Entscheidungsdatum: 23.07.2014
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs in der Freien und Hansestadt Hamburg vom 14. Juni 2013 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.
I.
Der Kläger ist seit dem 20. Juni 1968 zugelassener Rechtsanwalt und Mitglied der beklagten Rechtsanwaltskammer. Er verlegte seinen Wohnsitz und seine Kanzlei nach I. (Spanien). Mit Bescheid vom 23. September 1994 befreite ihn die seinerzeit zuständige Justizbehörde H. von der Pflicht, eine Kanzlei im Bezirk der Beklagten zu unterhalten.
Mit Bescheid vom 10. November 2011 gab die Beklagte dem Kläger unter Anordnung des Sofortvollzuges auf, für die Dauer der Befreiung von der Kanzleipflicht einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Widerspruch und Klage des Klägers gegen diesen Bescheid blieben erfolglos. Der Kläger hat nunmehr einen als "Nichtzulassungsbeschwerde" bezeichneten Rechtsbehelf eingelegt, mit welchem er die Zulassung der Berufung erreichen will.
II.
Der Antrag des Klägers kann als Antrag auf Zulassung der Berufung ausgelegt werden. Als solcher ist er nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a) Ein Rechtsanwalt, der von der Pflicht befreit worden ist, eine Kanzlei zu unterhalten, hat der Rechtsanwaltskammer einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, der im Inland wohnt oder dort einen Geschäftsraum hat (§ 30 Abs. 1 BRAO); Ausnahmen sind nicht vorgesehen. Der Kläger ist mit Bescheid vom 23. September 1994 von der Kanzleipflicht befreit worden. Die Kanzleipflicht wird in § 27 Abs. 1 BRAO dahingehend bestimmt, dass der Rechtsanwalt verpflichtet ist, im Bezirk der Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied er ist, eine Kanzlei einzurichten und zu unterhalten. Ein Rechtsanwalt, der seine Kanzleien ausschließlich in anderen Staaten einrichtet, wird gemäß § 29a Abs. 2 BRAO ebenso von der Kanzleipflicht des § 27 Abs. 1 BRAO befreit wie ein Rechtsanwalt, der weder im Inland noch im Ausland eine Kanzlei unterhält und nach § 29 Abs. 1 BRAO zur Vermeidung von Härten von der Pflicht des § 27 Abs. 1 BRAO befreit werden kann. Dass die Vorschrift des § 30 Abs. 1 BRAO auch für Anwälte mit (ausschließlichem) Kanzleisitz im Ausland gilt, folgt hinreichend deutlich aus § 29a Abs. 2 BRAO, der auf § 27 BRAO Bezug nimmt. Überdies kann nach § 14 Abs. 3 Nr. 3 BRAO die Zulassung eines Anwalts zur Rechtsanwaltschaft widerrufen werden, der nicht binnen drei Monaten, nachdem er gemäß § 29a Abs. 2 BRAO von der Kanzleipflicht befreit worden ist, einen Zustellungsbevollmächtigten benennt.
b) Auf einen "Bestandsschutz" kann sich der Kläger nicht berufen. Die in § 30 BRAO normierte Pflicht, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, ist fortlaufend zu erfüllen, solange der Rechtsanwalt von der Kanzleipflicht des § 27 Abs. 1 BRAO befreit ist. Sie gilt damit auch in Fällen, in denen die Rechtsanwaltskammer zunächst davon abgesehen hatte, die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten zu verlangen. Ein Rechtsanwalt, der jahrelang keinen Zustellungsbevollmächtigten beauftragt hatte, wird durch die Erfüllung der ihm gemäß § 30 BRAO obliegenden Pflicht zur Bestellung des Zustellungsbevollmächtigten nicht mehr oder anders belastet als ein Anwalt, der unverzüglich nach der Befreiung von der Kanzleipflicht einen Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat. Im Jahre 2009 ist dem Kläger wegen seiner Weigerung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, gemäß § 74 BRAO eine Rüge erteilt worden; sein Antrag auf anwaltsgerichtliche Entscheidung (§ 74a BRAO) ist erfolglos geblieben.
c) Der nicht näher belegten Behauptung des Klägers, nur ihm allein sei die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten aufgegeben worden, geht der Senat nicht nach. Auf die Frage, welche Folgen ein Vollzugsdefizit nach sich ziehen könnte und welches Ausmaß dieses angenommen haben müsste, um rechtlich von Belang zu sein, kommt es wegen des Fehlens ausreichender tatsächlicher Anhaltspunkte nicht an.
2. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung wirft die Sache nicht auf (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 291; BVerfG, NVwZ 2009, 515, 518; BVerwG, NVwZ 2005, 709).
a) Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage nach dem Anwendungsbereich des § 30 Abs. 1 BRAO lässt sich, wie gezeigt, ohne weiteres aus den Vorschriften der §§ 27, 29a, 30, 14 Abs. 3 Nr. 3 BRAO beantworten. Demgegenüber trägt der Kläger ohne Angaben genauer Fundstellen vor, das Urteil des Anwaltsgerichtshofs stehe im Widerspruch zu führender Kommentarliteratur. Nicht jede in der Literatur geäußerte Einzelmeinung begründet jedoch die Notwendigkeit einer höchstrichterlichen Leitentscheidung. Die Mehrzahl der Kommentatoren geht wie der Anwaltsgerichtshof und der Senat davon aus, dass die Pflicht des § 30 Abs. 1 BRAO auch in den Fällen des § 29a Abs. 2 BRAO gilt (vgl. etwa Siegmund in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 30 BRAO Rn. 8; Eichele, aaO, § 29a BRAO Rn. 19; Schmidt-Räntsch, aaO, § 14 Rn. 50; Schroeder in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 29a Rn. 12; Prütting, aaO, § 30 Rn. 7; Vossebürger in Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 14 Rn. 92a; Weyland, aaO, § 29a Rn. 15; Kleine/Cosack, BRAO, 6. Aufl., § 30 Rn. 1).
b) Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers teilt der Senat nicht. Die Vorschrift des § 30 BRAO verstößt nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Sie enthält eine Berufsausübungsregelung, die dem Rechtssatzvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG genügt und durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls, nämlich die Erleichterung der Zustellung an Anwälte ohne Kanzlei im Sinne von § 27 Abs. 1 BRAO, gerechtfertigt ist. Nach der amtlichen Begründung des Entwurfs einer Bundesrechtsanwaltsordnung vom 24. November 1954 dient die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten der Sicherung des Zustellungsverkehrs in den besonderen Formen, welche die Prozessordnungen für Zustellungen an Anwälte vorsehen (BT-Drucks. 2/1014, S. 73 zu § 42 BRAO-E, nach welchem nur ein zugelassener Rechtsanwalt als Zustellungsbevollmächtigter benannt werden konnte). Auch § 30 Abs. 1 BRAO in der jetzt geltenden Fassung soll gewährleisten, dass Zustellungen in den in § 30 Abs. 2 BRAO genannten erleichterten Formen der Zivilprozessordnung erfolgen können und Auslandszustellungen vermieden werden (vgl. die amtliche Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und kostenrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2008, BT-Drucks. 16/11385, S. 35 zu Nr. 11). Der Senat hat auch in früheren Entscheidungen keinen Anlass für eine Vorlage nach Art. 100 GG gesehen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. November 2013 - AnwZ (B) 3/13, NJW-RR 2014, 377). Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ist ebenfalls nicht veranlasst. Die Vorschrift des § 30 Abs. 1 BRAO ist schließlich auch inhaltlich hinreichend bestimmt. Der Kläger hat der Beklagten einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Auf weiteres kommt es nicht an.
3. Die Rechtssache weist keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten auf (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Der Sachverhalt ist übersichtlich; die Rechtslage ist eindeutig.
4. Der Kläger hat schließlich keinen Verfahrensfehler dargelegt, auf dem die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Soweit der Kläger beanstandet, dass sich die Beklagte im Hinblick auf § 46 BRAO nicht durch eine bei ihr angestellte Rechtsanwältin hätte vertreten lassen dürfen, ist nicht ersichtlich, dass das Urteil des Anwaltsgerichtshofs hierauf beruht (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO). Entgegen der Ansicht des Klägers stellen der Anwaltsgerichtshof und der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, keine verbotenen Ausnahmegerichte im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG dar.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52 Abs. 2 GKG.
Limperg Lohmann Remmert
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