur für den Fall zu, dass der Rechtsanwalt von der Kanzleipflicht befreit ist. Ohne eine Befreiung von der Kanzleipflicht verlangt § 27 Abs. 1 BRAO von dem Rechtsanwalt, dass er eine Kanzlei einrichtet und seine berufliche Tätigkeit von dieser beruflichen Niederlassung aus ausübt (so Prütting in Henssler/Prütting, aaO, § 27 Rn. 5). Es soll also einen festen Ort geben, an dem der Rechtsanwalt gewöhnlich angetroffen werden kann, an dem insbesondere Mandanten mit ihrem Rechtsanwalt vertrauliche Gespräche führen und ihre Unterlagen und Mitteilungen vor unbefugtem Zugriff sicher verwahrt wissen können (Siegmund in Gaier/Wolf/Göcken, aaO, § 27 BRAO Rn. 28 ff., 32 ff.).
(c) § 27 Abs. 1 BRAO verpflichtet zwar nur zur Einrichtung einer solchen Niederlassung überhaupt. Entschließt sich der Rechtsanwalt aber dazu, seine anwaltliche Tätigkeit an mehreren Orten auszuüben, dann muss er nach § 27 Abs. 1 BRAO an jedem dieser Tätigkeitsorte auch eine Kanzlei einrichten und unterhalten. Eine Zweigstelle ist nämlich nicht nur ein Ort, an dem der Rechtsanwalt ohne Kontakt nach außen ähnlich wie in einer Gerichtsbibliothek seiner anwaltlichen Tätigkeit nachgeht, die örtlich an seiner Hauptkanzlei konzentriert bleibt.
Eine Zweigstelle richtet der Rechtsanwalt vielmehr ein, weil er mit Gerichten und Behörden, vor allem aber mit seinen vorhandenen und zu gewinnenden Mandanten nicht nur von seiner Hauptkanzlei aus in Kontakt treten will, sondern zusätzlich auch von einem anderen Ort. Das verbietet ihm das Gesetz zwar nach der Aufhebung von § 28 BRAO a.F. nicht mehr. Es hält aber daran fest, dass der Rechtsanwalt dann sicherstellen muss, dass er von Mandanten, aber auch Gerichten und Behörden, auch an diesem Ort angesprochen werden kann. Das erfordert nach § 27 Abs. 1 BRAO die Einrichtung einer Kanzlei auch am Ort der Zweigstelle. Die Zweigstelle ist damit, worauf die Klägerin zutreffend hingewiesen hat, der Sache nach ebenso die Kanzlei des Rechtsanwaltes wie seine (Haupt-)Kanzlei. Das zeigt sich auch daran, dass der Rechtsanwalt durch einfache Anzeige an die Rechtsanwaltskammer bestimmen kann, welche Niederlassung jeweils eine Hauptniederlassung ist, ohne dass das an bestimmte sachliche Voraussetzungen geknüpft wäre.
(d) Die Aufhebung des grundsätzlichen Zweigstellenverbots durch das Gesetz vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 358) kann der Beklagte nicht als Argument für seine Auffassung in Anspruch nehmen. Dieses Verbot wurde aufgehoben, weil es der Absicherung des Lokalisationsgebots diente und nach dessen Aufgabe keinen Sinn mehr hatte. Der Gesetzgeber hat die Aufhebung des Verbots aber gerade nicht zum Anlass genommen, die Kanzleipflicht abzuschaffen und die Einrichtung von Zweigstellen von allen beschränkenden Regelungen freizustellen. Vielmehr hat er sich ausdrücklich für die Beibehaltung der Kanzleipflicht und die Einführung einer Pflicht zur Anzeige der Errichtung einer Zweigstelle gemäß § 27 Abs. 2 BRAO entschieden (Begründung des Entwurfs der BRAO-Novelle von 2007 in BT-Drucks. 16/513, 15). Das hat er zwar eher formal damit begründet, dass sich anders das Rechtsanwaltsverzeichnis nach § 31 BRAO nicht führen lasse, in dem nach § 31 Abs. 3 Satz 1 BRAO neben der Anschrift der Hauptkanzlei auch die Anschriften etwaiger Zweigstellen anzugeben sind. Die Aufnahme der Anschriften von Zweigstellen in das Rechtsanwaltsverzeichnis belegt aber, dass die Zweigstelle in der Sache für die Rechtsuchenden einerseits und Gerichte und Behörden andererseits im Wesentlichen die gleiche Bedeutung hat wie die Hauptkanzlei. Dementsprechend muss auch sie als "Anlaufstelle" geeignet sein, und spricht nichts dafür, die Ermächtigungsgrundlage für die Festlegung der inhaltlichen Anforderungen an eine Kanzlei in Bezug auf Hauptstelle und Zweigstellen unterschiedlich zu fassen.
cc) Die dem Sinne der Kanzleipflicht entsprechende Erstreckung der Regelungskompetenz der Klägerin aus § 59b Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe g BRAO auch auf Zweigstellen führt entgegen der von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretenen Ansicht auch nicht zu einer Diskriminierung inländischer Rechtsanwälte gegenüber europäischen Rechtsanwälten. Europäische Rechtsanwälte, die im Inland eine Zweigstelle unterhalten wollen, müssen nämlich am Ort der Zweigstelle nicht anders als inländische Rechtsanwälte eine Kanzlei einrichten. Denn die Unterhaltung einer Zweigstelle durch sie ist eine Form der Niederlassung im Inland, für die, je nach dem gewählten berufsrechtlichen Rahmen, entweder nach § 4 Abs. 1 EuRAG i.V.m. § 14 BRAO oder nach §§ 12, 13 EuRAG i.V.m. § 27 BRAO eine Kanzleipflicht besteht (Eichele in Gaier/Wolf/Göcken, aaO, § 4 EuRAG Rn. 5; Lörcher in Henssler/Prütting, aaO, § 4 EuRAG Rn. 7 a.E.). Diese Regelungen stehen mit EU-Recht in Einklang (vgl. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte [ABl. Nr. L 78, 17] und Art. 6 und 7 der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde [ABl. Nr. L 77, 36]).
b) Auch sonst ist kein Grund gegeben, der die Aufhebung des Beschlusses vom 15. Juni 2009 durch den Beklagten rechtfertigen könnte.
Ein Satzungsbeschluss der Satzungsversammlung der Klägerin darf nach § 191e Halbs. 2 BRAO nur aufgehoben werden, wenn er gegen höherrangiges Recht verstößt (Feuerich/Weyland, aaO, § 191e Rn. 2; Dahns in Gaier/Wolf/Göcken, aaO, § 191e BRAO Rn. 5; Hartung in Henssler/Prütting, aaO, § 191e Rn. 3, 5; Funk, aaO, S. 223). Diese Maßnahme darf als Teil der Staatsaufsicht, die das Bundesministerium nach § 176 Abs. 2 Satz 1 BRAO über die Bundesrechtsanwaltskammer führt, nach § 176 Abs. 2 Satz 2 BRAO nur bei Verstößen gegen Gesetz oder Satzung erfolgen (Funk, aaO, S. 223).
Ein solcher Verstoß ist nicht gegeben und wird von dem Beklagten auch nicht geltend gemacht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c BRAO i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 194 Abs. 1 BRAO i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Bei der Ausübung seines Ermessens nach § 52 Abs. 1 GKG hat sich der Senat an dem Festsetzungsvorschlag orientiert, den der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Nr. 22.5 für die Kommunalaufsicht vorsieht.
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